Die HAB-Bibliothek ist in einer schwierigen Situation

Interview mit der Bibliotheksgruppe

In der Chronik zum 50. Geburtstag des Vereins «hab queer bern» ist zu lesen, dass ihre Bibliothek mit einem Bestand von rund tausend Büchern und dreihundert DVDs die «grösste queere Spezialbibliothek der Schweiz» sei. Das war 2022. Doch jetzt sagen sie gegenüber Daniel Frey: «Die Bibliothek ist in einer schwierigen Situation».

Bücher hole ich mir bequem zuhause sitzend online als E-Book und lade diese auf meinen Reader. Filme streame ich vom Sofa aus auf meinen Monitor, den DVD-Player habe ich im Keller versorgt. Kunststück, dass da auch die Nachfrage nach den Dienstleistungen der HAB-Bibliothek tendenziell rückläufig ist. Je weniger Interesse wir – also du und ich – an der HAB-Bibliothek haben, desto weniger macht es auch den Mitgliedern der Bibliotheksgruppe Spass. Und junge Nachfolger*innen fehlen in unserem Verein und damit in der Bibliotheks- gruppe sowieso.

Woran liegt es, dass die Bibliothek in einer schwierigen Situation ist, weniger Bücher und DVDs ausgeliehen werden und die Motivation der Bibliotheksgruppe nur noch «halbherzig» ist?

Andreas: Ich denke nicht, dass die Mitglieder der Bibliotheksgruppe nur noch halbherzig dabei sind. Aber natürlich wäre es motivierender, wenn mehr Besuchende kommen würden. Wenn nur zwei bis drei Medien an einem Abend ausgeliehen werden, kann das schon die Frage auslösen, weshalb diese Dienstleistung noch angeboten werden soll.

Peter: Tatsächlich gibt es immer mehr neue Medien, die das Buch an den Rand drängen. Trotzdem versucht das Bibliotheksteam, neue Perspektiven zu finden bzw. neue Wege, die allen Medien gerecht werden.

Markus: Wir machen uns ernsthafte Gedanken über die Zukunft. Zum Beispiel hätten wir gerne eine moderne Präsentation, doch der Platz in der denkmalgeschützten Bernau ist beschränkt. Toll wäre es, wenn die Bibliothek physisch oder digital rund um die Uhr offen wäre, doch das können wir uns nicht leisten. Und klar sind wir besorgt über fehlenden Nachwuchs beim Publikum und in der Gruppe, doch da ist «hab queer bern» in bester Gesellschaft mit zahlreichen anderen Vereinen.

Das Internet und neuerdings auch die KI – die Künstliche Intelligenz – sind allgegenwärtig. Sind Bücher, DVDs und Bibliotheken generell nicht mehr nötig?
Markus: Im Gegenteil! Bibliotheken tragen zur Informationskompetenz und zum lebenslangen Lernen bei, indem sie aus der Informationsflut das Beste auswählen. Die KI wird Bibliotheken in ihrem Wirken unterstützen, sicher auch verändern, aber nicht ersetzen.

Bibliotheken sind Teil des kulturellen Lebens und gehören zu den wenigen nicht kommerziellen Treffpunkten.

Peter: Genau, es geht ja nicht um die Frage, wer der Stärkere ist. Es geht vielmehr um die Kunst, alle Medien mit Achtung und Respekt in gleicher Weise zu behandeln und zu berücksichtigen.

Andreas: Bei den DVDs stellt sich durchaus die Frage, wie lange sie noch ausgeliehen werden, haben doch immer weniger Menschen die Möglichkeit, DVDs abzuspielen. Das Buch hingegen ist sicher nicht tot, selbst junge Menschen lesen nach wie vor Bücher und stellen als «Booktoker» ihre Lieblingsbücher auf TikTok vor. Allerdings besorgen sich die meisten Berner Queers ihre Lektüre nicht bei uns. Dafür ist die grösste LGBTIQ+Buchhand- lung der Welt, das Internet, einfach viel zu bequem und zu schnell.

Die physische Bibliothek vs. die Online-Datenbank als Wissensspeicher! Wohin könnte sich «hab queer bern» und die Bibliotheksgruppe entwickeln? Eine Datenbank im Internet anbieten? Die KI so mit Infos füttern, dass sie auch über queere Themen Bescheid weiss?
Peter: Mir ist es immer noch lieber, diskret ein Buch zur Hand zu nehmen und mich darin zu vertiefen. Übrigens ist das digitale Speicherproblem bis heu- te nicht gelöst. Sensible Daten werden noch lange auf Papier und unter Verschluss gesichert werden. Und: Man hört immer wieder Stimmen, dass das Internet früher oder später den Geist aufgeben wird. Und dann? Wie geht das weiter in unserer schnelllebigen Zeit? Was heute ein Hit ist, ist mor- gen ein Flop. Wer sagt, dass der Inhalt von heute ewig so bleiben wird?

Andreas: Unser Bibliothekskatalog ist längst online abrufbar! → onlinekatalog.habqueerbern.ch
Für weitergehende Inhalte würden sich zahlreiche Fragen stellen, z. B. nach den Urheberrechten, nach den Kosten, den Personalressourcen usw. Für «hab queer bern» wäre dies wohl zu hoch gegriffen.

Markus: Ich wünschte mir stattdessen, dass sich wieder mehr Menschen in der Bibliothek treffen würden, miteinander über Geschichten reden, sich gegenseitig auf gute Bücher oder Filme aufmerksam machen und anschliessend nebenan ein feines Nachtessen geniessen. Und ich würde mich auch über weitere Gesichter in der Bibliotheksgruppe freuen, damit wir auch zukünftig jeweils am ersten und dritten Mittwochabend für euch da sein können.

Die Fragen stellte Daniel Frey

Bibliothek

Kommentare
  1. Peter Thommen, Basel sagt

    Ich bin dafür, dass schwule Bibliotheken erhalten werden. Wo sonst kann ein junger Schwuler oder Queer nachlesen, wie es in früheren Zeiten war, oder was seine Vorgänger gelesen haben?

Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.