
Queer Country wurde in den letzten Jahren sichtbarer und populärer. Dies ist auch eine Reaktion auf die zunehmende Ablehnung queerer Identität in den Vereinigten Staaten. Die Geschichte seiner Wegbereiter*innen und die interessantesten queeren Country-Acts von heute. DJ Ludwig erzählt bewegende Storys und empfiehlt die schönsten Songs.
Inhaltsverzeichnis
Mythos Cowboy
Der Cowboy, ursprünglich ein Viehhirte, wurde zum amerikanischen Mythos. Als frei und unabhängig gilt ein Cowboy, als Naturbursche, Revolverheld und einsamer Wolf – als Inbegriff der Männlichkeit. Eine Identifikationsfigur für alle, die sich ihre Freiheit nehmen, die sich besonders männlich fühlen – aber eben auch für gesellschaftliche Aussenseiter. Outlaws, wie es auch queere Menschen in der Gesellschaft sind. Der Beruf des Cowboys war eine Männerdomäne. In solchen reinen Männergemeinschaften, fernab von Frauen, sind homosexuelle Handlungen keineswegs ungewöhnlich. (Mehr über die queere Sexualität amerikanischer Cowboy und ihre kulturelle Bedeutung findest du im Research Paper von Hana Klempnauer Miller.)
Wildwest-Romane, wie beispielsweise James Fenimore Coopers «Lederstrumpf-Geschichten» (1823-1841), und Hollywood, mit seinen Western, wie den John Wayne-Filmen, prägten das Bild des hypermännlichen, heterosexuellen Cowboys. Die Countrysänger pflegten dieses Image gleichermassen. Trotzdem fand Queerness immer wieder einen Weg sich in diesem normativen Umfeld bemerkbar zu machen, wenn auch stark kodiert. Schon in den «Lederstrumpf-Geschichten» pflegte der Held eine innige Freundschaft, die auch als Homoliebe gelesen werden kann. Verschleierte Homoerotik zeigt sich exemplarisch in einer Szene im Westernfilm «Red River» von 1948. Zwei Cowboys vergleichen ihre «Guns». Jeder nimmt das Stück des anderen in die Hand und sie bewundern gegenseitig, was sie jeweils zu bieten haben und scheinen dabei ziemlich erregt. Dann schiessen sie mehrmals überall ihre Ladung hin. Am schelmischen Lächeln des Schauspieler Montgomery Clift, der tatsächlich schwul war, wird klar, dass er sich der Doppeldeutigkeit diese Szene durchaus bewusst war.
Matt (Montgomery Clift) und Cherry (John Ireland) vergleichen ihre «Guns» im Film «Red River» (1948).
Queer Country
Country gilt nicht als eine besonders queerfreundliche Musikszene, auch wenn ihr grösster Star, Dolly Parton, eine Gay-Ikone ist und eine Alliierte der Community. Doch auch in einem LGBT-feindlichen Umfeld können queere Acts erblühen. Das taten sie schon immer, in den letzten Jahren jedoch ist Queer Country stark gewachsen und sichtbar worden. Es zeigt einmal mehr, wenn der Hass gegen alles, was nicht der heteronormativen Form entspricht, zunimmt – was in den USA deutlich zu sehen ist – verstärkt sich auch der Widerstand. Hier die Geschichte seiner Wegbereiter*innen und die interessantesten queeren Country-Acts von heute.
Queer Country vor Stonewall
Der Countrysong «I Love My Fruit» von The Sweet Violet Boys gilt als einer der ersten queeren Songs des Genres. Die Gruppe, eigentlich bekannt als The Prairie Ramblers, nutzte ein Pseudonym für die Aufnahme einiger skandalösen Lieder. «I Love My Fruit» ist voller sexueller Anspielungen («I am always hungry for bananas; So that it almost seems to be a sin»). Das war sicherlich skandalös im Jahr 1939. Über die Sweet Violet Boys ist nur wenig bekannt, insbesondere was ihre tatsächlichen sexuellen Orientierungen betrifft. Aber es wäre seltsam für eine Gruppe von heterosexuellen Männern in den 1930er Jahren, ihre Karriere zu riskieren, um sich als queere Cowboys zu verkleiden.
Bereits 1925 war das humoristische Gedicht «Lavender Cowboy» über einen unmännlichen Cowboy mit «only two hairs on his chest» populär. Es wurde später zu einem Song, der von verschiedenem Sänger interpretiert wurde, immer mit einer eher homophoben Färbung. Dass der Lavender Cowboy am Schluss tot ist, wie es damals (fast) allen Queers in Film, Buch und Songs ergangen ist, überrascht nicht. Um ihn von seiner homophoben Konditionierung zu befreien, hat Tom Robinson, der Sänger von «Glad to Be Gay» (1978), den Song für seine Fans gesungen, allerdings nie veröffentlicht. Doch auf der Homepage queermusicheritage.com, eine Fundgrube für vergessene queere Perlen, steht eine rare Aufnahme zum Hören bereit. Was dem Lied zugute zu halten ist, es hat den Begriff Lavender Cowboy, beziehungsweise Lavender Country gesetzt für queere Musik aus diesem Genre.
Wilma Burgess schaffte 1966 den Durchbruch mit dem Song «Misty Blue», der daraufhin zu einem viel gecoverten Klassiker wurde. Entdeckt wurde sie vom legendären Produzenten Owen Bradley, der bereits Patsy Cline zum Star machte. Patsy Cline kam 1963 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. In Wilma Burgess glaubte Owen Bradley die ideale Nachfolgerin gefunden zu haben. Tatsächlich landete sie einige Hits. Doch der Erfolg liess rasch nach und sie zog sich 1975 aus dem Musikgeschäft zurück. Wilma Burgess war offen lesbisch, wenn auch nur hinter den Kulissen. Für eine lesbische Countrysängerin war das Publikum noch nicht bereit. Doch Burgess achtete schon damals darauf, dass sie ihre Liebeslieder ohne geschlechtsspezifische Bezüge einsang. Mit dem Geld, das sie während ihrer Karriere verdiente, eröffnete sie in Nashville die erste Lesben-Bar, The Hitching Post.
Queer Country nach Stonewall
Nach den Stonewall-Unruhen Ende der 60er-Jahre und der in den 70er-Jahren aufkeimenden Bewegung für die Rechte von Schwulen und Lesben, wurden diese auch im Pop sichtbarer. Im Pop, Disco, Rock und Folk tauchten die ersten queeren Sänger*innen auf, die weit über ihre Bubble hinaus Erfolge feiern konnten. Doch im konservativen Country war das in dieser Zeit noch undenkbar.
1973 veröffentlichte Lavender Country das erste echte queere Country-Album. Die Band wurde von Patrick Haggerty gegründet, der sich für LGBTQ-Rechte und gegen Rassismus engagierte. Nach den Stonewall-Unruhen zog er nach Seattle und wirkte dort bei einer der ersten Organisationen für die queere Community mit. Lavender Country trat häufig bei Pride-Events auf und prangerte in ihren Songs gesellschaftliche Ungerechtigkeiten an – auch innerhalb der Schwulen-Community. Ihr bekanntester Song: «Cryin’ These Cocksucking Tears» handelt von den starren Sexualrollen, zu denen Männer erzogen werden, und wie diese Rolle Frauen und auch Männer unterdrückt. Aber Lavender Country blieb ein subkulturelles Phänomen. Erst heute wird der erste offen schwule Countrysänger wiederentdeckt und gefeiert. Patrick Haggerty hat 2019, nach 47 Jahren Pause, sogar ein neues Album veröffentlicht!
Gay-Country Pionier Patrick Haggerty blickt in dieser berührenden 7-Minuten-Doku zurück auf die Entstehung des Albums «Lavender Country», was es bewirkte und auf sein Vermächtnis.
Ebenfalls in Country und Folk zuhause war der Singer-Songwriter Steven Grossman. Sein Album «Caravan Tonight» von 1974 gilt, wie «Lavender Country» auch, als erstes, das sich schwulen Themen widmet und sich als politisches Statement für Homorechte verstand. Im Gegensatz zu Patrick Haggerty von Lavender Country, der das Album unabhängig produzierte, hatte Steven Grossmann einen Vertrag mit einem Major Label (Mercury Records). Doch das Album von Steven Grossman war kein Erfolg und sollte für lange Zeit sein einziges bleiben. Sein Coming-out Song «Out» jedoch wurde zu einem queeren Klassiker, der heute noch berührt. Erst kurz vor seinem Tod 1991 nahm Grossmann ein weiteres Album auf, das allerdings erst posthum, 20 Jahre später, veröffentlicht wurde. Offen schwul zu sein zahlte sich in den 70er-Jahren für einen Musiker nicht aus.
Die erste offen lesbische Sängerin mit Hit
In den 90er-Jahren wurde k.d.lang bekannt, nicht nur wegen ihrer einzigartigen Stimme, sondern auch wegen ihrem Image als Butch-Lesbe. k.d. lang wuchs in einem Kaff in der kanadischen Provinz auf. Schon als Kind entdeckte sie ihre Liebe zur Countrymusik. Selbst Sängerin zu werden, beschloss sie, als sie während ihrem Musikstudium in einer Theateraufführung über die legendäre Country Sängerin Patsy Cline mitspielte. Wer im Country reüssieren will, muss nach Nashville. Dort zeigte man sich wegen ihrer diffusen Geschlechtlichkeit ihr gegenüber etwas skeptisch. Ihre Stimme jedoch ist so überzeugend, dass sie einen Plattenvertrag bekam. Zudem konnte sie Owen Bradley, der ehemalige Produzenten von Patsy Cline und Wilma Burgess, überreden, mit ihr ein klassisches Country-Album aufzunehmen («Shadowland», 1988). Doch trotz guter Kritiken und legendären Musiker*innen, die sie bei diesem Album unterstützen, blieb der grosse Erfolg aus. Zudem wurde k.d.lang nicht glücklich in Nashville und zog nach Kanada zurück. Dort erfand sie sich als Popsängerin neu und schafft 1992 den Durchbruch mit dem Album «Ingénue», dass damals in fast jedem queeren Haushalt zu finden war. Die Single «Constant Craving» wurde ein grosser Hit. Gleichzeitig machte sie ihr Coming-out in der Zeitschrift The Advocate und liess sich für ein Vanity Fair-Covershooting vom Fotografen Herb Ritts ablichten, wie sie von Supermodel Cindy Crawford rasiert wird.
k.d.lang hat die Gender-Grenzen erweitert und den Weg für weitere queere Künstler*innen frei gemacht. Nach ihr folgten einige lesbische Musikerinnen, die mit Country, Folk oder Rock ziemlich erfolgreich sind wie Melissa Etheridge, Brandie Carlile und Chely Wright.
Zwei lesbische Heldinnen im Duett: k.d. lang und Melissa Etheridge, 1994.
Zu schwul für Country
Damit k.d.lang als offen lesbische Sängerin kommerziellen Erfolg haben konnte, musste sie sich vom Country abwenden, sich Richtung Pop entwickeln und auf explizit lesbische Texte verzichten. Dem hat sich Mark Weigle verweigert und wurde dafür abgestraft. Mark Weigle aus Minnesota hat eine tiefe Stimme, trägt Karohemden, einen fetten Schnauz im Gesicht und zeigt gerne seine behaarte Brust – Mark Weigle ist ein Bild von einem Macker! Also der perfekte Country Sänger? Nicht, wenn man darüber singt, dass man mit Männern fickt. Mark Weigles Weigerung, sich dem Erfolg zuliebe als Hetero zu verkaufen, verhinderte eine grosse Karriere als Country Sänger bereits in den Anfängen, als er 1998 sein Debüt-Album «The Truth Is» herausbrachte. Umso mehr wurde Mark Weigle von der Gay-Community verehrt für Songs wie «Two Cowboys Waltz», seinem sexy und witzigen Song «These Lips of Mine (Made for Suckin’ You)» und auch dafür, dass er «Out» vom Country-Pionier Steve Grossman mit diesem zusammen neu aufnahm. Mit seinen expliziten Texten sprach er damals in erster Linie ein homosexuelles Publikum an. Er stellt 2002 in einem Interview ernüchtert fest, dass «heterosexuelle Leute nicht bereit sind, schwule Erfahrungen zu erkunden.» Deutlich frustriert verabschiedete er sich 2007 von seinen Fans mit diesen Worten: «Ich habe meine Musikkarriere wegen mangelnder Unterstützung abgebrochen. Ich habe meine Muse und meine Karriere der Schwulen-Welt gewidmet. Doch die scheint hauptsächlich an heterosexuellen Prominenten, hübschen 20-Jährigen, Pornostars und Dragqueens interessiert zu sein».
2013 konnte das Male-Model Steve Grand, der ist, was er besingt, ein «All American Boy», auf sich aufmerksam machen. Steve Grand ist der nette und hübsche Schwule von nebenan. Sein Video zur Debütsingle ging damals viral, innert acht Tagen hatte er 1 Million Views auf YouTube. Sein Auftritt als offener Gay, der Charts tauglichen Country macht, brachte ihm viele Presseberichte und TV-Interviews ein. Das Narrativ damals: «The first openly gay male country singer», was – wie wir jetzt wissen – nicht wahr ist. 2018 kam eine weiters Album heraus mit dem beschwörenden Titel «Not The End of Me». Doch seither herrscht funktstille. War es doch das Ende seiner Musikkarriere? Heute entwirft Steve Grand Unterwäsche, Badehosen und Shorts für sein eigenes Lable Grand Axis, das augenscheinlich nur dazu dient, ihn selbst als Model zu beschäftigen.
Fancy Hagood ist ein molliger, junger Mann mit Bart, doch für seine Plattenfirm war er offensichtlich zu schwul, weshalb sie seine erste Single «Goodbye» (2015) unter dem Namen Who Is Fancy vermarkteten, ohne die Person, die dahinterstand, zu offenbaren. Meghan Trainer, eine Freundin von ihm, hat das gar nicht gefallen. «Was ich an ihm so mochte, war sein Aussehen. Er ist dieser sprudelnde, fröhliche Mensch, er hat Selbstvertrauen, er hat alles – und sie haben ihn einfach versteckt.» Doch das Versteckspiel hatte bald ein Ende. Auch vom Pop hat er sich abgewandt. Jetzt macht er Country. Im Oktober erschien sein hörenswertes Album «American Spirit». Darauf der schöne Song «Where Rainbows Never Die».
Zeitenwende dank «Brokeback Mountain»
2005 kam der Film «Brokeback Mountain» von Ang Lee ins Kino. Eine tragische Liebesgeschichte zwischen zwei Cowboys, die wegen der homophoben Realität der 60er/70er-Jahre zum Scheitern verurteilt war. Das war eine Zeitenwende. Zuvor waren queere Cowboy meistens Witzfiguren und zudem die ersten, die erschossen wurden. Auch in «Brokeback Mountain» musste einer der queeren Cowboys sterben, doch diesmal war es eindeutig als homophobes Hassverbrechen deklariert. Auf dem Soundtrack zum Film war auch ein Lied von Willie Nelson («He Was A Friend Of Mine»), einer der wenigen heterosexuellen Countrystars, der sich als Alliierter der LGBT-Community hervortat. Der Film inspirierte Nelson, endlich einen Song zu veröffentlichen, der schon seit den 80er-Jahre bei ihm auf dem Stapel lag, mit Songs, die er noch singen will: «Cowboys Are Frequently Secretly (Fond of Each Other)», mit den wunderbaren Zeilen:
«And inside every lady, there’s a cowboy who’d love to come out.
And inside every cowboy, there’s a lady who’d love to slip out.»
Queere Countrystars und Songwriters
Chely Wright aus Kansas City veröffentlichte ihr erstes Album bereits 1994. Doch der Erfolg stellte sich nicht sofort ein. Erst mit dem vierten Album «Single White Female» (1999) gelang ihr der Durchbruch. Im Mai 2010 sprach sie mit dem People Magazin erstmals über ihre Homosexualität, was ihrer Karriere nicht schadet. Ein Jahr später heiratet sie die LGBT-Aktivisten Lauren Blitzer. Chely Wrights lesbisch-explizitester Song ist «Like Me» (2010), in dem sie direkt ihre Ängste anspricht, in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung nicht akzeptiert zu werden.
Im Jahr 2014 sorgte ein Doppel-Coming-out in der US-Countryszene für Schlagzeilen. Zuerst outete sich Ty Herndon im People Magazin. Dieses Interview inspirierte Billy Gilman, der daraufhin auf YouTube sein eigenes Coming-out verkündete.
Ty Herndon hatte seinen ersten und bis anhin grössten Hit 1994 mit «What Mattered Most». Damals sang er noch über ein Girl. Zum Pride-Monat 2019 veröffentlichte er «What Mattered Most» nochmals, doch diesmal wurde im Text das Wort Girl durch Boy ersetzt. Nächstes Jahr wird seine Autobiografie auf den Buchmarkt kommen, sie heisst – nicht überraschend – «What Mattered Most». Intim soll sie sein, oft urkomische, aber immer aufrichtige. Ty Herndon berichtet über seinen Kampf gegen die Sucht, seine psychische Gesundheit, seine Karriere, seine Beziehungen und sein Leben als erster offen schwuler männlicher Country-Superstar.
Billy Gilman war ein Kinderstar. Als 11-Jähriger landete er 2000 einen Hit. Doch mit dem Stimmbruch kam auch der Karrierebruch. 2016, zwei Jahre nach seinem Outing, versuchte er mit der Teilnahme an der Castingshow The Voice seine Karriere wiederzubeleben. Er wurde Zweiter, das grosse Comeback blieb aus. Diesen Sommer veröffentlichte er die EP «Delta Queen» mit grossartigen Bluegrass-Songs darauf, die ihm vielleicht doch noch zum verdienten Durchbruch verhelfen.
Shane McAnally haderte lange mit seiner Sexualität. Er hatte sogar eine Alibifreundin um in Nashville nicht als Schwuler erkannt zu werden. Er zog um nach Los Angeles, wo mensch toleranter gegenüber der Gay-Community ist. Shane McAnally hat 2000 sein erstes und einziges Album «Curb» veröffentlicht. Danach war er vor allem als Songwriter und Produzent tätig – sehr erfolgreich. Er schreib und produzierte Lieder für Stars wie Kelly Clarkson, John Legend, Midland, Reba McEntire, Miranda Lambert und vielen mehr. Sein grösster Erfolg und gelichzeitig sein öffentliches Coming-out war «Follow Your Arrows» (2013), den er zusammen mit Brandy Clark für Kacey Musgraves schrieb. Eine Zeile im Refrain («Kiss lots of boys; or kiss lots of girls, if that’s something you’re into») unterstreicht die Unterstützung der LGBTQ-Community.
Wie Shane McAnally hat auch Brandy Clark Songs für andere geschrieben (u. a. Sheryl Crow, Miranda Lambert, LeAnn Rimes). Zusammen haben Clark und McAnally auch Songs für das Comedy-Musical «Shucked» komponiert. Es war auch Shane McAnally, der Brandy Clark ermutigte, sich als Lesbe zu outen. Daraufhin konnte sie auf ihrem 2. Album «Big Day in a Small Town» endlich offenbaren, dass sie kein «Girl Next Door» ist, sondern eher etwas chaotisch und singt im Song: «If you want the girl next door; Then go next door». Der Song hat, was keinen überraschen wird, Shane McAnally mitgeschrieben.
Nachdem sein Debüt «The Drifter» (2004) nicht zündetet, arbeitete Waylon Payne als Songwriter für andere Countrysänger und -Sängerinnen und als Schauspieler («Crazy», 2008). An seinem neuen Album «Blue Eyes, the Harlot, the Queer, the Pusher & Me» (2021) arbeitete er also 17 Jahre. Er verarbeitet darin seine teils schwierige Vergangenheit. Seine Drogensucht und wie er sie überwand, die Herausforderung im Musikbusiness dauerhafte Freundschaften zu pflegen und wie diese ihn retteten. Auch Paynes familiäre Vergangenheit spielt eine zentrale Rolle in seiner Musik, nicht nur das Country-Musik-Erbe, in das er als Sohn von Sängerin Sammi Smith und Willie Nelson-Gitarristin Jody Payne hineingeboren wurde, sondern auch der Missbrauch als Kind und wie einige Familienmitglied mit Ablehnung auf sein Coming-out reagierten. Viel Stoff, den der 52-Jährige zu bewältigen hat. Waylon Payne macht das ehrlich und gereift.
Frische queere Talente
Noch ein junges Projekt ist Camp Bedford. Das Frauentrio aus Brooklyn begeistert mit dem schönen Harmoniegesang von Mariela, Roxanne und Kailey. Ihre Musik ist zwischen Folk und Country anzusiedeln. Ihre aktuelle Single «Do you regret it?» (2024) enthält drei Song über Frauen – über Courtney, Helen und Cecilia. Vielversprechende Song und hoffentlich auch bei uns bald einmal live zu erleben, denn Camp Bedford versprechen auf ihrer Homepage: «Jede Auftritt ist ein Fest der Community, Identität und Authentizität und schafft einen Raum, in dem sich jeder zu Hause fühlen kann.»
Der 31-jährige Hayden Joseph aus South Carolina stammt aus der Generation, die ihre andersartige Sexualität nicht zu verstecken brauchte. Als offen schwuler Mann startete er seine Karriere in Nashville. Er ist stolz auf die Inklusivität seiner Texte. «Die Songs, die ich schreibe, basieren auf persönlichen Erfahrungen, aber ich stelle mich der Herausforderung, Texte zu schreiben, die für viele Lebensbereiche relevant sind.» Gleich auf seiner Debüt-Single «Different» (2019) sang er über seine Selbstfindung als queer: «I wish I had a moment with a younger me; To tell him, «different» ain’t a bad thing to be.»
Hayden Joseph singt seinen Song «Different» im Hotel Utah Saloon in San Francisco, 2019
My Gay Banjo sind Owen Taylor und Julia Steele Allen an Gitarre, Banjo und Gesang. Mit ihren selbstkomponierten Duetten zu queeren Themen und gelegentlichen Mashups spielt My Gay Banjo Songs die queere Lebensfreude versprühen. Besonders originell ist ihre Adaption des Bee Gees Song «Staying Alive», der bei ihnen zu «Staying Queer» wurde. Ebenfalls mit Banjo unterwegs ist Sam Gleaves. Doch er spielt auch viele weiter Instrumente und setzt sich mit der traditionellen Musik aus seiner Heimat den Appalachen auseinander. Das aktuelle Album «Honest» (2024), «ist das direkteste Queer-Album, das ich je gemacht habe», sage er. Im Song «Queer Cowboy» singt er darüber, dass er diesen nach langer Suche endlich gefunden hat.
Nachdem Cameron Hawthorn den Film «Boy Erased» (2018) gesehen hatte, über einen schwulen Jungen, der von seinen christlichen Eltern in eine Konversions-Therapie geschickt wird, outet er sich auf Instagram. Kurz darauf veröffentlichte er den Song «Dancing in the Living Room», in dessen Video dazu, er mit seinem Mann eben dies tut. Dieser romantische Countrysong wurde zu seinem Durchbruch. Was Cameron Hawthorn auszeichnet, ist seine Unabhängigkeit und seine musikalische Diversität. Er hat nämlich keine grosse Plattenfirma im Rücken, sondern macht alles selbständig. Und er beschränkt sich nicht auf Country allein. 2022 produzierte er mit Bright Light Bright Light den Country-Dance-Track «Country Boy Two-Step» und veröffentlichte soeben das elektronische Album «Church of the Outlaws». Ein vielseitiger queerer Künstler, den man im Auge behalten sollte.
Cameron Hawthorn tanzt mit seinem Mann im Wohnzimmer. «Dancing in the Living Room», 2019.
Auch sie ist eine, von der wir in Zukunft noch öfter hören werden, Madeleine Kelson. Sie schöpft aus der reichen Tradition von Folk, Country und Americana und lotet als queere Künstlerin mit ihren Liedern Grenzen aus, um die moderne Welt darzustellen. Ihrer Karriere begann sie zusammen mit ihrer Schwester als The Kelson Twins in Chicago. Nach ihrem Umzug nach Nashville veröffentlichte Madeleine Kelson 2018 ihre Solo-EP «Siren». Das Debütalbum «While I Was Away» erschien im Jahr 2022 und erhielt positive Resonanz von der Fachpresse, insbesondere für die philosophischen Texte und die zurückhaltende musikalische Ausarbeitung. Ihr Song «The Way I Do», eine Ode an die lesbische Liebe, wurde ein TikTok-Hit und machte sie einem grösseren Publikum bekannt.
Sexy Cowboys
Jeff Stryker war in den 90er-Jahren der bekanntes männliche Pornostar der Welt. Er sah aus wie eine muskulöse Puppe mit überdimensionalem Penis. Tatsächlich gibt es von ihm eine Action-Figur und ein Dildo, der nach seinem Gemächt geformt wurde. Der Jeff-Stryker-Dildo war ein Kassenschlager und wird heute noch verkauft! Er versuchte es auch als Musiker und veröffentlichte ein paar Country-Songs. Diese war jedoch nicht Radio tauglich und kein Kassenschlager. Wie es sich für einen Gay-Adult-Filmstar gehört, sang er über Sex. «Pop You in the Pooper» heisst die Singe von 2011, in der er Analsex empfiehlt … nein, es gibt kein Video dazu 😉.
Als multiple Persönlichkeit kann mensch Daniel Jacob Hill bezeichnen. Unter verschiedenen Künstlernamen, die unterschiedliche Musikstile pflegen, veröffentlich er laufend Songs (200 sollen es schon sein!), die sehr häufig von schwulem Sex handeln. Eines seiner Alias ist Dixon Dallas und das macht Countrymusik. Unter diesem Namen veröffentlichte er 2023 den Song «Good Lookin’», der ein viraler Hit wurde – da geht es zur Sache. Doch haben viele Leute seine Sexualität in Frage gestellt und sich gefragt, ob er tatsächlich schwul ist. Darauf antwortet er in einem Interview: «Wenn man im Süden aufwächst, wird einem eine bestimmte Denkweise beigebracht. Ich habe einen Punkt erreicht, an dem ich angefangen habe, selbstständig zu denken. Meine Musik ist ein grosses Fuck you an meine Vergangenheit. Nein, ich habe meine Sexualität nicht offenbart. Ich könnte schwul sein. Ich könnte hetero sein. Ich könnte bi sein. Letztendlich finde ich, dass es keine Rolle spielt. Es gibt kein Gesetz, das mir verbietet, einen Song darüber zu schreiben, wie mein Hintern gewackelt wird.»
Paisley Fields will von einem Cowboy geritten werden. «Ride me Cowboy», 2020.
Von einem Cowboy geritten zu werden oder einen zu reiten, ist eine naheliegend Metapher. Also nicht besonders originell. Diese abgedroschene Metapher benutzen Paisley Fields in «Ride Me Cowboy» (2020). Dass ein Countrysong mit explizitem Text, der gleichzeitig eine raffinierte Persiflage ist, auf Männer, die Sex mit Männern habe, sich aber nicht als schwul definieren, ausgerechnet von eine KI generierte wurde, ist erstaunlich. «I Ain’t Gay» heisst der Song von Biscuit Beats, der Text ist von Dallas Little. Wer sich hinter diesen Pseudonymen verbirgt, ist nicht bekannt. Die Musik, die Stimme und vielleicht auch die Melodie wurde von einer KI erzeugt, doch der Text muss von einem Mensch stammen. Ich glaube nicht (und hoffe), dass eine KI von sich aus nicht auf Textzeilen wie diese kommt:
I ain′t gay, but I do gay stuff
Like fucking dudes in the back of my truck
A little ass slap don’t mean I′m queer
I just suck some dick when I drink my beer
Der maskierte Cowboy
2019 tauchte einer in der Country-Szene auf, der nicht nett ist, der das Mondlicht der Sonne vorzieht, und der musikalisch lieber Off-Road geht und die düsteren Ecken der Welt aufsucht. Orville Peck spielt klassischen Country, eine Mischung aus Johnny Cash und Patsy Cline, mit einem Schuss Velvet Underground. Seine Helden sind Weirdos und Underdogs, Aussenseiter eben wie er einer ist, ein Cowboy mit rebellischem Geist. Orville Peck ist immer maskiert – er sieht aus wie der Held aus einem Comic, wie ein schwuler Lucky Luke – verdammt sexy, ein trainiertet Körper mit Tattoos, dem man die tänzerische Ausbildung anmerkt. Orville Peck maskiert sich aber nicht, um sich zu verstecken. «Das ist der wahre Orville Peck», sagt er. Das ist keine Kunstfigur, genauso wie auch Dolly Parton keine ist, beide sind sie überspitzte Versionen ihrer wahren Persönlichkeit. Auch wenn sein geheimnisvolles Image sehr ansprechend ist und «instagrammable» (836’000 Followers!), ist es doch die Musik und seine Songs, die ihn verdientermassen im Galopp nach vorne bringen. Die Zeit ist reif für diesen queeren Indie-Cowboy, besonders wenn er so schöne Songs schreibt und so grossartige Videos dreht wie «Hope To Die» (2019).
Country-Pop und Homophobie
Countrymusik ist trendy. Was trendy ist, wird im Pop sogleich verwertet. Kylie machte es und Beyoncé ebenfalls, beide veröffentlichten ein Country-Pop Album. Auch Queers folgen dem Trend. Doch heute werden viele von ihnen mit einem unschönen Trend konfrontiert, der Homophobie. Doch Queers wissen sich dagegen zu wehren.
Allison Ponthier wuchs in einem Kaff in Texas auf, wo Countrymusik allgegenwärtig ist. Doch sie wollte dem Trend nicht folgen und studierte stattdessen Jazz. Nach dem Studium zog sie nach New York. Dort jobbte sie für das Naturhistorischen Museum, verkaufte selbstgemachten Schmuck, sang Coversongs auf TikTok und lernte ihre queere Identität zu akzeptieren. «In meiner Heimat war mir nicht klar, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt sein Leben zu gestalten. Ich denke, dass viele queere Menschen sich damit identifizieren können, dass sie nicht erkennen, dass man queer und trotzdem glücklich sein kann.» Im August 2021 veröffentlichte sie ihre erste Single «Cowboy» und besinnt sich auf ihre Wurzeln mit der Textzeile «It took New York to make me a cowboy». Ihr erstes Album wurde auf Ende 2025 angekündigt.
Die Texanerin musste nach New York, um zu erkennen, dass sie ein Cowboy ist. «Cowboy», 2021.
Robert Adam aus Calgary präsentiert sich gerne in Pastelltönen. Genauso weich ist sein Country: nostalgisch, romantisch, poppig und queer. Er selbst bezeichnet sich als «Dream Angel Cowboy» und erzählte, dass es in der Provinz, in der er aufwuchs, nicht einfach war, die eigene queere Identität zu feiern. Doch heute sei er stolz darauf, ein queerer Musiker aus Kanada zu sein und dass es ihm wichtig ist, Countrymusik zu seinen eigenen Bedingungen zu machen. Einige Singles sind bereits erhältlich, darunter der wunderschöne Song «Baby Blue». Sein Debüt-Album soll im Herbst folgen. Er ist zurzeit auf Tournee, doch in den USA will er keine Konzerte spielen. Die aktuell weit verbreitete Homophobie dort schreckt ihn ab. «Auf der Welt gibt es so viele andere Orte, wo sie bereit sind, Musik zu hören von einem queeren Menschen wie mir.»
Auch der Disco-Cowboy Adam Mac machte mit der Homophobie in den USA Bekanntschaft. Er sollte an einem Festival in seiner Heimatstadt Russellville in Kentucky auftreten. Doch nachdem er herausfand, dass einige Vorstandsmitglieder des Festivals «besorgt» waren, er könne auf der Bühne «die Homosexualität fördern», sagt er seinen Auftritt ab. Mac meinte, dass die Leute natürlich das Recht haben, seine Musik nicht zu hören, aber er hätte nicht erwartet, dass die Stadt, in der er aufgewachsen ist, aktiv gegen ihn protestieren würde. Sängerin Brandy Clark kommentierte seinen Rücktritt mit den Worten: «Das ist herzzerreissend … ABER es ist IHR Verlust!!!!» Recht hat sie. Adam Marcs Debüt-Album «Horizon» erschien 2016, «Disco Cowboy» folgte 2023 und machte ihn bekannt. Noch in diesem Jahr soll sein neustes Werk «Southern Spectacle» auf den Markt kommen.
Lesbische Sommerliebe im Countrystil von Brook Eden. «Got No Choice», 2021.
Zolita bezeichnet ihre Musik als Dark-Pop und R’nB. Doch ihr Song «Small Town Scandel» hat starke Country-Einflüsse. Darin sing die lesbische Sängerin davon, wie sie an einem Kleinstadt-Fest einen Skandal provoziert, in dem sie mit einer Frau rummacht. Sehr pop-orientiert ist der Country von Brook Eden. Sie sieht aus wie eine Cheerleaderin, doch sie ist eine, die nicht den Quarterback vom Footballteam will, sondern lieber mit einem Cowgirl Rodeo macht. Davon singt sie im Song «Rainbow Rodeo».
Pride Country
«It’s OK to be a Cowboy and to be gay» singen 11AfteR im Song «Gay Cowboy», eine Single von 2013. Wer hinter dem Projektnamen steckt, ist unklar, es ist auch deren einzige Veröffentlichung. Grossartig ist der Song trotzdem. Hinter keinem obskuren Projekt-Namen versteckt sich Freddy Freeman. Er ist Gründer von BearYourSoul, ein Verein, der sich für mehr Diversität in der Bären-Community einsetzt. Und der knuffige Bär singt auch gerne Country-Songs, wie seine Eigenkomposition «I’m Here, I’m Queer & I’m Country» (2013).
Country wird nicht nur in den USA produziert. Auch der Brite Tommy Atkins ist dem Country verfallen. 2020 landete er einen kleinen Hit mit dem Kuschelsex-Song «Kiss Me, Cowboy». Der Brite ist zudem ein engagierte Aktivist und gründete die Kampagne «Proud to Be Country», mit der LGBTQ+ Musiker*innen mehr Sichtbarkeit geben werden soll. Die Kampagne setzt sich bei wichtigen Country-Musik-Organisationen und Radiosendern in Grossbritannien und Europa dafür ein, einen Raum zu schaffen, in dem queere Stimmen gefeiert werden können, «and most importantly, for queer country music artists to be played on the goddamn radio!», sagt Atkins.
Brian Falduto wurde bekannt durch den Film «School of Rock» (2003). Heute ist er Countrysänger und Life Coach. Letzteres macht sich auch in seinen Songs bemerkbar. Die Debüt-Single «Same Old Country Love Song» (2022) ist vollgepackt mit LGBTQ-Freude. Sein Album «Gay Country» enthält viel Introspektion, aber auch Kitsch und Spass. Er gilt als besonders optimistische Person und reist von Pride zu Pride, um zu singen, um Reden zu halten und um jungen Menschen Hoffnung zu geben.
Der Life Coach, der auch Sänger ist, singt denselben alten Countrysong, aber schwul.
Black Country
Die Countrymusikszene gilt nicht nur als eher homophob, sondern auch als ziemlich rassistisch. Für einen queeren, schwarzen Musiker oder eine Musikerin, ist es also extrem schwierig, im Country gehört zu werden.
Lil’Nas X hat den Bann 2019 gebrochen. In seinem Nr. 1-Hit «Old Town Road» gibt es zwar keinen explizit schwulen Text, aber dass sich der Sänger als schwul outete, als er mit dem Song in den US-Charts auf Platz 1 landete, ist mutig und eine Pioniertat. Noch kontrovers diskutiert als sein Outing wurde, ob dieser Song «Country» genug ist für die Country-Charts. Dass ein schwarzer, schwuler Sänger tatsächlich dort den ersten Platz besetzt, war eine kleine Revolution und dürfte einige konservative Country-Fans erschreckt haben.
Jett Holden versucht seit Jahren im Country Fuss zu fassen. Doch er stiess auf Zweifel, subtile Vorurteile und versteckten Rassismus. Man gab ihm zu verstehen, dass er als schwarzer, schwuler Man nicht zu vermarkten sei. Dann wurde er von Holly G entdeckt, die Gründerin von Black Opry, eine Organisation, die eine Heimat bietet für schwarze Künstler*innen, Fans und Branchenexperten, die in Country, Americana, Blues und Folkmusik arbeiten. «Holly hat so viele Dinge möglich gemacht, die mir für meine gesamte Karriere bis dahin nicht zur Verfügung standen und für mich auf eine Weise gekämpft, wie niemand sonst vorher.» 2024 hat er sein Debütalbum «The Phoenix» auf den Markt gebracht. Und siehe da, es fand sich doch ein Mark für einen schwarzen, schwulen Countrymusiker.
Tanner Adell sang 2024 auf Beyoncés Countryalbum «Cowboy Carter». Bereits 2023 veröffentlichte sie ihr erstes Album «Buckle Bunny», in dem sie Country mit R’n’B verbindet. Genre-übergreifend wie ihre Musik ist auch ihre Sexualität. Im März 2025 hat sie auf dem roten Teppich des «Billboard Women in Music Awards» öffentlich bekannt gegeben, dass sie pansexuell ist und sie sich als Teil der LGBTQ+Community sieht.
Letztes Jahr hat die 40jährige Joy Clark aus New Orleans ihr Debütalbum «Tell It To the Wind» herausgebracht. Sie beschreibt es als ihre persönliche Reise der Selbstentdeckung als Künstlerin und als schwarze, queere junge Erwachsene, die im Süden lebt. Sie selbst würde sich vermutlich nicht als Countrysängerin bezeichnen, eher als Singer-Songwriterin. Doch da ist definitiv Country in ihren Songs, insbesondere im Track «One Step in the Right Direction», in dem sie darüber singt, auf dem richtigen Weg zu sein.
Joy Clark performt «One Step in the Right Direction» im Birdsong Theater in Seattle, 2022.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Country, Folk, Blues und Americana? Der ist fliessend, haben sie doch alle die gleichen Wurzeln. Und egal, zu welchem Genre sich die Musiker*innen zählen, wenn sie ihre eigenen Songs singen, sind sie Singer-Songwriters. Eigentlich sind es bloss Äusserlichkeiten, die eine Country-Act ausmachen. Trägt dieser Cowboy-Boots und -Hut, will dieser als Country gelesen werden. Wie sagte RuPaul so treffend? We’re all born naked, and the rest is drag.
Drag-Country-Queen
Eigentlich ist Dolly Parton eine Dragqueen. Sie sagte selbst, wäre sie nicht als Mädchen geboren, wäre sie eine Dragqueen geworden. Sie wird häufig von Dragqueens imitiert, worauf sie stolz ist. Dolly Parton hat uns alles beigebracht, was wir über Authentizität wissen müssen. Eines ihrer berühmtesten Zitate lautet: «Finde heraus, wer du bist, und tu es absichtlich.» Auch wenn wir wissen, dass ihre Brüste unecht sind und jedes Outfit ein Kostüm ist, wirkt Dolly Parton trotzdem authentisch. Sie weiss genau, wer sie ist und wer sie sein möchte. Als queere Person erinnert Dolly Parton uns daran, dass man, auch wenn man sich selbst treu bleibt, trotzdem Spass daran haben kann, sich der Welt zu präsentieren.
«Find out who you are and do it on purpose.»
Dolly Parton
Brian Michael Firkus’ Drag-Figur Trixie Mattel wurde bekannt durch die TV-Show RuPaul’s Drag Race. Wie bei jeder Dragqueen steckt auch bei ihr eine Geschichte hinter dem Dag-Namen. ‹Trixie› nannte Brians ausfälliger Stiefvater ihn, wenn sich Klein-Brain mal wieder ‹weibisch› benahm und ‹Mattel› kommt von Brians Obsession für Barbie-Puppen (Mattel ist der Hersteller dieser Puppen). Als Dragqueen zeichnet Trixie Mattel nicht nur ihr komödiantisches Talent und ihr signifikantes Make-up aus, sondern vor allem ihr Können als Songwriter. Trixie hat bereits vier Alben veröffentlicht. Ähnlich wie bei Trixies Vorbild Dolly Parton darf man vom ‹trashigen› Äussern nicht auf den Inhalt schliessen. Brian schreibt für sein Alter Ego nämlich wunderbare Songs, welche die Themen eines schwulen Lebens nicht auslassen.
Trixie Mattel singt für ihre Barbies «Golden», 2020
Trixie Mattel ist nicht die einzige Dragqueen, die auf Country setzt. Wobei es bei Trixie aus ihren musikalischen Wurzeln, dem Indi-Rock und Country gewachsen ist, scheint es bei Alexander Tang, der unter dem Dragnamen LEADR bekannt ist, eher aufgesetzt. Doch ihr Cover von Kacey Musgraves Song «Slow Burn» ist durchaus gelungen.
Authentischer wirkt Ginger Minj. Sie machte mehrmals an RuPaul’s Drag-Rennen mit und gewann die All-Stars-Edition 2025. «Double Wide Diva» hiess das Country Album, das der 41jährige Joshua Eads (so sein bürgerlicher Name) aus Florida 2021 herausbrachte. Viele Songs darauf sind Eigenkompositionen. Der Songs «Walk Tall», ein gelungener Selbstermächtigungssong, komponiert Ginger Minj zusammen mit Brandon Stansell (siehe nächstes Kapitel).
Die preisgekrönte Künstlerin Flamy Grant ist eine Dragqueen aus Asheville, North Carolina, die Schamgefühle bekämpft, mit den Hüften wackelt und Songs schreibt. Ihr Debütalbum «Bible Belt Baby» aus dem Jahr 2022 erreichte Platz 1 der iTunes Christian Charts (als erste Drag-Künstlerin überhaupt). Ihr zweites Album «Church» aus dem Jahr 2024 erreichte Platz 8 der iTunes Country Charts. Mit ihrem kühnen Auftreten und ihrer mitreissenden Stimme ist Flamy der brillante, unerschütterliche Beweis dafür, dass nichts heilig ist (aber alles heilig sein kann) und Scham in den Schrank gehört. Eine christliche Dragqueen also.
Der christliche Glaube in der Countrymusik
Der christliche Glaube, insbesondere die christlichen Werte und Vorstellungen, spielt in Countrysongs eine auffallend zentrale Rolle. Unabhängig von Geschlecht, sexueller Identität oder politischer Einstellung greifen Künstler*innen – auch jene, die sich als queer identifizieren – immer wieder auf religiöse Motive zurück. Dabei ist es nicht eindeutig festzustellen, ob queere Musiker*innen sich tatsächlich vom Glauben abgewendet haben. Was jedoch deutlich wird: Viele von ihnen haben unter den Paradigmen und Dogmen des christlichen Glaubens gelitten und mussten sich mit dessen Einfluss auf ihr Leben und ihre Identität auseinandersetzen.
Brandon Stansell aus Tennessee, machte sein Debüt 2017. Doch der Weg dorthin war nicht einfach. In seiner Baptisten-Familie stiess sein Coming-out auf Ablehnung und eine Konversionstherapie musste er auch noch über sich ergehen lassen. «Ich wusste, dass sie es nicht verstehen würden, aber ich habe es ihnen trotzdem gesagt. 10 Jahre später warte ich immer noch darauf, dass dieser Schmerz heilt.» Über seine schmerzhafte Geschichte wurde ein Dokumentarfilm gedreht (Trailer zu «Three Chords And A Lie»), in welchem er zurück in seine Heimatstadt geht, um sich dort mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, mit LGBTQ-Menschen zu reden, die in diesem homophoben Umfeld leben, und sie mit einem Konzert auf ihrem Weg zu bestärken.
Romantisches Video von Brandon Stansell für den Nach-Quarantäne-Song «Pick Up Where We Left Off» von 2021.
Katie Pruitt beschreibt in ihren Songs die Spannung zwischen ihrem Coming-out als Lesbe und dem Aufwachsen in einem religiös-konservativen Umfeld. Sie hofft, dass ihre Musik jungen Menschen, die mit ihrer Sexualität zu kämpfen haben, das Gefühl gibt, weniger allein zu sein.
Pink Williams aus Memphis, Tennessee versteht sich als Protestsänger und Songwriter. «Im 21. Jahrhundert gibt es keinen Platz für Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Fanatismus jeglicher Art. Mein Stil mag retro sein, aber meine Ansichten sind es ganz sicher nicht.» Ein Atheist ist er jedoch nicht, dankt er doch Gott für die Diversität unter den Menschen: «Thank God for gay cowboys and gay rednecks too.»
Im Bible Belt von Amerika sind Melody Walker & Mercy Bell Persona non grata, behaupten sie doch in einem Song «Jesus Was A Drag Queen». Die beiden Frauen toppen das noch, in dem sie singen, er war auch ein Trans*Kind, ein Kommunist und ein Feminist. Sie wollen damit nicht einfach provozieren, sondern die Frage aufwerfen: Wenn Jesus heute tatsächlich zurück auf die Erde käme, mit wem möchte er abhängen? Würden seine Anhänger ihn überhaupt erkennen oder akzeptieren?
Last, but not least
Es gibt noch viele weiter queere Countrysängerinnen und -Sänger, die in diesem Artikel bisher nicht erwähnt wurden, dies aber verdienen.
Jaime Wyatt unterdrückte ihre Queerness lang und konnte diese erst annehmen, als sie 30 Jahre alt wurde. Befreit veröffentlichte sie 2017 ihr Debüt Album «Felony Blues». Jaime Wyatt besticht durch ihre unverfälschte, ehrliche Lyrik und ihre kraftvolle, unverwechselbare Stimme. Ihr neustes Album «Feel Good» (2013) ist eine Wucht. Sie sagt darüber: «Viele von uns wachsen mit dem Gefühl auf, sie müssten sich verbergen, um akzeptiert zu werden, aber das kommt von einem Ort der Angst und der Vorurteile», erklärt Wyatt. «Ich habe diese Songs geschrieben, um all das loszulassen, als Erlaubnis, sich gut zu fühlen.»
Lily Rose erhielt von GLAAD (LGBT Media Advocacy Organization) 2022 den Breakthrough Music Artist Award. Sie schreibt Songs, die ihre lesbische Identität nicht verstecken: «Ich liebe die Tatsache, dass ich eine maskuline Frau in der Country-Musik bin. Ich wurde auf die Erde geschickt, um Barrieren zu brechen.»
Mit «Villain» landete Lili Rose 2020 einen Hit.
Cheley Tackett ist eine unabhängige Countrymusikerin, die sich viel Zeit lässt für ein Album. Seit ihrem Debüt 2001 sind es nur vier. Was sie auszeichnet, ist ihre kraft- und gefühlvolle Stimme, die lyrische Intensität ihrer Texte und ihre melodischen ausgereiften Kompositionen.
Der New Yorker Dale Hollow strotzt vor Selbstbewusstsein und behaupte einfach mal, er sei der Beste. Trotz dieser kühnen Behauptungen sagt er, dass seine Bestrebung nur ist, sich mit anderen zu verbinden. «Ich behaupte nicht, ein Menschenrechtsaktivist zu sein, aber ich behaupte, dass jeder Liebe und Akzeptanz verdient, egal wie seine Situation, Orientierung oder Finanzverfassung sein mag.» Seine neueste Single «Almost Always, Never Nothing, Never Something» ist ein sentimentaler Heuler.
Chris Housman ist ein facettenreicher Musiker und Grenzen überschreitender Singer-Songwriter, der dafür gelobt wird, dass er «Ausgestossenen des Genres» eine Stimme gibt. Zudem ist er Multiinstrumentalist und wurde sogar 5. bei einer internationalen Meisterschaft im Kunstpfeifen! Er scheut sich auch nicht, sich in seinen Songs politisch zu positioniere, wie in «Blueneck» (2021).
Eine der grössten Stars in der Countryszene heute ist Maren Morris. Sie ist mit einem Mann verheiratet und Mutter. Maren Morris hat sich im Juni 2024 als bisexuell geoutet. Sie teilte via Instagram mit, dass sie «glücklich sei, das B in LGBTQ+ zu sein». Dieses Coming-out folgte auf eine Zeit, in der Morris sich aktiv für die Trans-Community eingesetzt und sich von der Country-Musik-Szene distanziert hatte, weil sie deren Bigotterie in der Trump-Ära ablehnte.
Der Singer-Songwriter Medium Build hat 2024 das grossartige Album «Country» veröffentlicht. Darin erkundet er nicht nur seine Wurzeln in der Countrymusik, sondern auch, wie es war, auf dem Land aufzuwachsen als queerer Mensch.
Playlist
Eine Playlist mit 100 Songs von queeren Countrymusiker*innen und ein paar Allies findest du auf Spotify und Apple Music.