DJ Coreys Musiktipps für den April ’20

Dua Lipa, The Weeknd, Morrissey, Låpsley, Maria McKee, Jessie Reyez, Mavi Phoenix, Boniface

Mit unbeschwertem Dance-Pop kämpft Dua Lipa gegen die Corona-Krise. The Weeknd ertrinkt im Selbstmitleid am Tag nach der Party. Morrisseys neue Lebenszeichen enthüllen den unheilbaren Romantiker hinter dem Zyniker. Wassermusik: Låpsley taucht mit Minimal-Soul in ihre Gefühlswelt ein. Maria McKee gibt Anleitungen zur Selbstfindung im Alter 50+. Bis der Tod die Liebe scheidet: Die dramatischen R&B-Botschaften der Latina Jessie Reyez. Mavi Phoenix präsentiert ein Konzeptalbum über das eigene Coming-Out als Transmann. Micah Visser alias Boniface tränkt seinen Indie-Pop in 80er-Reminiszenzen.


DUA LIPA

Future Nostalgia (Urban/Universal)

Die britische Antwort auf Rihanna und Lady Gaga schlägt wieder zu. Mit ihrem zweiten Album «Future Nostalgia» katapultiert sich die Sängerin mit kosovarischen Wurzeln in eine Reihe mit Madonna, Cher, Kylie Minogue und Robyn. Dua Lipa findet mit mitreissendem, unbeschwertem und tanzbarem Pop den Weg durch die Corona-Krise. Nicht nur zitiert sie Donna Summer und Olivia Newton-John, sondern sie sampelt auch INXS «Need You Tonight» und White Towns «Your Woman». Sie bringt den Disco-Funk der 80er-Jahre mit neuer Frische ins Hier und Jetzt. «Future Nostalgia» setzt die Messlatte hoch für diesjährige Dance-Pop-Alben. Lady Gaga und andere potentiellen Rivalinnen sollen sich nun warm anziehen.


THE WEEKND

After Hours (Republic Records)

Abel Tesfaye alias The Weeknd hat mit «After Hours» ein Konzeptalbum über die Einsamkeit nach der Party gemacht. Nach einem fulminanten Aufstieg in den Pop-Olymp, hat der R&B-Starboy genug vom dekadenten Leben in Los Angeles, wo Einsamkeit, kaputte Beziehungen und Drogen seinen Alltag bestimmen. Die erste Albumhälfte fängt diese düstere Befindlichkeit perfekt ein. Einmal an seinem Zufluchtsort Las Vegas angekommen, geht die Party auf der zweiten Albumhälfte allmählich wieder los. Die Songs werden tanzbarer, schneller und suhlen sich vorwiegend im Synthie-Pop der 80er-Jahre (A-ha, Yazoo und Flashdance lassen grüssen). Am Schluss der Reise dominieren wieder die Sehnsucht nach Liebe und das Selbstmitleid. Ein wunderbares Konzeptalbum für alle Geschöpfe der Nacht.


MORRISSEY

I Am Not A Dog On A Chain (BMG)

Es wird immer schwieriger, den Künstler vom Menschen Morrissey zu trennen. Jede/r kann selber für sich entscheiden, ob seine wiederholten verbalen Ausrutscher und Verschwörungstheorien reichen, um seine Verdienste für den melancholischen Indie-Pop der 80er- und 90er-Jahre einfach zu ignorieren. Für sein neues Werk «I Am Not A Dog On A Chain» brauchen seine Fans Morrissey aber nicht zu hassen. Wenn er den Zyniker im Titelstück in die Wüste schickt und dem begnadeten Crooner in ihm mehr Raum gibt, wie in «Love Is On Ist Way Out», «Bobby Don’t You Think They Know», einem grandiosen Duett mit der Motown-Legende Thelma Houston, oder im Schluss-Song «My Hurling Days Are Done», kann er wieder Herzen zum Erweichen bringen. Hat er nicht eine zweite Chance verdient?


LAPSLEY

Through Water (XL-Recordings)

Zum Zeitpunkt ihres Debüts «Long Way Home» (2016) war die aus Liverpool stammende Holly Låpsley Fletcher kaum 19 Jahre alt und wurde bereits als die Adele der elektronischen Musik gehandelt. Mit ihrem frischen Mix aus elektronischem Soul-Pop und modernem R’n’B war Låpsley allerdings näher bei R&B-Erneuerern wie James Blake, FKA Twigs oder Jessie Ware als bei ihrer megaerfolgreichen Label-Kollegin anzusiedeln. Auf dem zweiten Album «Through Water» verfeinert Låpsley ihren Sound. Fast in Alleinregie überzeugt sie mit minimalistischem Synthie-Soul und digitalem Pop, mal balladesk wie in «Ligne 3», mal clubtauglich wie in «Womxn» und «My Love Is Like A Rain».


MARIA McKEE

La Vita Nuova (Fire)

In den 80er-Jahren war Maria McKee Frontfrau der Indie-Country-Rock-Band Lone Justice. Als Solo-Künstlerin landete sie mit der herzzerreissenden Ballade «Show Me Heaven» einen Mega-Hit. Meinungsverschiedenheiten mit Plattenbossen zerstörten aber ihren Traum von einer grossen Karriere. Inzwischen ist Maria McKee, heute 55, nach London umgezogen, hat ihre zwanzigjährige Ehe aufgelöst und ihr Coming-Out als Lesbe gehabt. Ihr neues Album nach dreizehnjähriger Pause feiert den Beginn ihres neuen Lebens und versteht sich als Hommage an das gleichnamige Werk von Dante Alighieri über eine unerwiderte Liebe. «La Vita Nuova» ist ein tolles, ambitioniertes Stück Kammerpop mit orchestralen Arrangements. Maria McKee bleibt eine Ausnahmesängerin, deren Inbrunst noch heute zu mitreissen vermag.


JESSIE REYEZ

Before Love Came To Kill Us (FMLY)

Die 29-jährige Jessie Reyez wurde als Kind kolumbianischer Einwanderer in Toronto geboren und wuchs dort auf. Seit dem weltweiten Erfolg von Drake und The Weeknd gilt Toronto als Stadt des modernen und düsteren R&B. Diesen Stil pflegt die Latina ebenfalls auf ihrem Debüt «Before Love Came To Kill Us», einer hoch dramatischen Tour-de-Force über Liebe und Herzschmerz. Jessie Reyez klingt wie die böse Schwester von Camila Cabello mit der Stimme von Amy Winehouse. Sie verbindet locker die musikalischen Welten von Cardi B, Nicki Minaj, Ariana Grande und Rosalía. In ihren Sound mischt sie Latin Pop, Trap, klassischen und modernen R&B. Jessie Reyez verfügt über das gewisse Quäntchen Dreck, Druck oder Wärme, das sie von ihnen Kolleginnen deutlich abhebt.


MAVI PHOENIX

Boys Toys (LLT Records)

Seine Karriere startete der 1995 in Linz geborene Rapper und Sänger Mavi Phoenix als Frau. Mit Singles wie «Ibiza», «Aventura» und «Yellow» wurde er als starke Identifikationsfigur für einen neuen feministischen Pop gefeiert. Im letzten Januar hat Mavi Phoenix dann sein Coming-out als Transmann auf seinem Instagram-Kanal verkündet. «Boys Toys» ist das Konzept-Album, welches diesen wichtigen Schritt in seinem Leben ungefiltert und schonungslos dokumentiert. Unter dem Alter Ego Boys Toys führt Mavi Phoenix durch die verschiedenen Facetten seines musikalischen Könnens, die Trap, Pop, modernen R&B und Hip Hop kongenial vermengen.


BONIFACE

Boniface (Transgressive Records)

Die Phase der Adoleszenz bringt viele Herausforderungen mit sich. Oft gehen Leichtigkeit und Unbeschwertheit Hand in Hand mit Verzweiflung und Depression. Diesen extremen Gefühlsschwankungen widmet der 21-jährige Kanadier Micah Visser alias Boniface sein gleichnamiges Debüt, das in London mit Produzent Neil Comber (Charli XCX) entstand. Die schnelleren, hymnenhaften Nummern ziehen ihre musikalischen Wurzeln aus dem Synthie- Pop der 80er-Jahre. In den introspektiven und reduzierten Piano-Balladen liess sich Boniface indes von aktuellen Singersongwriters wie Troye Sivan inspirieren. Micah Visser, der sich als non-binär bezeichnet, hat mit «Boniface» ein faszinierendes Stück Indie-Pop geschaffen.


Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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