
Im Dezember 2025 starten in den Deutschschweizer Kinos gleich drei Filme, in denen es um sich liebende Frauen bzw. lesbische Beziehungen geht, allerdings in sehr unterschiedlicher Weise. Gemeinsam ist ihnen, dass es sich um Werke jüngerer Regisseurinnen handelt: Zwei von ihnen wurden im Jahr 1985 geboren, eine im Jahr 1987.
«Des preuves d’amour»
Der französische Spielfilm, der in Deutschland unter «15 Liebesbeweise» angekündigt wird und international den englischen Titel «Love Letters» trägt, ist der erste lange Film der Regisseurin Alice Douard (*1985 in Bordeaux).

Protagonistinnen sind die Tontechnikerin Céline und die Zahnärztin Nadia. Sie sind ein seit kurzem verheiratetes Paar. Dies wird in einer erfrischend unaufgeregten Form thematisiert, wenn auch es nicht ohne Krisen geht, aufgrund von Eltern (Nadias) mit verbohrten Ansichten oder Anwürfen «homophober Arschlöcher» (Entschuldigung! Ein Ausdruck Nadias im Film). Im Zentrum stehen weniger ein lesbisches Outing oder spezifische Probleme eines gleichgeschlechtlichen Paars (soweit es solche überhaupt gibt), sondern die Tatsache, dass die beiden ein Kind erwarten, das die Ältere, Nadia, austrägt. Nichtsdestotrotz wollte die Regisseurin nach eigenen Angaben mit ihrem Film auch ein Vorbild schaffen für das, «was unsere Form von Familie infrage stellt».
Aufgrund eines Parlamentsbeschlusses im Jahr 2014 kann Nadias Partnerin nach erfolgter Heirat das Kind adoptieren – damals ein höchst aufwändiges Verfahren (das später vereinfacht wurde). Wir werden Zeug:innen des bürokratischen Hürdenlaufs, der mit einer Adoption verbunden ist. Fünfzehn Parteien müssen bestätigen, dass Célines Absichten ernsthaft sind und sie ihrer Rolle als Mutter gewachsen sein wird. Darunter auch Célines Mutter, die als erfolgreiche Pianistin seinerzeit ihre Mutterrolle kaum wahrgenommen hat. Insofern handelt es sich (anhand von drei Beispielen: Nadia, Céline und deren Mutter) auch um einen Film zu Frage, was es heisst, Mutter zu werden und zu sein, und wie die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen sind.
Der Film wird als «romantische Komödie» angezeigt, ist aber insofern nicht nur erheiternd, als er über weite Strecken all die Schwierigkeiten aufzeigt, die mit dem Elternwerden und -sein gegeben sind: von einer manchmal mühsamen Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung über eine allenfalls schwierige Geburt bis hin zu nervigen Kindern (bzw. überforderten Eltern). Die Regisseurin äusserte, mit «Des preuves d’amour» auch eigene Erfahrungen verarbeitet zu haben, da sie sich einst selber in einer zu Céline vergleichbaren Situation befunden habe.
Überzeugend sind alle drei weiblichen Hauptdarstellerinnen. Die beiden jüngeren Frauen zeichnen ein stimmiges Bild ihrer Partnerinnenschaft mit allen Hochs und Tiefs. Célines Mutter gefällt in ihrer Rolle als etwas kauzige, eigensinnige Pianistin. Der Film gewinnt vor allem dank einer herausragenden Leistung der schweizerisch-französische Schauspielerin Ella Rumpf (*1995) als Céline, deren Perspektive die Handlung über weite Strecken folgt.
«Des preuves d’amour»
Regie: Alice Douard
Frankreich 2025; 97 Min.
Besetzung: Ella Rumpf, Monia Chokri, Noémi Lvovsky
Sprache: Französisch, mit deutschen Untertiteln
Kinostart in der Deutschschweiz:
4. Dezember 2025
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«La petite dernière»
Die siebzehnjährige Fatima wächst in der Pariser Banlieu in einer aus Algerien stammenden Familie auf. Zur Familie gehören zwei ältere Schwestern, eine für ihre Familie sorgende und meist kochende oder backende Mutter sowie ein Vater, der seine Zeit auf dem Sofa sitzend oder mit Freunden spielend verbringt. Fatimas Alltag spielt sich zwischen dieser traditionellen, wenn auch in mancher Hinsicht offenen und warmherzigen Familie, den Herausforderungen der Religion mit den im Hijab zu vollziehenden Gebeten und einem säkularen Freundeskreis in Schule und Freizeit ab. Immer mehr spürt sie, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Ein Freund, der sie nach islamischen Vorstellungen formen und heiraten will, ein Imam, der ihr die Unvereinbarkeit von Glauben und Homosexualität erläutert und ein schulisches Umfeld, in dem Schimpfwörter wie «Schwuchtel», «Lesbe» oder «Wichser» zum Alltag gehören, machen es Fatima schwer, offen zu dem zu stehen, was sie fühlt.

Die Regisseurin Hafsia Herzi (*1987) hat mit «La petite dernière» (in Deutschland «Die jüngste Tochter») einen berührenden Film über die Emanzipation einer jungen Frau geschaffen. Selber ist sie als Jüngste einer grossen Familie in einer algerisch-tunesischen Familie in Marseille aufgewachsen. Bekannt wurde sie als Schauspielerin, hat nun aber auf der Grundlage des gleichnamigen Romans von Fatima Daas ihren dritten Film vorgelegt. Dieser gewann in Cannes nicht nur die «Queer Palm». Die grandios spielende Hauptdarstellerin Nadia Melliti, die zuvor über keine Erfahrungen als Schauspielerin verfügte, wurde zudem mit dem Preis für die Beste Darstellerin ausgezeichnet.
Da und dort wurde bemängelt, dass der Film die Konfrontation zwischen Islam und Homosexualität zu wenig thematisiere bzw. auf eine Darstellung von damit verbundenen konfliktreichen Auseinandersetzungen innerhalb der Familie verzichte. Demgegenüber kann es gerade als Stärke des Films angesehen werden, wie dieser konsequent bei der Zerrissenheit und dem inneren Kampf der Protagonistin bleibt und ihre emotionale Zurückhaltung nachvollziehbar macht.
Spannend ist es, dass Hafsia Herzi ihren Film analog zu den Jahreszeiten aufbaut, beginnend mit dem Frühling. Auf diese Weise werden das Erwachen der homoerotischen Gefühle, das Herantasten in Neuland anhand von ersten Kontakten über eine Dating-App, ein feuerwerkartiger Durchbruch mit der aus Korea stammenden Ji-Na, der im ausgelassenen Feiern der Pride gipfelt, aber auch Rückschläge und Stolpersteine anschaulich gemacht. In welche Jahreszeit der Film mündet, sei hier nicht verraten.
Wohltuend ist es, dass im Gegensatz zu anderen Filmen, in denen rigide Familiensystem im Zentrum stehen, hier ein Umfeld dargestellt wird, das zwar Fatima nicht ermöglicht, völlig offen zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen, aber immerhin Luft zum Atmen gibt, gerade auch ihr als an Asthma Leidende. Auch innerhalb der Familie muss sich Fatima Sticheleien ihrer Schwestern anhören («Wer will dieses burschikos auftretende Mädchen schon heiraten»?). Ihre Mutter zeichnet sich jedoch durch eine eindrückliche Präsenz und Nähe zu ihrer Tochter auf.
Ein nachhaltiger Film mit einer brillanten Hauptdarstellerin, der dazu ermutigt, den Weg der Freiheit, die ein Mensch mal gerochen hat, unbeirrt weiterzugehen.
«La petite dernière»
Regie: Hafsia Herzi
Frankreich/Deutschland 2025; 107 Min.
Besetzung: Nadia Melliti, Ji-min Park
Sprache: Französisch, mit deutschen Untertiteln
Kinostart in der Deutschschweiz:
18. Dezember 2025
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«Dreamers»
Isio, eine aus Nigeria stammende Frau, hat sich zwei Jahren lang illegal in Grossbritannien aufgehalten. Nachdem sie aufgegriffen wurde, kam sie in ein Asylzentrum, was einer Abschiebehaft gleichkam. Die dort inhaftierten Frauen dürfen zwar dreimal Rekurs gegen eine Ablehnung ihres Asylantrags einreichen, werden aber nach dem dritten negativen Entscheid abgeschoben. Anfänglich kann Isio sich nur schwer einleben im rauen Klima des Zentrums, in dem eine Gang das Sagen hat. In ihrer Zimmerkollegin Farah findet sie jedoch eine fürsorgliche Begleiterin, die ihr hilft, sich zu orientieren und die Hoffnung, das Zentrum als freier Mensch verlassen zu können, nicht aufzugeben. Mit der Zeit entwickeln Isio und Farah Gefühle füreinander, tauschen Zärtlichkeiten aus und werden ein Liebespaar.

Isios Strategie besteht darin, den Behörden gegenüber ihre Situation wahrheitsgetreu zu schildern. Als lesbische Frau kam sie in Nigeria von gesellschaftlicher wie kirchlicher Seite unter Druck. Als ihre Mutter dahinterkam, dass sie eine Liebhaberin hatte, liess sie sogar eine Vergewaltigung ihrer Tochter zu, um sie zu «heilen». Als Isio mehr und mehr bewusst wird, dass ihre Homosexualität nicht als Asylgrund anerkannt und sie Farah ganz verlieren würde, reift in ihr der Entschluss, zusammen mit Vertrauten aus dem Asylzentrum zu entweichen.
Die britische Filmproduzentin und Autorin Joy Gharoro-Akpojotor (*1985), selber ursprünglich aus Nigeria stammend, hat mit «Dreamers» ihr Regiedebüt geschaffen. Erst nachdem sie eine Therapie gemacht hatte, um ihre eigenen Erfahrungen als lesbische Geflüchtete zu verarbeiten, fand sie sich in der Lage, die Thematik in der Form eines Films aufzugreifen. Weltpremiere fand das Werk in der Panorama-Sektion der Berlinale 2025, und wurde seither in verschiedenen Festivals gezeigt, so auch in der Berner «Queersicht».
Der Film kommt dann und wann etwas holzschnittartig daher. Der Umschwung von einem Klima der Repression im Zentrum zu einem Ort der Zärtlichkeit erfolgt ziemlich rasch. Farah und weitere Genossinnen treten zeitweise gegenüber Isio etwas lehrerinnenhaft auf. Immerhin gelingt es ihnen, dass Isio zunehmend ihre Gefühle wahrnimmt und für ihre Bedürfnisse zu kämpfen beginnt. Farah meint zum Beispiel, Freiheit beginne im Kopf oder es gehe darum, sich nicht von der Angst beherrschen zu lassen. Eine irakische Frau ermutigt Isio, es sei möglich, in dieser Isolation zu leben und sich gleichzeitig zu verlieben.
Es handelt sich auch um einen Film, der die Unmenschlichkeit des britischen Asylsystems dokumentiert. Vielmehr aber, und darin liegt seine Stärke, stellt er die Möglichkeit von Freundschaft und Solidarität in bedrängenden Umständen ins Zentrum. Er lebt von der einfühlsamen Darstellung der intimen Momente zwischen Isio und Farah, von ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Sicherheit, von ihren Träumen, wie ein gemeinsames Leben ausserhalb der Mauern des Asylzentrums aussehen könnte. Eine farblich warme Atmosphäre, in der der Film gehalten ist, trägt wesentlich dazu bei. Nicht zu vergessen die überzeugende schauspielerische Leistung der vier Hauptprotagonistinnen.
Nicht zuletzt regt der Film dazu an, sich noch vermehrt für eine Anerkennung einer homosexuellen Orientierung oder einer von der Norm abweichenden Geschlechtsidentität als Asylgrund einzusetzen. So dass es nicht mehr an Geflüchteten liegt, eine solche beweisen zu müssen und dadurch allenfalls retraumatisiert zu werden.
«Dreamers»
Regie: Joy Gharoro-Akpojotor
UK 2025; 76 Min.
Besetzung: Ronkę Adékoluęjo, Ann Akinjirin, Diana Yekinni, Aiysha Hart
Sprache: Englisch, mit deutschen Untertiteln
Kinostart in der Deutschschweiz:
11. Dezember 2025
