Bei den Herren vom anderen Ufer im Marzili

Der «Bueber» ist Geschichte

Sommerzeit! Es ist heiss und viele Menschen haben das Bedürfnis, sich in einer Badeanstalt an der Sonne zu räkeln, anschliessend ins kühlende Nass zu springen und sich so abzukühlen. Lange Zeit war für das schwule Bern der «Bueber» – der Bereich im Freibad Marzili, der für Männer reserviert war – genau diese Oase. In der schwulen Umgangssprache wurde dieser Ort «Zwätschgegrill» genannt. Jetzt ist er saniert und endgültig verschwunden!

Vor 35 Jahren spielte der «Zwätschgegrill» in einem von hab queer bern gedrehten Film eine grosse Rolle. Damals nannte sich der Verein noch «HAB Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern» und «Zwätschge» war unter schwulen Männern die übliche Bezeichnung für Tunte. Und weil eben das Männerbad im Marzili in diesem Film eine grosse Rolle spielte, bekam er den Titel «Zwätschgegrill» und als Untertitel «Der gehörige Abstand zwischen den Badetüchern». Der Film erzählte Geschichten von Badeanstalten, von Klappen und anderen Möglichkeiten des Verlustierens des homosexuellen Mannes in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Film sei – so steht es im Vorspann – dilettantisch, sexistisch, schwanzfixiert, polymorph‐pervers, narzisstisch und jugendgefährdend.

Aufbruchstimmung auf dem «Zwätschgegrill»

Erasmus Walser, Chronist der ersten zwanzig Jahre Vereinsgeschichte, schrieb in einer Jubiläumsschrift, dass die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern damals nicht bloss nach aussen agiert haben, sondern auch «bewusst die Früchte der Selbsterfahrung und Gesprächskultur der 70er-Jahre» pflegen wollten, indem «ausdrücklich viele Themen des Erprobens spezifisch schwuler ‹Lebensweisen› aufbereitet und zusammengestellt zur Sprache kamen». Der Verein wurde zum Podium und zum Spiegel der Selbsterfahrung und Selbstdarstellung in allen Facetten der schwulen Existenz: das Verhältnis zu den Frauen, die Einsamkeit, Probleme der schwulen Identität, die verschiedenen Aspekte der schwulen Körperlichkeit, das Altern und alten Schwulen, der Strich, Wohnen, Militär, Gewalt gegen Schwule, «Ver‐kehrsformen», Sprachregelungen u.v.a. wurden damals thematisiert.

1985 – während die Aids‐Krise den traurigen Höhepunkt erreichte – erschien das Flugblatt «MACHsch au mit?». Ziel des Flugblattes war eigentlich, dass «nicht nur medizinische, sondern auch gesellschaftliche und politische Aspekte berücksichtigt werden müssten». Wie auf schwulengeschichte.ch nachzulesen ist, wurde diese Bedingung aber missachtet – der Kampf um gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung sollte nicht auf dem Buckel von Aids‐Kranken ausgetragen werden. Aids als medizinisches Problem, sollte sofort angegangen werden, die grossen Ziele der Emanzipation und Befreiung wurden abgekoppelt.

Die ausschliessliche Konzentration auf das Sexualverhalten im Inhalt des Flugblattes kritisierten die HAB heftig. Das Aufstellen von Verhaltensvorschlägen suggeriere, «dass unverantwortlich handle, wer sich nicht daranhalte». Unter dem Titel «Zwätschgegrill good bye?» schrieb der Verein in der Zeitschrift «Anderschume»: «Typisch männlich sprachen wir nur über Aids, versuchten das Problem mit dem Kopf unter Kontrolle zu bringen. Wir sprachen nicht darüber, was Aids in uns bewirkt, verändert, verändern könnte». Und Aids veränderte viel!

Heteronormalisierung

Im Sommer 2008 war das Männerabteil im Marzili in «20 Minuten» Thema. Die Gratiszeitung zitierte den 82‐jährigen Anton Imboden, der seit 50 Jahren im Marzili badete, aber nicht mehr lange: «Seit zehn Jahren kommen immer mehr vom anderen Ufer». Früher sei man hier noch ganz ungestört gewesen, mit seinen mittlerweile verstorbenen Kollegen habe er stundenlang gejasst – und einfach seine Ruhe gehabt.

Bob Steffen – Veronika Minder («Katzenball») und die Kuratorin Efa Mühlethaler widmeten ihm 2015 im Berner Kornhaus die Ausstellung «Bob, le Flaneurer» – starb 2012 im Alter von 84. Seine Asche wurde von einem nahen Lebensbegleiter in die Aare gestreut – in der Nähe des Männerbades im Marzili, wo Bob gerne den Blick schweifen liess – auf den Lauf des Flusses, aber auch «auf die eine oder andere wohlgeformte Männerwade», wie auf schwulengeschichte.ch nachzulesen ist.

Machen wir den Sprung in den diesjährigen heissen Sommer: Am 21. Juni wurde nach der Sanierung der «Bueber» wiedereröffnet. Die Öffentlichkeit wurde eingeladen, zusammen mit Stadtpräsident Alec von Graffenried und Sportdirektorin Franziska Teuscher durch den Aarekanal in den neuen «Bueber» zu schwimmen. Anschliessend durften «Gross und Klein» eine Gratisglace schlecken.

Saniert und beseitigt

In einem Mail beklagt sich Claudio Knoepfli: «Mit dem Um‐ und Neubau wurde auch die traditionelle Liegewiese der Männer beseitigt, es gibt keinen Zaun und auch kein Schild mit der Aufschrift ‹Ruheplatz Männer› mehr. Der «Bueber» sei ideal zum Entspannen gewesen, er habe es sehr geschätzt unter Männern zu sein: «Man musste nicht gay sein, um völlig akzeptiert zu werden». hab queer bern sei doch «eine grosse Gruppe und eine Lobby», vielleicht lasse ich der «Bueber» wieder rekonstruieren.

Auf eine Rekonstruktion wird sich die Stadt Bern wohl nicht einlassen. Aber als Erinnerung an den «Zwätschgegrill» könnte ja die Stadt bis spätestens 2022 – rechtzeitig zum 50. Jubiläum der Vereinsgründung von hab queer bern – eine Gedenktafel anbringen. Wer hilft mit, im Berner Stadtrat Verbündete dazu zu suchen?

Daniel Frey

 


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Kommentare
  1. claudio knoepfli sagt

    ich glaube es ist unrechtens einen service public in diesem fall den BUEBER einfach weg zu schleifen. ich denke eine stadt ist verpflichtet auch minderheiten ihren raum zu bieten. vorallem dann, wenn sie ihn schon hatten. der lapidare ausspruch des vize stadtpräsidenten. “sie können auf das lorraine bad ausweichen”, ist nicht besonders schmeichelhaft. verrät aber wie mit dem vernichteten bueber umgegangen wird, und man seitens der stadtväter froh ist, dass er nicht mehr ist. eine gedenkatfel bringt niemandem etwas. nur der wiedehergestellte bueber brächte uns, auch den unschwulen genugtuung. denn auch wir heteros haben das recht uns unter uns in der sonne zu räkeln und uns von der gemischtbadeanstalt mit ihren libidinösen spannungen zu erholen.

  2. Lieberherr Andre sagt

    Es ist schon eigenartig wie die Zeiten von unseren Grosseltern und Vätern vorbeizieht so nun auch der
    Bueber wo finden unsere Söhne sich ein oder lehrnen die strengen ritten von der Neuzeit

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