«Es macht Spass, eine Rolle zu spielen, die weit weg von mir selbst ist.»

Im Gespräch mit der Musicaldarstellerin Melanie Kurmann

Melanie Kurmann wuchs in einem Dorf im Kanton Luzern auf. Dass sie einmal auf den Musicalbühnen der Schweiz spielen wird, war damals nicht einmal ein geheimer Wunsch. Heute lebt sie mit ihrer Freundin in Bern und spielt diesen Sommer im Freilichttheater Moosegg die Nachtclubschönheit Lois Lane im Musical «Kiss Me, Kate».

Ich besuche Melanie Kurmann zuhause im Breitsch, wo sie mit ihrer Freundin Lena zusammenlebt. Zwei Katzen, die mich neugierig und etwas skeptisch beäugen, wohnen auch da. «Die Büsi sind von meiner Partnerin», erzählt sie. «Meine Clique früher meinte immer, ich soll mich vor Frauen mit Haustieren ich acht nehmen, die haben alle einen Knick in der Fichte. Nun habe ich so eine Frau, und ich bin trotzdem glücklich mit ihr!» sagt Melanie lachend. Ich bringe Gebäck von der Bäckerei gleich um die Ecke und viele Fragen mit. Mit einer Tasse Kaffee setzen wir uns an den Esstisch und beginnen unser Gespräch.


Du bist aufgewachsen in einem Dorf im katholischen Kanton Luzern. Für queere Menschen ist es in einem katholischen Umfeld oft nicht leicht. Wie war das bei dir?

Das lief alles gut. In meiner Familie gab es eine lesbische Tante. Es war also nichts Aussergewöhnliches für sie, eine etwas andere Tochter zu haben. Trotzdem machte ich mein Coming-out relativ spät, mit 24, ausgerechnet an einem sehr katholischen Tag, an Ostern! Meine Eltern und mein Bruder reagierten gelassen. Natürlich hatte ich zuvor Angst, mich vor der Familie zu öffnen. Mir fiel danach ein Stein vom Herzen. Doch, gefühlt die einzige Lesbe im Dorf zu sein, behagte mir nicht, ich musste von dort weg. Ich ging in die grosse Stadt, nach Luzern 😉.

Du bist gelernte Hochbauzeichnerin und arbeitest heute auch als selbständige Grafikerin und Webdesignerin. Seit wann hast du den Wunsch, auf die Bühne zu gehen? War das schon in der Kindheit so?

Ich bin gerne kreativ. Schon in der Schule liebte ich das technische Zeichnen. Hochbauzeichnerin war mein Traumberuf und so konnte ich eine Lehre machen. Ich liebte zwar Theater und Musicals schon als Kind und schaute sie mir an, doch an eine Karriere als Darstellerin dachte ich damals nicht. Obwohl eine meiner Tanten sogar professionelle Musicaldarstellerin war. Ich selbst spielte im Dorftheater mit und lernte Instrumente. Das Musikalische habe ich von meinem Vater geerbt, der in einer Blasmusik spielt. Ich besuchte sogar einmal das Ballett, doch das war nichts für mich, lieber spielte ich Fussball. Das Kreativsein ist in beiden Berufen wichtig, etwas zu entwerfen und zu entwickeln, egal ob ein Gebäude oder eine Rolle. Aber auch das Arbeiten im Team konnte ich aus meinen Berufserfahrungen in die Musicalausbildung mitnehmen. Es gibt auch grosse Gegensätze. Als Hochbauzeichnerin sitzt man acht Stunden am Tag vor dem PC und bewegt sich null. Auf der Bühne bewegt man ich von morgens bis spät abends immerzu.

 

Vom Zeichenbrett auf die Bretter, die die Welt bedeuten

 

Und wie kam es, dass du 2012 dein Studium an der StageArt Musical & Theatre School in Zürich begonnen hast? Weg vom Zeichenbrett auf die Bretter, die die Welt bedeuten.

Nach der Lehre reiste ich für einen Sprachaufenthalt nach Australien. Dort merkte ich, dass mich das Musical nicht losliess, dass es mich auf die Bühne zog. Wenn ich meine Tante auf der Bühne sah, hat mich das immer fasziniert; ich spürte, dass es ein gigantisches Gefühl sein muss, vor Publikum aufzutreten. Aber ich traute mir das nicht zu. In Australien habe ich mich entschlossen, mich bei einer Musicalschule anzumelden, obwohl ich bis anhin noch nie Gesangsunterricht hatte! Ich meldete mich ins Blaue für ein Casting an. Dafür musste ich zwei Lieder vorbereiten. Umgehend suchte ich nach einer Gesangslehrerin in Luzern und fand Viviane Hasler, mit der ich heute noch Kontakt habe. Sie sollte mein Gesangstalent prüfen und mir sagen, ob aus meiner Stimme überhaupt etwas werden kann. «Doch, darauf kann man aufbauen», meinte sie, «Du hast das musikalische Gehör und du kannst Töne abnehmen». Mit den beiden einstudierten Songs ging ich ans Casting und ich wurde angenommen. Ich arbeitete weiter als Hochbauzeichnerin und machte berufsbegleitend die vierjährige Ausbildung zur Musicaldarstellerin. Es war eine strenge Zeit.

Als lesbische Musicaldarstellerin bürstest Du viele Klischees gegen den Strich. Stereotypisch träumen lesbische Mädchen davon Fussballerinnen zu werden. Schwule Jungs wollen Musicaldarsteller oder ESC-Stars werden. Würdest du dich selbst als untypisch bezeichnen?

Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Es ist doch total egal, wer du bist und was du machst, Hauptsache du machst das, worauf du Bock hast. Es gibt so viele verschiedene Musicaldarsteller, auch Hetero-Männer, um die Klischees zu widerlegen. Andererseits kenne ich tatsächlich in der Schweiz keine andere lesbische Musicaldarstellerin. Ich bin wohl unique! 😉

Ich kenn tatsächlich in der Schweiz keine andere lesbische Musicaldarstellerin.
Ich bin wohl unique!

Dass es eine Leidenschaft von dir ist, auf der Bühne zu stehen, ist offensichtlich. Doch schafft es auch Leiden?

Für diese Leidenschaft bezahlt man einen hohen Preis. Wenn du am Abend und an den Wochenenden immer unterwegs bist, kann das zu Schwierigkeiten im Privatleben führen, ich weiss, wovon ich spreche. Ich bin meinem Umfeld dankbar, dass sie mir den Raum geben, meiner Leidenschaft nachzugehen. Und doch, die Bühne würde ich nicht vor alles andere stellen. Meine Familie, meine Freundin und meine Freunde sind mir wichtig. Während einer Musicalproduktion ist man wie in einer Bubble und man kann sich darin verlieren. Das private Umfeld hilft einem dabei, sich wieder zu erden.

Wie schaffst du den Ausgleich?

Ich bin froh, dass ich noch als Grafikerin arbeiten kann. Da bin ich ganz allein in meiner Welt. Es ist das pure Gegenteil von der Bühnenarbeit, wo man mit vielen Leuten zusammen ist. Ich gehe auch gerne raus in die Natur. Berge und Wälder sind meine Tankstellen, bei denen ich meine Energie auflade. Diese Zeit nehme ich mir bewusst.

 

Die Höhepunkte einer 20-jährigen Bühnenkarriere

 

Im CV auf deiner Homepage melaniekurmann.com las ich, dass dein erstes Engagement 2005 für das Theaterstück «Tanz der Vampire» war. Du feierst also in diesem Jahr dein 20. Bühnenjubiläum!

Jesses! 20 Jahre! Das ist eine grosse Zahl. Ich war mir dessen gar nicht bewusst.

Auf deiner Homepage steht auch, dass du als Sopranistin bereits an renommierten internationalen Spielstätten wie der Royal Albert Hall in London und dem Lincoln Center in New York auftreten konntest. Das klingt gross! Wie ist es dazu gekommen.

Das war abgefahren! Ich sang ein paar Jahre im 21st Century Chorus von Luzern. Die begleiten Filme live mit Orchester und Chor. Im Chor sind wir 60 bis 80 Menschen. Mit dem Orchester und dem ganzen Chor wurden wir 2014 nach London in die Royal Albert Hall eingeladen um «Star Trek» zu performen. Wenn ich daran denke, bekomme ich gleich wieder Hühnerhaut! Da kommst du rein, erhältst den Artist-Badge und auf dem Weg in den Backstage hängen all die Fotos von den Stars, die hier bereits aufgetreten sind, und du fühlst dich gleich selbst wie ein Star. Die Engländer fahren voll darauf ab, sie kamen alle verkleidet an die Film-Konzerte und flippten komplett aus. Obwohl ich mit vielen Leuten auf der Bühne stand, fühlte ich mich wie ein bejubelter Rockstar. Die Royal Albert Hall ist riesig, die Begeisterung im Publikum auch. Ich sang den Schlusston mit voller Kraft vor all diesen Leuten, es war ein Gefühl, das ich nie vergessen werde. Wunderschön! Ein weiterer Höhepunkt war für mich, als wir im Lincoln Center in New York mit «Lord Of The Rings – Trilogie» auftreten durften.

Obwohl ich in die Royal Albert Hall mit vielen Leuten auf der Bühne stand, fühlte ich mich wie ein bejubelter Rockstar.

bern*lgbt-Autor Ludwig Zeller im Geschpräch mir der Schauspielerin und Sängerin Melanie Kurmann

 

Du hast auch schon Regieassistenz und Regie gemacht. Liegt dir das? Würdest du das gerne öfters machen? Und hast du ein Traumprojekt?

Eine gute Freundin von mir stellte ein Soloprogramm auf die Beine, und fragte mich, ob ich die Regie übernehmen könne. Ich merkte schnell, dass es mir Spass macht. Ich kann mir gut vorstellen, das öfters zu machen und glaube, dass ich gut vermitteln und führen kann. Ich war früher schon im Blauring Leiterin. Bereits damals hat es mir gefallen, gemeinsam mit anderen etwas zu gestalten und sie anzuleiten.
Mein Traumprojekt ist ein Musical zu produzieren. Ich möchte dazu noch nicht viel verraten – aber ja, eine eigene grössere Produktion auf die Beine zu stellen, ist ein Traum von mir.

2016 hast Du mit deinem Soloprogramm «Usm Näihchäschtli plouderet» in Luzern Premiere gefeiert. Dann plaudere doch bitte mal aus dem Nähkästchen!

In einer Anekdote, die vielen in Erinnerung geblieben ist, geht es um die Casting-Situation. Was zieht man an als Frau, was als Mann. Bei Frauen ist es kompliziert. Was soll ich tragen? Einen Rock oder eine Hose? Kurz, lang oder eng? Und welche Frisur? Frau verschickt tausend Fotos an Freundinnen, um Feedback zu holen. Ein Mann trägt einfach Hemd und Hose, und gut ist. Die machen sich nicht mal Gedanken darüber! Es ist ein Klischee, aber lustig und wahr.

Wird es ein weiteres Soloprogramm von dir geben?

Ein Soloprogramm zu schreiben und auf die Bühne zu bringen macht schon viel Freude. Jetzt, wo du davon sprichst, kribbelt es bereits in mir. Mein Notizbuch ist voll mit Ideen. Ich schreibe alles auf und habe X Dokumente mit Projekten und Musicals, die ich gerne verwirklichen würde. Ich habe sogar schon Webseiten und Flyers gestaltet für Ideen, die nur in meinem Kopf existieren! It’s crazy! Wenn es um die Umsetzung geht, kann ich das nicht allein machen, da braucht es ein Team und viel Zeit.

 

«Sister Äct»

 

In den letzten Jahren warst du im Ensemble von «Sister Äct», das erfolgreich in Zürich lief. Mit einem sehr prominenten Cast (Fabienne Louves, Sandra Studer, Walter Andreas Müller, Gigi Moto) unter der Regie der Schweizer Musical-Legende Dominik Flaschka. Zwei Jahre als Nonne auf der Bühne. Wie war das so?

Meine Rolle des Lebens! Ich spielte Maria Patrick, das ist die Fröhliche – mit viel Energie und Positivität. Ich durfte mit dieser Rolle alles machen. Ich habe sie gelebt und geliebt. Ich schulde dem Regisseur Dominik Flaschka grossen Dank, dass er mir diese Rolle angeboten hat.

Zwei Saisons wurde «Sister Äct» gespielt. Hat sich die Rolle in dieser langen Zeit verändert?

Ja, ich glaube schon. Sie wurde, wie ich selbst, im Laufe der Zeit immer entspannter. Ich trat vor tausend Menschen auf und hatte auch Solo-Parts. Zu Beginn empfand ich den Druck als hoch, doch schon bald konnte ich es einfach geniessen. Auch die Zusammenarbeit mit den anderen war schön. Das sind alles so gute und liebe Leute. Auch wenn sie in der Schweiz als Stars gelten, waren es für mich Herzensmenschen, mit denen man eine gute Zeit haben kann.

Der Job Musicaldarsteller*in ist harte Arbeit. Bestimmt bringt er auch viel Spass – doch was sind die negativen Seiten?

Anstrengend ist, sich immer wieder aufs Neue beweisen zu müssen an den Castings. Es gibt nicht so viele Musical-Jobs in der Schweiz. Das kann ermüdend und frustrierend sein. Gopf, denke ich manchmal, ruft mich doch einfach an, wenn ihr mich wollt! 😉
Dank dem, dass ich inzwischen ein Netzwerk aufbauen konnte, ist es etwas leichter geworden. So wie ich es gerne hätte, lief es mit Simon Burkhalter, dem künstlerischen Leiter von den Freilichtspielen Moosegg. Er rief mich an und bot mir eine Rolle in «Kiss Me, Kate» an. Natürlich sagte ich sofort zu.

 

«Kiss me, Kate»

 

Der schwule Komponist Cole Porter schrieb das Musical «Kiss Me, Kate» 1948 für den Broadway. Es handelt von einer Theatergruppe, die eine musikalische Fassung von Shakespeares «Der Widerspenstigen Zähmung» aufführt; es ist also ein «Stück im Stück» zu sehen. Cole Porter ist einer der wichtigsten Komponisten des letzten Jahrhunderts und hat viele Evergreens geschrieben wie «Anything Goes», «I Get a Kick Out of You», oder «Love for Sale». Diesen Sommer wird «Kiss Me Kate» in einer deutschen Fassung an den Freilichtspielen Moosegg gezeigt, unter der Regie von Martin Schurr.

Melanie Kurmann hat die Rolle der Nachtclubschönheit Lois Lane und singt den von vielen grossen Sängerinnen interpretierten Song «Always True to You (In My Fashion)». Nun, Lois Lane ist, um es etwas ungehobelt auszurücken, ein ziemliches Flittchen, das gerne mit Männern flirtet, um ihre Ziele zu erreichen. Und wenn sie singt: treu bin ich nur dir (auf meine Weise), klingt das eher nach Promiskuität. Für Melanie Kurmann eine komplett andere Rolle als in Sister Äct.

 

Melanie, wie bereitest du dich auf eine Rolle wie die von Lois Lane vor?

Das Lied «Always True to You (In My Fashion)» habe ich gerade heute Morgen geprobt. Ja, die Rolle ist eine Herausforderung für mich. Während den Proben hat sich die Rolle entwickelt, zu etwas, das ich noch nicht verraten darf, es wird eine Überraschung sein. Wir machen das Musical nicht 1:1 nach, sondern zeigen unsere eigene Interpretation davon. Das Interessante an der Rolle ist die Frage, wie weit geht Lois, um Karriere auf der Bühne zu machen. Eine Frage, die auch ich mir stelle. Im Gegensatz zu Lois würde ich mich bestimmt nicht verkaufen für eine Rolle. So bin ich nicht. Aber es macht Spass, eine Rolle zu spielen, die weit weg von mir selbst ist. Für einmal darf ich etwas tussig sein auf der Bühne.

Im Gegensatz zu Lois Lane in «Kiss Me, Kate» würde ich mich bestimmt nicht verkaufen für eine Rolle. So bin ich nicht.

Simon Burkhalter, der künstlerische Leiter der Freilichtspielen Moosegg, hat dich für diese Rolle angefragt. Kanntest du ihn bereits und ist es deine Premiere auf der Moosegg?

Ich habe zwar noch nie auf der Moosegg-Bühne gesungen, war aber sonst tätig für sie, als Abendspielleiterin und Regieassistentin. Simon Burkhalter kenne ich schon lange, wir haben uns an der Musicalschule kennengelernt. Simon ist ein kreativer Kopf. Er hat so viel in seinem Hirn, dass man oft schwer glauben kann, wie er sich das alles merken kann. Ich schätze ihn sehr als Kollegen und als Freund. Er spielt auch mit in «Kiss me, Kate». Was ich an ihm schätze, er setze alles um, was ihm vielleicht mal an einem Feierabendbier in den Sinn gekommen ist. Das ist sehr beeindruckend. Ich bewundere an ihm, die Fähigkeit umzusetzen, was er sich vorgenommen hat. Da kann ich selbst viel von ihm lernen. Einfach machen, ohne Wenn und Aber.

Und deine Zukunft? Gib es eine Traumrolle, die du gerne einmal spielen willst?

Das hat mich gestern auch jemand gefragt. Ich hatte keine Antwort. Auch heute nicht. Maria Patrick war so ein Traumrolle. Inzwischen werden in der Schweiz auch viele Erstaufführungen gezeigt, so kann man seine mögliche Traumrolle vorher noch gar nicht kennen 😉
Mein Ehrgeiz ist eher anderer Natur: eine Produktion auf die Bühne zu bringen als Regisseurin zum Beispiel, vielleicht sogar ein eigenes Stück schreiben.

Oder vielleicht ein lesbisches Musical?

Wie werden sehen.

Liebe Melanie, danke für das Interview und Hals- und Beinbruch für die Premiere am 11. Juni von «Kiss me, Kate».


Kiss me, Kate

Musical von Cole Porter

11. bis 25. Juni 2025
Freilichtspiele Moosegg

Regie: Martin Schurr
Darsteller*innen: Stefanie Verkerk, Simon Burkhalter, Marc Clear, Melanie Kurmann, Martin Schurr, Yves Ulrich u.v.m.

Infos und Vorverkauf

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