Anlässlich seines 75. Geburtstags, widmet der Verlag Seccession dem Berner Schriftsteller Christoph Geiser eine Werkausgabe in 13 Bänden. Aus Band Nr. 6 «Kahn, Knaben, schnelle Fahrt» wird er lesen und sich mit dem Journalisten Stefan Zweifel unterhalten.
Im August vor 75 Jahren kam Christoph Geiser in Basel zur Welt. Dass er sich nicht mit den gegebenen Umständen zufriedengeben wollte, war bald klar. Nicht nur seine Homosexualität wurde von der Gesellschaft damals nicht akzeptiert, auch politisch stellte er sich quer. So musste er 1970 ins Gefängnis, weil er den Militärdienst verweigerte. Sein Soziologiestudium brach er ab und zog stattdessen nach Bern um fortan als freier Schriftsteller zu leben und zu arbeiten.
Seine literarische Karriere prägte eine Reise nach Oslo, wo der Anblick von Munchs «Der Schrei» seine Poetik beeinflusst. Bekannt wird er durch Romane, die seine grossbürgerliche Familiengeschichte erzählen. Seit Mitte der 1980er-Jahren, seit Geiser seine Homosexualität öffentlich machte, verschob sich der Fokus seiner Werke auf die Enttabuisierung sexueller Obsessionen. Einen markanten Wendepunkt stellte der Roman «Wüstenfahrt» dar, das eine Männerbeziehung thematisiert. In den nachfolgenden Romanen «Das geheime Fieber» und «Das Gefängnis der Wünsche» beschäftigt sich Geiser verstärkt mit kulturhistorischen Themen: Zum einen beleuchtet er das Leben des italienischen Barockmalers Caravaggio, zum anderen stellt er eine fiktive Begegnung zwischen dem Marquis de Sade und Goethe dar. Geiser reflektiert auch intensiv über seine eigene Homosexualität, besonders geprägt durch die Aids-Krise der 1980er.
Christoph Geiser erhielt 2018 den Grossen Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern, obwohl seine Werke zu diesem Zeitpunkt vergriffen waren. Der Berliner Verlag Seccession hat nun dem Berner Schriftsteller eine Werkausgabe in 13 Bänden gewidmet, die 2025 mit einem autobiografischen Roman abgeschlossen werden soll. Am Mittwoch, 30. Oktober wird Christoph Geiser bei Queerbooks aus seinem Roman «Kahn, Knaben, schnelle Fahrt» lesen, der 1995 erstmals veröffentlicht wurde und in der neuen Werkausgabe Band Nummer 6 ist. «Kahn, Knaben, schnelle Fahrt» ist ein Coming-of- Age-Roman, seine ganz persönliche «éducation sentimentale». In der neuen Wohnung der Mutter, einem Zuhause, das nicht mehr das seine ist, begegnet der Erzähler sich selbst als Kind: der Fotografie eines 14-Jährigen mit grossen, abstehenden Ohren und störrisch verstörtem Blick. Wie es zu diesem Portrait gekommen ist, weiss er nicht mehr. Aber er erinnert sich an den Jungen, der er damals war: ein hilfloser Aussenseiter mit philosophischen Neigungen und sexuellen Nöten, ein Kind mit der fixen Idee, in ein Kloster einzutreten, um der Familie zu entkommen. Diese Reise ins Kloster, wohin ihn der Vater schliesslich widerwillig fuhr, wird zum Angel- und Wendepunkt der Geschichte. Aus dem Abstand von dreissig Jahren wiederholt der Erzähler jene Reise, begleitet sein Alter Ego noch einmal ins Kloster und erfindet dem Kind, das er war, eine neue Biographie. Mit zärtlicher Ironie versucht er, die Verschlossenheit des Knaben aufzubrechen, ihm Mentor und Mephisto zu sein, der ihn wegführt von den Müttern und spielerisch einführt in Sexualität und Erotik.
LESUNG UND GESPRÄCH MIT CHRISTOPH GEISER
Eine Veranstaltung von QueerAlternBern & QueerBooks
Christoph Geiser wird mit dem Journalisten Stefan Zweifel im Gespräch sein.
Beginn der Veranstaltung: 19:00 Uhr
Eintritt: Richtpreis 10.-
Rollstuhlgängig (Toilette leider nicht)
Anmeldung empfohlen
QueerBooks, Herrengasse 30, 3011 Bern