Der Lebensbericht eines Schwulen aus Kairo

Buchtipp: «Ich bin Ägypter und ich bin schwul» von Mostafa Fathi

Essâm, ein junger Schwuler aus Kairo, berichtet eindrücklich von seinem Leben in einer Gesellschaft, deren Vokabular keinen respektablen Begriff für Homosexualität kennt. Selbst weltoffene Ägypter befürworten Repressionen gegen Schwule. Ein Outing wäre für Essâm ein lebensbedrohliches Wagnis! Das Buch von Mostafa Fathi ist jetzt auf deutsch erhältlich.

Mit dem Kauf des Buches « Ich bin Ägypter und ich bin schwul» bekommst du einiges fürs Geld. Zum Einen ist zwischen den Buchdeckeln der Lebensbericht eines schwulen Mannes in Kairo, aufgezeichnet vom Journalisten Mostafa Fathi, ein Interview mit dem Autor, das der Radio SRF-Korrespondent Matthias Kündig führte, gefolgt von einer Abhandlung über Homosexualität in Ägypten in Gesellschaft und Literatur vom Übersetzer und Ägyptenkenner Hans Mauritz. Zudem ist das Buch geschmückt mit Illustrationen von Daniel Reichenbach.

Während wir hier im Westen über Gendersternchen und Ehe für alle diskutieren, wird in anderen Ländern das Thema Homosexualität totgeschwiegen. Nicht nur totgeschwiegen, Homos werden sogar getötet! Aus Ägypten hörten wir schon einige Storys über die brutalen Repressionen gegen Homosexuelle. Verhaftung, Gefängnis, Vergewaltigung, Folter und sogar Mord gehören in Ägypten zum Alltag eines homosexuellen Menschen. Doch Homosexualität ist nicht das einzige Thema, über das in Ägypten nicht gesprochen wird. Die Gesellschaft kennt viele, die sie unter den Teppich kehrt. Der Journalist Mostafa Fathi betrachtet es als seine Aufgabe, den Teppich anzuheben und Dinge sichtbar werden zu lassen.

Eigentlich wollte Mostafa Fathi lediglich einen Bericht über Homosexualität für eine Nachrichtenagentur schreiben. Für die Recherchen hat er mit vielen Schwulen gesprochen, hat deren Treffpunkte besucht und er ist dabei auf unzählige Geschichten gestossen. «Schliesslich hatte ich mehr Material zusammengetragen, als ich für einen simplen Artikel benötigt hätte, und beschloss so, ein Buch zu schreiben. Ich nenne es nicht einen Roman, sondern eine Geschichte über die gay community in Ägypten.» erzählte der Autor.

Negative Reaktionen auf das Buch

Die Hauptperson seines Berichts ist Essâm, doch er steht nicht für eine bestimmte Person. Er ist ein Destillat von verschiedenen Personen, die sich dem Journalisten gegenüber geöffnet haben. In der ägyptischen Presse und in der Literatur werden Schwule meisten negativ dargestellt. Die Zeitungen skandalisieren die Perversen und in Romanen und Filmen müssen sie am Schluss büssen, werden ‹geheilt› oder sterben. «Die Haltung, dass Homosexualität schlecht ist und eliminiert gehört, ist noch immer weit verbreitet. Erstaunlicherweise auch in gebildeten Kreisen», sagt Mostafa Fathi. Aus seinem Umfeld bekam Fathi ausschliesslich negative Reaktionen, wenn er sagte, dass er positiv über Schwule schreiben wolle. «Viele rieten mir davon ab. ‹Zu gefährlich, abscheulich!›, fanden sie. Andere warnten mich vor den negativen Reaktionen der ägyptischen Medien und prophezeiten, niemand werde es wagen, das Buch zu kaufen. Ich wollte mit dieser Tradition brechen und die Geschichte meines schwulen Protagonisten Essâm vorurteilsfrei erzählen. Wie brisant dies war, zeigte sich schon vor der Veröffentlichung des Buches. Zwar wurde es von der Zensur durchgewinkt, aber die Polizei verlangte, dass der Titel um die Zeile Fiktion – keine wahre Geschichte ergänzt wurde. ‹Wir wollen hier in Ägypten keinen unnötigen Ärger›, war die lapidare Begründung». Zudem wurde der Verlag angewiesen, in der Erstausgabe auf Seitenzahlen zu verzichten. Sie sagten, dies erschwere es religiösen Eiferern, auf heikle Passagen hinzuweisen. Sie bezogen sich insbesondere auf die sexuelle Begegnung Essâms mit einem Scheich. Könnten Eiferer eine konkrete Seitenzahl nennen, wäre es für sie einfacher, einen Sturm der Entrüstung auszulösen.

Als das Buch 2009, kurz vor dem arabischen Frühling, veröffentlich wurde, löste es zwar keinen Sturm der Entrüstung aus, doch die meisten Reaktionen waren negativ. «Aber es gab auch wohlwollende Besprechungen», sagt Mostafa Fathi im Interview. «Durchwegs positiv waren die Reaktionen seitens vieler Schwuler. Sie dankten mir, dass ich ihre Situation – anders als es die Tradition verlangt – ohne Vorurteile schildere». Das Buch hat eine Diskussion über Homosexualität angestossen, wie sie in Ägypten bisher noch nie geführt wurde. Denn nach dem Erscheinen wurde Mostafa Fathi in unzählige Talkshows im Radio und Fernsehen eingeladen, um über Homosexualität zu sprechen. «Dabei habe ich meine Botschaft unermüdlich wiederholt: Sexualität ist Privatsache. Es steht uns Menschen nicht zu, über andere zu richten und zu entscheiden, wer schlecht und wer gut ist. Zwar sind wir noch weit entfernt von Toleranz oder gar Akzeptanz. Aber immer mehr Menschen sind bereit, über die Rechte von Menschen zu reden, die nicht der Norm entsprechen».

Das Buch ist geschmückt mit Illustrationen von Daniel Reichenbach

 

Wieso die Lebensgeschichte von Essâm auch uns angeht

Doch was bringt es mir, einem aufgeklärten und verwöhnten Westler ein Buch über das Leiden eines Schwulen in Ägypten zu lesen?

Ersten: Ich mag Ägypten und seine Menschen. Ich habe das Land ein paarmal besucht mit meinen Freund. Wir haben unser Schwul-Sein nicht an die grosse Glocke gehängt. Wenn wir gefragt wurden, ob wir verheiratet sind und wo denn unsere Frauen sind, antworteten wir, sie sind zuhause geblieben. Dass eine Frau zuhause bleibt, verstehen sie, ihre sind es auch. Aber hätten wir gesagt, wir seien ein Paar, wäre das auf blankes Unverständnis gestossen. Ihnen fehlt es schlicht an Worten, besonders an positiv besetzten, um über das Thema zu sprechen. Das zeigt der Übersetzer Hans Mauritz auf in seinen Fussnoten und im Anhang.

Zweitens: Die 50er- und 60er-Jahre bei uns sind vergleichbar mit der Situation, wie heute in Ägypten mit Schwulen umgegangen wird. So lange ist das nicht her. Und leider könnte das Blatt auch bei uns sich rasch wieder wenden. Wir sehen das an der Zunahme von Homophobie im aufgeklärten Westen. Der Lebensbericht von Essâm erlaubt uns einen Blick in unsere eigene Vergangenheit. Er kann als Warnung gelesen werden alles zu tun, um zu verhindern, dass es wieder so wird.

Drittens: Es ist gut geschrieben. Trotz der teilweise dramatischen Geschichten von Essâm und seinen schwulen Freunden, hat der Autor eine leicht verständliche Sprache gewählt, die nahe an den Protagonisten ist. Man hört sie förmlich sprechen. Zudem ist das Buch manchmal sogar humorvoll – ein etwas bitterer Humor zwar. Auch die Zeichnungen des Schweizer Illustrators, Karikaturisten und Kalligafen Daniel Reichenbach lockern das Buch auf. Er war es auch, der das Buch auf deutsch in seinem eigenen Verlag herausgebraucht hat.

«Wie kann man den Homosexuellen in Ägypten helfen?» fragst du dich vielleicht. Der Autor Mostafa Fathi antwortet mit einer Gegenfrage: «Wer hat den Schwulen in der Schweiz, in den USA, im Westen geholfen? Niemand. Sie sind irgendwann selbst aufgestanden und haben gesagt: Wir sind, wie wir sind. Respektiert uns! Lasst uns unseren Kampf in Ägypten selber führen. Denn hier gilt alles, was aus dem Westen kommt, als verdächtig. Hilfe von aussen kann sich kontraproduktiv auswirken».


Mostafa Fathi
Ich bin Ägypter und ich bin schwul. Ein Lebensbericht.

Kubri Verlag, 2021, 180 Seiten.

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