Der Druck, grossartigen Sex haben zu müssen, ist heute allgegenwärtig. Beate Absalon lädt dazu ein, ihn abzuschütteln und Möglichkeiten eigensinniger und erfinderischer Lust auszuloten.
Dass homosexuelle Menschen, insbesondere schwule Männer, leichter einen Sexkameraden oder Lesben eine Spielgefährtin finden, ist bekannt. Ob sie tatsächlich mehr Sex haben, als heterosexuelle Menschen, wie Queers das gerne mit einem Augenzwinkern behaupten, sei in Frage gestellt. Die LGBT-Community jedenfalls feiert die Sexpositivity-Bewegung, also das Sex in all seinen Variationen grundsätzlich als positiv zu bewerten ist. Jeder soll sich sexuell entfalten können, es gibt keine Norm. Die Berliner Kulturwissenschaftlerin Beate Absalon versteht sich als Teil dieser Bewegung. In der Humboldt-Universität zu Berlin beschäftigt sie sich mit der Theorie der Aushandlung sexueller Einvernehmlichkeit. Doch sie bietet unter dem Label Luhmen d’Arc auch Workshops zu sexueller Kultur an, wie beispielsweise BDSM, Fessel- und Rollenspiele.
Trotz ihrer intensiven Auseinandersetzung mit Sexualität hat Absalon auch Zweifel an der Sexpositivität entwickelt. Sie betont, dass Sexualität für viele Menschen auch negative oder schwierige Erfahrungen mit sich bringt. «Wir reden viel über Sex, aber immer nur auf eine bestimmte Weise», erklärt sie im Gespräch mit «Die Presse» und spricht von einer «Hyperpositivität» im Umgang mit Sexualität. Gerade in besonders offenen, sexpositiven Kreisen habe sich eine Überbetonung von Lust und sexueller Freiheit eingeschlichen. Es herrsche die Vorstellung: «Wenn wir viel über Sex reden und möglichst ungewöhnliche Sexualpraktiken ausprobieren, führt das zur Befreiung.» Doch Absalon erkannte schliesslich: «So einfach ist das nicht!» Sexuelle Befreiung bedeutet auch, keinen Sex haben zu müssen, keine Lust zu verspüren, Sex langweilig finden zu dürfen oder genervt davon zu sein.
«Schmeisst den sexuellen Leistungsdruck aus dem Bett!»
Nun hat Beate Absalon ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Sie schreibt in «NOT GIVING A FUCK» darüber, dass der Sex einem leidtun kann. Er wäre ein Refugium für gegenseitiges Wohltun und nutzlose Verrücktheiten – aber er ist zum verkrampften Projekt geworden, das unbedingt gelingen muss, damit auch wir als gelungen gelten, selbst da, wo wir es queer-feministisch schon besser machen. Der Druck, grossartigen Sex haben zu müssen, ist heute allgegenwärtig. Beate Absalon lädt dazu ein, ihn abzuschütteln und Möglichkeiten eigensinniger und erfinderischer Lust auszuloten. Auf der Suche nach Entstressung blickt Beate Absalon kulturhistorisch fundiert auf die abgeschiedene, aber nur vermeintliche Gegenseite des Sexuellen: Unlust, Asexualität, Zölibat und Dysfunktion, die der sexuellen Dienstpflicht genüsslich den Gehorsam verweigern und unerhörte Spielräume öffnen.
Das Buch ist inspirierend, weil die Leser:in gar nicht anders kann, als über eigene Muster und Glaubenssätze im Bett und außerhalb nachzudenken.
L-Mag
Beate Absalon
«Not giving a fuck»
Von lustlosem Sex & sexloser Lust: Gesellschaftlichen Zwang überwinden und lebendige Intimität entdecken
Verlag: Kremayr und Scheriau
192 Seiten
Erschienen im 2024
ISBN: 9783218013406