Ein Plädoyer gegen Frust und Ablehnung, für Anerkennung und Wertschätzung

Wie Angehörige der LGBT-Gemeinschaft miteinander umgehen sollten.

Replik auf den watson-Beitrag vom 21. Mai 2019, der den Angriff des SVP-Politikers Michael Frauchiger auf Tamy Glauser, die Nationalratskandidatin der Grünen, thematisiert.


Lieber Michael

Wir können uns glaub Du sagen. Wir sind beide nicht heterosexuell, und das verbindet uns. Zwar bist du schwul und ich bi, was uns trotzdem zu Angehörigen der gleichen gesellschaftlichen Minderheit macht. Minderheiten sollten zusammenhalten. Nur wenn sie geeint sind, können sie mit einer Stimme reden und auf ihre Sache aufmerksam machen. Hingegen siehst Du das mit der Verbundenheit irgendwie anders. Obwohl Du und Tamy Glauser zur gleichen Minderheit gehören, die welche nicht heterosexuell fühlt (gemeint ist die LGBT-Gemeinschaft), errichtest Du Barrieren. Damit meine ich Deinen Tweet, in dem Du Tamy Glauser als «Ding» bezeichnest. Du hast den Tweet zwar mittlerweile gelöscht und dich für das «Ding» entschuldigt, aber die Diskussion ist damit nicht beendet. Vielmehr sollte eine Debatte darüber lanciert werden, wie Angehörige der LGBT-Gemeinschaft miteinander umgehen.

Die grosse Frage ist, warum Du den Tweet verfasst hast. Bist Du frustriert, dass Tamy Glauser in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen wird als Du? Sie arbeitet als Model und ist dadurch berufsbedingt oft im Rampenlicht. Sie hat mit Dominique Rinderknecht eine ebenso bekannte Frau als Partnerin, die 2013 zur Miss Schweiz gewählt wurde. Zwei schöne Frauen werden von Fotokameras öfters abgelichtet und von der Schweizer Illustrierten eher für Homestorys ausgewählt als ein SVP-Nachwuchspolitiker. Wenn sie dann noch ein lesbisches Paar sind und eine davon für den Nationalrat kandidiert, ist das die perfekte Titelgeschichte. Das mag für einige bitter sein, ist aber Realität in einer Zeit, in der viele öffentliche Aufmerksamkeit suchen, aber nur wenige im medialen Mittelpunkt stehen.

Oder ärgerst Du Dich, dass Du den Einzug in den Zürcher Kantonsrat nicht geschafft hast, sodass Du irgendwo Dampf ablassen musst? Ich bin zwar nicht in der Politik, habe aber einige Jahre Lebenserfahrung. Ich kann Dir sagen, dass man ab und zu verliert. Egal in welcher Hinsicht: Niederlagen, Verluste und Enttäuschungen gehören zum Leben. Das mag altbacken klingen. Das Schöne einer Niederlage ist, dass sie die Chance gibt, es das nächste Mal besser oder zumindest anders zu machen. Und Siege sind dann besonders süss, wenn man sie sich hart erarbeitet hat. Du bist mit Deinen 29 Jahren noch recht jung. Es wird viele Möglichkeiten geben, bei denen zu zeigen kannst, was in Dir steckt. Du kannst noch immer Kantonsrat werden, auch National-, Stände- oder sogar Bundesrat. Du wirst viele Siege davontragen, aber auch einige Niederlagen einstecken müssen. Aber es gibt keinen Grund, den Schmerz, den man aus einer Niederlage erfährt, auf andere abzuwälzen.

Oder bist Du Dir Deiner Vorbildfunktion als Politiker, der schwul ist, nicht richtig bewusst? Ob Du in der SVP bist oder nicht, spielt dabei gar keine so grosse Rolle. Da Du Politiker bist, hören Menschen Dir zu, schauen Dir zu oder sogar zu Dir auf. Es gibt immer noch (zu) wenige Menschen, die homo, bi, trans oder sonst ausserhalb der heterosexuellen Norm liegen und sich offen dazu stehen. Umso wichtiger ist es, dass die wenigen, die für alle sichtbar für ihr Anderssein einstehen, sich ihrer exponierten Position bewusst sind und deshalb sorgfältig kommunizieren sollten. Dies gilt gerade in den sozialen Medien, wo während einer Tram- oder Busfahrt schnell mal ein Beitrag abgesetzt werden kann. Du bist vielleicht ein grosses Vorbild für junge und ungeoutete Schwule. Die finden es bestimmt bewundernswert, dass ein schwuler Politiker «es» geschafft hat und öffentlich zu seiner Homosexualität steht – selbst dann, wenn nicht alle mit dessen Politik einverstanden sind. Alles, was Du sagst und tust, wird von diesen jungen Menschen auf die Goldwaage gelegt. Dies gilt übrigens auch für die breite Öffentlichkeit, die sich mit schwulen, lesbischen oder bisexuellen Anliegen im Alltag wenig auseinandersetzen. Du gibst diesen Anlass zu glauben, dass Schwule verbittert, bösartig oder sonst schräg drauf sind. Dass Du ausgerechnet jemanden aus der Minderheit angreifst, zu der Du selber gehörst, wird wohl noch weniger verstanden.

Michael, bitte sei nicht wie die anderen Idioten. Wie die, die im Zürcher Lochergut am Internationalen Tag gegen Homophobie einen Regenbogenstand attackierten. Oder die, die sich dafür aussprechen, dass Gewalt an LGBT-Angehörigen strafrechtlich nicht als solche erfasst werden soll. Ich verlange nicht, dass Du Dich für unsere Sache einsetzt. Aber unterminiere sie wenigstens nicht. Ein Angriff auf die lesbische Tamy Glauser ist letztlich auch ein Angriff auf Dich als schwuler Michael Frauchiger und auf die ganze LGBT-Gemeinschaft. Wenn es Dich wütend macht, dass Tamy Glauser öffentlich mehr wahrgenommen wird als Du, oder dass sie Nationalrätin werden möchte und Du es nicht in den Kantonsrat geschafft hast: Atme lieber einmal tief durch, anstatt Deine Wut auf die zu richten, die im selben Boot sitzen. Richte deine Wut auf die, die das Boot kippen wollen. So viele in diesem wackeligen Boot, wie Sportler, Arbeitnehmer, Aktivisten, Söhne, Töchter, Mütter, Väter aus dem ganzen Regenbogenspektrum, müssen sich regelmässig menschenverachtende Sprüche oder Witze anhören und habe soziale Ausgrenzung oder sogar Gewalt am eigenen Leib erfahren müssen. Sie haben auch eine grosse Wut. Leider schweigen die meisten – aus Angst, dass sie abgelehnt oder nicht verstanden werden. Du hast davor offenbar keine Angst. Das ist gut, denn gerade die LGBT-Community ist auf solche Leute angewiesen. Setze Deine Wut produktiv ein und mach Dich für die gesellschaftliche und juristische Gleichbehandlung von LGBT-Angehörigen stark.

Dabei wäre es so simpel! Wir können so sein, wie wir wollen und lieben, wen wir wollen. Es kann sich doch niemand bedroht fühlen, wenn sich zwei Männer, zwei Frauen oder Menschen, die zwischen diesen beiden Geschlechtern sind, lieben. Klar, es ist nicht schön, wenn man nicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit erhält, wie man denkt, dass einem zusteht. Und im politischen Wahlkampf wird mit harten Bandagen gekämpft. Zudem sind Politiker auch nur Menschen, die ihre Gefühle nicht immer unter Kontrolle haben. Dennoch sollten wir versuchen, nicht aufeinander loszugehen. Gerade Menschen, die uns in mancherlei Hinsicht näher stehen als uns vielleicht lieb ist, verdienen unsere besondere Anerkennung und Wertschätzung.

Lieber Gruss

Ben Man

Kommentare
  1. Max Krieg sagt

    Ben Man:
    Diese Bitte an Michael Frauchiger ist schön und soooo rührend.
    Dieser schwule Mann rühmt sich, zeit seines Lebens gegen Diskriminierung zu kämpfen, dass er jetzt keine Sonderrecht für LGB-Menschen (leider fehlen dann noch TI) mit der Erweiterung der Strafnorm in Artikel 261bis, die Hassreden und Feindlichkeit gegen LGB strafbar machen soll.
    Didier Eribon schreibt:
    LGB(TI)-Menschen werden in eine Welt geboren, in der alle Beleidigungen, Beschimpfungen, Herabsetzungen und Stigmatisierungen bereits vorhanden und Gang und Gäbe sind. Und in diese Welt werden auch jene Kinder geboren, die schliesslich später der Heteronormalität zugehören und diese Verachtung über die Klischees von LGB-Menschen von der Muttermilch an übernehmen und perpetuieren.
    Wenn “wir” diese Herabsetzung (aus fundamentalistischem Christentum und Islam) grundlegend verändern wollen, dann geht das nur über die Ächtung (und Bestrafung) dieser Hassreden und Feindlichkeit.
    Es wird immer noch ein langer Weg sein, auf dem wohl die rechtliche Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen helfen werden, die aber die verdammten Schlötterlinge und Feindlichkeit nicht gleichzeitig automatisch aus der Welt schaffen.

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