gaybern.ch | ha-bern.ch | 3gang.ch | cominginn.ch
gaybern.ch - lesbischwules portal für bern der hab
   
spacer

linie
Dienstag, 27. Juni, 20:30 Uhr
Mittwoch, 28. Juni, 18:30 Uhr

DIE MITTE DER WELT

Deutschland, Österrreich 2016, 115 Min, digital HD, Originalversion Deutsch; Regie, Buch: Jakob M. Erwa; Vorlage: Andreas Steinhöfel (Roman "Die Mitte der Welt")
Mit: Louis Hofmann (Phil), Sabine Timoteo (Glass), Jannik Schümann (Nicholas), Ada Philine Stappenbeck (Dianne), Inka Friedrich (Tereza), Nina Proll (Pascal), Svenja Jung (Kat), Sascha Alexander Gersak (Michael), Clemens Rehbein (Kyle), Thomas Goritzki (Lehrer Hänel)

Trailer

Ein 17-Jähriger sucht in einer wichtigen Lebensphase nach Orientierung und Identität, wobei er sich mit den düsteren Geheimnissen in seiner unkonventionellen Familie ebenso konfrontiert sieht wie mit persönlichen Gefühlswirren, als er sich in einen gleichaltrigen Mitschüler verliebt. Die temperamentvolle, bewegende Adaption des Romans von Andreas Steinhöfel fokussiert auf zentrale Aspekte der Vorlage und verzichtet damit auf viele Handlungsstränge und Figuren. Der Film nähert sich darüber aber höchst respektvoll und zärtlich seinem jungen Protagonisten an, womit er dem Kern des Romans nahe kommt, indem er an Toleranz und Aufrichtigkeit appelliert und die existenzielle Kraft von Gefühlen feiert.

Eines ist auch nach diesem schönen, so bewegenden wie temperamentvollen Film gewiss: Andreas Steinhöfels Roman «Die Mitte der Welt» bleibt weiterhin unverfilmbar. Das mag nach einem Widerspruch klingen, ist es aber nicht. Denn eigentlich ist der Film gar keine Romanverfilmung, zumindest nicht im konventionellen Sinne, vielmehr die sinnliche Verdichtung einiger zentraler Handlungs- und Themenmotive der literarischen Vorlage. Womit der Film ganz wunderbar neben dem Roman bestehen kann.

Zu Beginn des Films kehrt Phil aus den Ferien im Sommercamp in den Schoss der Familie zurück. Am Ende wird er sie erneut verlassen, um (irgendwann) wiederkommen zu können. Die Zeit dazwischen wird für ihn zu einer entscheidenden Lebensphase voller Gefühle und Gefühlsverwirrungen. Es gilt, düstere Geheimnisse zu lösen, schmerzhafte Erkenntnisse zu verkraften – und zu verstehen, was es denn heisst, «ein bisschen schwuler als andere» zu sein. Denn Phils Homosexualität ist neben Familie das zweite zentrale Thema des Films, wobei er sich ganz entscheidend von redlich bemühten «Coming out»-Geschichten abhebt: Phils Empfindungen sind in seiner «militant» toleranten Familie wie auch bei seiner engsten Freundin Kat vorbehaltlos anerkannt, sodass er sich mit grossem Vertrauen und aller Leidenschaft in seine Liebe zum neuen Mitschüler Nicholas fallen lassen und sie auskosten kann. Glückstrunken radelt Phil nach dem ersten Date durch den (sinnbildhaft durch einen Sturm «gepflügten») Wald, sinnlich ohne falsche Scham fängt die Kamera die Liebe der beiden ein, scheut sich auch nicht vor dem vermeintlichen Kitsch «schwärmerischer» Körperlichkeit und erfindet gar fantastische Spielereien, etwa wenn die unsichtbaren Buchstaben, die Phil auf Nicholas’ Rücken malt, zu leuchten beginnen. Angesichts solcher Intensität verkümmern die anderen Figuren dann doch allzu oft zu konturärmeren Nebenfiguren, gerät so mancher Blick auf die Aussenwelt zur Wahrnehmung im Zeitraffermoment – aber was soll’s? Genau das ist doch letztlich Phils Sichtweise, bis er allmählich erkennt, dass er seine Mitte der Welt doch jenseits aller körperlichen Liebe zu suchen hat. Und genau hier ist der Film wieder ganz nah am Roman: in seiner Zärtlichkeit gegenüber den Personen und in der Einsicht, dass das Risiko von Gefühlen alternativlos im Leben ist.
Horst Peter Koll, filmdienst.de

 

Zurück zur Übersicht