
DJ Coreys MusikTipps Oktober 2025
Mariah Carey, Say She She, Lola Young, Khalid, King Princess, Nemo, The Hidden Cameras, Rainbow Kitten Surprise, River Westin, Maxwell Luke, Suzane.
Die entspannte Comeback-Runde von Mariah Carey. Das Disco-Funk-Revival von Say She She. Die Dämonen von Lola Young. Der Befreiungsschrei von Khalid. Der lesbische Herzschmerz von King Princess. Das Partyalbum nach dem ESC-Sieg: Nemo. Von Weird Folk zu Weird Dance: The Hidden Cameras. Die Alternative-Band mit einer Trans-Frau als Frontfrau: Rainbow Kitten Surprise. Der dunkle Dream-Pop von River Westin. All American Gay Songwriter: Maxwell Luke. Neue Electro-Pop-Chansons von Suzane.
MARIAH CAREY
Here For It All (Gamma)
Mit 56 Jahren, nach über 200 Millionen verkauften Alben und einer siebenjährigen Funkstille beweist Mariah Carey, dass sie nach wie vor die unangefochtene Königin des zuckersüssen und sexy R&B ist. Auf dem Comeback-Album «Here For It All» geht die glamouröse Diva auf Nummer sicher. Ihre Street Credibility bleibt stets intakt. Ihr zeitloser Sound oszilliert zwischen Hip-Hop, 70er-Jahre-Soul, Pop, Disco, Gospel und selbstverständlich Power-Balladen. Wie ihre letzten Promo-Live-Auftritte gezeigt haben, ist Mariahs Stimme leicht tiefer geworden, ohne dabei an emotionaler Ausdruckskraft einzubüssen. Angenehm überraschend ist, dass Mariah Carey auf ihren Hang für überladenes Pathos verzichtet und eine neue Lockerheit an den Tag legt, die sie wärmer und weniger steril macht.
SAY SHE SHE
Cut & Rewind (Drink Sum Wtr)
Das Trio Say She She besteht aus drei hervorragenden Sängerinnen aus Brooklyn. Piya Malik, Sabrina Mileo Cunningham und Nya Gazelle Brown läuten auf ihrem dritten Album «Cut & Rewind» ein politisches Disco-Funk-Soul-Revival ein. Der Schlüsselsong des Albums «Disco Life» ist ein expliziter Hinweis auf die «Disco Demolition Night» von 1979 in Chicago, als männliche Rock-Fans und Disco-Hasser die Disco-Platten von Schwarzen, Queeren und Frauen verbrannten. «Cut & Rewind» ist ein Manifest für Liebe und Selbstermächtigung und ein deutliches Statement gegen Rassismus und Homophobie. Ja, auch Protestsongs können cool klingen und zum Tanzen animieren.
LOLA YOUNG
I’m Only F**king Myself (Island/Universal)
Auf dem Cover ihres dritten Albums umarmt Lola Young eine Sexpuppe, die ihre Gesichtszüge trägt. Es geht ihr aber nicht nur um eine wortwörtliche Umsetzung des Albumtitels «I’m Only F**king Myself», sondern auch um die Sensibilisierung auf ihre Suchtprobleme. Die Songs drehen sich um Sex, Drogen, Depressionen und Selbstzerstörung. Der musikalische Mix aus Pop, Soul, akustischen Balladen und Indie-Rock ist auf Lola Youngs Ausnahmestimme perfekt zugeschnitten, die zu Recht mit den britischen Superstars Adele und Amy Winehouse verglichen wird. Mit Letzterer hat Lola Young den Manager gemeinsam. Im Unterschied zu Amy Winehouse ist Lola Young aber gewillt, vom Rande ihrer persönlichen Niederlagen wiederaufzustehen. Die Absage der erst angefangenen Welttournee, bis sie ihre Gesundheit in den Griff kriegt, ist also ein konsequenter Schritt.
KHALID
after the sun goes down (RCA)
Nach seinem Durchbruch im Jahr 2016 avancierte der R&B-Sänger Khalid zum Liebling der Musik-Industrie, bekam fünf Grammy-Nominierungen und wurde zum gefragten Duett-Partner für viele Pop-Grössen, von Ed Sheeran bis Billie Eilish. Auf seinen ersten drei Alben hielt Khalid seine sexuelle Orientierung noch unter Verschluss, auch wenn sein Song «Satellite» von 2022 im Nachhinein als LGBTQ-Hymne gilt. Das neue Album «after the sun goes down», das nach seinem unfreiwilligen Coming-Out Ende 2024 erscheint, ist von einem neu gewonnenen Freiheits- und Offenheitsgefühl geprägt. Khalid verabschiedet sich von seiner Schüchternheit. Er umarmt furchtlos seine Queerness und zaubert eine emotional und sexuelle geladene Dance-Pop-R&B-Platte hervor.
NEMO
Arthouse (Universal)
Nemos Debütalbum nach dem Coming-Out als nicht-binär und dem ESC-Sieg mit «The Code» im Jahr 2024 ist endlich draussen. «Arthouse» ist als Safe-Space-Playlist konzipiert, wo jede Emotion ihren sicheren Platz hat, und alle eingeladen sind, sich frei zu entfalten und individuell auszuleben. Es geht auch um eine Bestandsaufnahme, nämlich darum, wo Nemo heute als Person und Artist steht. Die Devise lautet vorwiegend auf Partytime, aber es bleibt auch genügend Raum für Selbstreflektion, Liebe und Romantik. Funky Disco-Grooves treffen auf Techno, Oper, herzzerreissende Balladen und märchenhafte Klanglandschaften. «Arthouse» offenbart alle Facetten von Nemo und erfüllt die Erwartungen voll und ganz.
KING PRINCESS
Girl Violence (Section/Virgin)
In den letzten zwei Jahren ist bei Mikaela Straus alias King Princess viel gelaufen. Kurz zusammengefasst, gab es grosse Auftritte bei den Musikfestivals Glastonbury und Coachella, eine wichtige Rolle in der Serie „Nine Perfect Strangers“ an der Seite von Hollywood-Star Nicole Kidman, die Trennung von ihrer Partnerin und vom Major-Label und den Umzug von Los Angeles nach ihrer Heimat Brooklyn. «Girl Violence» ist ein queeres Break-Up-Album, das sich unmissverständlich an die sapphische Community richtet, wobei die weibliche Gewalt im Sinne von Herzschmerz zu verstehen ist. King Princess hat immer noch ein sicheres Händchen für charmante Pop-Melodien in wohliger Achtziger- und Neunziger-Nostalgie, zwischen Synth-Sound, R&B und Grunge.
THE HIDDEN CAMERAS
Bronto (Motor/Edel)
The Hidden Cameras, das kanadische Künstlerkollektiv um den offen schwulen Sänger Joel Gibb, wurden 2003 mit «The Smell Of Our Own» international bekannt und waren damals die queere Indie-Pop-Sensation schlechthin. Ihren Sound bezeichneten sie als «gay church folk», anders gesagt eine Art Kammerpop mit politischen und homoerotischen Texten, der in der Live-Umsetzung eine sexuell aufgeladene Stimmung entfaltete. Neun Jahre nach «Home On Native Land» erfinden sich Joel Gibb & seine Gefährte musikalisch neu und tauschen den Indie-Folk ihrer Anfänge gegen queeren Dance-Pop an der Schnittstelle zwischen 70er-Jahre-Disco, Electroclash und Synthie-Pop. Und zur Überraschung: Von den Vorab-Singles «How Do You Love» bzw. «Undertow» gibt es je einen Remix von The Pet Shop Boys bzw. Vince Clarke.
RAINBOW KITTEN SURPRISE
Bones
Rainbow Kitten Surprise ist eine US-amerikanische Alternative-Band um Trans-Frau und Sängerin Ela Melo, die 2013 in einem Studentenheim an der Appalachian State University gegründet wurde und für ihre Live-Performances besonders gelobt wird. Vom kraftvollen, emotionalen Opener „Friendly Fire“ bis zum triumphalen Schlusssong „Tropics“ ist das neue Opus „Bones“ das Produkt einer Band, die perfekt miteinander harmoniert. Es ist eine Hommage an die Indie-Folk-Rock-Wurzeln der Band, die sich damit in eine neue musikalische und persönliche Dimension katapultiert.
RIVER WESTIN
Saturnine (Kayuta Records)
River Westins Liebe zu melancholischem Vintage-Dream-Pop und dessen Ästhetik machen den schwulen Singer-Songwriter sehr interessant. Auf seinem Debütalbum „Candy Cigarettes“ verband er Country-Western-Klänge der 60er Jahre mit seinem verträumten Sound und sehnte sich nach der Rückkehr nach Hause seines geliebten Cowboys. Auf seinem dritten Album «Saturnine» hat River Westin seinen musikalischen Nostalgietrip um weitere Elemente wie Trip Hop oder Shoegaze ergänzt und erinnert mit seiner androgynen Stimme an Lana Del Rey oder an die Indie-Band Cigarettes After Sex. Im beängstigenden Eröffnungsstück «Witch Hunting» mahnt uns River Westin zur Vorsicht vor Hexenjäger/innen und liefert eine treffende Metapher für die Hetze gegen die Trans-Community in den USA.
MAXWELL LUKE
A Swan From Gatorland (Maxwell Luke McMahon)
Maxwell Luke ist ein 23-jähriger offen schwuler Singer-Songwriter, Sänger und Musiker aus Orlando, Florida. Er lebt und arbeitet heute in Nashville, Tennessee. Seine Musikhelden sind sowohl Ikonen der Vergangenheit wie Carole King und Freddie Mercury, als auch moderne queere Stars wie Chappell Roan. Auf seinem Debüt «A Swan From Gatorland» verarbeitet Maxwell Luke seine schwulen Liebeserfahrungen, die meistens keinen guten Ausgang haben. In «Girlfriend» kommt er sich vor wie das Versuchskaninchen des grausamen Experiments eines Heteromanns. In «I Miss My Friend» verliebt er sich in seinen besten Freund, der leider schon eine Freundin hat. Das tönt wie ein Klassiker des frühen Rufus Wainwright.
SUZANE
Millénium (3ème bureau / Wagram)
Frankreichs lesbischer Popstar mit Pagenschnitt und Superheldenkostüm schlägt zurück. Auf «Millénium» macht sich Suzane zum musikalischen Sprachrohr der Millennials. Ihr Mix aus traditionellen französischen Chansons und Electro-Pop mit engagierten Texten erinnert an den frühen Stromae und an ihre queeren Kolleg/innen wie Hoshi und Eddy De Pretto. Suzane erweist sich einmal mehr als scharfe Beobachterin der jungen Generation und Kritikerin des Patriarchats. Z.B. in «J’accuse» prangert sie die Trägheit der französischen Justiz in Bezug auf Gewalt gegen Frauen an. Im persönlichen Chanson «Virile» thematisiert sie indes die ihr als Kind aufgezwungene Weiblichkeit, obwohl sie schon damals lieber Hosen trug und mit den Jungs Fussball spielte.
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Playlist
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