DJ Coreys MusikTipps Februar 2024
Lil Nas X, Renée Rapp, Boy George, Brittany Howard, Madi Diaz, Katy Kirby, The Last Dinner Party, Oscar Les Vacances, Mine, Kirin J Callinan
Privat und emotional: der neue Lil Nas X. Der Soundtrack zur Neuverfilmung von «Mean Girls» mit LGBTQ-Favoritin Renée Rapp. Boy Georges kleines Comeback mit Disco-Titan Nile Rodgers. Zweites Solo-Album für Brittany Howard, ehemalige Alabama-Shake-Frontfrau. Queerer Singer-/Songwriter-Country-Pop mit Madi Diaz und Katy Kirby. Die neuen Monarchinnen des Baroque-Pop oder kurz The Last Dinner Party. Pastellfarbener Queer-French-Pop mit Oscar Les Vacances. Der bittersüsse Deutsch-Pop von Mine. Vom Enfant Terrible zum geläuterten Indie-Pop-Sänger: Kirin J Callinan.
LIL NAS X,
Where Do We Go Now (Columbia/Sony)
Lil Nax X verkörpert die Provokation, den Exzess und die Dekadenz. Im Januar hat sich der schwule Rapper mit der Single «J Christ» zurückgemeldet, mit der er seine Wiederauferstehung als Künstler gefeiert und zugleich eine Blasphemie-Debatte ausgelöst hat. Die aktuelle HBO-Dokumentation «Music From Lil Nas X: Long Live Montero», die ihn tagebuchartig auf der “Long Live Montero”-Tour 2022/2023 begleitet, zeigt allerdings ein anderes Bild. Hinter den Kulissen ist Lil Nax X nämlich ein sensibler junger Mann, der trotz vieler Haters seine queere Identität akzeptiert, mit Angstzuständen, Depressionen und Erfolgsdruck kämpft und seinen Platz im Olymp der schwarzen, queeren Ikonen meisterhaft beherrscht. Im Endtitelsong «Where Do We Go Now» schlägt Lil Nax X einen eindeutig emotionaleren Ton als auf «J Christ» an.
RENÉE RAPP & AULI’I CRAVALHO
Mean Girls (Music From The Motion Picture)
Seitdem die selbsternannte «Bisexual Princess» in der Serie «The Sex Lives Of College Girls» die lesbische Studentin Leghton spielte und im Video zu ihrer famosen Single «Pretty Girls» mit einer Blondine herumknutschte, kann Renée Rapp auf eine grosse queere Fanbase zählen. Im Broadway-Musical und in der aktuellen Neuverfilmung von «Mean Girls» brilliert Renée Rapp in der Rolle der hinterlistigen High-School-Domina Regina George, die ihre Mädchen-Clique quält und eine ganze Schule mit glamouröser Härte in Schach hält. Renée Rapp füllt ihre Figur gesanglich und schauspielerisch voll aus. Auf dem Soundtrack-Album zum Film überzeugt sie insbesondere im Schlüsselsong «World Burn».
ARIANA DEBOSE, BOY GEORGE & NILE RODGERS
Electric Energy (Marv Music Recording Limited)
Der Film «Argylle» erzählt die Geschichte der Autorin der gleichnamigen Spionage-Buchreihe, die von ihrer eigenen fiktionalen Geschichte real eingeholt wird. Der hochkarätig besetzte und actiongeladene Agentenkrimi nimmt die Klischees der Spionage-Filme aufs Korn und sprengt gerne die Genre-Grenzen. Musikalisch ist «Argylle» in der Disco-Musik der frühen 80er-Jahre steckengeblieben. Die Schauspielerin und Musical-Darstellerin Ariana DeBose, die Gay-Ikone Boy George, der hier ein kleines musikalisches Comeback feiert, und der Disco-Titan Nile Rodgers liefern den perfekten Disco-Funk-Banger dazu: Electric Energy.
BRITTANY HOWARD
What Now (Island/Universal)
Die lesbische Musikerin Brittany Howard, Ex-Frontfrau der Blues-Rock-Band Alabama Shakes, mit der sie vier Grammy gewann, ist zurück. Auf ihrem zweiten Solo-Album «What Now» erweitert die Songwriterin mit der tiefen und kratzigen Stimme ihr Klangspektrum. Die neuen Songs haben also wenig mit dem Südstaaten-Rock ihrer Anfänge zu tun, sondern reichen vom nervösen Funk-Groove des Titelstücks über House in «Prove It To You» bis zu Afro-Jazz in «Red Flags». In den Slow-Jams “To Be Still” und “Samson” sowie im zärtlichen «I Don’t” verarbeitet Brittany Howard die Scheidung von ihrer von ihrer Frau und Mitmusikerin Jesse Lafser. «What Now» hat sie gemeinsam mit Shawn Everett produziert, der gerne mit LGBTQ-Acts zusammenarbeitet (Big Thief, King Princess, Kesha, Anjimile).
MADI DIAZ
Weird Faith (ANTI/Epitaph)
Mit akustischer, karger Instrumentierung und gebrochenem Herz besang Madi Diaz auf „History Of A Feeling“ (2021) die langsame Auflösung einer tiefen Beziehung. Die queere Künstlerin aus Nashville packt in emotional berührenden Songs sehr persönliche Erfahrungen und Gefühle. In ihrem Folk-Songwriting schimmern die gefühlvolle Romantik einer Brandi Carlile, die Introspektion einer Phoebe Bridgers und den Country-Pop-Stil einer Kacey Musgraves durch. Das gilt ebenfalls für das neue Album «Weird Faith», das den Beginn einer neuen Liebe und den Gewinn neuen Vertrauens zelebriert. «Don’t Do Me Good» im Duett mit Kacey Musgraves unterstreicht diese positive Grundstimmung.
KATY KIRBY
Blue Raspberry (Anti)
Auf ihrem Debüt “Cool dry place” (2021) erzählte die Singersongwriterin aus Texas in minimalistischen Folk-Songs insbesondere vom Aufwachsen in einem streng christlichen Elternhaus. Auf dem Nachfolgeralbum «Blue Raspberry» bricht Katy Kirby mit der Religion, setzt sich mit ihren ersten queeren Liebesbeziehungen auseinander und verleiht ihrer fein instrumentierten Country Music eine angenehme lesbisch-queere Note. So markiert «Blue Raspberry» neue Eckpunkte in der musikalischen und persönlichen Entwicklung dieser jungen Künstlerin.
THE LAST DINNER PARTY
Prelude To Ecstasy (Universal)
Das BBC-Orakel «Sound of» hat der britischen fünfköpfigen Frauen-Band für dieses Jahr den grossen Durchbruch vorhergesagt. Ob der Hype berechtigt ist oder nicht, das wird sich weisen. Mit ihrem Debüt «Prelude To Ectasy» haben The Last Dinner Party immerhin ein sehr originelles Werk im Stile einer Orchestersuite kreiert. Die Britinnen mit spektakulären Klamotten zwischen Jane Austen, Rondò Veneziano und Vivienne Westwood unterziehen dem Glam-Art-Rock, Indie und Baroque-Pop eine Frischzellenkur. Frontfrau Abigail Morris singt mit einer Stimme zwischen Florence Welch, Siouxie & The Banshees, ABBA und Fleetwood Mac Lieder über lesbische Liebe, Katholizismus, Shakespeares Drama und Mary Shelley. Der Auftakt zur Ekstase zeichnet sich also durch ein gehöriges Mass an Eklektizismus aus.
OSCAR LES VACANCES
Ceci N’est Pas Mon Corps (Ovastand Records – PIAS)
Der 29-jährige Oscar Aubry aus Paris ist Illustrator von Beruf und liebt Comics, Mangas und Superhelden. Auch die Musik fördert seine Kreativität und Fantasie. Für sein One-Man-Band-Projekt nennt er sich Oscar Les Vacances. Die Songs auf seinem Debüt «Ceci N’est Pas Mon Corps» hat der Multiinstrumentalist und Regisseur der eigenen Videoclips bei seiner Grossmutter in der Ardèche komponiert. Oscar mixt mit Bravour französischen Chanson mit Pop, Hip-Hop und Electro. In seinem queeren pastellfarbenen Universum beschreibt er seine Kindheitserinnerungen, seine innere Zerrissenheit und die Liebesgeschichten, die nur in seinen Träumen stattfinden. Zudem hinterfragt er den Begriff der Männlichkeit in allen seinen Facetten.
MINE
Baum (Virgin/Universal)
Jasmin Stocker alias Mine hebt sich wohltuend ab vom Durchschnitt der deutschsprachigen Pop-Stars, Songwriter/innen und Rapper/innen. Auf ihrem fünften Album «Baum» reflektiert die 38-jährige Wahlberlinerin über die Endlichkeit des Lebens. In ihren scharfen und prägnanten Texten thematisiert Mine Abschied, Schmerz und Neubeginn. Es gibt aber nicht nur schwermütige Balladen über den Tod ihrer Mutter, sondern auch bunte Pop- und Dance-Tracks z.B. über toxische Beziehungen und Ideenklau im Musikgeschäft, kammermusikalische Skizzen, Volkslieder und Knabenchöre. Mine, über deren Privatleben man nicht viel weiss, zeigt sich ungeschminkt, tief verwurzelt im Leben und musikalisch breit verästelt.
KIRIN J CALLINAN
If I Could Sing (Worse Records)
Der 38-jährige Kirin J Callinan gilt bis heute als Enfant Terrible der australischen Indie-Szene. Sein Hang zu Glamour, Ambiguität, Exhibitionismus, Drama, Drogen und sonstigen Exzessen ist ihm fast zum Verhängnis geworden. Mit «If I Could Sing» versucht der Australier sein Leben und seine Karriere auf die Reihe zu kriegen. Entsprechend seinem flamboyanten Naturell schlängelt er sich wieder durch die verschiedensten Sounds und Genres durch, kann diesmal aber auf extreme Gegensätze verzichten. Am Ende gelingt Kirin J Callinan ein für seine Verhältnisse beinahe perfektes Pop-Album mit vielen überraschenden Wendungen. Er hat hörbar Spass am tanzbaren Synthie-Pop von «Young drunk driver», «Eternally hateful»und «Anæmic Adonis» und am Glam-Rock von «Crazier idea».
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Playlist
Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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