DJ Coreys MusikTipps für den September 2021

Will Young, Ben Platt, John Duff, Todrick Hall, Lady Gaga, Laura Scaglia, Jake Shears, Jessie J., Téo Lavabo und Drangsal

Die sanften Pop-Töne der schwulen Goldkehlchen Will Young und Ben Platt. John Duff oder der schwule Homo Sapiens des Pop. Todrick Hall übertrifft die Erwartungen mit dem starbesetzten «Femuline». Lady Gaga lässt «Chromatica» von ihren LGBTQI-Freunden remixen. Die fast untergangenen Pride-Hymnen von Laura Scaglia, Jake Shears und Jessie J. Der skurrile Franzose Téo Lavabo liebt Würste. Max Gruber alias Drangsal entwirft sein persönliches und musikalisches Emanzipationsprogramm.  


WILL YOUNG

Crying On The Bedroom Floor (Cooking Vinyl)

2002 ging Will Young als Gewinner der ersten Staffel der Castingshow Pop Idol im britischen Fernsehen hervor und outete sich gleich als schwul. 19 Jahre später ist aus dem britischen Star zwar kein neuer George Michael geworden. Für eine ganz grosse internationale Karriere reichte es ihm wohl leider nicht. Immerhin in seinem Heimatsland landeten alle seinen Alben regelmässig in den obersten Charts-Plätzen. Auch das achte Opus konnte diese Tradition ruhmvoll fortsetzen. Auf «Crying On The Bedroom Floor» covert Will Young ausschliesslich Songs von Sängerinnen bzw. Bands mit starken Frontdamen (u.a. Bat For Lashes, MUNA, London Grammar, Everything But The Girl, Solange). Ihm ist nicht nur ein einwandfreier Geschmack bei der Song-Wahl und der Neuinterpretation zu attestieren, sondern auch zugute zu halten, dass er auf weniger bekannte Songs und Künstlerinnen gesetzt hat.


BEN PLATT

Reverie (Warner)

Der offen schwule Ben Platt ist ein begnadeter Schauspieler (u.a. in der Netflix-Serie «The Politician»), Musical-Darsteller («Dear Evan Jansen») und ein äusserst wandlungsfähiger Sänger. Der US-Amerikaner ist bereits Grammy-, Tony- und Emmy-Preisträger. Und das nur mit 27. Sein zweites Album «Reverie», zu Deutsch Tagträume, ist während der Corona-Pandemie entstanden und symbolisiert die Lust auf Eskapismus. Im Vergleich zum gefeierten Debüt «Sing To Me Instead» ist Ben Platt nicht nur auf dramatische Power-Balladen fokussiert, sondern auch offen für Ausbrüche in andere Richtungen (Synthie-Pop, Dance-Pop) und integriert diese mit Bravour in das eigene Soundgewand.


JOHN DUFF

Homo-Sapien (John Duff)

Vor einigen Jahren versuchte John Duff bei der amerikanischen Ausgabe von X-Factor sein Glück und scheiterte grandios, weil ihn die Jury zu flamboyant und schwul fand. Irgendwie unverständlich. Denn genau diese vermeintliche Schwäche ist seine grösste Stärke. Gemäss den wichtigsten schwulen Magazinen hat der 31-jährige Sänger, Video-Regisseur und Influencer aus Baltimore zurzeit das Potential, die nächste schwule Pop-Hoffnung zu werden. Sie haben alle recht. Duff sieht wie der sympathische Porno-Darsteller von nebenan aus, tanzt auch in Damen-Unterwäsche und High Heels immer noch wie ein junger griechischer Gott und hat die Pop-DNA von Madonna, Janet Jackson, Mariah Carey bis Britney in sich aufgesogen. Seine EP «Homo-Sapien» enthält sechs Gay-Dance-Pop-Nummern erster Kategorie, unter anderem eine Coverversion von «Touch My Body» von Mariah Carey, die sogar das Original übertrifft.


TODRICK HALL

Femuline (Todrick Hall)

Der extravagante Todrick Hall ist eine feste Grösse in der amerikanischen queeren Pop-Kultur. Dass auf “Femuline” mit der grossen Kelle angerichtet wird, verrät einem schon die unglaubliche Gästeliste mit den legendären Chaka Khan, Brandy, Nicole Scherzinger, Tyra Banks und TS Madison. Todrick Hall fasst auf «Femuline» neues Selbstvertrauen und strahlt aus jeder Pore sein schwules magnetisches Charisma aus. Todrick Hall mixt wie kein anderer R&B, Soul, Rap, Funk und Disco zu einer unwiderstehlichen Mischung, die seiner motivierenden Empowerment-Botschaft noch grösseren Nachdruck verleiht. «Femuline» ist wohl das stärkste Album seiner noch jungen Karriere.


LADY GAGA

Dawn Of Chromatica (Interscope)

Spätestens seit ihrem epochalen Album “Born This Way”, das im letzten Pride-Monat in einer speziellen 10-Jahres-Jubiläumsausgabe erschienen ist, hat Lady Gaga die LGBTQI-Community wirklich in ihr Herz geschlossen. Es ist also naheliegend, wenn sich alle wichtigsten DJs*DJanes, Musiker*innen und Produzenten*innen aus der LGBTQI-Szene auf dem Remix-Album «Dawn Of Chromatica» zum Rendezvous mit Mother Monster treffen. Mit von der Partie sind u.a. LSDXOXO, Arca, Rina Sawayama, Pabbllo Vittar, Ashnikko, Shygirl, Dorian Electra und Planningtorock. Die Neubearbeitungen richten sich eher an ein experimentierfreudiges Tanzpublikum mit einem Flair für ineinander verschachtelte Beats, Tempovariationen, kräftige Bässe und verzerrte Stimmen. Eine tolle Überraschung liefert die brasilianische Drag-Queen Pabbllo Vittar. Sie hat aus «Fun Tonight» ein sehr persönlicher Latino-Song mit beschwingten Rhythmen und einem tollen Saxofon-Solo gemacht.


LAURA SCAGLIA

Wanna Dance (Laura Scaglia)

Laura Scaglia ist eine vielversprechende Sängerin mit einer Stimme, die zum Teil an Hannah Reid von London Grammar erinnert und echt unter die Haut geht. Die Lausannerin mit italienischen Wurzeln schreibt und produziert ihre Songs zumeist im Alleingang. Ihre engagierten Texte verfasst sie in drei Sprachen. Ihr neuester Titel, die LGBT-Pride-Hymne «I Wanna Dance», feiert die Liebe jenseits aller Gendergrenzen und Etikettierungen und ist der vierte Abschnitt eines künftigen Visual-Albums, das noch dieses Jahr veröffentlicht werden soll. Wer sich also für anspruchsvollen Dance-Sound interessiert, sollte diese Künstlerin unbedingt im Auge behalten. 


JACK SHEARS

Do The Television (Freida Jean Records)

Jack Shears ist der Ex-Sänger der Band Scissor Sisters, die ungefähr 1999 aus der schwulen Subkultur von New York hervorging und zu den Lieblingsacts der Electroclash-Bewegung am Anfang der 00er-Jahre avancieren konnte. Seit der Auflösung der Band, die am massiven Mainstream-Erfolg des Mega-Hits «I Don’t Feel Like Dancing» zerbrach, macht Jack Shears solo weiter. Auf dem ersten nach ihm betitelten Solo-Album von 2018 lebte Jack Shear seine Glam-Rock-, New-Orleans-Blues- und Country-Ader aus. Aber spätestens seit der Single «Meltdown» von 2020 knüpft der exaltierte Sänger an die Anfangszeit seiner Ex-Band an. Gleiches tut er mit der mitreissenden Nummer «Do The Television». Hoffentlich bringt er bald ein ganzes Dance-Album heraus.


JESSIE J & BILLY PORTER

I Want Love (twocolors Remix) (Republic Records)

Vor ungefähr 10 Jahren war die stimmgewaltige Britin Jessie J DER aufsteigende Stern am Pop-Himmel und wurde als britische Version von Lady Gaga und Katy Perry vermarktet. Mit ihrem Debütalbum “Who You Are“, auf dem unter anderem auch ihr Riesenhit “Price Tag“ zu finden ist, eroberte sie die internationalen Charts und heimste einen wichtigen Musikpreis nach dem anderen ein. Nach einigen Misserfolgen kehrt Jessie J mit einem für diesen Herbst angekündigten Album zurück. Mit dem Hit-Produzenten und Erfolgsgarant Ryan Tedder ist sie in guten Händen. Die Vorab-Single «I Want Love» klingt schon mal nicht schlecht. Für den twocolors-Remix holte Jessie J. Verstärkung vom schwulen Sänger und Schauspieler Billy Porter («Pose»). Dank ihm wird diese Self-Love-Hymne mit groovigem Disco-Beat und megastarken Vocals zu einer noch grösseren Nummer.    


TÉO LAVABO

Chipolatata (Universal Music France)

Téo Lavabo ist der Künstlername von Téo Jaffé, einem 29-jährigen schwulen Photographen aus Annecy in der Haute-Savoie. In seinem Heimatland hat Téo Lavabo durch seine Teilnahme am französischen Pendant zu «Die grössten Schweizer Talente» einen enormen Bekanntheitsgrad erlangt. Seine Fernsehauftritte und insbesondere auch das Video zum Song «Chipolata», wo Téo Lavabo in einem auberginenfarbigen Catsuit lasziv tanzt und nicht nur die Vorzüge der beliebten Speisewurst besingt, sind auf YouTube millionenfach angeklickt worden. Mit seiner Mischung aus sexuell expliziten Texten, die eine Fixation auf den männlichen Geschlechtsteil offenbaren, modernem Electro-Pop und Jodelgesang setzt Téo Lavabo klar auf Polarisierung. Im Vergleich zu einem ernsten Chansonnier ist seine Musik schon trashig. Aber im Vergleich zu Amateurmusiker*innen ist die ganz grosse Kunst.  


DRANGSAL

Exit Strategy (Virgin)

In einem deutschsprachigen Musikmarkt, wo es von Pop-Poeten und Deutsch-Rap nur so wimmelt, ist Max Gruber alias Drangsal eine wahre Offenbarung. Nach «Harieschaim» und «Zores» folgt nun «Exit Strategy». Schon der Titel ist Programm. Es geht vordergründig um Emanzipation. Von den inneren Dämonen, Selbstzweifeln und Depressionen einerseits. Und von der musikalischen Vergangenheit andererseits. Mit dem Produzenten Patrik Majer (Wir-Sind-Helden, Rosenstolz) findet Drangsal zu einem satten, muskulösen und kompakten Sound zwischen Emo, Schlager, Post-Punk und NDW. Der bisher unausgegorene Entwurf von poptauglicher deutschsprachiger Rockmusik kann jetzt seine volle Blüte entfalten. Mit «Mädchen sind die schönsten Jungs» liefert der 28-jährige Bisexuelle die schönste Hymne gegen das binäre System.

 


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Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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