QueerPop 2022

Der Jahresrückblick von DJ Ludwig & DJ Corey

Die popkundigen Tolerdance-DJs und QueerUp-Radio-Macher Ludwig & Corey wählten die witzigsten, bewegendsten und schönsten Songs von queeren Musiker*innen aus dem Jahr 2022 aus.

Jedes Jahr wird die Welt mit neuer Musik geflutet. Darunter sind erfreulicherweise auch viele Songs von queeren Musikerinnen und Musikern. Über Marginalisierung und Ignoranz müssen sie sich mittlerweile nicht mehr beklagen. Einige schaffen es in die Charts, auch weil heute (die meisten) nicht-queere Menschen kein Problem haben, mit offen anderssexuellen und nicht genderkonformen Musikschaffenden. Und falls es für queere Musiker*innen doch nicht zum kommerziellen Durchbruch reicht, so haben sie zumindest eine treue Fangemeinde in der Community. Die Songs des Jahres haben die popkundigen Tolerdance-DJs und QueerUp-Radio-Macher Ludwig und Corey für dich ausgesucht. Hier ihre Liste mit den witzigsten, bewegendsten und schönsten Songs von queeren Musiker*innen aus dem Jahr 2022.


Die Hitparaden­stürmer*innen

Was früher nur selten vorkam, ist heute ganz normal: Queers an der Spitze der Charts. Die Diversität der Gesellschaft widerspiegelt sich auch in der Hitparade.  

«Unholy» Sam Smith & Kim Petras

Mit ihrer gemeinsamen Single «Unholy» haben sie Geschichte geschrieben. Kim Petras ist die erste trans Künstlerin, Smith die erste non-binäre Person an der Spitze der Billboard-Charts und der Charts in Australien, Kanada und Grossbritannien. «Unholy» ist eine perfekt produzierte flotte Nummer, die an die goldenen Zeiten des R&B aus den 90er und Anfang 2000er erinnert. Dank dem Einfluss von Kim Petras hat Sam Smith seine Komfortzone verlassen und zeigt, dass er nicht nur ruhig und soft sein kann.

Sam Smith und Kim Petras als Automechaniker, die eine Burlesque-Club betreiben. Das Kinky-Video des Jahres!  

«Bad Habit» Steve Lacy

Mit der Zeile «I wish I knew / I wish I knew you wanted me» hat sich der 24-jährige Steve Lacy an die Spitze der Billboard Hot 100 katapultiert. Seine Single «Bad Habit» hebt sich durch überraschende Wendungen und Ungeschliffenheit wohltuend von den üblichen, durch Algorithmen gesteuerten Charts-Hits ab. Der bisexuelle Steve Lacy verdiente seine ersten Sporen als Gitarrist der experimentellen R&B-Band The Internet. Als Instrumentalist und Produzent hat er unter anderem mit Kendrick Lamar, Solange Knowles, Frank Ocean und Calvin Harris zusammengearbeitet. Aber im Jahr 2022 gehört das Rampenlicht nur ihm. (Video)

«STAR WALKIN’» Lil Nas X

Ein Gipfeltreffen zweier Titanen. Lil Nas X, derzeit einer der bekanntesten LGBT-Künstler*innen weltweit, und «League Of Legends», eines der beliebtesten Spiele in der Welt des E-Sports, haben sich für ein gemeinsames Projekt zusammengefunden. Lil Nas X hat die erste LGBT-Hymne für die League-of-Legends-Weltmeisterschaft 2022 beigesteuert. Mit der Nummer «Start Walkin’», die sich ganz gut in die Tradition von Hits wie «Montero (Call Me By Your Name)» und «Industry Baby» einfügt, bringt der Superstar queere Realitäten in die Welt der Gamer*innen.

«About Damn Time» Lizzo

Das singende, rappende, twerkende und modisch bewusste Energiebündel hat dem weissen Mainstream wieder den Stinkefinger gezeigt. Die Botschafterin für Selbstliebe, Diversity und Body Positivity hat mit «About Damn Time» bestimmt einen der grössten Hits des Jahres geliefert. Der Song beamt die Zuhörer*innen in die Disco-Funk-Ära der 70er und 80er zurück, die heute noch als Zeit der neuen schwulen Freiheit gilt.

«I’m comin’ out tonight» singt Lizzo in «About Damn Time». Sie bricht aus der Selbsthilfegruppe aus und wird zur tanzenden Discokugel.


Etwas Kitsch muss sein!

Was gibt es Schöneres als eine Liebesballade, die eine unter die Haut geht wie die zärtliche Berührung seines Lieblingsmenschen. Mit diesen Songs hat Amors Pfeil direkt ins Herz getroffen.

«No Armor» George Perris

Der Grieche George Perris ist sowas wie ein schwuler Josh Groban oder Michael Bublé. Er selbst sieht sich eher in der Tradition von Nana Mouskouri, Charles Aznavour und George Michael. Also eigentlich eher zum abwinken – zu kitschig, zu trivial. Und doch, manchmal ist man einem triefenden Schmachtfetzen einfach schutzlos ausgeliefert. Da nützt keine Abgeklärtheit, da hilft keine gefühlssichere Rüstung. Kein Auge bleibt trocken beim Anhören seiner Komposition «No Armor» aus seinem aktuellen Album. Der perfekte Song für eine Gay-Hochzeit.

Geroge Perris singt vor der Acropolis in Athen.

«Horizons Blue» Luke Evans

Luke Evans, der Sänger und Schauspieler aus Wales, strotzt nicht nur vor Virilität, sondern er liebt auch die grossen Gefühle, übermässiges Pathos und überbordende Emotionen. Das kann die Zuhörer*innen entweder fesseln oder abstossen. Doch bei den zwei einzigen Eigenkompositionen auf dem Album «A Song For You» kann Luke Evans den Hang zur grossen Geste für einmal ablegen. Insbesondere auf «Horizon Blue», den er mit renommierten Songwriterin Amy Wadge (Ed Sheeran, Jessie Ware) geschrieben hat, berührt Luke Evans durch seinen leisen und hohen Gesang, den er über eine einfache Akustikgitarre und sanfte Streicher legt. Hat er diesen kuscheligen Song vielleicht für sein neues Schätzchen, den Grafiker Fran Tomas aus Spanien, geschrieben? Wir konnten das leider nicht herausfinden. (Video)

«Here You Come Again» Cody Belew

Cody Belew stammt aus Arkansas und hat sich im Jahr 2011 in Nashville niedergelassen, um sich den Traum einer Musikkarriere zu erfüllen, die langsam an Fahrt gewinnt. Schon während seiner Teilnahme an der amerikanischen Ausgabe von The Voice beichtete er, dass er Dolly Partons ganzes Repertoire auswendig singen könne. Es sei ihm aber peinlich gewesen, als er erfahren habe, dass sein Lieblingstitel «Here You Come Again» gar nicht aus Dollys Feder stammt. Doch ihm sei verziehen, denn sein Cover des Hits aus dem Jahr 1977, dem er eine angenehme dunkle Note verpasst, ist einfach grossartig.

Cody Belew’s Live_Performance von DollyParton’s «Here You Come Again» am «Concert For Love and Acceptance» vonCountry Music Television in Nashville.

 


Beef mit den Erziehungs­berechtigten

Wer in der Jugend nicht rebellierte, war nie wirklich jung. Dabei ist egal, ob die Familie lieb oder böse ist. Hat man jedoch eine schwere Jugend, ist aufbegehren und sich wehren essenziell. Am besten, man verarbeitet seine Erfahrungen in einem Song.

«Dreizehn» Martin Bruchmann

Martin Bruchmann aus Leipzig ist nicht nur seit über zehn Jahren ein bekannter Schauspieler, sondern neuerdings auch ein feinfühliger und passionierter Singersongwriter. Auf seiner aktuellen EP «Wer wäre ich heute, wenn ich damals nicht gegangen wär» und dem gleichnamigen Kurzfilm beleuchtet er das schwierigste und persönlichste Kapitel seiner Existenz. Die Zahl «Dreizehn» im gleichnamigen Song ist besonders wichtig: Martin Bruchmann ist mit 13 von zu Hause abgehauen, um sich aus einer toxischen, familiären Beziehung zu lösen. Er zog freiwillig in ein Kinderheim, wo er seine Liebe zur Musik endlich ausleben durfte.

«Dreizehn», das erste Kapitel der dreiteiligen Videoserie «Wer wär ich heute, wenn ich damals nicht gegangen wär» von Martin Bruchmann.

«Boys in the Street» Calum Scott

Wenn sich der Vater dafür schämt, dass der eigene Sohn schwul ist, kann das Narben in der Psyche hinterlassen. Calum Scott musste sich folgende Worte von seinem Daddy anhören: «Wir haben für unser Geld gearbeitet, um dich in die Schule zu schicken. Und so zahlst du es uns zurück? Findest du es etwa cool? Mein Sohn, hör auf Jungs auf der Strasse zu küssen! Du bist eine Schande für das Land. Wie kannst du das deiner Familie antun?» Am Schluss des Liedes liegt der Vater im Sterbebett und findet endlich versöhnliche Worte: «Wie sollte ich das wissen? Alles, was mir beigebracht wurde war, dass Männer nur Frauen lieben können. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Mein Sohn, küsse weiterhin Jungs auf der Strasse». Ein Konflikt, den viele Schwule kennen, eine bekannte Geschichte verpackt in einem berührenden Song. (Video)

«Bleach» Isaac Dunbar

«I should bleach my hair to make my parents mad, especially dad» Als ich die erste Songzeile aus Isaac Dunbars Song «Bleach» hörte, musste ich lachen. Denn genau das habe ich als Teenager gemacht: die Haare platinblond gebleicht, um meine Eltern zu ärgern. Natürlich auch, weil ich das cool fand. Der 19-jährige Isaac Dunbar aus Massachusetts ist in seiner rebellischen Phase. Das ist für ein Teenager voll okay, doch der Junge scheint auch einen unbändigen Ehrgeiz zu haben. Obwohl noch so jung, ist sein Album «Banish The Banshee», das im Mai erschienen ist, bereits sein viertes! Isaac Dunbar hat den Karriereturbo gestartet. Wann wird er im Pop-Orbit ankommen? Oder wird er übers Ziel hinausschiessen?

Erst 19, aber an Exzentrik ist der Junge nicht zu übertreffen. 


Wenn Jungs mit Puppen spielen

Non-binär, gendernonkonform, trans. Es gibt viele Worte, die ein von der Norm abweichendes Geschlechtszugehörigkeitsgefühl beschreiben. Doch manchmal spielt ein Junge einfach lieber mit einer Puppe als mit einem Traktor. Ist das schon eine Genderdysphorie oder einfach nur ein Mann mit eigenen Vorlieben?

«Princess Dress» Tom King

Viele schwule Männer kennen diese Kindheitserinnerung: Da ist diese Puppe oder dieses Prinzessinnenkleid, und man will es unbedingt haben. Die Erwachsenen schauen einen schräg an und sagen vielleicht sogar, eine Junge macht das nicht. In der kindlichen Unschuld ist man noch frei von Vorurteilen und festgefahrenen Geschlechtsidentitäten, und die Einwände stossen auf Unverständnis. Hier beginnt die Selbsterkenntnis. Glücklich schätzen darf sich, wer damals keine Prügel dafür bekam, und die ersten Gehversuche in Drag von den Eltern wohlwollend aufgenommen werde. Und falls nicht, ist es die erste Gelegenheit, für sich und sein Selbst einzustehen und zu kämpfen. Genau darüber singt der britische Singer-Songwriter Tom King in «Princess Dress».

«Gönn Dir» twenty4tim

Darf ein Bub mit Puppen spielen? Ja! Es sei dir gegönnt, findet der deutsche Influencer und TikTok-Star twenty4tim. Der Kölner Tim Maximilian Kampmann wurde bekannt durch seine Comedy-Videos, für die er sich gerne schminkt und verkleidet. Auf TikTok hat er über 4 Millionen Follower – das Potenzial soll genutzt werden. Im Jahr 2022 hiess sein neues Ziel: Popstar werden. Tatsächlich ist es ihm gelungen. Mit der zweiten Single «Gönn Dir» landete er auf Platz 1 in den deutschen Charts. Eine nette Überraschung. Dass daraus eine nachhaltige Karriere wird, darf aber bezweifelt werden.  

Das Video ist besser als der Song. Ob der Influencer eine nachhaltige Karriere als Popstar machen wird, ist noch offen, doch gönnen würden wir es ihm.

«Hello Hello» Trixie Mattel

Brian Michael Firkus’ Drag-Name Trixie Mattel kommt nicht von ungefähr. Er liebt die Barbie-Puppen des Spielzeugkonzernes Mattel! Dass Trixie Mattel also aussieht, wie ein «Bäbi» ist folgerichtig. Umso erstaunlicher ist es, dass Trixie als Musiker nicht etwas Plastik-Pop macht, sondern ungekünstelten Indi-Country-Pop, und dass er neben seinen Make-up-Skills auch eine grosse Begabung zum Songwriting hat. Auf seinem inzwischen vierten Album «The Blond & Pink Album» sind neben originellen Covers auch klasse Originale von Firkus zu hören, wie der groovige 60’s-Popsong «Hello Hello». (Video)

«Sorry Barbie» Todrick Hall

Das queere Multitalent Todrick Hall macht alle schwulen Träume wahr. Auf «Sorry Barbie» sorgt er nämlich für ein schwules Happy End. Er spannt der gelenkigen Schönheitskönigin ihren Freund Ken aus und brennt endlich mit ihm durch. Wie die meisten Songs aus Todrick Halls letztem Album «ALGORHYTHM» ist auch «Sorry Barbie» eine schrille Hommage an die 80er-Jahre und scheint dem Soundtrack von «Flashdance» entsprungen zu sein. (Video)

«Stacy’s Brother» Mad Tsai

Du kennst bestimmt diese typischen US-High-School-Filme, in denen alle aussehen wie hübsche Puppen. Vordergründig proper und makellos, hintergründig voller Drama und Selbstzweifel. Mit diesen Klischees spielt der TikTok-Star Mad Tsai. Song und Video zu «Stacy’s Bother» sind wie der Plot aus einem Hollywoodfilm für Teenager. Der Baseball-Spieler hängt mit der blonden Cheerleaderin ab, alle meinen sie daten. Doch der wahre Grund, wieso er ständig bei ihr ist, muss er ihr erst noch gestehen: Er ist in ihren Bruder verknallt!

Mad Tsai macht ein Geständnis: «Oh, Stacy, I got to tell ya, I’m in love with your big brother»


«This is my church» – der 90s-Club-Sound ist zurück

In den 90er-Jahren erreichte die Club-Kultur ihren Höhepunkt. Die Clubs waren damals ein sicherer Hafen für Queers, die Kirche für Dance-Gläubige und Rave-Jünger. Im Jahr 2022 wurde ein beginnendes Revival diese Epoche spürbar.

«I Specialise In Love» Tia Kofi & Little Boots

Als ob man zurück in die 90er-Jahre gebeamt würde, in eine Zeit, in der in den Clubs die Schwestern der Nacht ihre Handtasche geschwungen haben, als ob es kein Morgen gäbe. So fühlt es sich an, wenn man «I Specialise In Love» von Tia Kofi & Little Boots anhört. Beide haben diese Zeit nicht selber erlebt. Die Dragqueen Tia Kofi, bekannt aus Drag Race UK, kam 1990 gerade auf die Welt, und die in den 80ern geborene Victoria Christina Hesketh alias Little Boots, startet ihre Karriere erst nach der Jahrtausendwende. Und doch klingt ihr House-Track genau nach dieser Zeit, als die Tolerdance-Partys im ISC begannen. Genau so tönt es, ich schwöre! Ich war dabei! Übrigens, «I Specialise In Love» ist ein Cover. Das Original kam 1982 von Sharon Brown, das erste Cover gab es 1992 von Exposé, und jetzt also ein weiters von Tia Kofi & Little Boots.

«100% Pure Love» Years&Years

Years&Years sind mittlerweile die One-Man-Show von Olly Alexander, das neue schwule Aushängeschild des britischen Dance-Pop nach George Michael und den Pet Shop Boys. Auf dem dritten Album «Night Call» haben Years&Years die Disco-Ära wieder reaktiviert und eine Party im Zeichen von schwulem Sex, Hedonismus und Eskapismus gefeiert. Aber erst mit der nachgeschobenen Coverversion von «100% Pure Love» von House-Diva Chrystal Waters ist Olly Alexander zur Hochform aufgelaufen. Für seine kleine Zeitreise zurück in die 90’s-Club-Disco möchten wir ihn wirklich umarmen. (Video)

«In The Club» Honey Dijon & Eve

God is a DJane. Die schwarze trans Frau und internationale Club-Heldin Honey Dijon erfindet auf ihrem Album «Black Girl Magic» den House-Sound und die queere Clubkultur der Neunziger neu. Mit Toleranz, Lebensfreude und Gemeinschaftssinn macht sie die Tanzfläche wieder zum sicheren Ort für alle queere Menschen. Im mitreissenden Album-Track «In The Club» wird der Club verdientermassen als Kirche der LGBT-Community glorifiziert.


Jeunesse Dorée – jung, queer und frankophon

Es ist erstaunlich, wie viele gute queere Musiker*innen aus dem französischen Sprachraum kommen. Hier nur ein paar Highlights aus dem letzten Jahr.

«Un jour je marierai un ange» Pierre de Maere

Heute, in einer Zeit, in der gleichgeschlechtliche Paare heiraten können, taucht das Thema Hochzeit auch in den Songs von queeren Künstler*innen auf. Pierre de Maere, hält aber nichts von Bescheidenheit und greift nach den Sternen. Er ist überzeugt, er wird eines Tages einen Engel heiraten. An Selbstbewusstsein scheint es dem jungen Belgier nicht zu fehlen. Pierre de Maere sieht aus wie ein Model, singt recht speziell und macht dazu gerne dramatische Handbewegungen, als würde Dalida ihn führen. Sein Song «Un jour je marierai un ange» ist entzückend. Ab dem 23. Januar gibt es sein Debüt-Album «Regarde-moi» zu kaufen. Wir behalten dich im Auge! (Video)

«Cœur de verre» Luca Leone

Dieser junge Mann aus Genf hat 2022 mit seinem schönen ersten Album «Rose» auf sich aufmerksam gemacht. Ennet dem Röstigraben hat Luca Leone sich bereits einen Namen gemacht mit seinem Auftritt an der Pride in Bulle und auf verschiedenen Theaterbühnen. Auch die Deutschschweizer*innen sollten die Ohren spitzen! Luca Leone kreierte Chansons voller Leichtigkeit, mit einer Prise Humor und einem Hauch von Melancholie. Der Song «Cœur de verre» kuschelt sich ans Ohr wie ein flauschiges Kätzchen.

«Soleil Noir» Thibaut Pez

Der Franzose Thibaut Pez ist ein Liebling von uns. Wie wir, ist er ein schwuler Pop-Nerd, der seine Lieblingssängerinnen verehrt. Er hat DIE französische Gay-Ikone Mylène Farmer gecovert und als in der Netflix-Hit-Serie «Wednesday» die Hauptdarstellerin ihren skurrilen Tanz zum Lady Gaga Song «Bloody Mary» aufführte, hat Thibaut sich kurz in seinem Heimstudio verschanzt, um davon eine französische Version zu machen. Das ist Leidenschaft! Doch sein Bravourstück im letzten Jahr war der Song «Soleil Noir», der Titeltrack von seiner zweite EP. (Video)

«Gentleman» Nicolas Maury

Der Schauspieler Nicolas Maury ist in Frankreich bekannt wie ein bunter Hund. Was daran liegt, dass er im Theater, im Film und im Fernsehen meistes die etwas schrägen Rollen übernimmt. Nicolas Maury ist kein Schönling, er ist ein Charakterkopf, ein sanfter und zerbrechlicher allerdings, der das fixe Konzept der Männlichkeit nicht mag, weil es kein Raum für Selbstbestimmung lässt. Im Lockdown kam er auf die Idee, sich auch als Sänger zu versuchen. Dafür holte er sich den Musiker Olivier Marguerit an Bord, der unter dem Pseudonym O bekannt ist. Zusammen habe sie Chansons erschaffen, die perfekt zu Nicolas Maurys heller Stimme passen. Es sind zarte Lieder mit viel Gefühl und mit etwas Humor. Seine Versuche als Popsänger sind geglückt. 2022 hat er zwei Singles veröffentlich. Das erste Album «L’Amitié»wird im Januar erscheinen. La pop française à son meilleur!

Im Lied «Gentleman» versucht er mit dem zweideutigen Anmachspruch «Do you have a lighter for my cigarette?» seinen Mann heiss zu machen.

«PLUS FORT» Julien Granel

Mit Julien Granel hat die LGBT-Community 2022 endlich den eigenen kunterbunten French-Disco-Pop-Superheld bekommen. Der 23-Jährige ist ein grosser Fan von Mika, Queen, Elton John und Prince. Seine Welt dreht sich praktisch um Coolness, Disco, Fun(k) und Regenbogenfarben. Seine ultrapositive Disco-Hymne «Plus Fort» ermutigt alle zur Selbstliebe und ist sehr empfehlenswert.

«La Fin Du Monde» Billie Bird

Die Folk-Pop-Sängerin aus Lausanne verarbeitet in ihren Songs ihre schwierige Kindheit. Billie Bird ist ein Kind aus einer künstlichen Befruchtung. Als ihre alleinerziehende Mutter wegen bipolarer Störung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden musste, wurden Billie Bird und ihre Schwester in einem Kinderheim untergebracht. Die Gitarre, ein Geschenk ihrer Mutter, und das Musikmachen wurden zu ihrem Rettungsanker. Im emotional sehr intensiven Song «La Fin Du Monde» vergleicht Billie Bird den Tod ihrer Mutter mit dem Weltuntergang. Es ist ihre feine Art, Frieden mit sich selbst zu schliessen.

«rien dire» Christine & The Queens

Frankreichs Musik-Export Héloïse Letissier alias Christine & The Queens treibt das Spiel mit den Identitäten weiter. Die neue Person heisst Redcar und ist ein ganz starker Mann mit einer verletzlichen, dunklen Seite. Das Album «Redcar Les Adorables Etoiles (Prologue)» ist der Auftakt zu einer modernen Rockoper oder «Poetry Show». «Rien Dire» ist ein feines, androgynes Chanson in der Synthie-Pop-Hülle, der von weichen Knien, Schmetterlingen im Bauch und einfach vom bedingungslosen Verliebtsein handelt.


Junge, frische Talente

«Joe» Joesef

Seit Joesef 2019 seine ersten Songs veröffentlichte, wartet die ganze Welt auf das Debüt-Album des jungen Talents aus Schottland. Nach den vielen Vorschusslorbeeren und den Verzögerungen wegen der Pandemie sind die Erwartungen hoch. Am 13. Januar ist es endlich soweit! Die Vorabsingle «Joe» ist jedenfalls sehr vielversprechend, ein Song über die erste grosse Liebe, die in tausend Scherben zerbrach. Das dramatische Video dazu ist Herz erweichend. «One of my favourite things I’ve ever done» meinte Joesef. Mit seinem ersten Album «Permanent Damage» geht Joesef 2023 auf Europa-Tournee. Am 21. April spielt er in Zürich.

«St. Tropez» River Westin

River Westin muss ein Romantiker sein. Hätten seine Songs Farben, wären sie altrosa, sonnenblumengelb, himmelblau und zuckerweiss. Süss und bunt, jedoch nie klebrig und schrill. Lieder, mit denen man sich gleich wohlfühlt, sind auf seinem wunderbaren Album «The Honeymoon Suite» zu hören. Auch nach den Flitterwochen ruft es romantische und leicht melancholische Gefühle in einem wach. Bezaubernd und erfrischend, wie eine Sommerbrise an der Côte d’Azur, ist die Single «St. Tropez». (Video)

«Evergreen» Omar Apollo

Omar Apollo ist ein 25-jähriger, US-amerikanischer Singersongwriter mit mexikanischen Wurzeln. Sein Musikstil bewegt sich zwischen Bedroom-Pop, R&B, Neo-Soul und funkigen Gitarren-Riffs. Beim Singen switcht er zwischen Englisch und Spanisch. Auf seinem Major-Debüt «Ivory» dreht sich alles um sein Leben als schwuler junger Mann in Indiana, seinen Umzug nach Los Angeles und das musikalische Erbe von Mexiko. «Ivory» hat Omar Apollo seine erste Grammy-Nominierung 2023 in der Kategorie Best New Artist’s beschert. Zurecht, denn Omar Apollo ist ein wahres Versprechen für die Zukunft, wie die Motown-Skizze «Evergreen» eindeutig beweist. (Video)

«Just Met» Naomi Lareine

Die 28-jährige Naomi Lareine war früher Profifussballerin, bevor sie eine Karriere als R&B-Sängerin startete. Ihre neue EP «Girl Next Door» hat sie ihrer Nachbarin und Freundin Gina gewidmet. Auf der R&B-Dance-Pop-Perle «Just Met» erzählt Naomi Lareine mit geschmeidiger Stimme, wie sie und Gina sich als Nachbarinnen kennengelernt haben, als sie in ihre neue Wohnung zog. Es war offenbar keine Liebe auf den ersten Blick. Es soll zwei Jahre gedauert haben, bis sie merkten, dass da noch mehr war. (Video)

«Schönheit» BOAH ROBIN!

Der Singersongwriter Boah Robin! aus Leipzig wurde vom Ex-Rosenstolz-Mastermind Peter Plate entdeckt. In seinem queeren Deutsch-Pop setzt sich der tätowierte Musiker für die Anliegen der LGBTIQ*-Gemeinde und für Menschen mit psychischen Erkrankungen ein. Die Single «Schönheit» hat Boah Robin! für einen psychisch kranken Freund geschrieben, der im Unterschied zu ihm noch nicht gesund genug ist, um von der psychiatrischen Klinik entlassen zu werden. Den Song gibt es auch auf Englisch, dort heisst er allerdings «ugly». (Video)

«Celine» Quinn Christopherson

Auf seinem Debütalbum «Write Your Name in Pink» beleuchtet der Singersongwriter aus Alaska sein Coming Out als Transmann, die Diskriminierungen auch aufgrund seiner indigenen Wurzeln und das Verhältnis zu seiner Mutter. In der Indie-Dream-Pop-Ballade «Celine» erzählt Quinn Christopherson mit eindrücklicher Zärtlichkeit von einem unvergesslichen Karaoke-Abend in der Dorfbeiz, und von seiner grossen Freude, als seine Mutter zur Heldin des Anlasses ernannt wird, weil sie wie die berühmte Céline klingt. Ein wirklich herzerwärmender Song.

Meine Mutter singt wie Celine Dion in der Karaoke-Bar.

«Repetitioner» THUS LOVE

Das Trio Thus Love ist vielleicht die berühmteste Wohngemeinschaft aus Brattleboro, Vermont, die aus drei Trans-Künstler*innen besteht. Echo Mars, Lu Racine und Nathaniel Van Odsol haben in einem improvisierten Home-Studio ihr Erstling «Memorial» aufgenommen. Das Werk ist ein roher Diamant des Indie- und Post-Punk und beschwört den Geist von The Smiths, The Church und Echo & The Bunnymen herauf. Vor allem im grandiosen Opener «Repetitioner» kommt die wehmütige, dunkle Seite der 80er-Jahre sehr gut zur Geltung.


Reife Männer

Männer sind wie Wein, sie werden besser, je länger sie reifen. Ein ungestümer Twink mag vielleicht die Libido anregen, aber wenn es darum geht, die erlebten Erfahrungen und gefühlten Emotionen in Songs zu packen, setzt man besser auf einen Mann im reifen Alter.

«C’mon Baby, Cry» Orville Peck

Wie alt der maskierte Cowboy Orville Peck ist, weiss niemand. Sicher älter als zwanzig und jünger als vierzig. Zwar versteckt er sich hinter Pseudonym und Maske, doch dass er in seinem Leben bereits viele Erfahrungen gesammelt hat, hört man in seinen Songs. Mit seinem zweiten Album «Bronco» hat es der Sänger mit der tiefen männlichen Stimme aus dem Untergrund in den Mainstream geschafft. Der mysteriöse Cowboy wirkt wie eine klassische Figur aus dem Pantheon der schwulen Götter. Das zeigt sich auch darin, dass er 2022 von der Tom of Finland Foundation mit dem Cultural Icon Award ausgezeichnet wurde «für künstlerische Leistungen und unermessliche Beiträge zur Kunst und Kultur unserer Gemeinschaft».

Orville bringt Männer zum Weinen.

«Thessaloniki» Tom Aspaul

Thessaloniki ist zwar die zweitgrösste Stadt in Griechenland, aber vielen nicht geläufig. Ich war vor 3 Jahren dort und fand die Stadt lebendig und schön. Als ich Tom Aspauls Album «Life In Plastic» hörte, das mit einer Mischung aus 90’s inspirierten Eurodance, etwas Balkanpop und Eurovision aufwartet, ist mir deshalb sein Song über die Stadt am Meer sofort aufgefallen. Quirlig wie die Stadt ist auch der Song, dazu etwas Bouzouki und Schwärmereien. Ich finde, Thessaloniki hat einen Song verdient. Ein herzliches Efcharistó dafür an den 36-jährigen Briten Tom Aspaul. (Video)

«Homosexual (Act One)» Darren Hayes

Hast du je gesagt: «Ich bin homosexuell»? Vermutlich nicht, eher sagen wir schwul, lesbisch, bi oder queer. Dass der ehemalige Savage Garden-Sänger Darren Hayes dieses unmodische Wort zurückbringt, ist jedoch nicht retro, sondern eher provokativ. Auch dass «Homosexual» in einer Neo-Schrift auf dem Album leuchtet. Darren Hayes in pastellfarbenen Kleidern posiert dazu in einer Dandy-Pose. Alles hemmungslos schwul. Jetzt voll drauf, muss sich Darren Hayes gedacht haben, denn er haderte lang mit seiner Homosexualität. Doch die Zurückhaltung hat er heute abgelegt. Zudem findet der 50-Jährige kluge Worte zum Thema Homosexualität: «It’s not a blessing and it’s not a curse – It’s homosexual; A crystal technicolor neon tour de force; It’s not correctable – It’s homosexual».

«Hideous (feat. Jimmy Somerville)» Oliver Sim

Ein Drittel von The XX, einer der queersten Indie-Pop-Bands weltweit, geht für einmal solo. Auf seinem Debüt «Hideous Bastard» gibt Oliver Sim viel Persönliches preis. Mit dunklem Bariton und bei einer bedrohlichen elektronischen Soundkulisse singt der 33-Jährige schonungslos über seine HIV-Diagnose, die ihm mit 17 gestellt wurde. Aber wenn Ex-Bronski Beat Jimmy Somerville im Song «Hideous» vorbeischaut, spendet er mit Engelsstimme Vertrauen und Zuversicht. Die queere 80s-Ikone ist auch im verstörenden Video zwischen Horror und Märchen zu sehen.


Bitte beachten!

Abertausend neue Songs und Alben kommen jedes Jahr neu auf den Markt. Manche gehen in der Masse leider etwas unter. Es gibt aber welche, die unsere Meinung nach mehr Beachtung verdient haben.

«Get Out» Sam Vance-Law

Dank Soforthilfe hat der Berlin-Kanadier Sam Vance-Law die Kultur flachlegende Pandemie überstanden. Als sein neues Album – nach dem es zwei Jahre verschoben wurde – endlich doch noch auf den Markt kam, ging es völlig unter. Dem Musikexpress erzählte er: «Am Freitag, an dem die Leadsingle «Get out / Been Drinking» rauskam, griff Russland die Ukraine an. Es war schnell klar, mit dieser Veröffentlichung wird es auch weiterhin nicht wie geplant verlaufen. Die Platte bekam gute Kritiken, aber am Publikum ist sie komplett vorbeigegangen. Es findet sich fast kein Beweis dafür, dass sie überhaupt existiert». Wir haben sie bemerkt und wir fanden sie grossartig! (Video)

«The Womb» Jon Darc

Wir erhalten ab und zu Mails von Managements und Labels, die uns auf ihre queeren Acts aufmerksam machen wollen, in der Hoffnung, dass wir sie in unsere Radioshow spielen oder sie als Musiktipps veröffentlichen. Das Mail von Weitblick Records aus dem Schwarzwald haben wir fast übersehen. Zum Glück klickten wir dann noch auf den Link. Das Porträt-Video von Jon Darc ist jedenfalls schon mal eine Ansage. Sein sphärischer Song «The Womb» hat uns ebenfalls überzeugt. Als Meerjungmann singt er gegen die Verschmutzung der Meere an. Dieser Mann, der sich vor Exzentrik nicht fürchte, ist ein Versprechen für die Zukunft. Wir wollen mehr! (Video)

«Crónica do maxo discreto» Fado Bicha

Schon beim letzten Jahresrückblick schwärmte ich für das portugiesische Duo Fado Bicha und freute mich auf ihr Debütalbum. Gerade als ich aus meinen Ferien in Portugal zurückkehrte, kam «OCUPAÇÃO» endlich raus. Wie erwartet ist es sehr queer, politisch, gleichzeitig wütend und melancholisch. So unterschiedlich wie die Gefühle ist auch ihr musikalischer Ausdruck. Er vereint Fado mit Indi-Rock und Pop. In ihrer Heimat finden sie viel Beachtung. Im Rest der Welt muss Fado Bicho erst noch entdeckt werden. Wer gerne auch mal etwas abseitige Wege im Pop beschreitet, dem sei das Album empfohlen.

«Crónica do maxo discreto» erzählt die Chronik des diskreten Max, der seine Homosexualität nur heimlich lebt.

 

«King of a Tragedy» Isak Danielson

Isak Danielson aus Göteborg wurde 2012 bekannt durch eine Castingshow. Er war damals 15 und er habe danach psychische Probleme gehabt, sagte er. Nun ist aus dem Jungen ein Mann geworden. Doch etwas Drama ist er immer noch nicht abgeneigt. Auf seinem Album «King of a Tragedy» verarbeite er seine erste lange Beziehung, die in die Brüche ging. «Die Texte sind vielleicht etwas dramatischer und klingen schlimmer, als es tatsächlich war», gesteht Isak. Sein Ex hat sich die Songs übrigens angehört und fand, dass es sich okay anfühlt. Wir finden sie auch ganz okay, ganz bestimmt keine Tragödie. (Video)


 


Party-Time with Friends*

Gemeinsam mit Freund*innen auf der Tanzfläche feiern ist der perfekte Samstag für viele Menschen, ob jung oder alt. Dazu braucht es die richtige Musik.

«What I Want» MUNA

Seitdem die bisexuelle Singersongwriterin Phoebe Bridgers MUNA für ihr drittes Album unter ihre Fittiche genommen hat, verbreitet das nicht-binäre Trio aus Los Angeles fast nur gute Laune und positive Vibes. Auf der Synth-Pop-Nummer «What I Want» leben MUNA ihre queere Lebensfreude in vollen Zügen aus. Damit erschaffen sie einen Tanzflächenfüller der Superlative. (Video)

«Deep Fried Disco» Tanzer

Die australische queere Musikerin, Tänzerin und DJ Tanzer hat den diesjährigen ESC-Vorentscheid für San Marino leider nicht gewonnen. Aber mit ihrem grossen Hang für Camp und Glamour hat Tanzer inzwischen die Herzen der LGBTQ-Gemeinde erobert. Auf dem flotten Euro-Disco-Song «Deep Fried Disco» lädt Tanzer zur grossen queeren Kostümparty auf der Tanzfläche ein. Ein Angebot, dem man sich kaum entziehen kann.

Einladung zur Kostümparty mit Tanzer

«Just can’t get enough» Channel Trees

Der US-amerikanischer Rapper und Producer aus dem kalifornischen Compton hat 2022 mit «Just can’t get enough» einen ersten vielversprechenden Vorboten zum nächsten Album «Real Cultural Shit» ins Rennen geschickt. In der Regel rappt Channel Tres mit seiner samtenen Baritonstimme über einen tanzbaren Soundteppich aus Detroit Techno, Chicago House und West Coast Rap-Beats. Aber für «Just can’t get enough» kanalisiert Channel Tres 70er-Jahre-Disco-Grooves in seinen Hip-Hop und greift auf einen Sample des Philly-Disco-Klassikers «The More I Get, The More I Want» von Teddy Pendergrass (1977) zurück.

«Summer Really Hurt Us» ALMA

Wieso der Song im Radio nicht rauf und runter gespielt wurde, ist mir ein Rätsel. Nicht einmal in ihrer Heimat Finnland konnte ALMA damit einen Hit landen. Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit! Dabei hat «Summer Really Hurt Us» alles, was es braucht: Ein Beat, der in die Beine geht, eine Melodie, die sich an die Hirnwindungen schmiegt und eine Produktion, die stark an die Hits der 80er-Jahre erinnert. Der Song ist für ALMA eine Erinnerung an den Sommer, als sie sich etwas übernommen hat mit Party und Konzerten. Ein Dankeschön an ihre Freunde, die ihr geholfen haben. «We are there for each other, we support each other no matter what».

ALMA macht Party im Club, scheint aber nicht besonders Spass dabei zu haben.


Das macht dem Papst keine Freude – uns schon

Inmitten Italiens sitzt das Oberhaupt der katholischen Kirche in seine Festung. Homosexualität ist ihm nach wie vor nicht geheuer. Doch Queers lassen sich von ihm nicht den Mund verbieten. Bestimmt als Ketzerei gewertet hat der Papst, dass eine Lesbe den Körper der Frau mit der Bibel gleichsetzt.

«Almeno non è gay» Immanuel Casto

Immanuel Casto, ein offen schwuler Pop-Sänger und Game Designer, ist das Enfant Terrible der italienischen Underground-Pop-Szene. Im gesellschaftskritischen Song «Almeno non è gay» nimmt er spiessige katholische Eltern aufs Korn, die sich mit anderen Eltern über die Alkohol- und Spielsucht des eigenen Sohns unterhalten, aber darüber froh sind, dass er zumindest nicht schwul ist. Am Schluss stellt sich allerdings heraus, dass er «nur» ein komplexes Verhältnis zur Realität hat.

«Diva« La rappresentante di lista

La Rappresentante di Lista oder LRDL, die queere Indie-Pop-Band um Dario Mangiaracina und Veronica Lucchesi, bekamen durch die letzten zwei Sanremo-Festivals einen enormen Karriereschub. Ob es Papst gefällt oder nicht, sind LRDL im Italo-Pop-Mainstream angekommen und werden von der Masse vergöttert. Ihre neue queere Hymne «Diva» ist das beste Beispiel für inklusiven Pop. Eine Einladung, das Leben als Diva und als Hauptdarsteller*in zu feiern. Also worauf wartest du? Wecke endlich die Diva in dir. (Video)

«Her Body Is Bible» FLETCHER

Die aus New Jersey stammende Sängerin ist wie ein offenes Buch und verheimlicht kaum etwas. Auf dem fesselnden Track «Her Body Is Bible» vermählt Fletcher religiöse Bilder mit einer sehr freizügigen lesbischen Sexualität. Sie vergleicht den Körper ihrer Freundin mit der Bibel und hält ihn für den einzigen Himmel, den sie kennt. Ob der Vatikan diese Form der Anbetung gutheissen kann oder nicht, das soll hier nicht weiter vertieft werden.


Starke Frauen – Starke Songs

Ludwig und Corey haben schon seit immer mehr als ein offenes Ohr für die Musik von starken und selbstbewussten Frauen. Im Musikjahr 2022 konnten bereits bekannte Pop-Künstlerinnen wie Rina Sawayama, Tove Lo und Betty Who ihren Status als grosse queere Pop-Talente bestätigen. Country- und Folk-Sängerinnen Angel Olsen und Indigo Sparke konnten ihr hohes Niveau noch verbessern. Unter den persönlichen Neuentdeckungen ragten Shygirl und Mitsky heraus. Und Trans-Frau Ezra Furman erwies sich als die heimliche Überraschung des Jahres.

«Catch Me In The Air» Rina Sawayama

Auf ihrem zweiten Album «Hold The Girl» begibt sich die britisch-japanische Pop-Sensation auf eine Zeitreise durch die Musik der 1990er und 2000er Jahre. Rina Sawayama dreht Lady Gaga, Britney Spears, Charli XCX, Girls Aloud und Sugababes durch den queeren Fleischwolf. Unter den Highlights befinden sich «This Hell», ein musikalischer Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen von queeren Menschen und «Catch Me In The Air», eine Hymne an ihre eigene und an alle alleinerziehenden Mütter. (Video)

«Firefly» Shygirl

 Die Londoner Künstlerin Shygirl hat mit Kolleg*innen Sega Bodega, Mura Masa, Arca und Karma Kid den experimentellen Hyper-Pop von der queeren Subkultur in den Pop-Mainstream überführt. Auf ihrem Song «Firefly» flirtet Shygirl mit dem melodiösen R&B der späten Neunziger- und frühen Nuller-Jahre, zerlegt ihn in seine Einzelteile und füllt ihn permanent mit Effekten und Störgeräuschen. (Video)

«No One Dies from Love» Tove Lo

Tanz den Schmerz weg. Eine Trennung hat diesen dunklen, aber tanzbaren Track im melancholischen Synthie-Pop-Gewand inspiriert. Die pansexuelle Schwedin Tove Lo hat einen sehr filmischen und dramatischen Song kreiert, dessen romantische Düsternis einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Auch der Mini-Film dazu, in welchem der einsame und verletzliche Hauptcharakter sich in einen Roboter verliebt, ist sehr berührend.

Tove Lo ist verliebt in einen Roboter.

«Love Me More» MITSKI

 Mit «Love Me More» hat die queere Indie-Pop-Sängerin mit amerikanisch-japanischen Wurzeln einen grossen Wurf gelandet. Der Track suhlt sich im neonfarbenen, melancholischen 80s-Dance-Pop. Am Anfang wird die Gesangsmelodie von einem sanften Beat gestreichelt, dann setzten die Synthesizer an und münden dank einem dramatischen Arrangement und Mitskis höheren Stimmlagen in einen unwiderstehlichen Refrain. Gemäss einer Musikzeitschrift sollen 80s-affine DJs dieses Stück nach «When The Rain Begins To Fall» von Jermaine Jackson und Pia Zadora auflegen 😉 .

«BIG» Betty Who

Die Australierin Jessica Anne Newham, besser bekannt als Betty Who, ist das queere Pendant zu Pop-Grössen wie Pink, Katy Perry und Robyn. Ihr Song «Big!» aus dem gleichnamigen Album ist eine Anspielung auf ihre hünenhafte Grösse, die in keinem Hochglanzmagazin zu finden ist und unter welcher sie lange leiden musste. Die Hymne um Selbstakzeptanz und um den langen Weg, mit sich ins Reine zu kommen ist, sprüht positive und mitreissende Pop-Vibes aus allen Poren heraus.

«Big Time» Angel Olsen

Auf «Big Time» beschwört Angel Olsen die Stimmung von Nashville, Memphis und Laurel Canyon herauf. Im melancholischen und nostalgischen Country-Folk-Sound der 70er-Jahre setzt sich die die amerikanische Singersongwriterin mit ihrem Coming-Out und dem Tod der Eltern auseinander. Mit «Big Time» ist Angel Olsen ein zeitloser Klassiker gelungen. Man kann sie problemlos in eine Reihe mit Tammy Wynette, Emmylou Harris und k.d. lang stellen. (Video)

«Hysteria» Indigo Sparke

Die in New York lebende australische Singer/Songwriterin Indigo Sparke ist mit ihrem zweiten Album «Hysteria» zweifellos in die gleiche Liga wie Angel Olsen aufgestiegen. Dank dem Produzenten Aaron Dessner finden Indigo Sparkes persönliche Songs um Liebe, Verlust und Trauer mehr Raum zum Atmen. Der Titeltrack mit der Akustikgitarre und dem gedämpften Schlagzeugspiel fühlt sich an wie eine Umarmung an.

«Throne» Ezra Furman

Die bisexuelle Transfrau und Mutter Ezra Furman hat 2022 eine radikale Kehrtwendung vom melodiösen Punkrock ihrer Anfänge hin zum Oldschool-Rock’n’Roll gemacht. Für die Musikpresse gilt sie als der Bruce Springsteen des Queer Pop. Wie der Boss erzählt Ezra Furman Geschichten von desillusionierten, kaputten und rastlosen Existenzen, für die der amerikanische Traum zum Alptraum geworden ist – aber aus queerer Sicht. Im Track «Throne» widersetzt sich Ezra Furman gegen unterdrückende Regierungen und prophezeit Herrschsüchtigen und Tyrannen den Sturz vom Thron.


100 QUEERE SONGs – DIE PLAYLIST 2022

Alle im Artikel erwähnten Interpret*innen und ein paar mehr findest du in unserer Playlist «QueerPop 2022» auf Spotify und Apple Music. Wir haben uns auf 100 Songs beschränkt, obwohl wir noch einige mehr hätten hinzufügen können. Denn im Jahr 2022 konnten wir – was queere Musik anbelangt – aus dem Vollen schöpfen. Wir beide sind Pop-Besessene seit der Kindheit. Als schwule Männer hatten wir immer ein offenes Ohr für Musik von LGBT-Künstler*innen. Mussten wir früher mit der Lupe nach ihnen suchen, werden wir heute überhäuft von neuer und guter Musik aus einer queeren Perspektive. Das erfreut unsere Regenbogen-Herzen. Wir bleiben dran. Auch im 2023 wird euch Corey monatlich mit seinen Musiktipps auf bern.lgbt und jeden 1. Sonntag im Monat in unsere Sendung GayPop auf QueerUp Radio mit neun Tönen versorgen. Ludwig wird weiterhin in seiner Plattenkiste nach Perlen suchen, die er ebenfalls im QueerUp Radio präsentiert in seiner Sendung Perlen aus Ludwig Plattenkiste.

DIE XL-PLAYLIST MIT 100 QUEEREN SONGS

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Der Podcast

Die Sendung «QueerPop 2022» im QueerUp Radio auf RaBe vom 1. Januar 2023:

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