«Freiheit ist mir wichtiger als Geld»

Küchentischgespräch mit Florian Burkhardt

Florian Burkardt war Model, Partyveranstalter, Musiker, Buchautor und vieles mehr. Doch immer auch der Vorzeige-Freak mit der psychischen Krankheit. Von all dem hat er jetzt genug und verabschiedet sich mit einer letzten Party von der Öffentlichkeit. Ludwig hat sich mit ihm am Küchentisch unterhalten.

Ludwig und Florian in der Küche.

In einem E-Mail kündigt Florian Burkhardt die Plattentaufe seines Musikprojekts «electroboy.ch» im Gaskessel an, eine Ausstellung über sein Alter-Ego electroboy und gleichzeitig verkündet er das Ende seiner öffentlichen Person. Er ziehe sich zurück, schreibt er. Ich will mehr darüber wissen und verabrede mich mit ihm zu einem Küchentischgespräch. Einen ‘Gutsch’ Kuhmilch bringe ich selber mit, denn Florians Haushalt in der Länggasse ist vegan. Auf dem Küchentisch seiner bescheidenen 1-Zimmer-Wohnung sind bereits Güezi parat gestellt, von denen nur ich naschen werde. Nach der herzlichen Begrüssung rauchen wir zuerst mal eine Zigi auf dem Balkon, bevor wir uns an den Küchentisch setzen und plaudern.

Eigentlich will Florian nicht schon wieder über seine Vergangenheit reden, schrieb er mir im Vorfeld, lieber rede er über sein neues Projekt, die EP, die er unter dem Pseudonym electroboy.ch herausgibt. Doch man kommt nicht drum rum, seine Geschichte zu kennen, um zu verstehen, wieso er die nicht mehr öffentlich kommentieren will.

Achterbahnfahrt Endet in Bern

Florians 45 Lebensjahre muten an wie eine wilde Achterbahnfahrt, ein stetiges auf und ab. Behütete Kindheit in Luzern, katholisches Internat in Zug, Snowboard-Profi in Graubünden, Starlet in Los Angeles, Model in Milano und New York und Internetpionier in Zürich. 2001 geht’s schnell steil runter. Der Zusammenbruch wegen Angststörungen, ein Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik und anschliessende Erholung in Bern. Er nimmt wieder an Fahrt auf als electroboy, wird Partyorganisator in Zürich, veröffentlicht Platten, gründet eine Zeitschrift und den Swiss Electronic Music Award. Alles wird immer grösser, schneller und bald wieder zuviel. Vollbremse! Mit einer kleinen IV-Rente zieht er nach Berlin und wird dort für kurze Zeit künstlerischer Leiter des Cabaret Voltaire. Er zieht weiter, diesmal nach Bochum. In dieser Zeit entsteht der Dokumentarfilm von Marcel Gisler über sein Leben. Zurück in Berlin tobt er sich als bildnerischer Gestalter und Modedesigner aus. Dort schreibt Florian auch zwei Bücher, in denen er seine Vergangenheit verarbeitet und geht damit auf Lese-Tour. Jetzt lebt er in Bern – seit zwei Jahren, um genau zu sein.

Wieso ausgerechnet Bern, wollte ich von ihm wissen. «12 Jahre Deutschland haben mir gereicht. Ich kann es nicht genau erklären, aber ich empfinde etwas Spezielles für Bern. Hier fühle ich mich wohl, hier ist es friedlich, gemütlich und links. Eine gute Mischung zwischen Stadt und Dorf. Berlin ist eines der pulsierende Zentren der westlichen Welt. Bern ist das Gegenteil davon. Man ist zwar verbunden mit der Welt, aber es passiert nicht hier. Von hier aus kann man beobachten, ist aber nicht mittendrin. Für mich ist Bern im Moment ideal.»

Florian hat in der Länggasse seinen Rhythmus gefunden, der ihm hilft, mit seiner Angststörung zurechtzukommen. Ein geregelter Tagesablauf ist ihm wichtig. «Morgens geh’ ich in ein Café und arbeite dort auf meinem Labtop. Inzwischen kennen mich die Leute hier im Quartier. Was mir aber auch schnell zu viel werden kann.»

Der Freundliche Stinkefinger

Endlich kommen wir auf die Musik zu sprechen, auf seiner EP Das fliegende Spaghettimonster, die er am Samstag, 8. Juni an der «Born This Way»-Party mit einer Show im Gaskessel vorstellen wird. Als ich ihn auf den Titel anspreche, wird mein Wissen erweitert. «Das Fliegende Spaghettimonster» ist die Gottheit einer Religionsparodie, die der Physiker Bobby Henderson 2005 als Verteidigung der Evolutionslehre entwickelte. Sie war gedacht als Persiflage auf die kreationistische Bewegung. Eine der zentralen Glaubensinhalte lautet: Die Welt wurde vom nicht nachweisbaren Fliegenden Spaghettimonster erschaffen. Alle Hinweise auf eine Evolution wurden von ebendiesem bewusst gestreut, um die Menschen zu verwirren.

Verwirrung und schräger Humor. Das passt zu Florian, der sich selbst als Atheist bezeichnet, dachte ich. Als ich mir seine vier neuen Songs anhörte, war ich zuerst überrascht. So wie ich ihn aus Film und Buch wahrgenommen hatte, erschien er mir als diese tragische Figur, die trotz Erfolg scheitert, und der das Leben zu schaffen macht. Dass der Florian auch Humor hat, hätte ich nicht gedacht. «Ich kann gut über mich selber lachen» meint Florian. Auf die Frage, wie es zum Titel Das fliegende Spaghettimonster kam, antwortete er: «Ich habe oft Mühe, etwas zu benennen. Bei einem Buch, bei dem man eine gewisse Ernsthaftigkeit hat und sich auf den Inhalt beziehen kann, geht das ja noch. Aber bei meinen Texten für die Musik, die fast dadaistisch sind und keine Message haben, war das schwieriger. Ich war völlig frei und wollte zeigen, dass es Spass ist, etwas das mir gefällt und nicht auf Charterfolge aus ist.» Diese Haltung drückt auch das Cover aus: ein Fuck-You-Finger mit Smiley.

Florian hat schon zu Zeiten der electroboy-Partys (2004-2005) Musik veröffentlicht. «Ich habe diese damals auf meinen Laptop im Bett produziert. Die Plattenfirma hat die dann einfach so auf Platte gepresst und gross Werbung gemacht, weil sie glaubten, die Marke electroboy zieht. Doch als sie meine Musik dann hörten, waren sie so: ‘What?’. Da hatten sie einerseits die Marke, mit der man glaubte, Geld verdienen zu können, andererseits mich, mit dieser eigenwilligen, gewohnheitsbedürftigen Musik. Auch bei den neuen Tracks ist das so. Es sind keine potentiellen Hits und für die Radios wohl eher nicht geeignet. Das kommt von meiner ‘I don’t care’-Haltung, deshalb auch der freundliche Stinkefinger auf dem Cover.»

«Ich sitz’ in Bern im Länggassquartier und denk an Berlin. Ach, ist das langweilig, echt erbärmlich.»

Für das Mini-Album hat er mit dem Musiker und Produzenten Luk Zimmermann (Lunik) zusammen gearbeitet. Zwei Jahre habe sie daran immer wieder in Luks Studio gewerkelt. «Wir sind künstlerisch sehr unterschiedliche Typen und mussten uns zuerst finden. Viele gehen zu Luk, weil sie einen Hit wollen, doch ich wollte lediglich mit Freude kreativ sein. Oft meinte Luk als professioneller Produzent, das könne man so nicht machen, so gehe das nicht. Und ich dachte dann, ‘so what’!» Dass Florian ein Kind der 80er-Jahre ist, genau wie Luk Zimmerman auch, hört man der Platte an. Es sind kühle elektronische Klänge aus dieser Zeit, gepaart mit aparten Texten. Auch wenn Florian meint, die Texte seien etwas Da-Da und hätten keine Botschaft, schimmert doch auch seine Psyche durch. Sätze wie «Ich bin nur eine Maschine» und «Ich starre die Decke runter» kommen darin vor. Im Song «Ich glotz den Koffer an» singt er: «Ich sitz’ in Bern im Länggassquartier und denk an Berlin. Ach, ist das langweilig, echt erbärmlich.»

Florian als Model (Bild: Montana)

Wenn man seine Biographie anschaut, scheint es ihm schnell langweilig zu werden. «Ja, das ist so. Wie beispielweise, als ich mit der polnischen Schneiderin Kleider entwarf. Gestalten und Stoffe aussuchen war toll! Aber als dann die Kollektion stand, war für mich das Ganze gelaufen. Es ging mir ums Ausprobieren und Kreieren. Auch mit den Partys hörte ich auf, als sie am erfolgreichsten waren. Beim Modeln das Gleiche. Ich konnte mit den besten Fotografen zusammenarbeiten, wie z.B. David LaChapelle. Die Agentur rieb sich schon die Hände, jetzt läuft es von alleine und ich nur: Tschüss, das war’s. Ich hatte alles gesehen, wieso weiter machen? Ich glaube nicht, dass es an fehlendem Durchhaltewillen liegt. Es ist vielmehr so, dass ich immer etwas Neues ausprobieren will. Ich mag keine Repetition und auch der Kommerz interessiert mich nicht. Mir fehlt der Geschäftssinn. Wenn man hätte abschöpfen können, bin ich gegangen. Freiheit ist mir wichtiger als Geld.»

Vom Partyveranstalter zum Buchautor

Das mit den Partys fing an, als Florian ein Geburtstagsfest zu seinem Dreissigsten veranstaltete. «Einen DJ konnte ich mir nicht leisten, also stellte ich eine Schaufensterpuppe ans DJ Pult». Daraus entstand die electroboy-Partyreihe. Zuerst waren es reine Gay-Partys, doch sie wurden schnell gross. Mit dem Erfolg kamen auch immer mehr Heteros und die Schwulen störten sich daran. «Zuerst versteckte ich mich als Organisator hinter einer Comicfigur. Doch als ich begann, auch Musik zu machen unter diesem Namen, kam ich als Privatperson Florian Burkhardt ins Spiel. Du musst Auftritte machen und Interviews geben, hiess es von der Plattenfirma, damit wir die Musik promoten können. Also wurde eine Bio geschrieben. Diese fand die Presse allerdings interessanter als meine Musik und stürzte sich darauf.»

Es wurden Artikel über sein bewegtes Leben geschrieben. Eine dieser Storys machte einen Filmproduzenten auf ihn aufmerksam. Der wollte mit der grossen Kelle anrühren und einen Spielfilm daraus machen. Doch daraus wurde nichts, denn die Firma machte Pleite. Zudem wäre ein Spielfilm, mit all’ diesen Drehorten, eh zu teuer geworden, also kam eine andere Produktionsfirma auf die Idee, einen Dokumentarfilm zu drehen. «Zuerst sagte ich nein. Doch ich liess mich überreden, denn es war eine neue Herausforderung für mich und das mag ich. Nach dem Film schrieb mich ein Literaturagent an. ‘Dein Leben ist Literatur!’ mailte er mir. Schon wieder so ein Spinner, dachte ich zuerst, fand aber schnell heraus, dass er viele Topshots im Business vertritt. Er animierte mich, bis ich schliesslich zusagte. Zwei Bücher wurden daraus.»

«Ich will das nicht mehr!»

Der Film von Marcel Gisler wurde wider Erwarten sehr erfolgreich. Da Florian damals noch in Berlin lebte, bekam er den ganzen Hype um ihn gar nicht richtig mit. Erst als er wieder in Bern lebte, wurde ihm bewusst, dass er berühmt ist. Er, der lieber zurückgezogen lebt und manchmal noch unter Angststörungen und Sozialphobie leidet, wird erkannt und angesprochen. «Fremde Leute kommen auf mich zu und sagen Sachen wie: ‘Ich weiss genau was du fühlst’ und ‘das habe ich auch erlebt’. Sie sagen nie ‘du machst coolen Sound’ oder so. Es geht immer um mich als Person. Diese Projektionen sind mir unangenehm.»

Die Filmaufführungen mit ihm als Stargast, Lesungen vor einem vornehmlich älteren Publikum und vor allem die Signierstunden danach, bei denen er sich fühlte wie eine Projektionsfläche, waren ihm meistens unangenehm. «Ich fühlte mich wie diese Freaks, die früher im Zirkus ausgestellt wurden. Ich machte das ja schon freiwillig, aber Spass empfand ich dabei oft nicht. Als ich dann für meine neue EP den Pressetext schrieb, wurde mir klar, ich will das nicht mehr. Ich beschloss, das mache ich jetzt noch, anstandshalber, auch für alle die Leute, die dran beteiligt waren, aber ich mache daraus einen Abschluss. Jetzt ist fertig mit electroboy, Schluss mit der öffentlichen Person! Danach will ich – wie früher – kleine Projekte umsetzen, vielleicht unter einem Pseudonym, ohne Druck durch meine bekannte Geschichte.»

Während ich so an Florians Küchentisch sitze, meinen Kaffee trinke und ihm zuhöre, wie er aus seinem Leben erzählt, fällt mir auf, dass viele Projekte an ihn herangetragen wurden. Mach mal dies oder das. Doch sein aktuelles Musikprojekt kam von ihm aus. Er war es, der auf Luk Zimmermann zuging und ihn anfragte, mit ihm zusammen zu arbeiten. Auch die geplante Ausstellung zu electroboy hat er angestossen und die Off-Space Galerie Sattelkammer kontaktiert, die gleich in seiner Nachbarschaft ist. «Mich kann man schnell begeistern. Aber ich kann meine Begeisterung auch gut weitergeben. Ich bin zwar kein guter Geschäftsmann, aber ein guter Verkäufer.» Florian scheint ohnehin ein gutes Händchen dafür zu haben, die richtigen Leute für seine Projekte zu gewinnen. Den Video Clip zum Song «Ich bin nur eine Maschine» gestaltete der bekannte Schweizer Grafiker François Chalet, den Clip für «Ich glotz den Koffer an» wurde vom Filmemacher Sebastian Minke mit dem Schauspieler Frank Áron Hoffmann gedreht. Beide sehenswerte Videos.

Das Ende von electroboy soll also mit einem Bang! über die Bühne gehen. Für die Show zur Plattentaufe im Gaskessel hat Florian sich mit der Berner Dragqueen Clausette LaTrine zusammengetan. Sie wird, zusammen mit andern, die Performance zu den vier Songs auf die Bühne bringen. Es wird bestimmt kein klassisches Konzert geben. Das wäre nicht der Stil von electroboy. Es wird wohl eher etwas trashig werden, queer und schräg, so wie Florian es mag. Denn wenn man sich von der Öffentlichkeit verabschiedet, soll das mit Freude geschehen und einem freundlichen «Fuck You». Für die Zukunft wünschen wir Florian alles Gute. Sein kreativer Geist wird einen Weg finden sich zu zeigen. Vielleicht werden wir wieder von ihm hören, aber wissen dann nicht, dass dahinter Florian Burkhardt steckt.

 

EP (Mini-Album) 

electroboy.ch
«Das fliegende Spaghettimonster»

Release: Freitag, 31. Mai 2019 

 

BORN THIS WAY electroboy Special 

Samstag, 8. Juni 2019 
Gaskessel, Sandrainstrasse 25, 3007 Bern
Türöffnung: 23 Uhr
Vorverkauf: 15 CHF, Abendkasse: 20 CHF 

 

electroboy Ausstellung 

Sonntag, 16. Juni 2019, 12-17 Uhr 
Sattelkammer – Zähringerstrasse 42, 3012 Bern
Freier Eintritt
Bei schönem Wetter mit Vegan Food von »GRÜNER GAUMEN« 

 

Kommentare
  1. Yolanda König sagt

    Liebe Leserinnen und liebe Leser
    Seit ich auf 3sat dem Dokumentarfilm, ein Interview mit Florian Burkhardt, interessiert gefolgt bin, hänge ich an der Suche nach neuesten Informationen über ihn. Seine zwei Bücher habe ich längst schon verschlungen. Ihm, Florian Burkhardt, möchte ich gegenüberstehen, oder lieber sitzen, und mit ihm reden. Auf meiner Suche las ich in einem Interview, dass er morgens um 7 Uhr im Café XXXXX sitzt und an seinem dritten Buch schreibt. Erst wollte ich ihn dort treffen, doch nach dem Lesen dieser Berichterstattung, entschied ich mich, es zu lassen. Ich verstehe ihn allzu gut. Zu meiner Person: Ich bin eine leidenschaftliche Zuhörerin, sammle Lebensgeschichten. Sie bereichern mein Leben, ich picke wertvolle Impulse daraus, die meine persönliche Entwicklung fördern.
    Herzlichen Dank für den Bericht und viel Glück wünscht Yolanda König, Spiez

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