Dorothy Arzner – Hollywoods erste Regisseurin

Retrospektive ab 4. April im Kino Rex

Dorothy Arzner (1897–1979) trug Hosen, liebte Frauen und realisierte zwischen 1927 und 1943 in Hollywood als eine der ganz wenigen Regisseurinnen über 16 Spielfilme. Mit Stars wie Joan Crawford oder Katharine Hepburn schuf sie Filme, die als Manifeste gegen die Ehe, gegen die Hetero­sexualität, gegen die sexuelle Dominanz des Mannes interpretieren werden können.

Die grossen Namen in Hollywood der 20er-, 30er- und 40er-Jahre, die heute noch vielen geläufig sind, waren Cukor, Lubitsch, Chaplin, Hawks, Curtiz, Wilder und Hitchcock. Es sind alles Männer. Die Frauen wollte man damals nur vor der Kamera sehen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Frauen schrieben Drehbücher, haben Filme geschnitten und wenigen erlaubte das Studiosystem in Hollywood auch Platz auf dem Regiestuhl zu nehmen. Also, eigentlich erlaubte man es nur einer einzigen: Dorothy Arzner. Dass die Männer gnädiger weise einer lesbischen Frau erlaubten Regie zu führen, mag auf den ersten Blick verwundern. Doch Dorothy Arzner hatte all’ die für männlich gehalten Attribute. Sie trug Hose und Krawatten, konnte sich durchsetzen und sie hatte Sex mit Frauen. Es schien damals nicht denkbar, dass sich sogenannte weibliche Eigenschaften wir Fürsorge, Sensibilität und Sinnlichkeit mit Regie-Eigenschaften wie Führungs­stärke, Durch­setzungs­vermögen und Resilienz vereinbaren lassen. Dorothy Arzner wusste die Ignoranz der Männer geschickt zu nutzen und drehte Film, die zeigten, dass Frauen alles sein können.

Lesbisch in Hollywood

Dorothy Arzner wurde 1987 geboren. Ihre Eltern führten ein Restaurant in Los Angeles, in dem bekannten Filmstar verkehrten. Doch das beeindruckte Arzner kaum. Sie wollte Ärztin werden. Im Ersten Weltkrieg war sie als Lazarettschwester und Kranken­wagen­fahrerin tätig. Weil es nach dem Krieg und wegen der darauffolgenden Spanischen Grippe an Arbeitskräften mangelte, landete Arzner 1919 doch noch im Filmgeschäft. Dort wurde sie zur Cutterin, das sind die Menschen, die die einzelnen Filmschnipsel zusammensetzen. Ihre Arbeit als Filmeditorin beim Studio Paramount, für die Stierkampfszene im Rudolph Valentino-Film «Blut und Sand» (1922), war so brillant montiert, dass sie zur Chef-Editorin aufstieg. 1927 bekam Arzner von Columbia das Angebot Regie zu führen bei kleineren Projkten. Doch Paramount wollte sie nicht gehen lassen und bot ihr ebenfalls Regieaufträge an, bei grossen Produktionen. Arzner ergriff ihre Chance. Bereits ihre erste Regiearbeit, die heute leider verschollen ist, brachte ihr Anerkennung beim Publikum und bei der Kritik. Für die Modenschau­szenen in ihrem Debütfilm, arbeitete Arzner mit der sehr erfolgreichen Choreografin Marion Morgan zusammen. Es wird nicht bei einer einzigen Zusammenarbeit bleiben. Doch das war mehr als gute Teamarbeit – es funkte nämlich zwischen den beiden Frauen auch privat. Dorothy Arzner und Marion Morgan wurden ein Paar. Arzner war offen lesbisch, trug Hosen, Hemd und Kravatte, was für diese Zeit eher ungewöhnlich war. Dass sie, wie oben erwähnt, typische männliche Attribute pflegte, zeigt sich auch darin, dass ihr Affären mit ihren Hauptdarstellerinnen angedichtet wurden. Beispielsweise mit Arzners Lieblingsschauspielerin Billie Burke und angeblich auch mit Joan Crawford und Katharine Hepburn. Doch das ist nur nichtverifizierter Klatsch. Bestimmt sind Arzner und Morgan im berühmt berüchtigten Nähkreis verkehr. Das war ein privater und loser Zusammenschluss von bi- und homosexuellen Frauen in Hollywood, der bis in die 50er-Jahre Bestand hatte. Ob Dorothy Arzner und Marion Morgan eine offene Beziehung führten, ist nicht bekannt. Darüber wurde damals nicht gesprochen. Die beiden Frauen blieben zusammen, bis der Tod sie schied.

Dorothy Arzner mit Marion Morgan, 1927 (links, Foto: Arnold Genthe) und mit Kameramann Al Gilks, 1927 (rechts, Foto: Paramount)

Anfangs der 40er-Jahre gab Arzner ihre Karriere in Hollwoodd auf. Wieso ist nicht überliefert. Wahrscheinlich ist, dass sie von der zunehmenden Homophobie und der allgemeinen Prüderie genug hatte. Sie arbeite weiter in der Filmbranche und drehte in den 50er-Jahren Werbespots für Pepsi-Cola. Den Job hat sie ihrer ehemaligen Hauptdarstellerin Joan Crawford zu verdanken, die damals mit dem Pepsi-Manager verheiratet war und nach dessen Tod als erste Frau in den Aufsichtsrat der Firma gewählt wurde. Auch Joan Crawford war eine Frau, die sich im Männer-Business durchzusetzen vermochte. Arzner unterrichtete in den 60er-Jahren an der UCLA School of Theater, Film and Television, wo Francis Ford Coppola einer ihrer Schüler war. Doch als Regisseurin ging sie beinahe vergessen. Ihre Wiederentdeckung haben wir den Filmkritikerinnen der amerikanischen Frauenbewegung in den 70er-Jahren zu verdanken. Sie sorgten dafür, dass Arzners feministische Filme endlich die Beachtung erhielten, die sie verdienten.

1979 starb Dorothy Arzner im Alter von 82 Jahren. Wenn ihre Filme auch in Schwarz-Weiss sind, und in einer Zeit gedreht wurden, als vieles anders war, so sind sie doch relevant geblieben. War damals, vor fast 100 Jahren, wirklich alles anders? Haben wir heute, insbesondere Frauen, nicht immer noch gegen ähnlichen Rollenmuster zu kämpfen? Mach dir selbst ein Bild davon, wie aktuell die Filme heute noch sind.  Das Kino Rex zeigt neun von Arzners Filme und einen Dokumentar­film von den Schwestern Clara und Julia Kuperberg über die feministische Filmpionierin. Wieso die Filme sehenswert sind, erfährst du nachfolgend von Andrea B. Braidt, ihr Text aus dem Programmheft vom Kino Rex.

Joan Crawford und Billie Burke in «The Bride Wore Red», 1937

 
 


Dorothy Arzner – Pionierin in Hollywood

Text Andrea B. Braidt

Die offen lesbisch lebende Dorothy Arzner (1897-1979) war die einzige Regisseurin, die in den 1930er-Jahren im Studiosystem von Hollywood regelmässig Filme drehen konnte. Als feministische Pionierin, die dieses Etikett nie für sich beanspruchte, schuf sie überwiegend weibliche Charaktere: untypische, moderne Heldinnen, die zu allem bereit sind, um sich von ihrem vorbestimmten Schicksal loszusagen. Mit Stars wie Katharine Hepburn, Joan Crawford oder Rosalind Russell realisierte sie Filme, die populär waren und die zugleich als feministische Manifeste gegen die Ehe, gegen die Heterosexualität, für die ökonomische Unabhängigkeit der Frau interpretiert werden können.

Dorothy Arzner macht zu einer Zeit Karriere, als die US-amerikanische Filmproduktionsweise zwei wesentliche Umgestaltungen erfährt: Zum einen verfestigt sich in den 1920er-Jahren das Central Producer System – sprich: In der Filmproduktion bekommt ein allmächtiger Manager das Sagen, ihm sind alle anderen Abteilungen untergeordnet; zum anderen verdichtet sich durch die Einführung des optischen Film-Tons die Erzählweise. An der historischen Schnittstelle von Produktions­wandel und technischer Innovation Ende der 1920er-Jahre entsteht das Werk einer singulären Regisseurin. Dorothy Arzner profiliert sich als nahezu einzige Regisseurin in der Hochblüte der Studioära und ringt erfolgreich trotz Produzentensystem und Hayes-Code um weitgehende kreative Bestimmung über ihre Filmprojekte. In diesen nehmen stets stark konturierte Frauenfiguren, die um ihre gesellschaftliche Stellung in einer männer­dominierten Welt kämpfen (müssen), eine zentrale Position ein: Arzner entwirft differenzierte und stets integre Figurenkonstellationen, ihre Protagonistinnen werden auch in Komödien­settings und trotz Überzeichnung nie persifliert oder vorgeführt.

Billie Burke und Katharine Hepburn in «Christopher Strong», 1933

Doch wie können wir von Dorothy Arzner als «Auteur:in» sprechen, war sie doch Teil des Hollywood-Studio­systems, in dem die Kreativen gerne als «Fliessbandarbeiter:innen» bezeichnet wurden, die mehr oder weniger gleichförmige Ware produzierten? Vor 1915 war die Filmbranche noch auf Frauen als Garantinnen moralischer Integrität angewiesen, da es darum ging, Distanz zum zwielichtigen Vaudeville und Nickelodeon zu gewinnen, um der Zensur zu entgehen und den Profit zu steigern. Doch mit dem Entscheid des Obersten Gerichtshofs in den USA von 1915, der Filme nicht als Kunst, sondern als «a business pure and simple» definierte, folgte die «Masculinization» Hollywoods: je höher die Gewinn­margen, desto weniger hatten Frauen zu sagen. Und zu einem Zeitpunkt, da das Central Producer System voll ausgebildet, die Filmstudios komplett arbeitsteilig organisiert waren und Frauen nur mehr als Scriptgirls, Kostüm- und Celluloid-Schneiderinnen gebraucht wurden, entscheidet eine Medizinstudentin namens Dorothy Arzner, dass sie «wie Jesus» (O-Ton) sein wolle: die Kranken heilen und die Toten auferstehen lassen, und zwar augenblicklich, ohne Pillen, Operationen usw. In anderen Worten: Sie will Filme machen.

Judith Wood und Dorothy Hall in «Working Girls», 1931

Viel ist seither zu Arzners auktorialer Signatur, zu ihrer Form weiblicher Selbstbehauptung gesagt worden, und die im Kino Rex programmierte Filmreihe wird die Zuschauer:innen von der Aussergewöhnlichkeit ihres Werks überzeugen. Arzner-Biografin Judith Mayne erklärt, welche Aspekte so einzigartig sind: Da wäre einmal die komplexe narrative Ausgestaltung der Frauenfiguren, die stets integer konzipiert sind und fast durchgängig in ihrer gesellschaftlichen Kontextuali­sierung gezeigt werden. Arzners Analyse sozialer Klasse legt den Blick auf die Geschlechterdifferenz frei, und zwar unnachgiebig. Da wäre weiters die Präsentation von Frauen­gemeinschaften und Frauen­zusammen­hängen, die von einer Kultur der Auseinandersetzung und der oft überraschenden Solidarisierung geprägt sind. Zum Beispiel im komplexen Frauen­universum von Working Girls, das vielfältige Emanzipations­strategien überspitzt und ironisiert, aber als Möglichkeit denkbar macht. Oder das Mädchencollege in The Wild Party, in dem die Bildungsoption für Frauen neben der üblichen Heiratsoption als Zukunftsperspektive bestehen kann. Schliesslich realisiert Arzner in ihren Filmen hoch signifikante Nebenfiguren, wie etwa das Dienstmädchen Mary in The Bride Wore Red, das der Protagonistin bis zum bitteren Ende aus alter Freundschaft die Stange hält; oder die Sekretärin in Dance, Girl, Dance deren Applaus Judys berühmte feministische Kritik an die geifernden Vaudeville Zuschauer authentifiziert; oder die brave Ehefrau in Christopher Strong, gespielt von Arzners Lieblingsschauspielerin Billie Burke, deren Grösse sie der Nebenbuhlerin für deren Weitblick in Sachen Tochter-Erziehung danken lässt, oder die Nachbarin in Craig’s Wife, ebenfalls von Burke dargestellt, die am Ende des Films die einzige soziale Perspektive für die alleingelassene Harriet darstellt. Sie alle firmieren im dichtgeknüpften Bedeutungs- und Beziehungsnetzwerk der Arzner’schen Geschlechterpoetik, Figurenstaffage sucht man vergeblich.

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Andrea B. Braidt ist Film- und Medien­wissenschafterin an der Universität Wien. Sie forscht und lehrt zu queer-feministischer Filmtheorie, Narratologie und Genrefilm. Ab 2024 leitet sie ein hochdotiertes Forschungs­projekt zu «Queer Cinema Austria 1906–2023» – einer queeren österreichischen Film- und Mediengeschichte.

Das ganze Dorothy Arzner Programm und wann welcher Film läuft, findest du hier: https://www.rexbern.ch/filmreihen/dorothy-arzner-pionierin-in-hollywood

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