Mehr Queerness in der Architektur!

Sonderheft von «archithese» zum Thema LSBT*QI+

Die jüngste Ausgabe der Zeitschrift für Architekturtheorie «archithese» feiert die queere Vielfalt – auch in der Architektur. Das Queer-Heft stellt LSBT*QI+ in der Architektur ins Rampenlicht. Es spricht ihre Probleme an, erhebt Forderungen und will damit zuallererst als Statement verstanden werden.

«Weltweit gehören geschätzt 1,2 Milliarden Menschen der Gruppe der LSBT*QI+ an, was einem Bevölkerungsanteil von 14 Prozent entspricht», schreibt der Chefredaktor Jørg Himmelreich im Editorial. «Nehmen ich mein eigenes Umfeld als Massstab, dann arbeiten in der Architektur überproportional viele Schwule und Lesben. Doch in den Chefetagen und bei den Professuren ist ihr Anteil erstaunlich gering – oder sie sind da, verstecken aber ihre Sexualität vor der Öffentlichkeit? Wenn ja, warum ist das (immer noch) so?» Um diese und andere Fragen zu erörtern, will die neue Ausgabe der «archithese» sie endlich sichtbar machen und ihnen Gehör verschaffen.

Obwohl sich die Architekturschaffenden selbst als liberal und weltoffen rühmen, gesteht Jørg Himmelreich, dass bei ihnen offensichtlich doch nicht so ein offenes Klima herrscht, in dem man sich unbekümmert als queer exponieren kann. Das sind aber nur «gefühlte Fakten», denn Zahlen zur Situation der LSBT*QI+ in der Architektur wurden bisher nicht ermittelt.

Mangels offener queerer Menschen in der Architektur musst Jørg Himmelreich sogar ein Interview mit sich selbst führen! «Ich kenn einige schwule Architekten, aber vor einem halben Jahr, als wir mit der Produktion des Sonderhefts begannen, waren mir nur drei bekannt, die auch ein Büro leiten. Wir fingen an zu graben und in zahlreichen Gesprächen nach spannenden role models zu suchen, konnte aber nur wenige finden, die offen mit ihrer Sexualität umgehen. Lesbische Architektinnen aufzuspüren war noch schwieriger als offene schwule Büroleiter zu finden; bei Transgender in der Architektur sind wird dann fast bei null angelangt. Auch Professor*innen, die out sind, haben wir fast keine gefunden. Das liegt daran, dass in der Architektur Vorbildern für LSBT*QI+ fehlen.»

Doch es geht im Queer-Heft nicht nur um die Architektur als Arbeitsumfeld. «Wir müssen dringend unsere gebaute Umwelt hinterfragen: Nimmt sie queere Bedürfnisse ernst? Kaum – Städtebau und Wohnungsbau werden meist von Heteros gemacht. Sie stülpen – bewusst oder unbewusst – ihre normativen Vorstellungen über alles. Es ist Zeit, zu fragen, welche gebaute Umwelt die mehr als 14 queeren Prozent der Bevölkerung wünscht», schreibt Jørg Himmelreich. «Doch das Thema ist nicht bloss Politikum und Forderung nach mehr geeigneten Räumen für Queers. Queering kann abstrahiert betrachtet als kreative Methode verstanden werden und einen reichen methodischen Werkzeugkasten für den Entwurf ganz allgemein bereitstellen. Darum fokussiert das neue Heft inhaltlich vor allem auf Potenziale für die Architektur, die der Diskurs rund um Gender, die von der heterosexuellen Norm abweicht, entfalten kann.»

«Im englischen Sprachraum wurde in den 1990er-Jahren bereits einiges dazu formuliert», hält Jørg Himmelreich fest, «Diesen Diskurs reflektieren wir, fragen aber zugleich nach der Gegenwart der Debatte. Steht beim ersten Blick aus der heteronormativen Perspektive Queering für Beliebigkeit und Exzess, so finden sich andere, fruchtbare Aspekte, sobald tiefer geschürft wird: Beim Lösen aus normativen Fesseln geht es um Spielräume, Mehrfachlesbarkeiten, Nischen und das Verschieben von Grenzen. Queering kann helfen, Architektur nicht mehr als statisches Konstrukt, sondern als performativen Akt zu verstehen.»

Die Architektur gestaltet die Welt, in der wir leben. Es reicht aber nicht, ein Haus in den Regenbogenfarben zu anzustreichen um Queerness zu zeigen. Genau so, wie wir von Schulen verlangen, dass sie über LGBTI+ aufklären um Vorurteile abzubauen oder vom Gesundheitswesen erwarten, dass sich auch die Lebenswelten queerer Menschen beachten, muss sich auch die Architektur mit unseren Bedürfnissen auseinandersetzen. Mit dem «archithese»-Schriftenreihe zum Thema «Queer» wird nun ein Anfang gemacht. Dazu bietet sie neun Essays und acht Kunst-Inserts ihrer (beinahe ausschliesslich queeren) Autor*innen.

Das Heft kann hier bestellt werden.

Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.