DJ Coreys MusikTipps Februar 2023

Sam Smith, Joesef, Låpsley, Pierre de Maere, Nicolas Maury, Adam Naas, Hyphen Hyphen, Måneskin, Silance, Ava Max

Sam Smith: Ein nonbinärer Superstar als Vorbild für mehr Selbstliebe und die queere Community. Joesef: Die queere Indie-Neo-Soul-Hoffnung aus Glasgow. Soundtüftlerin Låpsley gibt Tipps fürs Erwachsenwerden. Pierre de Maere: Die neue belgische Queer-Pop-Sensation. Nicolas Maury: Freud und Leid eines Chansonniers in seinen 40ern. Adam Naas und sein neues Alter-Ego Goldie. Die Queer-Bands der Stunde: Hyphen Hyphen und Måneskin. Queere Newcomerin aus Lausanne: Silance. Ava Max: Neue Dance-Pop-Hits aus dem Baukasten.


SAM SMITH

Gloria (Capitol UK/EMI/Universal)

Mit dem Monsterhit «Unholy» mit Transkünstlerin Kim Petras ist Sam Smith aus den Fesseln des traditionellen Soul-Balladen-Stils ausgebrochen. Auch auf «Gloria», dem vierten Album des britischen nonbinären Goldkehlchen, sind viele Lieder tanzbarer und sexier geworden. Sie erfassen die logische Folgerung in Sam Smiths persönlicher Entwicklung, d. h. weg von den Selbstzweifeln hin zu mehr Selbstliebe und Hedonismus. Die R&B-Nummer «Lose You» und der Disco-Song «I’m not here to make friends» spiegeln nicht nur diese neue Einstellung, sondern auch ein gesteigertes Bewusstsein für die queere Pop-Kultur wider. Sam Smith kann seine katholischen Wurzeln aber nicht so schnell vergessen. Nach den vielen Sexsünden muss der Star gegen Schluss mit einem Kirchenchor in dramatischen Höhen aufschwingen und erhofft sich, durch versöhnliche balladeske Töne endlich Vergebung zu erlangen.


JOESEF

Permanent Damage (Bold Cut)

Der queere Newcomer aus Glasgow verarbeitet auf seinem lang erwarteten Debütalbum die Trennung von seinem Freund und seinen persönlichen Wandel. In seinem bittersüssen Neo-Soul beamt Joesef die musikalischen Helden seiner Mutter (The Mamas and Papas, Al Green, Marvin Gaye oder Donny Hathaway) in die Jetztzeit. Für den Albumtitel hat sich der 28-jährige schottische Songwriter von den Warnhinweisen auf den Zigarettenpackungen inspirieren lassen. Die Lage ist also ernst, wie Joesefs ehrliche und schmerzlich-schöne Lyrics direkt zum Ausdruck bringen. Aber selbst in den dunkelsten Stunden vermag Joesefs androgyne Stimme, die er oft zum süssen Falsett hochschraubt, zu erstrahlen und den Herzschmerz zumindest teilweise zu relativieren.


Låpsley

Cautionary Tales of Youth (Believe)

Die Britin Holly Fletcher alias Låpsley und ihr minimalistischer Electro-Pop-R&B sind wieder da. Ihr Debüt «Long Way Home» von 2016 hat mit «Operator» einen der grössten Club-Hits der letzten Dekade hervorgebracht und auch diverse Künstler*innen wie Billie Eilish beeinflusst. Mit «Cautionary Tales of Youth» erreichen Låpsleys elektronische Klänge neue Dimensionen in Sachen Kreativität und Vielfalt. Zum einen hat die bisexuelle Musikerin im Lauf der Album-Produktion ihre Tech-Nerd-Seele entdeckt. Zum anderen hat ihr Aufenthalt in Südafrika für neue musikalische Inspiration gesorgt. So lässt Låpsley britische Clubkultur und südafrikanische Rhythmen in ihren Sound einfliessen. Die Texte über Trennungen, Depressionen und Isolationen sind Momentaufnahmen der Schrecken des Erwachsenwerdens.


PIERRE DE MAERE

Regarde-moi (Cinq 7 / Wagram Music)

Der 21-jährige Belgier Pierre de Maere ist sowohl ein musikalischer Autodidakt, der seine ersten Songs mit Garage Band komponiert hat, als auch ein flamboyanter Pop-Dandy, der Lady Gaga, Stromae und Lil Nas X vergöttert. Seine Single «Un jour je marierai un ange» hat ihm eine Doppelnominierung bei den diesjährigen französischen Grammys beschert. Mit dem eklektischen Debütalbum «Regarde-moi» setzt Pierre de Maere seine Erfolgswelle fort. Der queere Newcomer zieht alle dramatischen und romantischen Register, um seine kindliche Unschuld zu bewahren. Pierre De Maere bezeichnet sich selber als Exhibitionist der Gefühle und seine Musik als «Drama Queer Pop». Treffender hätte er es nicht formulieren können.


NICOLAS MAURY

La porcelaine de Limoges (Parlophone, Warner Music France)

In Frankreich ist Nicolas Maury ein berühmter Fernseh- und Filmschauspieler. Für den Soundtrack zu seinem Filmregiedebüt «Garçon Chiffon» stiess er auf den Filmkomponisten und Musiker Olivier Marguerit alias O, der ihn zu einer Gesangskarriere und einem gemeinsamen Album ermutigte. Auf dem eleganten Erstling «La porcelaine de Limoges» verwandelt sich Nicolas Maury in einen begnadeten Chansonnier mit mädchenhafter Stimme à la Françoise Hardy und Vanessa Paradis. Die gleiche Stimme, wofür er früher in seinem Leben gemobbt wurde, mutiert jetzt zu seinem grössten Trumpf. In 14 prächtig arrangierten Songs im Stil der Filmmusik der 60er Jahre legt Nicolas Maury das Porträt eines scheuen, schwulen 42-jährigen Jungen vor, der stets auf der Suche nach Ekstase ist und auf seine eigene Geschichte mit Freude, Zweifeln und Besorgnis zurückblickt.


ADAM NAAS

Goldie and the kiss of Andromeda (Universal/Virgin)

Die Erschaffung eines Alter Ego ist nichts Neues in der Popmusik-Welt. Wie David Bowie mit Ziggy Stardust und Christine & The Queens mit Redcar hat sich Adam Naas für sein zweites Album ebenfalls einen zweiten Namen zugelegt: Goldie. Der queere Musiker aus Paris trägt seine Haare nun blond und lässt sich von seiner Band Andromeda küssen. Mit einer Stimme zwischen Honig und Reibeisen, die an Prince, Robert Plant, ANOHNI und Asaf Avidan erinnert, schlängelt sich Adam Naas durch zauberhafte Melodien aus Soul, Folk, Glamrock und New Wave durch. In watteweichen und verträumten Musiklandschaften frönt er seiner Sehnsucht nach Freiheit und Liebe.


HYPHEN HYPHEN

C’est la vie (Parlophone, Warner Music France)

«We are queer, we are here, and we want to party». Mit dieser Devise ist die queere Popband Hyphen Hyphen seit ihrer Gründung vor zehn Jahren zu einem Top Act avanciert, insbesondere in ihrem Heimatland Frankreich. Nach einem magischen Konzert im Central Park letztes Jahr in New York wollen Adam, Line und Santa ihre Karriere international vorantreiben. Durch die Begegnung mit dem amerikanischen Starproduzent Glen Ballard dürfte ihr Vorhaben zumindest gute Chancen haben. Auf «C’est la vie» fangen Hyphen Hyphen die Energie ihrer Live-Shows ein und huldigen dem Sound ihrer Jugend, zwischen Britpop, No Doubt, Analis Morissette, Lady Gaga und Katy Perry.


Måneskin,

Rush (Epic)

Seit ihrem Sieg mit dem Lied „Zitti e buoni“ beim „Eurovision Song Contest“ 2021 scheint der kometenhafte Aufstieg der italienischen Glam-Rock-Band Måneskin nicht mehr aufzuhalten. Auf ihrem ersten internationalen Album «Rush» wurde ihr italienischer Produzent Fabrizio Ferraguzzo von der schwedischen Hit-Maschine Max Martin flankiert. Entstanden ist ein kunterbuntes Pop-Rock-Feuerwerk inklusive Konfetti-Regen. Måneskin interpretieren das Klischee von Sex, Drugs und Rock’n’Roll neu. Sie verwischen musikalische und geschlechtliche Grenzen, indem sie Pop, Humor, Mode und Queerness in den sonst sehr konservativen Rock-Zirkus einlassen.


SILANCE

Nouveau Genre (Two Gentlemen)

Für die Musikerin und Produzentin aus Lausanne markiert das neue Album «Nouveau Genre» den Beginn einer neuen selbstbewussten Identität und einer neuen musikalischen Orientierung. Als lesbische und androgyne Frau setzt sich Silance für die Anliegen der LGBTQIA+-Community ein und tritt gegen jede Form von Homophobie auf. Mit der gleichnamigen Single «Nouveau Genre» ist ihr eine grandiose LGBTQIA+-Hymne geglückt. Auch musikalisch erweitert Silance ihren Horizont. Dank dem Berner Produzenten und Mixer Ben Mühlethaler wird ihr Sound eine Spur dynamischer und kann heute Rap, Electro und Chanson unter einen Hut bringen. Damit nähert sich Silance immer mehr starken queeren Sängerinnen wie Angèle, Aloïse Sauvage und Hoshi.


AVA MAX

Diamonds & Dancefloors (Atlantic Records)

Mit ihrer Single «Sweet But Psycho» von 2018 und ihrem Debütalbum «Heaven & Hell» von 2020 ist Amanda Koci alias Ava Max in die moderne Pop-Welt eingezogen. Auch ihr zweites Album «Diamonds & Dancefloors» wird die Erfolgswelle der US-Amerikanerin mit albanischen Wurzeln nicht stoppen und wieder Streams und Views in Millionenhöhe generieren. Auf «Diamonds & Dancefloors» ist jeder Song auf Hit getrimmt. Eingängigkeit wird partout forciert. Die 14 synthiegetriebenen Pop-Hymnen wirken wie typische generische Euro-Dance-Nummern, die mit einer coolen Show und einem bisschen Glück es vielleicht ins Finale des Eurovision Song Contest schaffen könnten. Aber ohne visuelle Begleitung klingt die Platte zu sehr nach dem Baukastenprinzip und nach Kalkül. Schade.


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Playlist


Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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