«Komisch. Du hast ja gar keine schwule Stimme.»

Daniel Frey schaut zurück auf 15 Jahre GAYRADIO

Daniel, nach fast fünfzehn Jahren bei GAYRADIO hörst du auf. Warum?
Fünfzehn Jahre sind genug. Ich glaube, das darf man so sagen. Wer die Sendung gewissenhaft leiten will, muss sich intensiv darauf vorbereiten. Mein Partner hat gewöhnliche Arbeitszeiten und bei mir ging stets der Sonntag drauf. Das wollte ich nicht mehr. Zudem bleibe ich der Community mit weiteren Engagements treu, zum Beispiel bei den Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern HAB. Die sind mir sehr wichtig.

Wie hat sich die Community im Vergleich zu 2004 verändert?
Einerseits gar nicht. Auf eine Art ist es erschreckend, dass die politischen Themen dieselben geblieben sind. Ich habe mir alte Sendungen angehört, um in den Erinnerungen zu schwelgen. Beispielsweise ging schon damals um Regenbogenfamilien, obwohl man den Begriff so noch nicht kannte. Auch die «Ehe für alle» war nicht geläufig. Das Partnerschaftsgesetz war ein Thema, aber uns war schon damals klar, dass dies nur der erste Schritt sein würde. Und auch damals warf man uns bereits eine Salamitaktik vor.
Andererseits ist die Community vielfältiger geworden, es gibt mehr Buchstabenmenschen und mehr Angebote. Allerdings ist die Solidarität untereinander nicht mehr die gleiche. Heute müssen die HAB schauen, wie sie über die Runden kommen. Wer hingegen mit Network ins Restaurant zum Abendessen geht, legt 200 Franken hin.

Es sind vor allem die Reaktionen auf meine Sendungen, die mir sehr nahe gegangen sind.

Als Moderator hast du viele Persönlichkeiten kennen gelernt. Was hat dich am meisten berührt?
Es sind vor allem die Reaktionen auf meine Sendungen, die mir sehr nahe gegangen sind. Spontan kommt mir ein scheuer Junge in den Sinn, der mich vor ein paar Jahren auf Facebook angesprochen hat. Der war höchstens 17, 18 Jahre alt. «Herr Frey», schrieb er. Er müsse mir was erzählen. Am letzten Sonntag habe er gemeinsam mit seinen Eltern meine Sendung gehört und sich anschliessend geoutet. Ich sei die schwule Stimme gewesen, die ihm geholfen habe. Das hat mich sehr berührt. Ich habe ihm aber gesagt, dass wir jetzt im gleichen Verein sind und uns daher duzen können (lacht).
Auch die Sendung mit Patrick Rohr bleibt mir in Erinnerung. Am Schluss des Interviews sagte er mir, dass er sich bei mir so wohl gefühlt hatte, dass er mir Dinge erzählte, die er eigentlich gar nicht erzählen wollte. 

Ein sehr schönes Kompliment.
Ja. Offensichtlich fühlen sich die Menschen bei mir gut aufgehoben.

Gabs auch Negatives?

Nein, aber Schräges. Als ich einem Sendungsmacher bei einer Redaktionssitzung beim Radio RaBe sagte, dass ich von GAYRADIO sei, meinte er: «Ah, komisch. Du hast ja gar keine schwule Stimme.» Das zeigt mir, dass es auch heute noch so etwas wie ein GAYRADIO oder eine Mannschaft braucht. (Wechselt in eine hohe Tonlage). Ich sagte ihm, dass ich auch ganz anders sprechen könne, wenn er das wünsche (lacht.)

Wie siehst du die Zukunft von GAYRADIO?
Wir sind gut mit der Zeit gegangen. Es gab schon sehr früh eine Website mit Verlinkung ins Archiv von RaBe. Ich stelle fest, dass Sendungen immer mehr im Nachhinein und nicht mehr live gehört werden. Am Sonntagabend will man sich vom Ausgang erholen oder den Tatort schauen. Wie man sich vor Geschlechtskrankheiten schützen kann, will man dann eher nicht hören. Was mich freut ist das Interesse der trans Community, die trans Beiträge kommen gut an. 

Was wird dir aus deiner Zeit bei GAYRADIO am meisten fehlen?
Ich war schon immer ein Tonjäger. Mal schauen, wie lange ich es ohne aushalten kann. Bei Sportlern ist es der Sport, der ihnen Adrenalinschübe verlieht, bei mir war es der Gang ins Studio vor einer Sendung. Klappt alles? Kommen die Gäste pünktlich? Was mache ich bei einem «Schnurri»? Schliesslich wollte ich mein Gegenüber stets ausreden lassen.

Gabs Pannen?
Als ich alle Sänger des schwulen Chors im Studio hatte, streikte das Sendepult. Die Person vor mir hatte es so manipuliert, dass ich es nicht bedienen konnte. Das war definitiv nicht lustig. Ein anderes Mal, liess mich ein Gast – ein Mr.-Gay-Kandidat – vor der Sendung sitzen, und das gleich zwei Mal hintereinander! Doch beim zweiten Mal hatte ich eine Ersatzsendung auf Lager. Das waren die einzigen Pannen.

Wäre es nicht viel einfacher, die Sendung im Vornerein aufzuzeichnen?
Dann geht die Spontaneität verloren. Anlässlich des Welt-Aids-Tags vor ein paar Jahren hatte ich Mitarbeiter des Checkpoint Bern zu Gast. Im Vorgespräch sagte mir einer von ihnen, dass er HIV-positiv sei, dies aber auf Sendung nicht sagen wolle. Als wir live waren, tat er es aber doch. Es habe sich einfach richtig angefühlt, sagte er mir nach der Sendung. Das wäre nicht passiert, wenn die Sendung nicht live gewesen wäre.

Ich bin überzeugt, dass GAYRDIO auch von heterosexuellen Cis-Menschen gehört wird.

Menschen vertrauen dir. Was ist dein Geheimnis?
Das Wichtigste ist, auf die Menschen einzugehen. Ich baute meine Sendung auf zehn Stichwörtern auf, die mir ein Gast zu seiner Person zugeschickt hatte. Da kam teilweise Erstaunliches zum Vorschein. Beispielsweise hatte jemand ein Weisse-Socken-Fetisch, ein anderer liess sich gerne stundenlang mit Armeeklamotten in einem Käfig einsperren. Beim Gespräch wurde mir dann bewusst, dass er mir einen falschen Namen angegeben und zuhause Frau und Kind hat (lacht). Solche Dinge sind unglaublich spannend zum Zuhören.

Menschen wie du und ich?
Genau. Ich hatte nie einen Heisshunger auf Promis. Ich bin überzeugt, dass GAYRDIO auch von heterosexuellen Cis-Menschen gehört wird. Ihnen zeigen wir, dass wir Menschen mit den gleichen Problemen und Sorgen sind, obwohl wir vielleicht nicht alle Kinder haben. Auch wir müssen morgens aufstehen, Geld verdienen und Steuern zahlen. Das spornt meinen Aktivismus an.

Wer tritt deine Nachfolge an?
Alex Meier und Fabio Huwyler übernehmen die Leitung von gayRadio. In Zürich kommen zwei bis drei Leute dazu. Auch nach meinem Abgang wird jeder Sonntag besetzt sein. Neue Ideen und Stimmen kommen dazu. Das kann nie schaden.

Was steht in naher Zukunft bei dir an?
Ich möchte mehr für meinen Blog schreiben und so meine Gedanken loswerden. Wie gesagt will ich mich auch weiter für die HAB engagieren. Viele sagen: «Hey, wir haben bald 2019, das braucht es doch nicht mehr.» Zum Beispiel holt jemand von uns eine Person ab, wenn sie sich nicht alleine an einen unserer Anlässe traut. Es ist unglaublich, wie oft das Angebot noch genutzt wird. Ich bin jetzt 57 Jahre alt und hatte mein Coming-out mit 30. Was wäre ich glücklich gewesen, wenn man mich damals bei der Hand genommen hätte!


GayRadio auf Radio RaBe
Jeden Sonntag von 19 bis 21 Uhr.
www.gayradio.ch


Der Artikel wurde uns zur Verfügung gestellt von;

Text: Greg Zwygart

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