Ein Thema zur Unzeit?

«Ehe für alle» in der Ukraine in Kriegszeiten

Zugegeben, in Kriegszeiten denkt wohl niemand als erstes ans Heiraten. Aber dennoch wird genau dieses Thema momentan in der Ukraine diskutiert. Wie ausgerechnet der Krieg einer zivilen Partnerschaft für queere Menschen zum Durchbruch verhelfen kann, schreibt Andy Künzler von Network.

Die Legalisierung der Ehe für queere Menschen braucht eine Änderung der ukrainischen Verfassung und damit eine Volksabstimmung. So lange in der Ukraine Kriegsrecht in Kraft ist, kann jedoch keine Abstimmung durchgeführt werden. Der Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenski, gab im August 2022 eine Erklärung ab, in der er sagte, dass es mit der gleich­­geschlechtlichen Partnerschaft eine Alternative gäbe. Darauf beauftragte er das Minister­kabinett der Ukraine, sich mit dieser Frage zu befassen.

Im März 2023 wurde von 18 Mitgliedern des Parlaments ein Gesetzesentwurf für die Einführung einer gleich­­geschlechtlichen Partner­schaft eingereicht. Dies ist bereits der dritte Anlauf für ein solches Partnerschafts­gesetz. Sowohl im Jahr 2015 wie auch im Jahr 2018 sollte über einen solchen Gesetzesentwurf debattiert werden. Es konnte aber kein einziges Parlaments­mitglied gefunden werden, das öffentlich eine eingetragene Partnerschaft unterstützte und im Parlament einen entsprechenden Vorstoss eingereicht hätte. Dass dem neuen Gesetzesentwurf nun gewisse Chancen eingeräumt werden, hat direkt mit dem Krieg zu tun.

Das coole Logo der Ukrainian LGBTQ+ Military Community von Fulcrum

Der Gesetzesentwurf wurde von der Nichtregierungs­­organisation Fulcrum UA, einer Menschenrechts­­organisation mit Sitz in Kiew, initiiert und betreut. Die Organisation wurde im Jahr 2009 gegründet und war ursprünglich eine Charity-Organisation für Menschen mit HIV. Im Laufe der Jahre hat sich die Organisation gewandelt. Fulcrum ist heute eine intersektionelle Menschenrechts­­organisation mit dem Ziel, der zivilen Partnerschaft für queere Menschen zum Durchbruch zu verhelfen. Der Autor dieses Artikels konnte in einem Videoanruf mit dem Präsidenten von Fulcrum, Timur «Tim» Lewtschuk, sprechen. Gemäss seinen Aussagen sei momentan ein sehr begrenztes «Window of opportunity» offen, um dem Gesetzesentwurf zum Erfolg zu verhelfen.

Interessanterweise wird für die Einführung der gleich­geschlechtlichen Partnerschaft nicht etwa mit Schlagwörtern wie «Liebe» und «Fürsorge» zueinander argumentiert – wie wir es aus unseren Abstimmungs­kämpfen aus der Vergangenheit kennen – sondern mit den Auswirkungen des Krieges.

Stirbt oder verletzt sich ein Soldat in der Armee, so erhalten die Ehegatten finanzielle Unterstützung von der Regierung. Diese Unterstützung ist aber der direkten Familie und verheirateten Menschen vorbehalten. Auch Besuche im Spital sind nur möglich, wenn die Partner*innen zur Familie gehören oder verheiratet sind. Wenn nun queere Menschen, die Militärdienst leisten, sich nicht absichern können, werden sie in grober Weise diskriminiert.

Tymur erwähnte, dass gerade queere Männer erbittert an der Front kämpfen würden, weil sie in einer Weltordnung unter russischer Vorherrschaft sehr viel verlieren würden. Das Militär geniesst in der Bevölkerung grosses Vertrauen. Wenn sich ein Soldat, der für das eigene Land kämpfe, als schwul oute, werde dies als viel glaubwürdiger angeschaut, als wenn sich ein ziviler Bürger outen würde. Deshalb arbeitet die Organisation Fulcrum sehr nahe mit der Organisation «Ukrainian LGBT+ Army for Equal Rights» zusammen, damit sich vermehrt queere Soldat*innen outen.

Der vorliegende Gesetzesentwurf muss von gesamthaft 13 Kommissionen des Parlaments begutachtet und verabschiedet werden. Zwar braucht es nicht die Zustimmung aller Kommissionen, jedoch ist der Gesetzes­entwurf ohne Zustimmung von wichtigen Kommissionen wie der Justiz­kommission chancenlos. Bisher haben sich bereits vier Kommissionen positiv zum Gesetzesentwurf geäussert. Den Initianten wurde versprochen, dass der Gesetzesentwurf bis Ende Jahr behandelt wurde.

Zustimmung der Bevölkerung über 50 Prozent

Laut mehreren Studien wird die Einführung einer gleich­geschlechtlichen Partnerschaft für queere Menschen von 53 Prozent bis 56 Prozent der Gesamt­bevölkerung in der Ukraine unterstützt. In der queeren Community ist die zivile Partnerschaft nicht unumstritten. So gibt es verschiedene Organisationen, die den Zwischenschritt mit einer eingetragenen Partnerschaft nicht unterstützen und direkt die «Ehe für alle» fordern.


Das sind Sascha und Andriy – und sie sind voll verknallt. Beide sind Soldaten in unter­schiedlichen Einheiten der ukrainischen Armee und können sich nur selten sehen. Sascha schreiben auf Facebook: «Die Liebe ist eine mächtige Sache!». An Hochzeit denken sie auch schon: «Wenn wir heiraten, laden wir alle aus der ‹Bruderschaft von Achilles› ein». Das ist ein privater Chatraum auf Facebook für schwule und bisexuelle Soldaten, in dem sich die beiden jungen Männer kennenlernten!


 
Auf die Frage, wie wir aus dem Westen die Bewegung unterstützen könnten, erwähnte Tymur, dass die ukrainische Regierung grossen Respekt vor den internationalen Partnern habe, und teilweise auch befürchte, dass die Ukraine als homophob gelte. So sollten idealerweise Hilfeleistungen von internationalen Organisationen und einzelnen Staaten an die Bedingung geknüpft werden, dass die Menschenrechte eingehalten und das Urteil des EGMR zur Einführung einer gleich­geschlechtlichen Partnerschaft umgesetzt wird. Denn momentan werde viel hinter verschlossenen Türen über den Gesetzesentwurf gesprochen, und kaum ein*e Politiker*in äussere sich öffentlich.

Die gleich­geschlechtliche Partnerschaft für queere Menschen ist nur ein Schritt zur Gleichberechtigung. So ist klar, dass nach dem Krieg die absolute Gleichstellung und damit die Ehe für alle das Ziel sein muss – so wie es Wolodimir Selenski in Aussicht gestellt hat.

Andy Künzler, Vizepräsident und Leiter der Politischen Kommission von Network


lgbtmilitary.org.ua/eng
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Die Fotos in diesem Artikel sind von der Facebook Seite Військові ЛГБТ+ (LGBTIQ Militray)

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