Beschneidungsrituale

Daniel Frey über Genitalverstümmelung

Beschneidungen bei Mädchen und bei Jungen sind Eingriffe in ihrer körperlichen und geistigen Unversehrtheit. Trotzdem werden sie durchgeführt; aus Tradition, wegen der kulturellen Identität oder aus religiösen Gründen. Bei Mädchen ist eine Beschneidung in der Schweiz verboten, bei Jungen nicht.

Ich liebe diese Vorabendkrimis. Sie sind meistens spannend – und vor allem nie länger als eine Stunde. Und manchmal werden auch gesellschaftliche Themen thematisiert. Etwa am vergangenen Donnerstag bei «Notruf Hafenkante». Ein fünfjähriges Mädchen wird vom Nachbar entführt und ausgerechnet in einem Striplokal von der Polizei aufgefunden. Soweit vor allem spannend – entführte doch der Nachbar das Mädchen, um es vor einem grausamen Beschneidungsritual zu bewahren.

Die Weltgesundheitsorganisation fasst unter weiblicher Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) alle Praktiken zusammen, bei welchen den äusseren weiblichen Geschlechtsorganen aus nicht medizinischen Gründen teilweise oder vollständig entfernt werden. Dazu gehören die teilweise oder komplette Entfernung der Klitoris mit/oder ohne Entfernung der Vulvalippen und/oder der Verengung der vaginalen Öffnung, indem die Vulvalippen teilweise zusammengenäht werden.

Begründet werden diese Verstümmelungen des weiblichen Körpers oft mit Tradition, kultureller Identität, sozialer Normen und damit die Frauen vor und während der Ehe treu sind. Wichtiger Grund ist auch die Religion – offenbar die wichtigste Begründung für eine Beschneidung. Die weibliche Genitalverstümmelung verletzt die Menschenrechte und ist in der Schweiz verboten. Zudem ist die Mädchenbeschneidung in der Schweiz ein Asylgrund – jedoch nur, wenn der Herkunftsstaat keinen Schutz vor Mädchenbeschneidung bieten kann.

Und wie ist das nun mit der Beschneidung des Penis bei Jungs?

Bereits 2018 habe ich in meinem Blog zwei Posts zu diesem Thema veröffentlicht. Damals hat der Verein Pro Kinderrechte Schweiz eine Unterschriftensammlung durchgeführt, die forderte, dass eine Vorhautamputation in der Schweiz nur noch durchgeführt werden darf, wenn sie medizinisch unbedingt notwendig ist. Grundsätzlich gilt: Die Vorhaut ist der empfindlichste Teil des Penis, sie ist so zu sagen die Klitoris des männlichen Körpers.

Grundsätzlich gilt: Die Vorhaut ist der empfindlichste Teil des Penis, sie ist so zu sagen die Klitoris des männlichen Körpers.

Bei der «männlichen Beschneidung» wird die Vorhaut des Penis entweder teilweise oder vollständig entfernt. Dabei wird zwischen der medizinischen und der rituellen Beschneidung unterscheidet. Eine medizinische Beschneidung ist etwa bei Vorhautverengung (Phimose) nötig.

In vielen Fällen ist die männliche Beschneidung religiös motiviert. Zudem wird die Beschneidung von Jungs häufig mit einer besseren Hygiene begründet. Doch ist eine effektive Genitalhygiene auch ohne Entfernung der Vorhaut problemlos möglich. So wie die Augenlider die Augen schützen, schützt die Vorhaut die Eichel und hält ihre Oberfläche weich, feucht und empfindlich. Nicht die Eichel, sondern die Vorhaut ist der empfindsamste Teil des Penis und ist sensibler als die Lippen oder die Fingerspitzen. Beschnittene Männer können an sichtbaren Narben, Erektionsproblemen und Blutungen leiden. Zudem kann das Bewusstsein über die Beschneidung auch Trauer, Angststörungen, Depressionen und sexuelle Probleme auslösen. Diese Vielzahl der Risiken zeigen, dass eine Knabenbeschneidung kein harmloser Eingriff ist.

Im April 2014 hat Marianne Schwander, Professorin für Recht an der Berner Fachhochschule, eine Arbeit über die rechtliche Situation der Knabenbeschneidung veröffentlicht. Sie kommt zum Schluss, dass die Beschneidung von einwilligungsunfähigen Knaben, die ohne medizinische Notwendigkeit vorgenommen wird, unzulässig ist. Minderjährige hätten ein Recht auf Schutz ihrer körperlichen und geistigen Unversehrtheit. Eine Beschneidung aus religiösen Gründen sei medizinisch nicht notwendig, ohne zeitliche Dringlichkeit und irreversibel. Deshalb kann allein ein urteilsfähiger Knabe einer Beschneidung aus religiösen Gründen einwilligen.

Eigentlich sind doch die Genitalien von allen Menschen gleichwertig. Mir will es nicht in den Kopf, warum das männliche Geschlecht nicht dem gleichen gesetzlichen Schutz unterstellt wird, wie die weiblichen Genitalien. Deshalb hat beispielsweise der Verein Pro Kinderrechte bereits 2018 gefordert, dass der Artikel 124 im Strafgesetzbuch geschlechtsneutral formuliert werden soll: Das Wort «weiblich» soll gestrichen werden, damit der Artikel für alle Geschlechter gilt.


Ich bin mir bewusst, dass dieser Text von einem binären Geschlechtersystem ausgeht. Selbstverständlich können nicht nur Männer/Jungs einen Penis haben und nicht nur Frauen/Mädchen eine Vulva. 

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