DJ Coreys Musiktipps für den Januar ’20

Harry Styles, Divina De Campo, Kaytranadas, Pet Shop Boys, Georgia, Chromatics, Patrick Cowley, Arthur Russell, Mélodie Lauret und Balbina

Harry Styles überwindet den Boyband-Fluch. Mehr als nur Lip-Sync: die singende Drag- Queen Divina De Campo. Kaytranadas soul-jazziges Dance-Album. Pet Shop Boys: Die Synthie-Pop-Helden sind zurück. Lizenz zum Tanzen mit Georgia. Chromatics entwerfen den Dream-Pop-Soundtrack zu einem imaginären Film-Noir. Posthume Ehrung für die Musik- Pioniere Patrick Cowley und Arthur Russell. Eine spannende lesbische Newcomerin aus Frankreich: Mélodie Lauret. Die deutsch-polnische Künstlerin Balbina bringt es auf den Punkt.


HARRY STYLES

Fine Line (Erskine Records Limited)

Mit seinem zweiten Solo-Album lässt der Ex-One-Direction-Frontmann sein Boyband-Stigma endgültig hinter sich. Jede Facette von Harry Styles Musikkosmos kommt auf «Fine Line» zur Geltung. Cool und geschmeidig schlägt der 25-Jährige die Brücke zwischen Pop, Indie, Soul und Rock und zieht nonchalant sein eigenes Ding durch. Harry Styles lässt sich nicht nur musikalisch in keine Schublade stecken, sondern spielt auch gerne mit den Geschlechterrollen, wie die Bilder im CD-Booklet und seine öffentlichen Auftritte deutlich bezeugen.


DIVINA DE CAMPO

Decoded – EP (PEG Records)

Zwar hat Divina De Campo in der ersten Staffel von «RuPaul’s Drag Race UK» die Krone nicht nach Hause gebracht. Aber mit ihrem musikalischen Können und Humor darf sich die Drag Queen zu Recht als moralische Siegerin fühlen. Schliesslich konnte Divina De Campo dank der Casting-Show einen Vertrag mit dem Management des queeren Multitalents Todrick Hall unterschreiben. Ihre erste EP «Decoded» enthält neben der lustigen Hymne «A Drag Race Song» auch tolle Pop-Dance-Songs wie «Elevator» und der funkige «Validation».


KAYTRANADA

Bubba (Kaytranada, RCA Records)

Auf seinem Debüt «99.9%» von 2016 brachte der damals 23-jährige Kanadier mit haitianischen Wurzeln alle seinen musikalischen Einflüsse zusammen: unfertigen R&B aus Michael Jacksons und Princes Demo-Küche, leichtfüssigen House, melodiösen Neo-Soul und Smooth Jazz. Mit dem Nachfolger «Bubba» kreiert der schwule Musiker und Produzent einen weiteren butterzarten und sonnendurchfluteten Soulful-DJ-Mix mit vielen Features, u.a. Pharrell Williams, Tinashe, Kali Uches, Estelle, GoldLink, Mick Jenkins, VanJess, Charlotte Day Wilson und Teedra Moses.


PET SHOP BOYS

Hotspot (X2 Recordings Ltd.)

Mit «Hotspot» vervollständigen die Pet Shop Boys die mit «Electric» gestartete und mit «Super» weitergeführte Album-Trilogie. Auch für den dritten Teil zeigt sich Stuart Price als Produzent verantwortlich. «Hot Spot» wurde in den berühmten Hansa Studios in Berlin eingespielt. Neal Tennant und Chris Lowe besinnen sich auf ihren alten Stärken zurück. Zum einen liefern die PSB bombastische Dance-Knaller mit Synthesizer-Fanfaren, wie z.B. die famose Kollaboration mit Years & Years «Dreamland». Zum anderen verlieren sie sich gerne in melancholischen Balladen für unheilbare Romantiker, wie z.B. «Only The Dark». Die PSB bleiben auch 2020 ein sicherer Wert auf der musikalischen LGBTQ-Karte.


GEORGIA

Seeking Thrills (Domino Recordings Ltd)

Durch ihren Vater Neil Barnes, der DJ und Mastermind des in den 90er-Jahren erfolgreichen Trip-Hop-Duos Leftfield, kam die Britin Georgia schon früh zum Schlagzeugspielen. Später beherrschte sie weitere Instrumente und diverse Produktionstechniken. Auf ihrem selbstbetitelten, ziemlich sperrigen Debüt von 2015 verbeugte sich Georgia noch vor ihren Vorbildern Missy Elliott und M.I.A. Mit «Seeking Thrills» vollzieht Georgia allerdings einen abrupten musikalischen Kurswechsel und setzt der Tanzfläche ein Denkmal. Die 13 eingängigen Songs pendeln zwischen House, Indie-Disco und Synthie-Pop und versprühen Euphorie und Hedonismus aus allen Poren.


CHROMATICS

Closer To Grey (Italians Do It Better)

Sieben Jahre nach ihrem letzten Album «Kill For Life» meldet sich das Synth-Art-Dream-Pop- Quartett aus Portland überraschend zurück. Das Albumcover von «Closer To Grey», das Sängerin Ruth Radelet als perfekte blonde Puppe in einer Kunstblutlache zeigt, könnte locker als Plakat für einen Film Noir oder einen italienischen Giallo herhalten. Eine ähnlich unterkühlte Sexyness und alptraumhaft beklemmende Stimmung ziehen sich konsequent auf dem ganzen Album durch. Eine schaurig-schöne Angelegenheit für alle Pop-affinen Freunde/innen.


PATRICK COWLEY

Mechanical Fantasy Box (Dark Entries Records)

Patrick Cowley gilt bis heute als grosser Vorreiter für elektronische Musik und für ein offenes Schwulsein. Er erfand Ende der 70er-Jahre die rein elektronische und schnelle Hi-NRG- Variante von Disco. Mit seiner Produktionsarbeit für den legendären Drag-Star Sylvester gelang ihm an der Schwelle zu den 80er-Jahren der Sprung von der schwulen Klubszene in den Mainstream. Leider wurde sein kometenhafter Aufstieg durch AIDS gestoppt. Der neue Sampler «Mechanical Fantasy Box» dokumentiert in dreizehn bisher unveröffentlichten Songs Cowleys frühe experimentellen Phase. Sein typischer Hi-NRG-Sound ist im Ansatz bereits vorhanden. Aber ansonsten überwiegen Funk, Krautrock und Psychedelia.


ARTHUR RUSSELL

Iowa Dream (Audika Records)

Der schwule, im New Yorker Underground tätige Musikgenie Arthur Russell starb bereits vor 27 Jahren an den Folgen von AIDS. Sein Talent wurde aber erst nach seinem Tod allmählich wieder bzw. neu entdeckt. Sein unerschöpflicher Fundus an Songmaterial, der von seinen Kollegen Tom Lee und Steve Knutson kuratiert wird, fördert immer wieder verborgene Schätze zutage. Der ausgebildete Cellist umarmte bekanntlich Avantgarde, Disco, Pop und Klassik. «Iowa Dream», eine Kollektion von in den 70ern aufgenommenen Demos, zeigt Arthur Russell allerdings als sensiblen Singer-Songwriter mit einem Faible für süsslichen Country-Folk.


MELODIE LAURET

23H28 EP (French Flair Entertainment)

Nach Pomme und Hoshi hält eine weitere offen lesbische Singer-Songwriterin Einzug in die französische Pop-Musik-Szene. Die 20-jährige Mélodie Lauret ist in etwa das weibliche Pendant zu Eddy De Pretto. Auch sie reichert traditionelle französischen Chansons mit urbanen Elementen an. Die EP «23H28» ist Mélodie Laurets intimes musikalisches Tagebuch. In ihren präzisen Alltagsbeobachtungen kommen leibliche Liebe, Sexualität und queere Identität immer wieder vor. Die fünf Songs sind ein persönliches und erstaunlich reifes Statement zur Universalität der Liebe.


BALBINA

Punkt. (Balbina/BMG)

Auf «Bina» (2011), «Über das Grübeln» (2015) und «Fragen über Fragen» (2017) folgt nun «Punkt.». Die deutsch-polnische Sängerin hebt sich auch auf ihrem vierten Album wohltuend ab von der Einheitsbrei der selbsternannten Songpoeten. Balbina bringt die deutsche, zuweilen die englische Sprache zum Singen. Sie tut das mit einer Stimme, die wie keine andere Stimme klingt. Im deutschsprachigen Raum ist Balbina wohl die einzige, die Kammer- Pop, Hip-Hop und Trip-Hop unter einen Hut bringen kann. Auf «Punkt.» steht Balbina zu ihren Depressionen und gibt ihren belastenden Perfektionismus auf. Sie bedient sich nicht mehr kryptischer Texte, sondern gewährt offen einen Einblick in ihre Intimsphäre.


Sendung hören:


Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im GayRadio auf Radio RaBe
https://queerupradio.ch

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