Weltweit gilt in der queeren Community der Juni als «Pride Month» – um unsere Vielfalt zu feieren oder gegen die nach wie vor vorherrschende Diskriminierung zu protestieren. Damit die Geschichte des «Pride Month» nicht vergessen wird, werfen wir einen Blick auf New York im Juni 1969 und die Auswirkungen von damals auf unsere Community in Bern.
Der Aufstand von queeren Menschen gegen die repressive und diskriminierende Behandlung durch die Polizei dauerte in diesem Juni 1969 in New York sechs Tage. Steine und Flaschen wurden geworfen und die Menschen riefen «Gay Power» oder «Gay is Good». Wie oder wer den Aufstand entflammte, ist nicht genau überliefert. Sicher ist, dass die Gäste der Bar «Stonewall Inn» an der Christopher Street vorwiegend Menschen waren, die in etablierten Lokalen keinen Zugang hatten: obdachlose Jugendliche, lateinamerikanische und schwarze Dragqueens, schwule Sexarbeiter und Butches – also in den Augen der Mehrheitsgesellschaft allesamt besonders verachtenswerte Menschen.
Erstmals in der Schweiz thematisiert wurden die Geschehnisse von Stonewall 1971. In der Zeitschrift «club68» der damaligen SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) war zu lesen:
«Anstatt sich unter den Gummiknüppeln zu krümmen, strömten zornige Männer und Frauen aus allen Richtungen daher und prügelten sich mit den aus der Fassung geratenen Gesetzeshütern. Das war man sich von den schwulen Weichlingen nicht gewohnt». Bereits war vergessen, dass nicht cis Schwule voranschritten. Viele, die Widerstand leisteten, waren People of Color, wie die beiden trans Menschen Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson.
Trans Personen wurden ausgeschlossen
Einen Monat nach dem Stonewall-Aufstand gründete sich im Juli 1969 in New York die Gay Liberation Front (GLF), die sich rasch auf weitere Städte der USA ausbreitete. Vier Jahre später nannte sich die Organisation Gay Activists Alliance (GAA) und trans Personen wurden ausgeschlossen. Die «eindeutig geschlechtlich identifizierten» Schwulen und Lesben erhofften sich so bessere Chancen für ein Antidiskriminierungsgesetz.

Wie stark war der Einfluss von Stonewall im Dezember 1972 bei der Gründung der HAB, den Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern (heute hab queer bern)? Dazu schrieb Erasmus Walser, der Chronist der ersten 20 Jahre HAB-Geschichte: «Stonewall erfasste in New York eine spezifisch amerikanische Szene und Bildungslandschaft. Für die werdende schweizerische Schwulenbewegung waren neben Studenten v.a. berufstätige Jugendliche und Lehrlinge Gefolgsleute.» In Europa sei Stonewall erst später ein einigendes Symbol geworden.
Den Anstoss zur Gründung der HAB gab Rosa von Praunheims Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt». Anschliessend an die Vorführung wurde heftig diskutiert und eine Schwulenorganisation gefordert. Die ersten Statuten des Vereins umfassten sechs Artikel und der Zweck wurde mit «Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen» umschrieben. Und anfänglich waren die lesbischen Frauen noch in die HAB integriert. Doch spätestens nach der Ausstrahlung der «Telearena» im Frühjahr 1978 ging die Integration der Lesben innerhalb des Vereins endgültig schief.
56 Jahre nach Stonewall
Seit der Öffnung der Zivilehe 2022 haben strafrechtliche Sanktionen gegen Homosexuelle keine Bedeutung mehr. Und ebenfalls seit 2022 können trans Menschen die Geschlechtsbezeichnung im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung ändern, ohne dass dafür medizinische Eingriffe oder Begutachtungen erforderlich sind.
Trotzdem bewegen sich in der Schweiz Hassverbrechen und Gewalt gegen queere Personen weiterhin auf alarmierendem Niveau. 2024 wurden 309 Vorfälle an die LGBTIQ-Helpline gemeldet – fast sechs Hassverbrechen pro Woche.
Seit 2020 haben sich die Meldungen zu Hassverbrechen und Diskriminierung gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans, nicht-binäre, intergeschlechtliche und andere queere Personen verfünfacht. Die gemeldeten Vorfälle umfassen körperliche Übergriffe, verbale Gewalt, sexuelle Belästigungen sowie Diskriminierungen im Arbeitsumfeld, im Kontakt mit öffentlichen Institutionen und im Gesundheitswesen. Die Hälfte der gemeldeten Hassverbrechen betraf trans* Personen. Frédéric Mader, Co-Präsident*in von TGNS, zeigt sich besorgt: «Seit Monaten wird in Politik und Medien gegen trans Personen gehetzt. Nun zeigt sich, dass dieser Diskurs reale Auswirkungen auf die Sicherheit von queeren Personen hat. Diese Angriffe müssen ernst genommen werden, denn sie führen bei den Betroffenen zu schweren psychischen Folgen wie Angststörungen und Depressionen.»
Daniel Frey