Rudolf Nurejew – Popikone des Balletts

«Nurejew – The White Crow» - Jetzt im Kino

Sogar Menschen, die von Ballett keine Ahnung haben, ist der Name Rudolf Nurejew ein Begriff, ein Tänzer, der weit über die Ballettszene hinaus bekannt war. Der Russe aus armen Verhältnissen, der 1961 aus der Sowjetunion in den Westen flüchtet, war in den 60er- und 70er-Jahren ein Popstar. Er tanzte auf den grössten Bühnen dieser Welt, aber auch im Studio 54 und er tanzte sogar mit Miss Piggy! Auch heute noch, 26 Jahre nach seinem Tod durch Aids, ist der Name Nurejew Synonym für Ballett. Jetzt läuft im Kino der Film «Nurejew – The White Crow» der von seiner Jugend und seiner Flucht aus der Sowjetunion erzählt. 

Rudolf Nurejew, 1938 – 1993

Nurejew war zeitlebens in Bewegung. Das zeichnet sich schon bei der Geburt ab. Er kam im einem Zug der Transsibirischen Eisenbahn zur Welt. Als Junge war er, was man in seiner Heimat Ufa eine «weisse Krähe» nennt: ein Aussenseiter, verschlossen, immer allein. Seine Familie war bettelarm. Als die Mutter einmal in der Lotterie Karten für eine Ballettaufführung gewann, nahm sie all ihre Kinder mit. Der kleine Rudolf war völlig verzaubert und er wollte danach Ballettänzer werden, gegen den Widerstand seines Vaters. Trotz seines Alters – er war bereits 17 Jahre alt – wurde er an der Ballettakademie in Leningrad (heute Sankt Petersburg) aufgenommen und konnte dort auch bald, dank seiner Hartnäckigkeit und seinem unübersehbaren Talent, in der berühmten Männerklasse von Alexander Puschkin mitmachen. Doch der Teenager war auf Konfrontation aus und stritt sich ständig mit seinen Lehrern und Vorgesetzen. Er weigerte sich, sich unterzuordnet, was in der Sowjetunion nicht gern gesehen wurde. Ihn quälte auch, dass seine jüngeren Kommilitonen ihm schon weit voraus waren und als er seine homosexuellen Neigungen entdeckte, war das vermutlich auch nicht grad hilfreich, sich im gleichgeschalteten Sowjet-Regime wohlzufühlen.

Obwohl er mit dem Ballettunterricht so spät angefangen hatte, konnte es sich dank seiner Begabung durchsetzen. Schon mit 20 Jahren hatte er seinen ersten Auftritt und das Publikum war begeistert von Nurejew. Es war nicht die technische Brillanz, die ihn ausmachten – andere waren besser – sondern seine besondere Ausstrahlung, seine Musikalität, seine Maskulinität. Er hatte eine Präsenz auf der Bühne, die einen sofort fesselte. Doch sein schwieriges Temperament, seine aufbrausende Art, seine Dickköpfigkeit und auch Arroganz erschwerten die Zusammenarbeit mit ihm und führten nicht selten zu Disziplinarstrafen.

Die Flucht aus der Sowjetunion

1961 erhielt Nurejew die Gelegenheit im Westen aufzutreten. Der Kalte Krieg befand sich damals auf seinem Höhepunkt. Die Sowjetunion schickte deshalb ihre beste Tanzkompanie in den Westen, um ihre künstlerische Stärke zu demonstrieren. Mit dem Kirow-Ballett durfte er nach Paris um als Siegfried in Schwanenseeaufzutreten. Das Publikum war von diesem attraktiven, virtuosen, jungen Tänzer hingerissen! Obwohl er unter Beobachtung der KGB-Agenten stand, genoss er die Verlockungen, die der Westen zu bieten hat. Er streift durch die Museen, Restaurants und Jazz-Clubs der Stadt. Er schnupperte den Duft der Freiheit und wollte mehr. Dass er den Westen wohl etwas zu sehr genoss, schien den KGB-Spionen nicht entgangen zu sein. Die sowjetische Parteiführung befahl, dass er unverzüglich zurückgeschafft werden soll, obwohl eigentlich eine Tournee durch Europa angesagt war. Sie waren schon am Flughafen, als Nurejew entschloss zu flüchten und politisches Asyl zu beantragten.

Rudolf Nurejew mit seinem langjährigen Freund und Liebhaber Erik Bruhn

Der russische Startänzer, der in den Westen überläuft – ein gefundenes Fressen für die Presse! Nurejew wusste die Gunst der Stunde zu nutzen und fand schnell Anschluss an die westliche Ballett-Szene. Dabei erhielt er Hilfe vom damals bedeutendsten Tänzer, Erik Bruhn. Er wurde sein Geliebter und ein enger Freund. Bruhn half Nurejew, seinen damals technisch noch ungeschliffenen und eher robusten Stil zu verfeinern. 25 Jahre hielt ihre On-Off-Beziehung. Noch im selben Jahr von Nurejews Flucht, wurde er von der „Prima Ballerina Assoluta“ Margot Fonteyn eingeladen, an einer Gala-Aufführung in London mitzumachen. Der Auftritt des jungen Nurejew und der 19 Jahre älteren Fonteyn muss eine Wucht gewesen sein. 23 Mal wurde das Paar nach dem Auftritt vom begeisterten Publikum vor den Vorhang gerufen. Dieser Abend begründete die langjährige Partnerschaft des ungleichen Paares, aber auch den Ruf Nurejews als Popstar. Er begann mit eigenen Produktionen seine Popularität wirtschaftlich zu nutzen und baute sich selbst zum Markenzeichen auf. Nicht nur verlanget er hohe Einzelgagen, was damals nicht üblich war, sondern war auch abseits der Bühne präsent. Man las über in den Zeitungen, er trat in Talkshows auf, war Gast in der berühmtesten Disco der Welt, dem Studio 54 in New York und er soll angeblich auch die Gay-Saunas der Stadt beglückt haben. Neben den zahlreichen Ballettaufführungen ist auch sein Gastspiel in der Muppet Show 1977 in Erinnerung geblieben. Dort tanzte er – auf eigenen Wunsch – ein Pas de Deux mit Miss Piggy und wurde in einer weiteren Szene vom Diva-Schwein in der Sauna angemacht. Zum Schreien komisch! Klar, das auch bald Hollywood interessiert war. Er spielte 1977 den Stummfilmstar Rudolfo Valentino im Ken Russel-Film «Valentino». Da gibt es die wundervolle Szene, in der er Tango tanzt mit einem Mann. (Video).

Im wirklichen Leben hätte sich Rudolf Nurejew gegen eine schweinische Anmache in der Sauna wohl nicht so gewehrt. 

 

Auch wenn er sich wie ein Popstar aufführte, inklusive Extravaganzen und Diva mässigem Auftreten, wer es doch der Tanz, der ihn weiterhin bewegte und dem seine Leidenschaft galt. Nicht nur das klassische Ballett, er traute sich auch an den modernen Tanz. Nurejew war Tänzer und Choreograf im Wiener Staatsopernballett und nahm 1982 sogar die österreichische Staatsbürgerschaft an. 1983 wurde er Direktor des Pariser Opernballetts, das er leitetet, in dem er tanzte und wo er junge Talente förderte. Als er den Job in Paris annahm schlummerte in ihm bereits das Virus. Wie so viele Schwule seiner Generation, steckte er sich mit HIV an. Damals verlief die Immunkrankheit Aids fast immer tödlich. Nurejew stritt zwar Gerüchte um seinen Gesundheitszustand in der Öffentlichkeit ab. Doch 1992 wurde es offensichtlich, denn er erlitt auf der Bühne einen Schwächeanfall. Der Tänzer musste auf einem Stuhl sitzen um die Ovationen des Publikums entgegen zu nehmen. Es sollte sein letzter Applaus werden. Am 6. Januar 1993 starb er im Alter von 54 Jahren.

 

Im Kino: «Nurejew – The White Crow»

Jetzt läuft ein Film über Rudolf Nurejew in den Kinos an. «Nurejew – The White Crow» erzählt die Geschichte seiner Jugend, über seinen Unterricht bei Puschkin und wie er und seine Frau ihn auch privat unterstützten. Doch vor allem erzählt er von seiner Flucht aus der Sowjetunion, als er mit 23 Jahren an einem Pariser Flughafen um politisches Asyl bittet. Die Regie hat der Schauspieler Ralph Fiennes übernommen. «Obwohl ich kein grosses Interesse am Ballett hatte und nicht viel über Nurejew wusste, war ich von der Geschichte seines frühen Lebens ergriffen», sagt Fiennes. «Seine Jugend im zentralrussischen Ufa in den 1940er-Jahren, die Zeit der Ausbildung in Leningrad, dann seine Entscheidung 1961, in den Westen überzulaufen: Diese Geschichte ging mir unter die Haut.»

Szene aus dem Film «Nurejew – The White Crow» von und mit Ralph Fiennes

Ralph Fiennes wollte Nurejews Geschichte mit russischen Tänzern und Schauspielern inszenieren – und in russischer Sprache. «Ihm erschienes völlig lächerlich, englischsprachige Schauspieler zu besetzen und sie mit Akzent reden zu lassen», erzählte der Drehbuchautor David Hare. «Ralph spricht russisch, und es ist ihm ein Anliegen, dass seine Filmes so authentisch wie möglich sind.» So musste Fiennes im russischen Sprachraumden richtigen Nurejew-Darsteller finden. «Mir gefiel dieser junge ukrainische Tänzer Oleg Ivenko von der Tatar State Ballet Company», sagt Fiennes. «Ich spürte, dass in Oleg Schauspieltalent schlummert. Er ist ein starker Balletttänzer und hat physische Ähnlichkeit mit Rudolf Nurejew. Und bei den Testaufnahmen griff er meine Anweisungen sofort auf.» Oleg Ivenko war zuvor noch nie als Schauspieler tätig, doch Fiennes arbeitete intensiv mit ihm. «Er verstand, dass ein Filmschauspieler von innenheraus agieren muss, so dass er eben nicht spielt, sondern auf sein Herz hört und darauf reagiert» ,sagt Fiennes.

Zuvor war auch der Ballettstar Sergei Polunin für die Titelrolle im Gespräch. Ralph Fiennes wollte aber einen unbekannten Darsteller als Nurejew – also besetzte er Polunin als Juri Solowjew, der in Paris das Zimmer mit Nurejew teilt. Auch die weiteren Rollen wurden hervorragend besetzt. Die Rolle der Clara Saint übernahm Adèle Exarchopoulos, die 2013 bei den Filmfestspielen Cannes mit «La vie d’Adèle» die Goldene Palme gewonnen hatte. Ralph Fiennes selbst übernahm die Rolle des berühmten Leningrader Ballettmeisters Alexander Puschkin, des Lehrers und Mentors von Nurejew.

«Nurejew – The White Crow» erinnert an eine entscheidende Lebensphase eines der grossen Künstler des 20. Jahrhunderts. Die Ereignisse fanden vor langer Zeit statt und viele Menschen kennen Nurejews Geschichte nicht», sagt der Drehbuchautor David Hare. «Ich wollte diese Geschichte erzählen und Respekt für die unglaubliche Hingabe vermitteln, die nötig ist, um in einer Kunstform brillant zu sein. Das ist sehr selten in einem Film zu sehen, und wie Ralph das inszeniert hat, finde ich grossartig.» Doch auch die unangenehmen Seiten von Nurejews Persönlichkeit werden nicht verschwiegen. «Heute würde er zu einem Anti-Aggressionskurs geschickt werden», sagt Hare und lacht. Auch Ralph Fiennes wollte dessen schwierige Persönlichkeit nicht beschönigen: «Es ist das Porträt des Künstlers als junger Mann mit all seinen rauen Kanten, seiner Einsamkeit, seiner Fantasie und seinen Dummheiten», sagt Fiennes lächelnd. «Er hatte etwas Unangenehmes und Rücksichtsloses an sich, aber so ist nun mal die Jugend, die sich selbst verwirklichen will. Und ich finde das sehr bewegend.»

NUREJEW – THE WHITE CROW

Regie: Ralph Fiennes
Mit: Oleg Ivenko, Adèle Exarchopoulos, Ralph Fiennes, Louis Hofmann
UK/Frankreich/ Serbien 2018, Länge: 122 Min.
Kinostart: 29. August 2019


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