100 Jahr QueerPop

Zusammenfassung

Jede Kunstform, und als das würde ich Pop bezeichnen, ist ein Spiegel der Gesellschaft. Pop sogar ein sehr effizienter, denn Pop reagiert schnell auf gesellschaftliche Änderungen und kann sie sogar beschleunigen. So spiegeln sich ich Pop auch die Geschichte von Queers.

 

Berlin in den 20er-Jahren

In den 1920er-Jahren war Berlin der Hot Spot für Schwule, Lesben und alle anderen, die etwas quer in der Landschaft standen. Das Aufleben der queeren Kultur vor 100 Jahren ist Dr. Magnus Hirschfeld zu verdanken. Er gründete 1918 in Berlin das Institut für Sexualforschung, mit dem er nicht nur die Sexualität der Menschen erforschen, sondern das Volk auch aufklären wollte. Als einer der ersten hat Dr. Magnus Hirschfeld sich für Homosexuelle eingesetzt. Er vermittelte, dass Homosexualität keine Krankheit ist und zudem entkriminalisiert werden sollte.

Zwar löste Dr. Magnus Hirschfelds Aufklärung einen gesellschaftlichen Diskurs aus, doch vor allem stärkte er das Selbstbewusstsein der Homos. Dieses neue Selbstvertrauen der Anderssexuellen hat auch Auswirkungen auf das Nachtleben in Berlin. Es wurden zahlreiche Nachtclubs für queere Menschen eröffnet und auf den Bühnen dieser Lokale wurden die verschiedenen sexuellen Spielarten thematisiert. Die 20er-Jahre in Berlin waren eine frivole und unbeschwerte Zeit. Auch in anderen Metropolen wie Paris, London und New York kamen Schwule und Lesben aus ihren Verstecken und drückten dem kulturellen Leben ihren Stempel auf.

«Das Lila Lied»

Damals in Berlin entstand auch die erste Gay-Hymne. Sie hiess «Das Lila Lied» und auf Englisch «The Lavender Song». Dieses Lied, das Kurt Schwabach, inspiriert von den Forschungen Magnus Hirschfelds, komponiert hat, drückte aus, was damals viel Homos dachten und hofften.

Wir sind nun einmal anders, als die andern,
die nur im Gleichschritt der Moral geliebt,
neugierig erst durch tausend Wunder wandern,
und für die ‘s doch nur das Banale gibt.
Wir aber wissen nicht, wie das Gefühl ist,
denn wir sind alle andrer Welten Kind;
wir lieben nur die lila Nacht, die schwül ist,
weil wir ja anders als die andern sind.

Claire Waldoff

Der grosse Star in Berlin war die Kabarettsängerin Claire Waldoff. Sie spielte die kesse und freche Berlinerin, obwohl sie aus Gelsenkirchen kam, und sich den Berliner Dialekt angeeignet hat. Doch ihre Liebe zu Olga von Roeder war nicht gespielt. Mit dieser Frau stand sie im Mittelpunkt des lesbischen Nachtlebens ind Berlin und sie blieben ein Leben lang zusammen. Für den Erfolg musste Claire Waldoff kämpfen. Drei Tage vor ihrem Debüt im Kabarett Roland meldete sich die Zensurbehörde. Sie wollte ihr den Auftritt verbieten, weil es ab 23 Uhr verboten sei für Damen in Herrenkleidern auf der Bühne zu stehen. Im Damenklub Pyramide kümmerte man sich nicht um derlei Verbote. Das Lied, das beim frauenliebenden Publikum besonders gut ankam, war «Hannalore». Clair Waldoff schwärmt darin von einem Mädchen, das einen Bräutigam und eine Braut hat, das gerne tanzen geht und einen Bubikopf trägt – eine damals sehr moderne Kurzhaarfrisur. «Keiner unterscheiden kann, ob die Weib oder Mann», singt Clair Waldoff.

Marlene Dietrich

Mittendrin in den wilden Berliner 20er-Jahren stand Marlene Dietrich. Sie ist gerade 20 geworden, als sie die Clubs in Berlin unsicher machte. Sie hatte damals ein Verhältnis mit der Diseuse und Schauspielerin Margo Lion. Marlene und Margo trugen Herrenanzüge und pfiffen auf die Moral ihrer Eltern. Die beiden Frauen traten auch gemeinsam auf und sangen ein Loblied auf die Bisexualität: «Wenn die beste Freundin…».

Ende der 20er-Jahre bekam Marlene Dietrich ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm. Sie spielte die Lola im legendären Film «Der blaue Engel». Noch am Premierenabend ging sie an Bord eins Schiffes das Richtung Amerika fuhr. Dort wurde sie erwartet, um ihren ersten Hollywood-Film zu drehen: «Marocco». Die queeren Erfahrungen, die sie in Berling gemacht hatte, brachte sie gleich in den Film ein. In einer Kabarettszene trug sie einen Smoking und flirtet mit einer Frau im Publikum. Marlene zupfte der Dame eine Blume aus dem Haar, roch verträumt daran und küsste sie dann auf den Mund! Das schockierte zwar die biedern Amerikaner, doch mit dieser Szene wurde Marlene Dietrich zur Lesbenikone. Sie pflegte auch Tatsächlich Kontakt zu den Lesben in Hollywood und verkehrt im berüchtigten Nähkreis, ein privater Zusammenschluss homosexueller und bisexueller Frauen in Hollywood, der bis in die 50er-Jahre bestand hatte.

Bruno Balz

Während Marlen in Hollywood die Nähmaschine rattern liess, kamen die Golden 20er-Jahre in Berlin zu einem abrupten Ende. Zuerst eine Weltwirtschaftskrise, dann übernahmen die Nazis die Macht und lösten den 2. Weltkrieg aus. Alles, was Homos bis dato erreicht haben, wurde zunichte gemacht. Viele Homos wurden deportiert und umgebracht.

Einer der das am eigenen Leibe erfahren musste war der Liedertexter Bruno Balz. Er hatte sich bereits Anfangs der 20er-Jahre in Magnus Hirschfelds Institut für Sexualforschung als schwul geoutet und engagierte sich auch in der Schwulenbewegung. Doch mit zunehmendem Erfolg und der Machtübername der Nazis wurde es für Bruno Balz gefährlich. Er war zwar sehr erfolgreich als Texte für die Hits von Zarah Leander, die damals die Vorzeigefrau der Nationalsozialisten war, aber deswegen nicht unantastbar. Mit Songs wie «Kann denn Liebe Sünde sein» provozierte er die Nazis. 1941 wurde er von der Gestapo erwischt beim Sex im Park mit einem Mann. Man steckte ihn ins Gefängnis, wurde gefoltert und sollte ihn in ein Konzentrationslager geschickt werden. Gerettet, aus den Fängen der Gestapo, hat ihn Michael Jary, der oft die Musik zu seinen Texten schrieb. Jary ging einfach zur Gestapo und behauptete, dass der Propagandaminister Goebbels höchstpersönlich ihn geschickt habe, um Bruno Balz aus der Haft zu entlassen, denn er werde dringend benötigt, Lieder für einen Propagandafilm mit Zarah Leander zu schreiben.

Tatsächlich liess sich Bruno Balz nicht unterkriegen. Im Gefängnis und in den Tagen nach seiner Entlassung schrieb er seine zwei bekanntesten Lieder «Davon geht die Welt nicht unter» und «Es wird einmal ein Wunder geschehen». Sein Talent hatte ihn also vor dem sicheren Tod im Konzentrationslager gerettet. Aber vielen Schwulen und Lesben, die nicht prominent waren, die nicht flüchten konnten oder deren Versteck verraten wurde, konnten der «Säuberung» der Nationalsozialisten nicht entkommen und wurden ermordet.

Im 2. Weltkrieg blieb kein Platz für Kultur – schon gar nicht für queere Kultur. Die Schwulen und Lesben in Amerika fanden Trost im Film «The Wizard of Oz» in dem Judy Garland den Song «Over The Rainbow» sang. Diese Ode an das Regenbogenland wurde zu einer Gay-Hymne und später zur Inspiration für die Regenbogenflagge, die heute von der LGBT-Community gebraucht wird.

Die 50er-Jahre

Nach dem Krieg und dem Wiederaufbau folgt in den 50er-Jahren das Wirtschaftswunder.
Für Homosexuelle waren die 50er-Jahre jedoch eine schwierige Zeit. «Schwul» war in den 50ern ein Schimpfwort, das als so schmutzig galt, dass nicht einmal die «Normalen» es benutzten. Schwule und Lesben nannten sich damals selbst lieber «anders als die Anderen», «gleichgesinnt» oder «homophil» und man traf sich in «einschlägigen» Lokalen. Es gab sher wohl Treffpunkte für Homosexuelle, dich die waren gut versteckt. Im gesellschaftlichen Umfeld der 50er- und 60er-Jahre, als Sexualität per se ein Tabu war, gab es in der Unterhaltungsbranche keinen Platz für Schwule und Lesben — zumindest nicht an vorderster Front. In Filmen und in der Musik tauchten sie höchstens als lächerliche oder tragische Randfiguren auf. Der Modeschöpfer, der Frisör oder der Dekorateur wurden effeminiert dargestellt, lesbische Stereotypen hingegen — bis auf ein paar Hosenrollen im Film — tauchten gar nicht auf.

Doch nicht alle Homos liessen sich einschüchtern. Einige Mutige gründeten Gruppen, um aufzuklären und ihre eigene Kultur zu erforschen und zu zelebrieren, zogen vor Gericht, um für ihre Rechte zu kämpfen oder schrieben gegen die Ungerechtigkeit an. So wurde beispielsweite in Zürich 1943 «Der Kreis» gegründet.

Aus musikalischer Sicht besonders interessant ist, was damals in der Afro-Amerikanischen Community passierte. Für sie interessierte sich der weisse Mainstream nicht. Aber genau dort entstand neue Musikformen, die zukünftig die Popmusik auf der ganzen Welt prägen werden: Blues, Soul, Jazz und Rock’n’Roll. Ein paar dieser Pionier*innen stelle ich hier vor.

Blues Pionier*innen

Gladys Bentley (1907- 1960) begann ihre Karriere als offen lesbische Bluessängerin. Sie trat in Flüsterkneipen und in Homosexuellen Clubs auf und das in einem Smoking mit Zylinder. In den 50er-Jahren wurde sie ein Opfer der anti-kommunistischen Verfolgungen des Senators Joseph McCarthy (McCarthy-Ära). Woraufhin sie sich von ihren früheren Anschauungen distanzierte. 1952 heiratete Bentley sogar den 16 Jahre jüngeren Charles Roberts und behauptete von den «weiblichen Hormonen» geheilt zu sein.

Billy Wright nannte man «Prince of the Blues», doch bevor er zum erfolgreichen Bluessänger wurde war er eher eine Prinzessin denn seine Karriere begann er als Damenimitator.

Bobby Marchan gründete al Teenager die Drag-Gruppe Powder Box Revue mit der er in New Orleans auftrat. Das Plattenlabel «Ace» bot ihm 1954 einen Vertrag an, unter der Bedingung, dass er den Song «Give a Helping Hand» als Frau veröffentlicht. Was er auch tat und zwar unter dem Pseudonym Bobby Fields. Bobby machte den Blues melodiöser und rhythmischer, was dann später Soul und R’n’B genannt wurde. Und als Dragqueen ist er immer wieder mal aufgetreten.

Eine schillernde Figur des frühen Rock’n’Roll war Esquerita. Er toupierte sein Haar Pompadour mässig auf, trug Make-up und schrille Klamotten. Ein Paradiesvogel der für die 50er-Jahre etwas «too much» war. Der grosse Erfolg blieb aus. Unter verschiedenen Namen hat er es in den folgenden Jahrzehnten immer wieder versucht, doch es ging nur stetig bergab. Ein Jahr vor seinem Tod traf ein Journalist ihn in New York. Er arbeitete als Parkwächter, erzählte er, sei aber «still as flamboyant as ever». Heute hat Esquerita zwar Kultstatus und gilt als Pionier des Rock^n^Roll, doch das hat ihm zeitlebens nicht viel genutzt. Verarmt und verkannt ist die erste Rock’n’Roll-Tunte 1986 an den folgen von Aids gestorben.

Little Richard

Billy Wright, Bobby Marchan und Esquerita gelten als Wegbereiter des Rock’n’Roll und waren Vorbilder für Little Richard, der den neuen Sound massentauglich machte. Little Richard feuerte 1955 den Startschuss zur Rock’n’Roll-Revolution ab mit seinem Song «Tutti Frutti». Ursprünglich hatte der Song einen anderen Text, es ging nämlich um eine Sexpraktik die schwule Männer gerne ausüben. «Tutti Frutti, good booty / If it don’t fit, don’t force it / You can grease it, make it easy». Nachdem der Text entschärft wurde konnte er im Radio gespielt werden. Die Teenager waren von diesem exaltieren schwarzen Mann begeistert, deren Eltern schockiert. Little Richard war schwul, hatte aber wegen seinem Glauben ein zwiespältiges Verhältnis zu seiner Homosexualität. Öffentlich stand er mal zu seiner Homosexualität, mal hat er sie verleugnet. Im Mai 2020 ist die Queen of Rock’n’Roll gestorben. In Erinnerung bleiben seine wilden, energiegeladenen Bühnenauftritte und seinen Einfluss auf Künstler wie Elvis, James Brown, Sylvester, Elton John, Freddie Mercury und Prince.

Es war dann der weisse ‹Büzerbueb› Elvis, der zum King of Rock’n’Roll wurde. Doch sein Hit «Hound Dog» wurde schon 1956 aufgenommen von der lesbischen Bluessängerin Big Mama Thornton, die gerne Herrenanzüge trug. Bereits ihre Version von «Hound Dog» war ein Hit. Doch damit diese schwarze Musik einem weissen Publikum zugänglich gemacht werden konnte, musste sie zuerst gebleicht und weichgespült werden.

Die 60er-Jahre

In den 60er-Jahren kam die sogenannte Britische Invasion über die Musikindustrie, ausgelöst durch die Beatles und die Rolling Stones. Auch die Britin Dusty Springfield eroberte damals die Popwelt mit Songs von schwarzen Musiker*innen für ein weisses Publikum. Sie zählte damals zu den international erfolgreichsten Sängerinnen, hatte Hit um Hit, und gilt heute noch als Jahrhundertstimme. Doch unter ihrem Lesbischsein hat sie gelitten und wurde depressiv. Mit Alkohol und Pillen versuchte sie die Zerrissenheit eines Doppellebens zu betäuben. Doch auch für sie gab es glückliche Zeiten. Ende der 60er-Jahre hatte sie eine Liebesbeziehung mit der Folk-Sängerin Norma Tanega. Sie schrieb Texte für Songs von Dusty wie «No Stranger Am I». In den 70er-Jahren begann Dusty in Interviews Andeutungen zu machen, dass sie lesbisch ist. Als sie 1987 mit den Pet Shop Boys zusammenarbeitete, war ihre Homosexualität bereits ein offenes Geheimnis. 1999 starb Dusty Springfield an Brustkrebs und bereits 10 Tage nach ihrem Tod wurde sie in die «Rock and Roll Hall of Fame» aufgenommen.

Auch Lesley Gore war in den 60er-Jahren eine Top-Popsängerin, die ihre Homosexualität heimlich ausleben musste. Doch Lesley Gore hatte bald die Nase voll vom Doppelleben, und so zog sie sich anfangs der 70er-Jahre aus dem Pop-Business zurück. Ihr grösster Hit, der heute noch vielen bekannt ist: «You Don’t Own Me». Dieser Song wurde zu einem Feminismus-Klassiker.

Es gibt noch viele weiter so Geschichten aus dieser Zeit. Tab Hunter war ein sehr gutaussehender Hollywood-Schauspieler, der Schwarm aller Mädchen. Doch er selbst schwärmte für Männer und das für sehr lange Zeit heimlich. Er hatte sogar einen Nr. 1 Hit in den Charts.

Chris Connor war eine sehr erfolgreiche Cool-Jazz-Sängerin. Doch als sie ihre Lebenspartnerin zu ihrer Managerin machte, liess sie die Plattenfirma fallen. Sie wechselte von Plattenfirma zu Plattenfirma, doch ihrer Frou blieb sie treu bis zu ihrem Tod 2009.

Jackie Shane war eine grossartige Soulsängerin. Doch ihre Transidentität liess sich damals nicht mit einer Karriere vereinbaren. Erst 40 Jahr später wurde sie wiederenteckt und erhielt sie endlich die Anerkennung, die sie verdient hat.

Der Prokuzent Joe Meek entwickelte damals neue Sounds, sowas wie der erste Elektro-Pop. Doch er wurde erpresst, wurde paranoid und wahnsinnig. Es endete mit dem Mord seiner Vermieterin und seinem Selbstmord.

Johnny Mathis war ein Schnulzensänger und Hausfrauenschwarm. Sein Zielpublikum durfte von seiner Homosexualität nichts wissen. Er sagte später: «Mit meiner Homosexualität hatte ich keine Probleme und auch keine Angst, deswegen keine Karriere zu machen, denn ich wusste, ich kann singen. Es ärgerte mich aber, dass meine Homosexualität anderen Probleme machte».

Aufklärung wurde dringend nötig.

70er-Jahre

Die Heteros haben es in den 60-er-Jahren vorgemacht. Die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner*innen, die Anti-Kriegsbewegung der Hippies, die «Make Love Not War» propagierten und die Frauenbewegung, weg vom Herd zurück in die Gesellschaft, haben Schwulen und Lesben Mut gemacht, endlich das Versteck zu verlassen und für ihre Rechte einzustehen.

Im Sommer 1969, ein Tag nach der Beerdigng der Gay-Ikone Judy Garland, fand in New York der Stonewall Aufstand statt. Die Geschichte ist inzwischen allgemein bekannt als Zeitenwende für Queers.

In deutschsprachigen Raum war es ein Filmemacher, welcher der Schwulen- und Lesben-Bewegung, mit einem Tritt in den Hintern den richtigen Antrieb gab. Es war Rosa von Praunheims Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» von 1971, der zur Gründung der verschiedenen Homosexuellen Arbeitsgruppen im deutschsprachigen Raum führte.

Doch was hatten die beiden Ereignisse für einen Einfluss auf QueerPop? Zuerst mal keinen. Bei Heteros allerdings schon. Die Männer trugen plötzlich Make-up und Glitter.

Es war David Bowie der QueerPop nachhaltig prägte. Bowie war hetero, vielleicht auch bi-curios, doch er hat Pop für immer verändert, als er Anfangs der 70er-Jahr das Publikum mi seinem androgynen Styling überraschte und begeisterte. Ohne Bowie gäbe es kein Boy George, keine Lady Gaga und auch kein Harry Styles.

Dass man mit sexuell ambivalenten und provozierenden Rockstars Geld verdienen kann, blieb den Plattenfirmen nicht verborgen. 1973 fand Elektra Records, die Zeit sei reif für einen schwulen Rockstar. Für angeblich eine halbe Million Dollar nahmen sie den offen schwulen Sänger Jobriath unter Vertrag. Mit grossen Plakaten am Time-Square und Inseraten, die Jobriath als brüchige, nackte Statue zeigten, machten sie Werbung für seine erste Single «I’m A Man». Ihre Werbestrategie war, ihn als «The world’s first gay rockstar» zu verkaufen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Zwar verkaufte sich die Single gut, und das folgende Album bekam gute Kritiken, doch «schwul» als Verkaufsargument funktionierte nicht wirklich. Oder kaufst du Madonnas Platten, weil sie «hetero» ist? Eben. Jobriath ging bald vergessen und starb 10 Jahre später. Wie so viele Gay-Stars aus den 70ern, überlebte er die 80er nicht.

Elton John und Freddie Mercury machte es geschickter. Sie kleideten sich zwar genau exzentrisch wie Jobriath und alle Glam-Rocker ihrer Zeit, doch sie nahm das Wort «schwul» nicht in den Mund — zumindest nicht öffentlich.

Eltons Songs behandelt im Song «All The Nasties» ab dem Album «Madman Across the Water» von 1971 die Frage, wie es die Leute aufnehmen würden, wenn er sein wahres ich zeigen würde. In seiner Autobiographie sagt Elton dazu: «Es schien niemand zu begreifen, worüber ich da eigentlich sang».

Freddie Mercury von Queen ging es ähnlich wie Elton John. Offensichtlich schwul, doch kein Thema für die Öffentlichkeit. Er war der schwule Frontmann einer heterosexuellen Band. Freddies Homosexualität war etwas, das sein Privatleben betraf, nicht sein Bühnenleben.

Janis Ian war in den 70er-Jahrn ein Star. Bis 1980 brachte sie 10 Alben heraus, tourte rund um die Welt und wurde 1976 mit einem Grammy ausgezeichnet. Doch sie hatt alles verloren. Die Hetero-Ehe war eine Katastrophe, der Manage haute mit dem Geld ab und sie haderte mir ihrer Sexualität. Erst 1993 kam sie zurück. Grüdeter ihr eigenes Plattenlabel, brachte ein Comeback-Album heraus und outete sich als lesbisch.

Trotz Stonewall, wenn due in den 70ern mit Musik fette Kohle machen wolltes, hat du besser über deine Homosexualität geschweigen.

Zum Glück dachten damals nicht alle so. Eingen war Musik, die ihre eigene Lebensrealität thematisiert wichtiger als Geld und Ruhm.

Eine Vorreiterin der Woman’s Music war die Singer-Songwriterin Cris Williamson. 1973 gründete sie zusammen mit den Musikerinnen Meg Christian, Tret Fure und anderen lesbischen Frauen «Olivia Records». Sie wollten damit eine separate lesbisch-feministische Bewegung gründen, um so auf die Diskriminierung von Frauen in der Gay-Rights-Bewegung und auf die Heteronormativität in der Frauenrechtsbewegung reagieren. Tatsächlich wurden die beiden Alben von Cris Williamson recht erfolgreich. Wegen ihrem musikalischen Talent und der Vernetzung mit anderen Künstlerinnen wird Williamson von der LGBT-Community bis heute für ihr künstlerisches und politisches Wirken gefeiert.

Patrick Haggerty sammelte ein der Gay-Community von Seattle Geld um seine schwulen Song auf ein Album zu bringen. Das Album «Lavender Country» agilt heute als Klassiker der Queer-Music. Einer der bekanntesten Songs auf dem Album trägt den provokativen Titel «Crying These Cocksucking Tears». Aber Patrick Haggerty hält fest: «Der Songtitel ist natürlich sehr kontrovers, aber um Sex geht es darin gar nicht. Es geht um die starren Sexualrollen, für die Männer erzogen wurden, und wie diese Rolle Frauen und auch uns Männer unterdrückt, und dass diese verschwinden sollten. Es ist ein ziemlich politisches Lied.»

Ebenfalls im Country und Folk zuhause war der Singer-Songwriter Steven Grossman. Sein Album «Caravan Tonight» von 1974 gilt, wie «Lavender Country» auch, als erstes, das sich schwulen Themen widmet und sich als politisches Statement für Homorechte verstand. Im Gegensatz zu Patrick Haggerty von Lavender Country, der das Album unabhängig produzierte, hatte Steven Grossmann einen Vertrag mit einem Major Label (Mercury Records). Doch das Label hätte sich besser an den Flop mit Jobriath erinnert. Denn das Album von Steven Grossman war kein Kassenschlager und sollte sein einziges Album bleiben.

Disco

In den 70ern schossen Gay-Clubs wie Pilze aus dem Boden. Es fehlte nur noch der passende Sound dazu. Disco war der erste, massgeblich von Schwulen geprägte Musikstil, der zum weltweiten Phänomen wurde. Als Mutter aller Dance-Clubs gilt das Loft in New York, das bereits 1970 vom DJ Dave Mancuso gegründet wurde. 1977 eröffnete Steve Rubell das Studio 54, das zur berühmtesten Disco der Welt wurde.

Der erste Gay-Song im Disco-Fummel: «I Was Born This Way». Den Text schrieb Bunny Jones, eine heterosexuelle Frau und Gründerin des Label Gaiee, bereits 1971. Bunny Jones, die damals einen Schönheitssalon in Harlem führte, und viele homosexuelle Angestellte hatte, sah wie Schwule unterdrückt wurden. «Schwule wurden damals stärker unterdrückt als Schwarze, Latinos oder andere Minderheiten. Wir hören von grossartigen Designern oder berühmten Friseuren, doch weiter lässt die Gesellschaft Schwule nicht gehen. Ich habe das Label Gaiee so genannt, weil ich homosexuellen Künstlern ein Label geben wollte, das sie ihr Zuhause nennen können.»

«I Was Born This Way», gesungen vom jungen Sänger Valentino, wurde zwar ein Hit in den Gay-Clubs, aber kein Charts-Hit. Zwei Jahre später nahm Motown eine weitere Version mit Carl Bean als Interpret auf. Auch diese wurde kein Superhit. Für die beiden Sänger, die sich mit der Textzeile «Yes, I’m gay» öffentlich outeten, war diese Aufnahme für ihre Karriere nicht förderlich. Valentino erinnert sich: «Wenn der Song gespielt wurde, begannen die Leute sofort zu tanzen. Doch sobald sie das eine Wort hörten, stoppten sie mit Tanzen. Es ist wirklich seltsam, wie ein kleines Wort die Leute so verärgern kann.»

Jacques Morali und Henri Belolo castetn ein New York eine Männergruppe, die aussah als kämen sie aus einem Gay-Porno. Jeder stellte eine schwule Fantasiefigur dar, Bauarbeiter, Matrose, Polizist usw. Die Idee dazu hatten die beiden an einem Kostümfest in einem Gay-Club. Sie taufen die Band Village People. Die beiden Franzosen wollte mit diesen fünf Männern eigentlich nur das schwule Publikum ansprechen, und sie waren ziemlich überrascht, als die Village People zum Mega-Hit wurden. Keiner schien zu checken, wie «schwul» die Band ist. Auf der ganzen Welt tanzen die Menschen zu «YMCA» und «Macho Man». Noch heute kennt jeder diese Songs. Village People sangen keine explizit schwulen Texte, brauchten jedoch deren kodierte Sprache und Bilder. «I Am What I Am» heisst einer ihrer Titel, «I’m a Cruiser» tönt nach schwuler Abenteuersuche im Park, und einige Songs heissen wie die Hot Spots der US-Gay-Community, «San Francisco», «Fire Island» und «Key West».

Mit dem Hit «You Make Me Feel (Mighty Real)» (1978) wurde Sylvester zur «Queen of Disco». Auch in der Schweizer Hitparade kam der androgyne Sänger aus San Francisco bis auf den 6. Platz. Sylvester James, wie er mit vollem Namen heisst, begann seine Karriere in der Drag- und Gesangsgruppe The Cockettes. Bald konnte er mit seiner ungewöhnlichen Falsett-Stimme als Solosänger auf sich aufmerksam machen. Sylvester arbeitet auch mit einer weiteren Legende der Gay-Disco zusammen, dem Musiker und Produzenten Patrick Cowley. Sie begegneten sich erstmals — nicht überraschend — in einer Disco in San Francisco. Cowley spielte bei den Aufnahmen von «You Make Me Feel (Mighty Real)» den Synthesizer, begleitet Sylvester bei Konzerten und zusammen schrieben sie den Hit «Do Ya Wanna Funk» (1982). Beide starben sie in den 80er-Jahren an den Folgen von Aids.

Die 80er-Jahre

Zwar habe ich die Seventies als Kind miterlebt, doch die Musik, die von LGBT-Künstler*innen davor gemacht wurde, kenne ich nur vom Hörensagen. Mein Blick auf die 80er-Jahre ist da viel persönlicher. Schliesslich habe ich diese als Teenager und junger Mann 1:1 miterlebt – und sie haben mich geprägt.

Als ich Soft Cell 1981 zum ersten Mal sah, in irgendeiner TV-Sendung, in der das Duo seinen ersten Hit «Tainted Love» performte, schlug mein Schwulenradar sofort aus. Der Soft Cell-Sänger Marc Almond war ein junger, schmächtiger, schwarz angezogener Mann mit einem Lidstrich um die Augen. Mein Radar schlug zwar schon in den 70ern aus, als ich die Village People sah, aber das war nur die Kompassnadel in meiner Hose. Bei Marc Almond war das anders, nicht sexuell, sondern ein Erkennen, dass ich eher wie Marc Almond bin. In seinen Songs sind Aussenseiter die Helden: Huren, Stricher, Matrosen, Selbstmörder und Kriminelle. Doch Almond war kein Gay-Aktivist. Er wollte kein «schwuler Sänger» sein, sondern einfach nur Sänger. Er findet nicht, dass ein Sänger eine politische Botschaft haben muss.

Boy George lehrte mich, dass dies typishen Geschlechtsattribure ein alter Hut sind. Ich war faszineirt als sein Culture Club 1982 die Charts eroberte mit dem Hit «Do You Really Want to Hurt Me».
1983 gewann ich bei einem Wettbewerb das zweite Album von Boy Georges Culture Club «Colour by Numbers». Ich erinnere mich, wie ich zu meiner Mutter in der Küche ging und sie fragte, ob sie denke, auf dem Cover des Albums sei eine Frau oder ein Mann? Meine Mutter – ganz schön clever – meinte nur, wenn du so fragst, muss es ein Mann sein.
Als Boy George damals in einem Interview gefragt wurde, ob er den lieber mit Frauen oder Männern Sex habe, antwortet diese: «I would rather have a cup of tea than sex.»

Ganz anders sahen das Bronski Beat. Das britische Trio verfolgte eine schwule Agenda, als sie 1984 die Single «Smalltown Boy» rausbrachten. Ihr Video zum Song zeigte deutlich, was sie wollten: Schwule sichtbar machen und sich für deren Rechte einsetzen. Ich war nicht der einzige Kleinstadtjunge, der glaubte, dieser Song sei spezielle für ihn geschrieben worden.

Als Klaus Nomis erstes Album den Weg in meine Plattensammlung fand, war das eine Offenbarung, als ob ein Ausserirdischer gelandet wäre. Sein futuristisches Styling mit Elementen aus Kabuki, Kubismus und Fritz Langs «Metropolis», seine ungewohnte Stimme, ein Kontertenor, seine Musik, eine Mischung aus Oper, Pop und New Wave, zogen mich magisch an. Klaus Sperber, wie Nomi bürgerlich hiess, machte in Deutschland eine Ausbildung zum Opernsänger und zum Konditor, fand jedoch keine Engagements. Ausser in Bern! Hier hatte er seinen ersten Auftritt als Opernsänger im Stadttheater. 1973 zog Klaus Nomi nach New York ins East Village, das damals das Mekka der Kreativen dieser Welt war. Dort entwickelte er seine Kunstfigur Klaus Nomi und wurde bald stadtbekannt als der singende Konditor. 1978 wurde David Bowie auf ihn aufmerksam. Der Star engagierte Klaus und Joey Arias als Backgroundsänger für seinen Auftritt in der populären Sendung «Saturday Night Live». Dieser Auftritt verhalf Klaus Nomi zu einem Plattenvertrag, der zu diesem Album führte, das mich 1981 so begeisterte. Mit diesem und dem zweiten Album «Simple Man» (1982) konnte er Erfolge in New York und Paris verbuchen, im deutschen Fernsehen auftreten und machte so pubertierende, queere Jungs wie mich zu Fans. Ich wartete geduldig und voller Vorfreude auf sein drittes Album. Erst als «Encore» herauskam, erfuhr ich, dass dieses posthum veröffentlicht wurde, dass mein Jugendidol am 6. August 1983 in New York an den Folgen von Aids gestorben ist.

Die 90er-Jahre

Zwei Ereignisse aus der Popwelt hab die Sicht der Gesellschaft auf Schwule stark beeinflusst: Der Tod von Freddie Mercury 1991 und das unfreiwillige Outing von George Michael 1998.

Der ausnahme Sänger Freddie Mercury war so erfolgreicht mit Queen, dass er sein Privatleben schützen musste. Zwar dachten damals viele, dass er schwul ist, doch darüber gererdet wurde nicht. Das er schwul sein muss, wurde in den 80er deutlich, zumindest wenn man den Gaydar eingeschaltet hat. Ende der 80er wurde deutlich, dass Freddie krank ist. Das ganze Queen-Album «Innuendo» von 1991 enthielt Andeutungen auf seinen nahen Tod, und dass er trotzdem weiter macht («The Show must go on», « I’m Going Slightly Mad». Im Video zum Song «These Are The Days Of Our Lives» zeigte er sich von der Krankheit so gezeichnet, dass die Presse das nicht länger ignorieren konnte und sich in Spekulationen über seinen Gesundheitszustand und seine Sexualität erging. Am 23. November 1991 schuf Freddie Mercury mit einer Pressemitteilung Klarheit und schrieb, dass er an Aids erkrankt ist. Tags darauf ist er im Alter von 45 Jahren gestorben. Der Schock und die Trauer waren gross.

Freddie Mercurys Tod brachte einen Wandel im Umgang mit der Krankheit. Aus der Stigmatisierung entwickelte sich langsam Solidarität. Doch Freddie war bei weitem nicht der einzige Musiker, der an Aids gestorben ist, allerdings der berühmteste.

Mit Wham! wurde George Michael in den 80ern zum Star für kreischende Teenager-Mädchen, und als Solokünstler umgab er sich in den Videos mit den damals angesagten Supermodels. Heimlich lebte er ein schwules Leben. 1993 verlore er seine grosse Liebe an Aids. Er habe sich damals schon überlegt, sich zu oute, doch das Management hat es ihm ausgeredet und ihm selbst fehlte der Mut.

Das änderte sich 1998 schlagartig, wenn auch unfreiwillig. Er wurde in Los Angeles auf einer öffentlichen Toilette verhaftet wegen «unzüchtigem Verhalten». Ein gefundenes Fressen für die Presse. Landete Bruno Bals wegen diesem «Verbrechen» in den 40er-Jarhen noch im Gefängniss und beinahe im Konzertrationslager, kam George Michael mit einer Busse und hämischen Kommentaren in der Presse davon.

Doch George Michael hat cool reagiert und kurz darauf ein Song namens «Outside» veröffentlich in dem es um Sex im öffentlichen Raum geht und im Video dazu tanzt er als Polizist verkleidet auf eine Toilette.

k.d. lang. Sie hat die Stimme eines Engels und sieht aus wie eine Butch. Für eine Frau, die gerne Country Sängerin werden will, sind das keine guten Voraussetzungen, denn im Country müssen Frauen ultraweiblich und Männer Supermachos sein. Wer in diesem Genre reüssieren will, muss nach Nashville. Dort zeigte man sich wegen ihrer diffusen Geschlechtlichkeit ihr gegenüber etwas skeptisch. Ihre Stimme ist jedoch so überzeugend, dass sie einen Plattenvertrag bekam. k.d. lang aber wurde nicht glücklich in Nashville und zog sich zurück.

In Vancouver hat k.d. lang sich als Popsängerin neu erfunden. Ihr Album «Ingénue» und die Single «Constant Craving» wurde 1992 ein grosser Hit. Gleichzeitig machte sie ihr Coming out in der Zeitschrift The Advocate und machte für das Magazin Vanity Fair ein Covershooting auf dem sie vom Supermoder Cindy Crawford rasiert wurde. Das ist ein cooles Outing!

Melissa Etheridge hatte bereits einen grossen Hit mit «Bring Me Some Water» (1989). Dass sie auf Frauen steht, machte sie 1993 öffentlich. Und das nicht irgendwo, sondern beim Triangle Ball, einer LGBTQ-orientierten Feier zur Amtseinführung von US-Präsident Bill Clinton. Etheridge sagte damals, dass k.d. lang eine Inspiration zum Outing war. Als Etheridge daraufhin ihr treffend betiteltes viertes Album «Yes I Am» veröffentlichte, katapultiert dieses sie zum internationalen Star.

Es gäbe noch so viel mehr queere Geschichten aus den 90er-Jahren. Beispielsweise über die Club-Kultur, die wie Disco in den 70er von schwulen DJs geprägt wurde. Oder der Aufstieg von RuPaul. Die Dragqueen landete 1993 überraschend einen Hit mit «Supermodel» und baute danach ihr weltumspannendes Drag-Imperium auf.

Schön war auch die Liebesgeschichte zwischen den zwei Mitgliedern konkurrierender Boybands, Stephen Gatley von Boyzone und Eloy de Jonge von Caouth in the Act, die ihre Liebe öffentlich machten und dafür gefeiert wurden.

Zu erwähnen sind auch die Bewegungen QueerCore und Riot Girrls, die gegen konsumorientiere Kultur und die Normativität in der Schwulen- und Lesbenbewegung kömpften.

Natürlich Madonna! Sie brachte 1991 mit ihrem Song «Vogue» die queere Untergrundkultur Voguing in Licht der Öffentlichkeit-

Nicht zu vergessen Dana International. Die erste und bis anhin einzige Transperson die den Eurovision Song Contest gewann.

Da gab es noch Mark Weigle. Ein schwuler Countrysänger, der genau so war, wie sich der Mainstream einen Countrysänger vorstelle: kernig männlich mit einer tiefen Stimme. Doch wenn man über Gaysex singt, kommt das bei Mainstreampublikum nicht gut an. Er hat frustriert seine Karriere beendet.
Erfolgreicher war das Folk-Duo Indigo Girls. Sie haben allerdings auch nicht explizit über Lesbensex gesungen und konnten so ein grosse Publikum gewinnen.
QuerPop mässig war in den 90ern einiges los.

Die 00er-Jahre

Mit der Jahrtausendwende begann der Erfolg der Castingshows im TV. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten waren immer wieder mal mehr, mal weniger offene Homosexuelle dabei. Selten waren homophobe Bemerkunge zu hören. Es konnte sogar ein Vorteil sei, eine Art Exoten-Bonus. Doch dieser hat sich bald abgenutzt und ist heute noch selten Thema an solchen Shows.

In den 00er-Jahren konnte auch die queere Band Scissor Sisters die Welt erobern. Mit einer Mischung aus Rock und Disco und der Hifle von Elton John, gelang ihnen mit «I Don’t Feel Like Dancing» ein globaler Hit.

Gossip sind gross rausgekommen. Ich habe Gossip 2006 live im Mascott in Zürich erlebt, als sie noch Underground waren und auf Tournee mit «Standing in the Way of Control». In diesem kleinen Klub kam man Beth Ditto sehr nahe, denn sie kannte keine Hemmungen und brauchte nicht nur die Bühne, sondern das ganze Lokal für ihre Performance. Es war umwerfend. Das sie zum Popstar, zur Lesben-Ikone und zur Gallionsfigur von Body Positivity wurd, überraschte mich nach diesem Auftritt nicht.

Auch Ari Gold habe ich live gesehen, 2005 an einer Gayparty namens «Bubennacht». Ari Gold wurde 1974 in der New Yorker Bronx geboren, wo er in einer orthodoxen jüdischen Familie aufwuchs. Schon als Kind begann er seine Karriere als Sänger. Ari Gold hatte alles, was es brauchte, um ein Popstar zu werden: er konnte grossartig singen, sah unverschämt gut aus, war sympathisch und ehrgeizig – und er kannte die richtigen Leute in der Musikindustrie. Sein Ziel war es, DER Gay-Popstar zu werden. Er schrieb 2006 in einer Kolumne im Advocate: «Als ich anfing, sagten mir alle, ich könne das nicht. Schwule, Heteros, Freunde, Familie, Profis aus der Musikbranche sagten mir alle: ‹Warum musst du Schwulsein zum Thema machen? Es sollte um die Musik gehen›. Aber es geht nicht nur um die Musik. All die grossartige Musik, die mir einfällt, wurde von politischen und sozialen Themen inspiriert. Die grossen Künstler schreiben, um die Welt zu verändern. Also machte ich mich daran, genau das zu tun.»

Ihr ahnt es, es ist im nicht gelungen. Zwat hatte er ein paar kleiner Hits, doch der grosse Druchbruch kam nicht. Seine frustrierenden Erfahrungen verarbeitet er in einem autobiografischen Theaterstück mit dem Titel «The Making of a Gay Pop Star» und organisierte in New York sogar einen Talentwettbewerb um den «Next Gay Popstar» zu suchen. Er suchte einen Nachfolger, weil er wusste, dass seine Zeit abläuft. Ari Gold hatte Leukämie. Ein paar Tage nach seinem 47. Geburtstag verstarb Ari Gold 2021. Seine enge und langjährige Freundin RuPaul verkündete den Tod des Sängers auf Twitter.

Ari Gold wurde zwar nicht zum Superstar, war jedoch zeitlebens ein Gay-Aktivist und Wegbereiter für die heutigen Gay Popstars .

Heute haben wir nicht nur ein Gay Popstar, sondern viele. Um nur einige aufzuzählen: Troye Sivan, Sam Smith, Lil Nas X, Tegan and Sarah, Kim Petras, Calum Scott, Todrick Hall, Years & Years, Christine & The Queens, Orville Peck, Alma, Arlo Parks, Mykki Blanco, LP, Brandi Carlile,
Conchita Wurst …

Also an mangelnder Repräsentation im Pop kann sich die LGBT-Community nicht beklagen.

Um den Bogen zu schlagen zum Anfang. Heute sind wir in den 20er-Jahren vom 22. Jahrhundert. Ihr erinnert euch noch an die wilden und freien 20er-Jahre im letzten Jahrhundert und was danach geschah. Es gibt leider viele Anzeichen, das es genau so wieder passieren kann. Die vorhin erwähnten neuen queeren Popstars werden nämlich nicht nur gefeiert, sondern auch aufs übelste beschimpft. Unsere Communtiy hat in den letzten 100 Jahren viel erreicht, auch mit Unterstützung von Pop. Aber wir müssen dran bleiben, zurücklehnen liegt nicht drin.

Mein Apell: Unterstütz queere Musiker*innen! Gebt Geld aus für sie, zahlt für ihre Musik, geht an ihre Konzerte, folgt ihnen aus Instagram und so. Insbesondre die, die noch keine globalen Stars sind. Sie brauchen unsere Unterstützung, weil wir von ihrem Einsatz für die LGBT-Community und ihrer Sichtbarkeit profitieren. Wenn Pop ein Spiegel der Gesellschaft ist, liegt es an uns, dafür zu sorgen, dass wir in diesem Spiegle reflektiert werden.

Ludwig