DJ Coreys MusikTipps April 2024

Beyoncé, Kacey Musgraves, Adrianne Lenker, Medium Build, Grace Cummings, Gossip, Conan Gray, Fletcher, Shakira, Gianna Nannini

Die Renaissance des Country in allen Regenbogenfarben. LGBTQ-Künstler*innen und LGBTQ-Allies verleihen dem ultrakonservativen und weissen Musik-Genre einen neuen Schwung. Besonders empfehlenswert sind die neuen Alben von Beyoncé, Kacey Musgraves, Adrianne Lenker, Medium Build und Grace Cummings. Ausserdem: Gossip schlagen zurück. Neue Queer-Pop-Töne von Conan Gray und Fletcher. Die süsse Rache der Latin-Pop-Königin Shakira. Die Rückkehr der Italo-Pop-Rock-Veteranin Gianna Nannini.


BEYONCÉ

ACT II: COWBOY CARTER (Parkwood Entertainment LLC, Columbia)

Nach ihrer Verneigung vor der LGBTQ-Bewegung auf «Act I: Renaissance» nimmt sich Queen Bee auf «Act II: Cowboy Carter» das Recht, Country zu singen, den weissesten, männlichsten und konservativsten Musik-Stil par excellence. Das ambitionierte Mammutprojekt (27 Songs in 89 Minuten) der gebürtigen Texanerin ist nicht nur eine musikalische Abhandlung bzw. ein politisches Statement gegen Rassismus, sondern auch der äusserst gelungene Versuch, den Country als diverse und inklusive Plattform darzustellen. Beyoncé begibt sich auf einen eklektischen, unterhaltsamen bis dramatischen Ritt durch die Country-Tradition und ihre R&B-, Gospel- und Hip-Hop-Wurzeln. Mit ihr unterwegs sind auch prominente Reisebegleiter/innen wie Dolly Parton, Willie Nelson, Miley Cyrus und Post Malone.


KACEY MUSGRAVES

Deeper Well (Interscope/MCA Nashville)

Die Texanerin Kacey Musgraves hat wesentlich dazu beigetragen, den Country von seinem Macho-Korsett zu befreien und weiblicher und moderner zu gestalten. Insbesondere mit der Hymne «Follow Your Arrow», einer Aufforderung, selbstbestimmt zu leben, insbesondere in Bezug auf die sexuelle Ausrichtung, avancierte sie zur LGBTQ-Allie. Nach ihrem leicht psychedelisch angehauchten Scheidungsalbum «Star-Crossed» scheint Kacey Musgraves auf «Deeper Well» ihren inneren Frieden gefunden zu haben. Sie öffnet das Fenster zur inneren Einkehr und tiefen Spiritualität, indem sie sich auf die Folk-Ursprünge des Country und auf den Country-Soul-Schmelz der 60er-Jahre besinnt.


ADRIANNE LENKER,

Bright Future (4AD)

Die Big-Thief-Sängerin Adrianne Lenker zelebriert auf ihrem neuen Solo-Album «Bright Future» die eigene Verletzlichkeit und Fragilität. In ihren intimen, kargen und poetischen Songs manifestiert sie eine Seelenverwandtschaft zum ersten Bob Dylan oder Neil Young. In ihrem autobiografischen Erzählstil und in ihrer Verbindung privater Erfahrungen mit der Natur erinnert sie zudem an den Singersongwriter Sufjan Stevens. «Bright Future» hat die queere Musikerin zusammen mit ihren Mitmusiker*innen in einem Studio mitten im Wald aufgenommen und mensch hat fast das Gefühl, den Wald auch zu schmecken.


MEDIUM BUILD

Country (slowplay)

Medium Build ist das 2015 gegründete Musikprojekt von Nick Carpenter, einem queeren Singer-Songwriter aus Alaska. Auf seinem neuen Album «Country» verknüpft Medium Build Elemente aus klassischem Country, 80er-Jahre New Wave und Emo geschickt miteinander zu einem sehr persönlichen Musikstil. In seinen offenen Texten erzählt er von seinen Ängsten und Träumen, erkundet seine Queerness und verarbeitet seine persönlichen Gefühle und Gedanken. Durch seine ehrliche und direkte Art sichert sich Medium Build das Vertrauen aller queeren Musik-Fans.


GRACE CUMMINGS

Ramona (PIAS/ATO/Rough Trade)

Auf ihrem dritten Album «Ramona» schlüpft die australische Singersongwriterin Grace Cummings in die Rolle der gleichnamigen Frau aus einem Bob Dylans Song ein. Diese vielschichtige und komplexe Frauenfigur erlaubt ihr, mit verschiedenen Charakteren zu spielen. Durch die Arbeit mit dem Soundtüftler Jonathan Wilson wurde der dunkle Gothik-Folk von Grace Cummings einer opulenten orchestralen Produktionstechnik unterzogen. In dieser wunderbaren Film-Noir-Atmosphäre erhebt sich Grace Cummings Stimme wie eine Naturgewalt, sowohl faszinierend als auch bedrohlich und dramatisch.


GOSSIP

Real Power (Sony)

Mit dem Protestsong «Standing In The Way Of Control» für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in den schrecklichen USA von George W. Bush boxten sich Gossip 2006 aus der schwulen Subkultur in den Pop-Mainstream. Die lesbische Frontfrau Beth Ditto wurde prompt zum Idol der LGBTQ-Gemeinde und der Body-Positivity-Bewegung. Drei Jahre später landeten Gossip einen globalen Hit mit «Heavy Cross» und dem Album «Music For Men». Auch auf «Real Power» hat Star-Produzent Rick Rubin Regie geführt und Beth Ditto setzt ihre Stimme als Wunderwaffe ein. Das Titelstück, der Opener «Act Of God», «Edge Of The Sun» und die funkige Nummer «Give It Up Love» frischen die bewährte Rezeptur aus Punk-Attitüde, Indie-Disco und Motown auf und erinnern an ihre Glanztaten. Dann lässt die Power allmählich nach und Gossip verwandeln sich überraschend in eine spannende Version des Trios The XX.


CONAN GRAY

Found Heaven (Republic Records)

Momentan liegen die nuller Jahren im Trend, aber Conan Gray geht noch weiter zurück in die 80er- und 70er-Jahre. Der kalifornische Sänger, Star der Generation Z und Tik-Tok-Phänomen hat seinen dritten Streich «Found Heaven» mit den grössten Produzenten des Planeten Pop kreiert, d.h. Max Martin, Greg Kurstin, Shawn Everett und Ilya Salmanzadeh. Mit ihnen nimmt Conan Gray die Zuhörer*innen auf eine musikalische Zeitreise mit, in eine Ära, die von Hochglanz-Pop und New Wave dominiert war. Der queere Musiker modelliert seinen Sound aus Erinnerungen an Elton John, A-ha, Human League und den Erwachsenenpop aus dem 80s-Radioprogramm. Vielleicht fehlt dem Ganzen eine eigene Identität, aber der Nostalgie-Effekt funktioniert wunderbar.


FLETCHER

In Search Of The Antidote (Capitol Records)

In ihrem Debütalbum «Girl Of My Dreams» begab sich Fletcher auf einer Achterfahrbahn der Gefühle, aber immerhin konnte sie noch vor Selbstbewusstsein strotzen. Auf dem Nachfolger «In Search Of The Antidote» wendet die queere Sängerin den Blick verstärkt nach innen und legt ihre Unsicherheiten und Unvollkommenheiten ungefiltert offen. Diese Aspekte widerspiegeln sich auf dem Sound, der zwischen rauen Gitarrengewittern und ungeschliffenen Balladen hin- und hergerissen ist, und in den intimen Texten. Am Schluss hat Fletcher das Gegengift für all die Hindernisse, die ihr im Wege stehen, um zu sich selbst zu finden, doch nicht gefunden. Die Suche geht bestimmt auf dem nächsten Album weiter.


SHAKIRA

Las Mujeres Ya No Lloran (Sony)

In den letzten sieben Jahren hat Shakira deutlich mehr Schlagzeilen mit ihren privaten Angelegenheiten gemacht als mit ihrer Musik. Die Hauptinspirationsspritze hinter dem neuen Album ist nicht der Steuerhinterziehungsprozess in Spanien, sondern die Trennung von ihrem langjährigen Lebensgefährten, dem Profifussballer Gerard Piqué. Mit «Las Mujeres Ya No Lloran» hat die kolumbianische Künstlerin ein komplettes Dissalbum gegen ihren Ex konzipiert. Shakira hat Schmerz, Wut und Frustration in Kreativität, Stärke und Widerstandsfähigkeit transformiert. Sie bleibt eine Meisterin des Crossover mit ihrem Mix aus Pop, 80s-Einflüssen, EDM, Rock, Bachata, Reggaeton und anderen Latino-Rhythmen. Die Wölfin Shakira heult wieder auf Spanisch und holt sich den Thron des Latin-Pop zurück, für den sie eine echte Pionierin war. Die unzähligen Features mit jüngeren Latin-Pop-Stars (u.a. Karol G, Bizarrap, Rauw Alejadro, Fuerza Regida, Grupo Frontera) unterstreichen Shakiras Relevanz in der aktuellen globalen Pop-Welt.


GIANNA NANNINI

Sei nell’anima (Columbia)

Fast fünf Jahre nach «La Differenza» meldet sich Gianna Nannini mit «Sei nell’anima» zurück, einem Gesamtprojekt zu ihrem 70. Geburtstag, das eine Tour, ein Buch, einen Netflix-Film und ein Album beinhaltet. Obwohl das Album den Titel eines ihrer grössten Hits trägt, handelt es sich dabei um keine Best-Of-Compilation, sondern um neue Songs. Ursprünglich wollte die italienische Rock-Röhre alte Soul-Songs interpretieren, doch Probleme mit den Urheberrechten habe sie davon abgehalten. So hat es nur die italienische Adaptation von Etta James «I’d rather go blind» auf das Album geschafft («Il buio nei miei occhi»). In den zwölf Songs ergründet Giannissima das Seelische in all seinen Dimensionen, zwischen Sehnsucht, Romantik und Rebellion, und beweist einmal mehr ihre zentrale Bedeutung im Panorama der italienischen Canzoni.


 

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Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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