DJ Coreys Musiktipps für den April

Melissa Etheridge, Mashrou' Leila, Annett Louisan, Salvador Sobral, Billie Ellish, Alma, Ben Platt, Brendan MacLean, Sir Babygirl, The Drums

Ein Anti-Teen-Pop-Star aus dem Kinderzimmer: Billie Ellish. Queer-Pop gegen den Mainstream und gängige Schönheitsideale: die Finnin Alma. Zwischen Bubblegum-Pop und 90s-Indie-Rock: das queere Universum von Sir Babygirl. Raus aus dem Selbstmitleid: Jonathan Pierce von The Drums schöpft neue Hoffnung. Gay-Pop als Waffe: Brendan MacLean rechnet mit seinen Ex-Freunden ab. Libanesische Indie-Pop-Band mit einem LGBTI-Aktivisten als Frontmann: Mashrou’ Leila. Melissa Etheridge holt die Gitarre aus dem Schrank und versöhnt sich mit der Welt. Von der Broadway-Bühne zum Singersongwriter: Ben Platts feines Debüt ist von Selbstzweifeln und Selbstfindung geprägt. Kleine oder grosse Liebe? Annett Louisan schafft den Spagat zwischen Intimität und grosser Geste. Gefühliger Pop aus Portugal: das zweite Studio-Album vom ESC-Sieger Salvador Sobral.


BILLIE ELLISH

When We All Fall Asleep, Where Do We Go (Darkroom/Interscope Records)

Die 17-jährige Billie Ellish ist der Anti-Teen-Popstar, auf den wir schon alle insgeheim gewartet haben. Was dieser Ausnahmetalent mit ihrem Debüt erreicht, ist die Frucht harter Arbeit im Kinderzimmer, mit der alleinigen Unterstützung durch ihren Bruder Finneas O’Connell und nicht etwa durch eine Armada namhafter Produzenten. Billie Ellish hat manchmal etwas vom schlafwandlerischen Dream-Pop einer Lana Del Rey. Manchmal ist sie gar nicht so weit weg vom urbanen Vampirismus von The Weeknd oder vom musikalischen Mut einer Lorde. In ihren Songs spinnt sie Alltagsfragmenten zu kleinen Horrorfilmen weiter, die jedoch noch Raum für eine gewisse Ironie und dunkle Romantik lassen.


ALMA

Have You Seen Her? (Virgin Records)

Man kann sie nicht übersehen. Ihre Neon-Haare, ihre schrillen Klamotten und ihr Mut zur Anti-Mainstream-Haltung. Die 23-jährige Finnin ist eine erfrischende Alternative zu den sonst so perfekt gestylten Pop-Sternchen. Die britische Zeitung «Guardian» hat sie als Cyber-Goth-Reinkarnation der jungen Adele definiert, die allerdings wie Beth Ditto unter Tropical-House-Einfluss klingt. Nach den Singles «Karma», «Dye My Hair», «Chasing High» und «Bonfire», eine Kollaboration mit DJ Felix Jaehn, folgt nun das Debüt «Have You Seen Her?». Wie die Vorabsingles «Summer» und «When I Die» zeigen, hat Alma ein Händchen für gut gemachten Pop, den sie mit ihrer Power-Soul-Stimme und House- sowie R&B-Elemente in eine höhere Dimension erhebt.


SIR BABYGIRL

Crush On Me (Father Daughter Records)

Hinter Sir Babygirl versteckt sich die Amerikanerin Kelsie Hogue. Auf ihrem Debüt «Crush On Me» bietet sie eine eigenwillige Vision von Queer Pop jenseits von Geschlechtergrenzen und Heteronormativität. Auch wenn ihre Mutter ihr von Kindheit an eingetrichtert hat, dass Whitney Houston und Mariah Carey die wichtigsten Frauen auf der Welt seien, hat Sir Babygirl nicht nur das Repertoire von Pop-Sternchen wie Britney Spears und die Spice Girls verinnerlicht, sondern auch den Grunge und Indie-Rock der 90er-Jahre lieben lernen. So changieren ihre catchy Songs unvermeidlich zwischen den Polen Bubblebum Pop und Alternative Rock.


THE DRUMS

Brutalism (ANTI/Epitaph)

Bereits seit dem letzten Album «Abysmal Thoughts» besteht die Band The Drums nur noch aus ihrem Frontmann Jonathan Pierces. Für ihn läutet «Brutalism» eine Phase der Bereinigung ein. Damit verabschiedet er sich von seinen schlechten Gewohnheiten und Pseudo-Freunden. Er macht nun Sport, mag gute Gespräche und liebt gesunde Ernährung. Aber über die Trennung von einem schlimmen Lover ist er noch nicht hinweggekommen. Auf dem Album-Cover riecht er weiterhin mit Sehnsucht an dessen T-Shirt. Trotzdem sind die neuen Songs, die wieder Indie-Pop mit einem Faible für The-Smiths-Gitarren bieten, von Hoffnung und Optimismus getränkt.


BRENDAN MACLEAN

And the Boyfriends (Brendan MacLean)

Zwischen 2014 und 2017 hat Brendan Maclean verschiedene EPs herausgebracht. «And The Boyfriends», sein Coming-Of-Age-Album, unterscheidet sich eindeutig von seinen bisherigen Arbeiten. Der schwule Singer-Songwriter aus Australien kann nach wie vor euphorische Electro-Pop-Nummern aus den Ärmeln schütteln. Aber seinen Fokus hat er neu auf emotionale Intensität und subtile Zwischentöne gelegt, wie die vielen elektronischen introspektiven Balladen zeigen. «And The Boyfriends» bringt die geneigte LGBTI-Hörerschaft zum Tanzen, zum Weinen und hoffentlich zur Erkenntnis, dass man lieber die Finger vom Ex lassen soll.


MASHROU’ LEILA

The Beirut School (Shoop! Shoop!)

Im Nahen Osten geniessen Mashrou’ Leila Kultstatus. Diese vierköpfige Indie-Band ist in doppelter Hinsicht eine grosse arabische Sensation. Zum einen hat sie einen offen schwulen Frontmann, den charismatischen Hamed Sinno. Zum anderen setzt sie sich in ihren Songs mit wichtigen politischen Themen auseinander, wie Bürgerrechten, Terrorattentate, Schwulsein und Sex. Diese explosive Mischung hat Mashrou’ Leila nicht nur viele Fans beschert, sondern auch die Ordnungshüter auf den Plan gerufen. Heuriges Jahr zelebriert die libanesische Band ihr zehnjähriges Jubiläum mit einer Europa-Tournee und mit dem Best-Of-Sampler «The Beirut School», der noch drei neue Songs enthält, darunter die neue LGBT-Hymne «Calvary». Produziert hat der Brite Joe Goddard, Mastermind der Electropop-Band Hot Chip.


MELISSA ETHERIDGE

The Medicine Show (MLE Music)

Vor 30 Jahren erschien ihr schlicht mit ihrem Namen betiteltes Debüt, das dank den Hits «Like The Way I Do» und «Bring Me Some Water» den Grundstein für ihre glückliche Karriere legte und ihr den Ruf des weiblichen Bruce Springsteen einbrachte. Nach ihrer Soul-Hommage «Memphis Rock And Soul», die 2017 auf dem legendären Stax-Label erschien und mit welcher sie sich einen lang ersehnten Wunsch erfüllte, besinnt sich die 57-jährige Melissa Etheridge auf ihre Stärken zurück. «The Medicine Show» bietet schnörkellosen Rock, wahnsinnige Gitarren-Riffs, melodiösen Power-Balladen und engagierte Songs, nach wie vor mit dieser unvergleichlichen rauen und kratzbürstigen Stimme vorgetragen. Im Zentrum stehen diesmal persönliche und politische Heilungsprozesse.


BEN PLATT

Sing To Me Instead (Atlantic)

Mit «Pitch Perfect», der Musical-Komödie aus Hollywood, ist Ben Platt international berühmt worden. Danach schaffte der 25-jährige schwule Künstler mühelos den Sprung von der Kino-Leinwand auf die Broadway-Bühne. Er wurde bereits mit einem Tony Award in der Kategorie «Bester Hauptdarsteller» ausgezeichnet. Mit seinem Erstling «Sing To Me Instead» verwandelt sich der singende Schauspieler in einen sensiblen Singersongwriter. Mit seiner gefühlvollen Baritonstimme intoniert Ben Platt dramatische Piano-Balladen, die wirklich mitten ins Herz treffen. Für mich ist Ben Platt die amerikanische Version von Adele oder Sam Smith. Was ihm auf diesem Album allerdings fehlt, ist ein richtiger Monster-Hit.


ANNETT LOUISAN

Kleine grosse Liebe (Sony Music / Ariola)

Seit ihrem Hit «Das Spiel» aus 2004 und nach sieben Alben ist Annett Louisan eine feste Grösse im Chanson-Pop-Fach. Ihr Publikum kann sich sehr wohl in ihre präzisen Alltagsbeobachtungen identifizieren. Die mittlerweile 41-jährige Künstlerin schwelgt gerne in Träumen und Erinnerungen, führt aber sich selber und ihre Fans schnell auf den Boden der Realität zurück. Ihr neues Doppelalbum besteht aus zwei Teilen. «Kleine Liebe» setzt auf bewährte, nostalgische und intime Chansons in spärlichen Arrangements. Bei «Grosse Liebe» wird indes mit ziemlich grosser Kelle angerichtet. Mit dem Rosenstolz-Team um Peter Plate und Ulf Sommer entdeckt Annett Louisan das Dramatische, die Theatralik und die grosse Geste im Pop. Auch diese neue Facette steht ihr sehr gut. Bravo.


SALVADOR SOBRAL

Paris Lisboa (Warner Music Spain)

Mit der sensiblen Jazz-Ballade «Amar Pelos Dois» hat Salvador Sobral 2017 den Eurovision Song Contest in Kiew gewonnen und den Wettbewerb im Folgejahr zum ersten Mal nach Portugal geholt. Sowohl der Beitrag als auch der Sänger liessen sich ins typische, auf Show und Unterhaltung ausgelegte ESC-Schema nicht pressen. Für einmal entschied sich das Publikum für Poesie und Authentizität. Nach erfolgreicher Herztransplantation liegt Sobrals zweites Studiowerk vor. «Paris, Lisboa», meistens in Quartettbesetzung eingespielt, ist eine feinfühlige musikalische Reise, wo sich kubanischer Bolero, Fado, Samba aus Brasilien, Chanson und Jazz ein Stelldichein geben. Absolute Hauptdarstellerin ist Salvador Sobrals wandlungsfähige Stimme, die jedem Song einen eigenen Charakter gibt.


Sendung hören:

Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im GayRadio auf Radio RaBe
https://queerup.ch/gayradio

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