«WET SAND» von Elene Naveriani

Ab 5. Mai im Kino

Ein Dorf am Schwarzen Meer mit freundlichen Menschen, die glauben, sich zu kennen. Doch der Selbstmord von Eliko deckt ein Netz von Lügen auf. Elikos Enkelin Moe enthüllt seine verborgene Liebesbeziehung, die er mit Amnon hatte, dem Besitzer des Strand-Cafés. Eine Filmbesprechung von Hermann Kocher.

Die Wellen, die den Sand am Ufer des Schwarzen Meeres nässen, bedecken und wieder freigeben, eröffnen und beschliessen den Film «Wet Sand» von Elene Naveriani. Vielleicht ein Symbol dafür, wie tabuisierte Tiefendimensionen eines gesellschaftlichen Systems aufgrund einer unerwarteten Situation an die Oberfläche kommen.

«Wet Sand», so heisst ein Strand-Café irgendwo an der Küste Georgiens. Hier leben Menschen, die ihre eigenen Regeln definieren und mit diesen bestens leben, damit schlimmstenfalls andere, die diesen nicht entsprechen, in den Tod treiben. Misstrauen, Überwachung und Homophobie sind an der Tagesordnung. Letzteres gestützt durch die orthodoxe Kirche. Ihr Repräsentant verkündet über das Fernsehen, dass aufgrund der Pandemie der Tag gegen die Homophobie durch den Tag für die Familie ersetzt werde.

Amnon, der Besitzer des Cafés, darf nicht zeigen, was in ihm vorgeht – und was ihn und Eliko über Jahrzehnte verbunden hat. Eliko, der Elegante, von der Dorfgemeinschaft nie Akzeptierte, begeht Suizid. Im Abschiedsbrief hinterlässt er die Hoffnung, er und sein Geliebter würden dereinst zusammen sein, im Himmel oder in der Hölle, auf jeden Fall da, wo es kein Verstecken gebe.

Bewegung in die gefühlskalte und sprachlose Dorfgemeinschaft bringt Moe, die städtisch geprägte Enkelin Elikos. Dem Schälen einer Zwiebel gleich enthüllt der Film, was in diesem Dorf über Jahre und Jahrzehnte im Geheimen ablief. Er thematisiert das Recht auf Liebe und das Recht zu trauern – in Verbindung mit welcher sexuellen Orientierung auch immer.

Elene Naveriani

Die georgisch-schweizerische Regisseurin Elene Naveriani (*1985) hat einen berührenden Film geschaffen. Sie ist in Georgien aufgewachsen, absolvierte ihre Ausbildung zur Regisseurin dann weitgehend in der Schweiz, wo Genf zu ihrer Wahlheimat wurde. Elene Naveriani bezeichnet sich selber als gender-fluid oder non-binär. Das Drehbuch zum Film hat sie zusammen mit ihrem Bruder Sandro verfasst. Bekannt wurde Naveriani 2017 mit ihrem ersten Langspielfilm «I Am Truly a Drop of Sun on Earth» über die Liebesbeziehung zwischen einer Prostituierten und einem nach Tiflis geflüchteten jungen Nigerianer.

Die in «Wet Sand» spielenden Persönlichkeiten werden tiefgründig charakterisiert. Beeindruckend ist die Farbkomposition und die Ästhetik der Kameraführung − die Aufnahmen gerinnen zeitweise fast zu Fotos. Ein stiller Film, der dazu einlädt, sich mit den Protagonist*innen innerlich auf den Weg zu machen und dem menschenverachtenden Klima in jener kleinräumigen Welt am Schwarzen Meer zu trotzen.

Ich erlaube mir die persönliche Bemerkung: «Wet Sand» ist mein Favorit der im Jahr 2021 produzierten Filme. So sah es auch die Jury der Solothurner Filmtage. Sie war «beeindruckt vom Talent, mit dem die Regisseurin Ton, Bild und Musik miteinander verschmelzen lässt, so dass sich die Zeit bis an ihre äussersten Grenzen dehnt und uns in einen vibrierenden Zustand versetzt». Dafür gab es den Prix de Soleure 2022. Zudem ist der Film auch für den Schweizer Filmpreis 2022 als bester Spielfilm nominiert.

Hermann Kocher


WET SAND

Schweiz/Georgien 2021
115 Min.
Regie: Elene Naveriani
Drehbuch: Elene Naveriani & Sandro Naveriani
Darsteller*innen: Bebe Sesitashvili, Gia Agumava, Megi Kobaladze, Giorgi Tsereteli, Eka Chavleishvili, Zaal Goguadze, Kakha Kobaladze

Kinostart Deutschschweiz : 5. Mai 2022

 

 

 

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