«Ich erfinde am besten, was ich gut kenne»

«Dürrst» von Simon Froehling

Am Mittwoch, 19. Oktober liest Simon Froehling bei «queer eat and meet» von hab queer bern in der Villa Bernau aus seinem neuen Roman «Dürrst». Daniel Frey hat sich mit ihm unterhalten.

Hallo Simon, wie geht es dir?
Mir gehts prima, danke. Aber ich nehme an, du fragst ein wenig kokett, weil mein neuer Roman «Dürrst» von einer Figur handelt, der es nicht immer sonderlich gut geht, sprich, die psychisch krank ist.

Ja, denn oft ist ja die Frage «Wie geht es dir?» bloss eine Floskel und die Antwort «Es geht mir nicht gut!» wird gar nicht erwartet. Sprechen wir aber doch zuerst von der Liebe …
Wie bereits in deinem vor zwölf Jahren erschienenen ersten Roman «Lange Nächte Tag» geht es auch im neuen Buch um eine aussergewöhnliche Liebesgeschichte. Wie sieht es bei dir persönlich in Sachen Liebe aus? Was ist Liebe für dich?
Hm, da gehen mir ebenfalls ganz viele Floskeln durch den Kopf, die ich aber alle nicht bemühen möchte. Als das Buch fertig war und ich den Dank geschrieben habe, ging mir die Begriffsschöpfung «logische Familie» von Armistead Maupin, dem Autor der «Tales of the City»-Serie, durch den Kopf – «logische Familie» in Abwandlung von «biologische Familie». Die Familie also, die man sich sucht und die für einen stimmt. Da habe ich gemerkt, von wie viel Liebe ich umgeben bin. Liebe ganz unterschiedlicher Arten. Aber ich bin gegenwärtig single, wenn deine Frage darauf abzielt.

Im neuen Roman «Dürrst» geht es aber eben auch um psychische Erkrankungen – genauer um eine bipolare Störung. In unserer Gesellschaft haften psychischen Erkrankungen oft ein Stigma an. Über psychisch Erkrankte wird abfällig gesprochen, sie passen nicht richtig in unsere Leistungsgesellschaft. Wie gehst du mit psychischen Erkrankungen um?
Das ist in der Tat so. Leider. Als ich meine bipolare Störung zum ersten Mal öffentlich machte, in einem Essay in der «Republik», war das wie ein zweites Coming-out – mit ähnlichen Reaktionen. Wer mir nicht mit Jesus als Erlöser kam, gratulierte mir zu meinem Mut. Das hat mir zu denken gegeben, denn es zeigt genau diese Stigmatisierung auf, die du ansprichst. Hätte ich einen Erfahrungsbericht über einen komplizierten Schulterbruch oder was auch immer geschrieben, hätte mir niemand Mut attestiert. Ich bin gerade sehr fasziniert von der englischen Autorin und Kritikerin Olivia Laing, die in ihrem neuen Buch «Everybody» aufzeigt, wie die grossen Befreiungsbewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts – deren Errungenschaften in der heutigen Zeit gerade wieder zunichte gemacht werden – alle den Wunsch hegten, den Körper von Scham und Stigmatisierung zu befreien und in eine Quelle der Solidarität und Stärke zu verwandeln. Scham und Stigma interessierten mich schon bei «Lange Nächte Tag», wo es um eine gewollte Ansteckung mit HIV ging, und die beiden Begriffe unterfüttern auch die Geschichte von Andreas Durrer, dem Protagonisten in «Dürrst».

«Dürrst» sei ein Roman über ein exzessives Leben in den «scheinbaren Freiräumen der Besetzer , Kunst- und Schwulenszene». Wie viel Simon Froehling ist in «Dürrst» drin?
Ich erfinde am besten, was ich gut kenne. Oder wie es die grossartige, rumänisch-schweizerische Schriftstellerin Aglaja Veteranyi einmal ausdrückte: «Auch die Fantasie ist autobiografisch.» Und trotzdem bezeichne ich «Dürrst» nicht als einen autobiografischen Roman. Ich habe schreibenderweise eine sehr grosse Distanz herstellen müssen zu meiner eigenen Geschichte, um mich überhaupt dem Thema Bipolarität widmen zu können. Wobei ich das Buch nicht darauf reduzieren möchte, auch wenn es ein brisantes Thema ist – insbesondere in unserer Community, leiden doch queeere Menschen gemäss diversen Studien überdurchschnittlich an psychischen Erkrankungen und sind stärker suizidgefährdet als Cis-Heteros. Auf der Meta-Ebene geht es mir persönlich mit «Dürrst» um die kreative Kraft des Scheiterns, um die Macht des Erzählens und das Phänomen der Erinnerung. Es ist eine sehr persönliche Aneignung einer Lebens- und Schaffensgeschichte – aber eben nicht meiner, sondern jener des Konzeptkünstlers Andreas Durrer aka «Dürrst», von dem hoffentlich ein wenig in uns allen steckt.


Mittwoch, 19. Oktober 2022, 18.45 Uhr
Villa Bernau, Seftigenstrasse 243, Wabern

queer eat and meet mit Simon Froehling

Simon Froehling liest im Rahmen unseres 3gang-Abends – vor dem Essen und quasi als Amuse Bouche – ausgewählte Leckerbissen aus seinem neuen Roman «Dürrst», in denen es unter anderem ums gemeinsame Essen geht.
– Apéro-Bar ab 18:30 Uhr
– Lesung ab 18:45 Uhr
– Abendessen ab 19:30 Uhr
Anmeldung unter queereatandmeet.ch

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