100 Jahre QueerPop – Teil 1

Die 20er, 30er und 40er-Jahre

Ludwigs QueerPop-Histroy. In mehreren Teilen schaut der QueerUp Radiomacher und Tolerdance DJ zurück auf das queere Musikschaffen der letzten 100 Jahre. Im 1. Teil geht es um die frivolen 20er-Jahre in Berlin, schwule Komponisten, rebellische Frauen, queere Bluessänger*innen, Rock’n’Roll Pioniere die auch Dragqueens waren und die erste Gay-Hymne. Musik, Geschichten, Bilder und Videos von queeren Musiker*innen.

 

Die 20er-Jahre in Berlin

In den 1920er-Jahren war Berlin der Hot Spot für Schwule, Lesben und alle anderen, die etwas quer in der Landschaft standen. Das Aufleben der queeren Kultur vor 100 Jahren ist Dr. Magnus Hirschfeld[1zu verdanken. Er gründete 1918 in Berlin das Institut für Sexualforschung, mit dem er nicht nur die Sexualität der Menschen erforschen sondern das Volk auch aufklären wollte. Als einer der ersten hat Dr. Magnus Hirschfeld sich für Homosexuelle eingesetzt. Er vermittelte, dass Homosexualität keine Krankheit ist und zudem entkriminalisiert werden sollte. In der Weimarer Republik — so nennt sich der Zeitabschnitt zwischen dem Ende der Monarchie in Deutschland und der Machtübernahme der Nationalsozialisten — aber auch im grössten Teil der damals „aufgeklärten“ Welt, galten Schwule und Lesben nämlich als krank und homosexuelle Taten standen unter Strafe. Zwar löste Dr. Magnus Hirschfelds Aufklärung einen gesellschaftlichen Diskurs aus, doch vor allem stärkte er das Selbstbewusstsein der Homos. Dieses neue Selbstvertrauen der Anderssexuellen hat auch Auswirkungen auf das Nachtleben in Berlin. Es wurden zahlreiche Nachtclubs für queere Menschen eröffnet und auf den Bühnen dieser Lokale wurden die verschiedenen sexuellen Spielarten thematisiert. Die 20er-Jahre in Berlin waren eine frivole und unbeschwerte Zeit. Auch in anderen Metropolen wie Paris, London und New York kamen Schwule und Lesben aus ihren Verstecken und drückten dem kulturellen Leben ihren Stempel auf.

Damals in Berlin entstand auch die erste Gay-Hymne. Sie hiess «Das Lila Lied»[2] und auf Englisch «The Lavender Song». Dieses Lied, das Kurt Schwabach komponiert hat, inspiriert von den Forschungen Magnus Hirschfelds, drückte aus, was damals viel Homos dachten und hofften.

Wir sind nun einmal anders, als die andern,
die nur im Gleichschritt der Moral geliebt,
neugierig erst durch tausend Wunder wandern,
und für die ‘s doch nur das Banale gibt.
Wir aber wissen nicht, wie das Gefühl ist,
denn wir sind alle andrer Welten Kind;
wir lieben nur die lila Nacht, die schwül ist,
weil wir ja anders als die andern sind.

Textauszug aus «Das Lila Lied»

 

Marlene

Mitten drin in den wilden Berliner 20er-Jahren stand Marlene Dietrich. Gerade 20 geworden machte sie die Clubs in Berlin unsicher und hatte ein Verhältnis mit der Diseuse und Schauspielerin Margo Lion, die das Image der «grotesken Neuen Frau»[3] pflegte. Marlene und Margo trugen Herrenanzüge und pfiffen auf die Moral ihrer Eltern. Die beiden Frauen traten auch gemeinsam auf und sangen ein Loblied auf die Bisexualität: «Wenn die beste Freundin…». Sie sangen darüber, dass sie zwar denselben Mann teilen, aber sich gerne auch mal ohne ihn amüsieren.

Ende der 20er-Jahre bekam Marlene Dietrich ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm. Sie spielte die Lola im legendären Film «Der blaue Engel». Noch am Premierenabend ging sie an Bord eins Schiffes das Richtung Amerika fuhr. Dort wurde sie erwartet um ihren ersten Hollywood-Film «Marocco» zu drehen. Die queeren Erfahrungen, die sie in Berlin gemacht hatte, brachte sie gleich in den Film ein. In einer Kabarettszene trug sie einen Smoking und flirtet mit einer Frau im Publikum. Marlene zupfte der Dame eine Blume aus dem Haar, roch verträumt daran und küsste sie dann auf den Mund! Das schockierte zwar die biedern Amerikaner, doch mit dieser Szene wurde Marlene Dietrich zur Lesbenikone. Sie pflegte auch tatsächlichen Kontakt zu den Lesben in Hollywood und verkehrt im berüchtigten Nähreis[4], ein privater Zusammenschluss homosexueller und bisexueller Frauen in Hollywood, der bis in die 50er-Jahre bestand hatte.

 

Die berühmte Szene im Film «Marocco» (1930), die Marlene Dietrich zur Lesbenikone machte.

 

Claire, Luigi und Bruno

Der grosse Star in Berlin war die Kabarettsängerin Claire Waldoff[5]. Auf der Bühne, und auch im wahren Leben, war sie die kesse und freche Berlinerin. Aus ihrer Liebe zu Olga von Roeder machte sie keinen Hehl. Mit dieser Frau blieb sie ein Leben lang zusammen. Der grösste Erfolg von Claire Waldoff ist der Gassenhauer «Nach meine Beene is janz Berlin verrückt». Doch für den Erfolg musste sie kämpfen. Drei Tage vor ihrem Debüt im Kabarett Roland meldete sich die Zensurbehörde. Sie wollte ihr den Auftritt verbieten, weil erstens ihre Lieder antimilitärisch seien und zweitens es ab 23 Uhr verboten sei für Damen in Herrenkleidern auf der Bühne zu stehen. Claire Waldoff und Olga von Roeder standen damals im Mittelpunkt des lesbischen Berlins. Im Damenklub Pyramide, in dem sie Stammgäste waren, konnte die Zensurbehörde Auftritte in Herrenkleider aber nicht verbieten. Das Lied, das beim frauenliebenden Publikum besonders gut ankam war «Hannalore». Claire Waldoff schwärmt darin von einem Mädchen, das einen Bräutigam und eine Braut hat, das gerne tanzen geht und einen Bubikopf trägt – eine damals sehr moderne Kurzhaarfrisur. «Keiner unterscheiden kann, ob du Weib bist oder Mann», singt Claire Waldoff.

Ein grosser Schlagerstar in den 20er-Jahren im ganzen deutschsprachigen Raum war Luigi Bernauer[6]. Der Wiener hat angeblich über 1000 Lieder aufgenommen. Darunter auch frivole Schlager in denen es um schwulen Sex geht. Ein besonders witziger Text, aber auch einer der tief blicken lässt, ist dieser:

Eugen, Eugen,
ich möcht so gern mit dir ins Heu gehn
Eugen, Eugen,
da kann man küssen ohne Zeugen,
und du musst verstehn
mich darf niemand sehn
sonst wär’s leicht um meinen guten Ruf geschehn
drum Eugen, Eugen
sei doch nicht so scheu und komm ins Heu.

Auch wenn Schwule und Lesben in den Twenties — 50 Jahre vor Stonewall —, zum ersten Mal so etwas wie eine Befreiungsbewegung erlebten, war Verstecken immer noch angesagt. Wenn also der Luigi mit dem Eugen lieber ohne Zeugen im Heu rummachen wollte, lag dass daran, dass man wegen «Sodomie[7]» im Gefängnis landen konnte. Und die Aussicht auf ein befreites Leben wurde damals Angesichts des Aufstiegs der Nationalsozialisten in Deutschland auch nicht besser.

Einer der das am eigenen Leibe erfahren musste war der Liedertexter Bruno Balz[8]. Er hatte sich bereits Anfangs der 20er-Jahre in Magnus Hirschfelds Institut für Sexualforschung als schwul geoutet, auch wenn Hirschfeld das Wort «schwul» nicht gerne hörte, er fand, das sei ein Schimpfwort. Doch Bruno Balz war schwul und engagierte sich in der Schwulenbewegung. Mit zunehmendem Erfolg und der Machtübername der Nazis wurde es für Bruno Balz gefährlich. Er war zwar sehr erfolgreich als Texter für die Schlager von Zarah Leander, die damals der grösste Star im Dritten Reich war, aber deswegen nicht unantastbar. Zudem provozierte er mit Songs wie «Kann denn Liebe Sünde sein» oder «Er heisst Waldemar» die Nazis.
1941 wurde er von der Gestapo erwischt beim Sex im Park mit einem Mann. Sie steckten Bruno Balz ins Gefängnis, sie folterten ihn und sie wollten ihn in ein Konzentrationslager deportieren. Gerettet aus den Fängen der Gestapo hat ihn Michael Jary, der oft die Musik zu seinen Texten schrieb. Jary ging einfach ins Gestapo-Hauptquartier und behauptete, dass der Propagandaminister Goebbels höchstpersönlich ihn geschickt habe, um Bruno Balz aus der Haft zu entlassen, denn er werde dringend benötigt Lieder für einen Propagandafilm mit Zarah Leander zu schreiben. Die List funktionierte.

Bruno Balz liess sich im Gefängnis nicht unterkriegen. Und Zarah wartete auf neue Lieder! Trotz Folter schrieb er in Gefangenschaft und in den Tagen nach seiner Entlassung seine zwei bekanntesten Lieder, «Davon geht die Welt nicht unter» und «Es wird einmal ein Wunder geschehen». Sein Talent hatte ihn vor dem sicheren Tod im Konzentrationslager bewahrt. Doch vielen Schwulen und Lesben, die nicht prominent waren, die keine Geld für eine Flucht hatten oder deren Versteck verraten wurde, konnten der «Säuberung» der Nationalsozialisten nicht entkommen und wurden ermordet.

Im Film «Der Blaufuchs» singt Zarah Leander den Song, der ihre schwuler Freund Bruno Balz für sie geschrieben hat: «Kann denn Liebe Sünde sein?»

 

London, New York, Hollywood

Im London der 20er-Jahre war Noël Coward[9]  das Zentrum in der Theaterwelt und in der Gesellschaft. Er kam 1899 zu Welt und stand schon als Kind auf der Bühne im Londoner West End. Noch Minderjährig hatte er eine Beziehung mit dem viel älteren Maler Philip Streatfeild. Der Sugar Daddy führte Noël ihn in die Gesellschaft ein, wo der Junge mit seinem Charisma, Esprit und Talent schnell zum Mittelpunkt jeder Gesellschaft wurde. Nach dem Tod seines Liebhabers ging es mir der Karriere von Noël Coward erst richtig los. Er hatte Erfolge als Schauspieler, Sänger, Dramatiker und als Komponist. Bereits mit seiner Revue «The Vortext» machte er gleichgeschlechtliche Beziehungen zum Thema. Der Erfolg führe ihn nach Hollywood wo er auf Marlene Dietrich traf. Sie wurden gute Freunde und gingen im 2. Weltkrieg zusammen an die Front um die Truppen zu unterhalten. Es wird gemunkelt, dass sie sogar für den Geheimdienst tätig waren. Ab den 40er-Jahren, als der Erfolg etwas nachliess, begann Noël eine Liebesbeziehung mit Graham Payne. Sie lebten auf Jamaika und in der Schweiz bis Noël 1973 starb. Obwohl Noël Cowards Homosexualität damals allgemein bekannt war, nahm er nie öffentlich dazu Stellung. In seinen späteren Lebensjahren hat er sich von der aufkommenden Schwulenbewegung sogar distanziert. Nichts desto trotz gilt er als eine Ikone des QueerPop.

Viele der Songs die Noël Coward geschrieben hatte wurden Klassiker, werden heute noch gespielt und neu interpretiert («I’ll See You Again», «The Last Time I Saw Paris», «If Love Were All»). Sein bekanntester Song ist bestimmt «Mad About The Boy», die verzweifelte Schwärmerei für einen schönen Kinohelden. Er wurde zwar für eine Frau geschrieben und von vielen gesungen, aber inzwischen haben einige schwulen Sänger den Song im Repertoire. Auch Noël Coward selbst hat ihn aufgenommen. Coward trat in den 50ern oft im Fernsehen auf und unterhielt das Publikum mit seinem britischen Humor und seinem geschliffenen Mundwerk.


Cole Porter
[10war als Komponist noch erfolg- und einflussreicher als Noël Coward. Porters Songs gehören heute zum klassischen «American Songbook». 1891 in eine wohlhabende amerikanische Familie geboren, genoss er eine breite Ausbildung. Sein Talent als Songschreiber entdeckte er bereits als Kind. In Harvard begann er 1915 sein Musikstudium und schon während dem konnte er seine ersten Songs verkaufen. Während des 1. Weltkriegs ging Cole Porter nach Frankreich um für ein amerikanisches Hilfswerk zu arbeiten. In Paris lernte er die acht Jahre ältere Linda Lee Thomas kennen und heiratet sie, trotz seiner Homosexualität. Nach der Hochzeit verbrachten sie zusammen eine sorgenfreie Zeit in Paris, Venedig und an der Riviera bis sie 1929 nach Amerika zurückkehrten und Porters erfolgreiche Karriere als Songschreiber begann. Er schrieb Lieder für den Broadway und Hollywood, darunter Klassiker wie «I Love Paris», «My Heart Belongs to Daddy», «Night and Day», «Anything Goes», «I Get A Kick Out of You» und «You Are The Top». Ein Sturz vom Pferd, der ihn zeitlebens gehbehindert machte, der Tod seiner Mutter und seiner Frau sowie seine unterdrückte Homosexualität machten ihm immer mehr zu schaffen. Er verlor seinen Lebenswillen. Cole Porter wurde depressiv und alkoholsüchtig. 1964 starb er an einem Nierenversagen.

 

 

Auch Mae West[11hat in der queeren Welt ihre Spuren hinterlassen. Was für eine Frau! Ihr Style ist die Blaupause für alle Dragqueens dieser Welt und ihre legendären Sprüche, wie beispielsweise  «Ist das eine Pistole in deiner Hose oder freust du dich nur mich zu sehen?», werden heute noch gebraucht.

Bereits 1926, mit ihrem ersten Broadwaystück, sorgte sie für einen Skandal. Es hiess «Sex» und darum ging es auch. Wegen Obszönitäten auf der Bühne musste sie für ein paar Tage ins Gefängnis. Das brachte sie in die Schlagzeilen und machte sie berühmt. Ihr nächste Stück «The Drag», in dem es um die Lebensrealitäten von schwulen Männern in der damaligen Zeit geht, wurde sogar vom Broadway verbannt! Um es doch aufzuführen ist sie mit ihrer schwulen Truppe nach New Jersey ausgewichen, denn Mae West lässt sich nicht aufhalten! Für Schwule hat sie sich immer wieder eingesetzt, so waren viele ihrer Partner auf der Bühne und der Leinwand schwul.

Trotz oder vielleicht wegen ihrem Ruf als Skandalnudel wurde Mae West nach Hollywood geholt. Sie kam bei Paramount Pictures unter Vertrag wo auch Marlene Dietrich drehte. Obwohl Konkurrentinnen, kamen die beiden Frauen glänzend miteinander aus. Mae Wests Filme wurde sehr erfolgreich, weil lustig und frivol. Sie war jedoch nicht bloss Schauspielerin, sie hat die Dialoge für ihre Szenen meistens selbst geschrieben. Doch die frechen Text, ihre zweideutigen Sprüche und ihr offen zur Schau gestellter Männerverschleiss war einigen verklemmten Damen und Herren zuviel. Wegen ihr wurde in Hollywood die Zensur eingeführt, den sogenannten Hays-Code[12]. Mae West war eine echte Rebellin und eine Kämpferin für eine selbstbestimmte Sexualität. Auch musikalisch war sie mutig. Sie war nämliche eine er ersten weissen Frauen, die den Blues sang, der damals nur von Schwarzen gesungen wurde. Mae West liess also auch beim Thema Rasse keine Grenzen gelten.

Die besten Sprüche von Mae West wie z.B. «When I’m good, I’m very good, but when I’m bad, I’m better.»

 

1929 löste der Börsencrash in New York eine Weltwirtschaftskrise aus. 1933 ergriffen in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht und träumten vom 1000-jährigen Reich. Währendessen Stalin in Russland eine totalitäre Diktatur einrichtet. Die Mächtigen diese Welt kannten keine bessere Lösung, als sich in den Krieg zu stürzen. Im 2. Weltkrieg  blieb kein Platz für Kultur – schon gar nicht für queere Kultur. Die Schwulen und Lesben in Amerika fanden Trost im Film «The Wizard of Oz» in dem Judy Garland den Song «Over The Rainbow» sang. Diese Ode an das Regenbogenland wurde zu einer Gay-Hymne und später zur Inspiration für die Regenbogenflagge, die heute von der LGBT-Community gebraucht wird. Mehr über Judy Garland und ihren Einfluss auf die Homosexuellenbewegung findest du hier.

 

Queer Blues and Rock’n’Roll

Während die Weissen um Macht, Land und Ideologien kämpften, kämpften in Amerika die ehemaligen Sklaven ums nackte Überleben. Für sie interessierte sich der weisse Mainstream nicht. Aber genau dort entstand ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine Musikform, die zukünftig die Popmusik auf der ganzen Welt prägen wird, den Blues. Da sich die schwarzen Musiker*innen nicht nach dem Geschmack der herrschenden Klasse richten mussten, hatten sie – wenigstens dort – die Freiheit ihren ganz eigenen Stil zu entwickeln. Dieses unbeobachtet Wirken und Musizieren war auch für Schwule und Lesben von Vorteil. Es gab erstaunlich viele Homos und Bisexuelle die den Blues sangen. Ma Rainey[12(1885-1939) gilt als Mutter des Blues und in ihren Texten findet man Referenzen an die lesbische Liebe. In «Prove it on Me» sang sie:

They said I do it, ain’t nobody caught me.
Sure got to prove it on me.
Went out last night with a crowd of my friends.
They must’ve been women, ’cause I don’t like no men

Ma Rainey war nicht nur eine beeindruckende Sängerin, sondern auch eine gute Geschäftsfrau. Ihren Blues konnte sie gewinnbringend vermarkten und sie wurde Besitzerin zweier Theater. Sie starb als reiche Frau. Ma Rainey förderte auch die jünger Bluessängerin Bessie Smith (1894 1937), die über 150 Schallplatten einspielte. Bessie Smith bekam den Übername «Kaiserin des Blues». Wie Ma Rainey hatte auch sie neben der Ehe lesbische Affären.

Gladys Bentley[13(1907- 1960) begann ihre Karriere als offen lesbische Bluessängerin. Sie trat in Flüsterkneipen und in Homosexuellen Clubs auf und das in einem weissen Smoking mit Zylinder. In den 50er-Jahren wurde sie ein Opfer der anti-kommunistischen Verfolgungen des Senators Joseph McCarthy[14]. Woraufhin sie sich von ihren früheren Anschauungen distanzierte. 1952 heiratete Bentley sogar den 16 Jahre jüngeren Charles Roberts und behauptete von den «weiblichen Hormonen» geheilt zu sein.

Auch Männer trauten sich im Blues über Homosex zu singen. Kokomo Arnold sang 1935 im «Sissy Man Blues»: «Lord if you can’t send me no woman, please send me some sissy man». Sissy Man war damals ein Synonym für einen homosexuellen Mann.

In den späten 40ern und Anfangs der 50er wurde der Blues rhythmischer, die Melodien poppiger und so zu den neuen Musikstilen R’n’B und Soul. Schwule Männer waren an dieser Entwicklung massgeblich beteiligt.

Billie McAllister nahm in den 50er-Jahren einige queere Blues-Songs auf, wie den «31 E. Blues», in dem er davon singt, dass er in Nashville nach seinem «Loverman» sucht. Billie McAllister hatte noch ein Alter Ego namens Madam Fertlizer. Als Dragqueen trat er in den 60er- und 70er-Jahren in Gay-Clubs auf.

Billy Wright nannte man «Prince of the Blues», doch bevor er zum erfolgreichen Bluessänger wurde war er eher eine Prinzessin, denn seine Karriere begann er als Damenimitator.

Bobby Marchan gründete als Teenager die Drag-Gruppe Powder Box Revue mit der er in New Orleans auftrat. Das Plattenlabel «Ace» bot ihm 1954 einen Vertrag an, unter der Bedingung, dass er den Song «Give a Helping Hand» als Frau veröffentlicht. Was er auch tat und zwar unter dem Pseudonym Bobby Fields. Seine Erfahrungen als Dragqueen zeigten sich auch in seinen spätern Aufnahmen, besonders in seiner Spezialität, dem gesprochen Teil im Lied. Hört man sich den Song «The Things I Use To Do, Pt. 2» (in der Playlist am Ende des Artikels) an, erkennt man, woher die Queens in Ru Paul’s Drag Race ihren Slang haben.

Eine schillernde Figur des frühen Rock’n’Roll war Esquerita. Er toupierte sein Haar Pompadour mässig auf, trug Make-up und schrille Klamotten. Ein Paradiesvogel der für die 50er-Jahre etwas «too much» war. Der grosse Erfolg blieb aus. Unter verschiedenen Namen hat er es in den folgenden Jahrzehnten immer wieder versucht, doch es ging stetig bergab. Ein Jahr vor seinem Tod traf ein Journalist Esquerita in New York. Er arbeitete als Parkwächter, erzählte er, sei aber «still as flamboyant as ever». Heute hat Esquerita zwar Kultstatus und gilt als Pionier des Rock’n’Roll, doch das hat ihm zeitlebens nicht viel genutzt. Verarmt und verkannt ist die erste Rock’n’Roll-Tunte 1986 an den folgen von Aids gestorben.


Billy Wright, Bobby Marchan und Esquerita gelten als Wegbereiter des Rock’n’Roll und waren Vorbilder für Little Richard, der den neuen Sound massentauglich machte. Little Richard, der eigentlich Richard Wayne Pennimann hiess und 1932 in Georgia zur Welt kam, feuerte 1955 den Startschuss ab zur Rock’n’Roll-Revolution mit seinem Song «Tutti Frutti». Ursprünglich hatte der Song einen anderen Text, es ging nämlich um eine Sexpraktik die schwule Männer gerne ausüben. «Tutti Frutti, good booty / If it don’t fit, don’t force it / You can grease it, make it easy». Nachdem der Text entschärft wurde konnte er im Radio gespielt werden. Die Teenager waren von diesem exaltieren schwarzen Mann begeistert, deren Eltern schockiert.

Little Richard war schwul, hatte aber wegen seinem Glauben ein zwiespältiges Verhältnis zu seiner Homosexualität. Als Kind hat er die Kleider seiner Mutter anprobiert worauf ihn sein gewalttätiger Vater auf die Strasse setzte. Die Gerüchteküche erzählt, dass er seine Sexualität vor allem als Voyeur auslebte. Öffentlich stand er mal zu seiner Homosexualität, mal hat er sie verleugnet. Im Mai 2020 ist die Queen of Rock’n’Roll gestorben. In Erinnerung bleiben seine wilden, energiegeladenen Bühnenauftritte und seinen Einfluss auf Künstler wie Elvis, James Brown, Sylvester, Elton John, Freddie Mercury und Prince.

Das weisse Publikum applaudiert der schwarzen Tunten. Für die 50er-Jahre eine bemerkenswerte Aufnahme, auch wenn Little Richard hier sehr zahm wirkte. An seinen Liveauftritten soll er viel wilder gewesen sein.


Es war dann der weisse ‹Büzerbueb› Elvis, der zum King of Rock’n’Roll wurde. Doch sein Hit «Hound Dog» wurde schon 1953 aufgenommen von der lesbischen Bluessängerin Big Mama Thornton. Auch sie eine Frau, die sich im Herrenanzug wohler fühlte als im adretten Röckchen. Bereits ihr «Hound Dog» war ein Hit. Doch dieser Erfolg wurde von Elvis überschattet. Big Mama Thornton wurde oft in den Schatten gestellt, wie das so vielen queeren Musiker und Musikerinnen ergangen ist, die einen neuen Weg einschlugen, der dann von der Hetero-Mehrheit übernommen wurde — ohne ein Wort des Dankes. Big Mama Thornton verfiel dem Alkohol und zerstörte so ihre Gesundheit. 1984 ist sie gestorben. Inzwischen wird ihr Wirken anerkannt und gewürdigt als Pionierin des Rock’n’Roll..


Bevor Elvis «Hound Dog» zum Megahit machte, hat ihn bereits die lesbische Bluessängerin Big Mama Thornton aufgenommen.


Im nächsten Teil suchen wir nach Queerness in den 50er- und 60er-Jahren. Wir erfahren mehr über Frauen die sich nicht an den Herd zurückdrängen liessen, schwule Sänger und lesbische Sängerinnen die ihre Homosexualität verstecken mussten um erfolgreich zu sein und solche die sich weigerten, weshalb sie keinen Karriere machen konnten. Bis 1969 in New York der Stonewall Aufstand begann und das Leben der LGBT-Community für immer veränderte. 100 Jahre QueerPop – Teil 2


DJ Ludwigs Playlist mit den Songs aus dem Artikel



 

 

 

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