«Manchmal reichen feine Berührungen, es müssen nicht immer kräftige sein.»

Das Interview mit dem Masseur Christoph Bürgin

Christoph Bürgin ist Masseur mit Herz und Burnout-Coach mit Verstand. Seine Praxis æquilibritas, befindet sich im Herzen von Bern, auf Wolke 7. Er überzeugt mit seiner freundlichen Art, mit seinem Fachwissen und mit Empathie. Ob entspannende Massage oder gezielte Behandlung – eine gute Wahl für dein Wohlbefinden. Ludwig Zeller hat ihn besucht.

Ich habe in der Praxis æquilibritas (Gleichgewich auf Latein) von Christoph Bürgin eine Massage gebucht. Mit «Willkommen auf Wolke 7» preist er seine Praxis an. Als ich diese im 4. Stock an der Markgasse 5 betrete, wird mir klar wieso. Die Decke ist bemalt mit blauem Himmel und weissen Wolken. Ich werde von einem attraktiven Mitt-Vierziger empfangen und in die geräumige Praxis geführt. Christoph Bürgin teilt die Räume mit einer Kosmetikerin und einer Masseurin. Ich bin hier, um mit ihm ein Interview zu führen. Doch zuvor werde ich von ihm massiert.

Während Christoph die Massageliege vorbereit und vorgewärmte Frotteetücher bereitstellt, entledige ich mich meiner Kleider und hänge sie über den Herrendiener. Ich buchte eine Wellness-Massage und das war sie, wohltuend. Christoph ist nicht der erste Mensch, der mir eine Massage gibt. Es haben schon einige meinen Körper geknetet. Mir fällt beim Vergleichen auf, dass jeder Masseur, jede Masseurin eine eigene Handschrift hat. «Das ist so», bestätig Christoph. «Auch wenn sie dieselbe Ausbildung machten, schlussendlich findet jeder seine eigene Art zu Massieren». Christophs Massage war sehr angenehm und hat mich entspannt. Ich bin bereit, ihm meine Fragen zu stellen.


Das Interview

 

Woher kommst du? Dein Dialekt verrät, aus Bern bist du nicht.

Ich bin im Baselbiet aufgewachsen, im schönen Waldenburgertal. Nach der Schule wollte ich unbedingt etwas mit Nähen machen. Eine Lehrstelle als Schneider fand ich nicht, also lernte ich den heute etwas exotischen Beruf des Innendekorationsnähers in einem Betrieb in Liestal. In diesem Beruf näht man Kissen, Bettüberwürfe und vor allem Vorhänge. Ich weiss nicht mal, ob es den Beruf heute noch in dieser Form gibt. Ich bereue es nicht, diese Ausbildung gemacht zu haben, es ist ein schönes Handwerk.

Handwerk machst du heute noch. Die Hände sind für einen Masseur schliesslich das wichtigste Werkzeug. Doch bevor wir dazu kommen, möchte ich noch mehr über dich persönlich wissen. Wie war das damals mit deinem Coming-out?

Einfach war es nicht auf dem Land. Ich kannte keine anderen Schwulen und getraute mich nicht, mit jemandem darüber zu reden. Türöffner war der Autofahrausweis. Als ich diesen hatte, konnte ich am Wochenende das Auto meiner Eltern ausleihen und nach Basel fahren. Ich brauchte viel Überwindungskraft, um zum ersten Mal ein Gay-Lokal zu betreten. Es war das Dupf in Kleinbasel. Wenn man das Lokal betrat, war es, als ob man eine Bühne betritt. Alle drehten sich nach mir um. Frischfleisch! Ich erinnere mich daran, als ob es gestern gewesen war. So fand ich dann Zugang zur Community.

Heute lebst du in Münsingen. Wie ist es dazu gekommen, dass du in die Region Bern gezogen bist?

Ich bin jetzt schon seit 20 Jahren hier zuhause und ich bin sehr gerne hier. Es war der Job, der mich nach Bern brachte. Ich fand ein paar Jahre nach der Lehre in Münsingen eine Arbeit in einem Vorhangatelier. Nebenbei machte ich eine Ausbildung zum Eidg. dipl. Einrichtungsberater. Mit dieser Ausbildung bekam ich dann eine Anstellung bei einem schönen Einrichtungsgeschäft in der Berner Altstadt.

Doch da bist du nur 3 Jahre geblieben und hast dich danach komplett neue orientiert. Wieso musstes du alles ändern?

Ich weiss bis heute nicht genau, was den Ausschlag gegeben hat. Aber ich merkte, dass es mir keinen Spass mehr machte, was sich auch auf meine Gesundheit auswirkte. Mein Körper sagte mir: du musst hier weg! Allerdings brauchte ich eine Weile, bis ich wirklich etwas verändern konnte – denn mir war gar nicht klar, was eigentlich anders werden sollte. Also frage ich mein näheres Umfeld, was sie denken, dass zu mir passen würde. Es half mir, mich aus einer anderen Perspektive zu sehen und neue Inputs zu erhalten. Bei diesen Unterhaltungen fielen immer wieder die Worte Masseur und Therapeut. Wenn andere in mir sehen, dass ich mit Menschen arbeiten sollte, wieso nicht? Ich besuchte ein Massage-Basis-Kurs und war gleich begeistert. Ich nahm weitere Kurse, bis ich das Diplom zum Gesundheitsmasseur hatte.

Es half mir, mich aus einer anderen Perspektive zu sehen und neue Inputs zu erhalten.

In diese Zeit hast du auch noch als Einrichtungsberater gearbeitet?

Ja, es ging mir aber nicht gut dabei. Nach einem Tauchurlaub sagte mir mein Körper schon am ersten Arbeitstag, dass der Job nicht mehr zu mir passt. Ich musste meine Komfortzone verlassen, um in Bewegung zu kommen. Ich kündigte, ohne eine neue Stelle zu haben. Ich ging auf eine viermonatige Reise um mir darüber klar zu werden, was ich eigentlich will. Ein Reset, sozusagen. In Thailand machte ich während dieser Zeit eine Ausbildung für traditionelle Thai-Massage.

Zurück aus Asien brauchtest du einen Job. War das schwierig?

Nein. Bereits meine erste Bewerbung fürs Spa von Bernaqua führte zu einer Anstellung. Obwohl die Bedingungen, die ich mir für meinen neuen Job vorstellte, wie an Wochenenden nicht zu arbeiten und mehr Lohn als bisher, nicht zutrafen. Im Gegenteil. Doch für mich war die Anstellung wichtig, um zu sehen, ob mir der Beruf auch Spass macht. Professionell zu massieren, ist nicht dasselbe, wie seine Freunde mit einer Massage zu verwöhnen. Acht Stunden am Tag zu massieren ist körperlich anstrengend, mental und energetisch auch. Ich bekam von den Kunden jedoch viel positives Feedback und merkte, dass die Arbeit zu mir passt.

Du hast dich dann vom Spa-Masseur zum therapeutischen Masseur weitergebildet.

Ich fand eine Stelle bei einem Physiotherapeuten in Thun, wo ich heute noch Teilzeit arbeite. Hier habe ich mit Leuten zu tun, die Beschwerden haben. Das ist sehr spannend, kann aber auch belastend sein. Wie beim Coiffeur erzählen einem die Kund*innen oft Geschichten aus ihrem nicht immer einfachen Leben. Diese Storys lassen einen manchmal leer schlucken, sind aber auch interessant, weil man oft selbst daraus etwas lernen kann.

Führten das Hören dieser Geschichten dazu, dass du heute auch Burnout-Coachings anbietest?

Es waren zwei Faktoren. Einerseits sind diese Burnout-Erkrankungen zurzeit sehr verbreitet. Ich habe viel mit Menschen zu tun, die eins hatten oder grad mitten in einem Burnout stecken. Die Nachfrage nach Hilfe ist gross. Andererseits werde ich auch nicht jünger. Wie bereits gesagt, der Masseur-Job ist körperlich belastend. Speziell meine Gelenke leiden darunter. Also brauche ich ein weiters Standbein, das weniger körperlichen Einsatz fordert. Dafür machte ich eine Weiterbildung zum Burnout-Berater.

Wie erkennt man ein Burnout? Wann ist es Zeit, nach Hilfe zu suchen?

Ein Burnout hat viele Gesichter. Klassische Anzeichen sind z.B. emotionale Erschöpfung, Schlafstörungen, verminderte Leistungsfähigkeit, Kopf- und Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme, u.v.m. Oft begleitet von sozialem Rückzug und der Vernachlässigung von Hobbys, Sport, Familie und Freunden. Betroffene fühlen sich oft innerlich leer und kraftlos. Betroffen sein kann jeder und jede. Oft sind es Menschen die Mühe haben «Nein» zu sagen und Grenzen zu setzten. Häufig sind es Menschen, denen es an Anerkennung und Lob für ihre Arbeit fehlt, was sie dazu bringt, noch mehr zu leisten, bis das Fass überläuft. Viele wollen es nicht wahrhaben, dass sie vor einem Burnout stehen oder schon mittendrin sind. Das ist schade. Ich weiss, es braucht viel Mut darüber zu sprechen und zu reagieren, aber es ist wichtig.

Viele wollen es nicht wahrhaben, dass sie vor einem Burnout stehen oder schon mittendrin sind. Das ist schade. Ich weiss, es braucht viel Mut darüber zu sprechen und zu reagieren, aber es ist wichtig.

Was ist deine Aufgabe als Burnout-Berater?

Meine Aufgabe ist es die Betroffenen dort abzuholen, wo sie stehen. Mit ihnen zusammen den IST- Zustand zu evaluieren und geeignete Massnahmen zu definieren um aus diesem Zustand, zurück ins Gleichgesicht zu kommen. Dazu arbeite ich mit Fragebogen zu unterschiedlichen Themen und dem persönlichen Gespräch. Es gibt nicht EINEN universellen Weg aus dieser Situation. Der Weg ist für jeden Menschen ein anderer und es geht darum DEN Weg zu finden, der für jeden individuell passt.
Oft geht es im ersten Schritt darum, zu realisieren, dass es jetzt Zeit ist, etwas zu unternehmen. Wir arbeiten mit den Ressourcen und verschiedenen Methoden zum Entspannen. Oft muss sich auch etwas ändern im beruflichen oder im familiären Umfeld. Das ist nicht immer ganz einfach, aber auch nicht unmöglich. Gerade für Menschen mit Familie, die finanziell verantwortlich sind, ist es nicht so leicht, wie ich es damals getan habe, einfach den Job zu kündigen. Da müssen andere Lösungen her. Wichtig ist, möglichst schnell wieder zur Ruhe zu kommen und sich persönliche «Inseln» zu schaffen.
Ich bin ein Burnout-Berater, kein Psychotherapeut. Je nach Situation kann es sein, dass ich eine Psychotherapie empfehle. Ich kann mit meinem Coaching Lösungsansätze aufzeigen und mit auf den Klienten abgestimmten Massnahmen Ruhe verschaffen.
Es ist ein Weg, auf dem ich die Menschen begleite. Gehen muss ihn aber jeder selbst.

Massagen sind physiologisch, aber sie haben auch eine energetische Ebene. Wie bringt man das zusammen?

Das kann nicht verbalisiert werden, das muss man spüren. Eine Massage kann Emotionen auslösen. Körper und Seele in Einklang bringen hat viel mit Erfahrung zu tun. Was für den einen gut ist muss für einen anderen nicht auch gut sein. Manchmal reichen feine Berührungen, es müssen nicht immer kräftige sein. Viele sind der Meinung, eine Massage ist erst hilfreich, wenn sie weh tut. Das finde ich nicht. Verspannungen können seelische Ursachen haben, wie zum Beispiel bei einem Burnout. Da hilft es nicht, wenn ich meinen Ellbogen in die Schulter ramme. In so einem Fall könnte eine Fussreflexzonen-Massage hilfreicher sein.

Wie findest du raus, welches die beste Methode ist für den Patienten, die Patientin?

Das Erstgespräch ist wichtig. Ich will wissen, mit wem ich es zu tun habe, wer da auf meinem Schragen liegt. Jeder Mensch bringt eine Geschichte mit, die ihn zu dem machte, was er ist. Je besser ich den Menschen und die Entstehung der Beschwerden verstehe, desto besser kann ich abschätzen, welche Methode am besten passt. Mit entscheidend ist schlussendlich auch das Ziel und der Wunsch des Kunden. Entweder ist es nur eine Wellnessmassage, wie bei dir soeben, oder es gibt konkrete Beschwerden, die ich angehen kann. Bei gestressten Büro-Opfern mit verspannten Nacken, wende ich oft die, wie ich sie nenne, Federleicht-Methode an, eine Kombi aus Rücken-, Nacken- und Fussmassage. Danach fühlst du dich federleicht.

Jeder Mensch bringt eine Geschichte mit, die ihn zu dem machte, was er ist. Je besser ich den Menschen und die Entstehung der Beschwerden verstehe, desto besser kann ich abschätzen, welche Massage-Methode am besten passt.

Massagen sind etwas Intimes. Der Mensch, der zu dir kommt, zieht sich aus und gibt sich deinen Händen hin. Diese Nähe funktioniert bestimmt nicht immer. Was ist, wenn du die Person lieber nicht behandeln willst?

Wenn ich das Gefühl habe, ich und dieser Kunde passen nicht zusammen, hat der meistens genau das gleiche Gefühl. Er wird nicht wiederkommen. Doch das geschieht zum Glück fast nie. Ich glaube, salopp gesagt, das Universum schickt die Kunden, die zu mir passen. Es ist ein Geschenk, dass die Menschen, die zu mir kommen, mir ihr Vertrauen schenken, sich mir öffnen und von mir berühren lassen. Manchmal erzählen sie mir Sachen, die sie bisher noch niemand anderem erzählt haben. Meine Praxis soll ein Safe Space für alle sein, in dem sich der Mensch zeigen kann, wie er ist. Egal welches Geschlecht, welche sexuelle Orientierung, welche Religion, ob gross oder klein, dick oder dünn, arm oder reich.
Selbstverständlich bin ich der Verschwiegenheit verpflichtet.

Safe Space ist ein gutes Stichwort. Du hast mich gebeten, dich und dein Angebot in der LGBTIAQ-Community in Bern bekannter zu machen. Du hast in deinem Mail an mich geschrieben, dass es offenbar von vielen Gays ein Bedürfnis ist, sich in die Hände von Gleichgesinnten zu begeben.

Es sollte eigentlich keine Rolle spielen, wie die sexuelle Ausrichtung einer Person ist. Aber es ist halt doch so. Viele schwule Männer lassen sich lieber von einem Mann massieren, so wie sich viele Frauen lieber von einer Frau massieren lassen. Bei den Heteromännern bin ich mir bezüglich deren Vorlieben nicht so sicher … 😊
Safe Space bedeutet, dass ein Mensch sich an einem bestimmten Ort sicher fühlt, und das soll er sich bei mir. Ich hatte schon ungeoutete queere Kunden, denen ein Stein vom Herzen fiel, wenn sie sich einmal nicht zu verstecken brauchten. Und viele queere Menschen fühlen sich einfach wohler, wenn sie von einer gleichgesinnten Person behandelt werden.

Was ist dir sonst noch ein Anliegen zu sagen?

Die Tatsache, dass in der heutigen digitalen und anonymen Zeit, wo sich viele Menschen einsam fühlen und selten Berührung erleben macht mich nachdenklich. Eine Massage kann gerade da auch sehr wertvoll sein. Damit wird einem Grundbedürfnis der Menschheit, der Berührung und menschlichen Wärme, Rechnung getragen. Die Massage wirkt auf ganz vielen verschiedenen Ebenen und kann sowohl im Stillen als auch bei einem offenen Gespräch durchgeführt werden. Je nachdem wie es gerade stimmig ist.

Du arbeitest mit Körpern und setzt dafür deinen Körper ein. Und wie du auf deiner Homepage schreibst, ist auch deine Freizeit oft körperlich. Du treibst viel Sport, meistens draussen.

Da ich den ganzen Tag drinnen arbeite, muss ich abends raus in die Natur und mich bewegen. Da kann ich meine Batterien aufladen. Sogar wenn ich im kalten Winter hier in meiner Praxis arbeite, gehe ich am Mittag raus, um zu essen. Ja, man darf mich als Frischluft-Junkie bezeichnen.

Aber auch als Wasser-Junkie!

Ja, ich bin leidenschaftlicher Taucher. Nächsten gehe ich wieder nach Indonesien, um zu tauchen. Die Unterwasserwelt ist faszinierend.

Danke für das Interview und ich wünsche dir schöne Ferien!

 

PS. Christoph Bürgin ist zurück aus den Ferien. Du kannst bei ihm also einen Termin buchen. Dein Körper wird es dir danken.


Christoph Bürgin
Marktgasse 5
3011 Bern
massage@aequilibritas.ch
+41(0)79 561 69 49
aequilibritas.ch

 

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