DJ Coreys MusikTipps November 2023

Troye Sivan, The Drums, Sufjan Stevens, CMAT, Dolly Parton, Cher, Rêve, Baby Queen, PinkPantheress, Omar Apollo, Nuit Incolore, FLEECE

Verträumt-versaut: Troye Sivan geht in die Sex-Offensive. Jonathan «Jonny» Pierce von The Drums zieht blank. Sufjan Stevens hat endlich wieder ein Folk-Album herausgebracht. Das Break-Up-Album der irischen Sängerin CMAT. Kampf der Gay-Titaninnen im Best-Ager-Club: Dolly Parton und Cher. Queer-Pop in allen Variationen mit Rêve, Baby Queen, PinkPantheress und FLEECE. Omar Apollos musikalische Bilanz nach seinem Coming-Out. Die Schweizer Ecke mit Nuit Incolore.


TROYE SIVAN

Something To Give Each Other (EMI/Universal)

Lil Nas X’s unverkrampfter Umgang mit schwuler Sexualität und offensive Queerness haben mittlerweile auch auf Australiens grössten Queer-Pop-Export abgefärbt. Auf «Something To Give Each Other» gibt sich Troye Sivan dem schwulen Tanz- und Nachleben voll hin. Das Album strotzt nur so von Rausch, Testosteron und Geilheit und gleitet von einem musikalischen Höhepunkt in den nächsten. Nach dem fulminanten Einstieg mit dem Disco-Banger «Rush», einer Anspielung auf eine bekannte Poppers-Marke (?), lässt Troyes Abenteuerlust nach der ersten Album-Hälfte allmählich nach, und die Stimmung wird verträumt, introspektiv und nachdenklich. In «One Of Your Girls» treibt er das Spiel mit den Genderrollen auf die Spitze und zeigt sich im Video als hypersexualisierte Femme Fatale.


THE DRUMS

Jonny (Anti)

13 Jahre nach dem Debüt ist von The Drums nur noch Jonathan Pierce übriggeblieben, der als One-Man-Band unbeirrt weitermacht. Auf «Jonny» entblösst sich Jonny Pierce bereits auf dem Cover, wo er seinen nackten Arsch beim Beten in seinem Arbeitszimmer zeigt. Auch in den Songs wird der New Yorker ganz persönlich und arbeitet seine christliche, sexuell unterdrückerische Erziehung auf. Sein melancholischer Indie-Pop zwischen The Smiths und The Beach Boys hilft ihm dabei, sein junges Ich zu schützen und sein Selbstwertgefühl zu stärken.


SUFJAN STEVENS

Javelin (Asthmatic Kitty Records)

Auf seinem zehnten Studio-Album kehrt der US-amerikanische Singersongwriter nach vielen Schaffensphasen zu dem Kammer-Folk seiner Anfänge zurück. «Javelin» ist seinem leider verstorbenen Freund Evan Richardson gewidmet und thematisiert die enge Verbindung zwischen Liebe und Schmerz. Die neuen zehn Songs, darunter eine Coverversion eines Neil Youngs Stück, beginnen vertraut reduziert, mal mit Klavier, mal mit akustischer Gitarre, und warten oft mit überraschenden Wendungen und ausschweifenden Outros auf. Das ganze Album berührt umso mehr, als vor seiner Veröffentlichung bekannt wurde, dass Stevens am Guillain-Barré-Syndrom erkrankt ist und zurzeit nicht mehr laufen kann.


CMAT

Crazymad, For Me (AWAL, The Orchard)

Die 27-jährige CMAT, geboren als Ciara Mary-Alice Thompson in Dublin, überzeugt auf ihrer zweiten Platte mit ihrem leidenschaftlichen Mix zwischen Country und Pop und einem Gespür für grossartige Melodien. Auf «Crazymad, For Me», das ursprünglich als Konzeptalbum gedacht war, befreit sich die bisexuelle Irin von einer toxischen Beziehung und findet wieder zu sich. Ihr grösster Trumpf ist ihre im Country und Irish Folk geschulter Stimme. Besonders gut gelungen ist das Duett mit dem schwulen Singersongwriter John Grant «Where Are Your Kids Tonight».


DOLLY PARTON

Rockstar (Butterfly Records)

Nach ihrer Aufnahme in die “Rock & Roll Hall Of Fame” verwandelt sich die US-Country-Legende Dolly Parton in einen selbstbewussten Rockstar, der ihrem 49. Album auch den Titel gibt. Auf «Rockstar» befinden sich 21 Cover-Versionen legendärer Rockstücke von den Beatles zu Queen, meistens mit den Original-Interpret/innen eingesungen, und neun Eigenkompositionen. Die illustre Gästeschar umfasst mehr als 40 Künstler/innen und ist an Diversität nicht zu überbieten (Elton John, Joan Jett, Miley Cyrus, Rob Halford, usw.). Alle zu nennen, würde den Rahmen dieser Kolumne wohl sprengen. Nur Cher fehlt. Angeblich aus Termingründen. Dolly Parton lässt locker die Rock-Göre und den Energie-Bündel in ihr heraushängen. Auf ihren Country-Twang kann sie aber nicht ganz verzichten. Weniger wäre natürlich mehr gewesen, aber bald ist Thanksgiving und Weihnachten folgt. Es darf also ruhig üppig sein.


CHER

Christmas (Warner Records)

Als die immerjunge Cher von ihrem Manager dazu gedrängt wurde, ein Weihnachtsalbum aufzunehmen, hat sie zuerst die Augen verdreht und nur unter der Bedingung eingewilligt, etwas anderes als die üblichen Weihnachtsalben zu machen. Den traditionellen Klischees um Weihnachten kann Cher zwar nicht ganz entkommen, aber sie macht wirklich das Beste daraus. «Christmas» ist eine feierliche Zeitreise durch 60 Jahre Pop-Geschichte, die Cher zum Teil selber geschrieben hat. Das Spektrum reicht von ihren Anfängen als Background-Sängerin für Girlgroups bis zu ihrer Neuerfindung als Gay-Disco-Queen mit dem Autotune-Hit «Believe», der hier mit «DJ Play A Christmas Song» einen jüngeren Bruder mit viel mehr Glitzer und Lametta kriegt. Zum ersten Mal in Chers Karriere durften hochkarätige Gäste wie Stevie Wonder, Michael Bublé und Cyndi Lauper mit ihr das Studio teilen. Manche Wunder können eben nur an Weihnachten geschehen.


RÊVE

Saturn Return (East Inc./Universal Music Canada Inc.)

In Kanada ist Briannah Donolo alias Rêve eine bekannte queere Dance-Pop-Künstlerin. Mit CTRL + ALT + DEL hat sie dieses Jahr einen kanadischen Grammy für den besten Dance-Track gewonnen. Ihr Debüt “Saturn Return” wird Rêve bestimmt in eine Liga mit Dance-Pop-Prinzessinnen oder -Königinnen wie Lady Gaga, Kylie oder Robyn katapultieren. Mit den Dance-Produzenten Banx & Ranx, Carl Ryden, Joel Stouffer und Mike Wise ist der Erfolg garantiert. “Saturn Return” schuldet viel dem Eurodance und House der 90er-Jahre und dem R&B-Pop der Nullerjahre. Zugleich ist das Album eine Verbeugung vor ihren Idolen Whitney Houston und Madonna. Wie die Cover-Version von Madonnas «Ray Of Light» beweist, ist Rêve eindeutig mehr als nur irgendein Dance-Pop-Act.


BABY QUEEN

Quarter Life Crisis (Polydor/Universal)

Der Name Baby Queen kommt im Soundtrack zur queeren Netflix-Serie «Heartstopper» insgesamt achtmal vor. Nach den Appetit-Häppchen «We Can Be Anything» und «Dream Girl» erscheint nun das heiss erwartete zweite Album der in London lebenden südafrikanischen Musikerin: «Quarter Life Crisis». Baby Queen bezeichnet sich «vielleicht als bisexuell» und nennt ihren Stil zurecht «Anti-Pop». Denn die lässigen Pop-Melodien sind leichtfüssig und nisten sich rasch in die Gehörgänge ein. Aber in den Texten geht es meistens um Existenzängste, Drogen, Medikamente und Gesellschaftskritik.


PINKPANTHERESS

Heaven Knows (Warner Music UK Limited)

PinkPantheress ist die Gewinnerin des musikalischen Orakels “BBC Sound Of 2022”. Bereits auf ihrem erfolgreichen Mix-Tape «to hell with it» hat die Britin den Drum&Bass und UK-Garage der späten Neunziger und frühen Nullerjahre für die Generation Z reaktiviert. Mit ihrem Remix von «Boy’s A Liar Pt. 2» mit der bisexuellen Rapperin Ice Spice hat PinkPantheress einen massiven Hit gelandet. Sie hat an Troye Sivans Hit «Rush» ebenfalls Hand angelegt. Auf ihrem Debüt «Heaven Knows» vertont PinkPantheress mit ihrer Engelstimme den schwierigen Prozess, wie man nach einer toxischen Beziehung wieder auf die Beine kommt. Ihre D&B- und UK-Garage-Wurzeln werden durch namhafte Produzenten wie Greg Kurstin, Mura Masa usw. auf den neusten Stand der Technik gebracht.


OMAR APOLLO

Live For Me – EP (Warner Records Inc.)

Auf der Rückseite der physischen EP „Live for Me“ des queeren Shootingstars Omar Apollo zeigt der Sänger sein bestes Stück, immerhin gemalt. Es ist also nicht verwunderlich, dass der Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln auf seinen neuen vier Stücken einen Seelenstriptease abzieht. In den vier Liedern stecken seine ganzen Gedanken und Emotionen, die vom schmerzhaften Coming-Out vor seiner Familie und dessen Folgen handeln. Die Songs basieren auf einer Vielfalt von R&B-Einflüssen, die von Stevie Wonder bis Prince reichen und geben viel Intimes und Dramatisches preis.


NUIT INCOLORE

La Loi Du Papillon (Cinq 7 / Wagram Music)
Théo Marclay, ein 22-jähriger Walliser mit vietnamesischen Wurzeln, hat seine schlaf- und farblose Nächte zu seinem Künstlernamen gemacht. Mit seinem Song «Dépassé» hat Nuit Incolore im französischsprachigen Raum Streaming-Rekorde gebrochen und eine Nominierung als bester Nachwuchskünstler an den NRJ music awards erhalten. Auf dem neuen Album «La Loi Du Papillon» perfektioniert Nuit Incolore seinen Mix aus französischem Chanson, Pop und Rap, der zu seinen Texten über Einsamkeit, Verlassenheit und Liebe wie ein Handschuh passt.


FLEECE

Stay At Home Boy (Popup Records)

Die Band aus Montreal wurde schon vor 10 Jahren gegründet, als die Mitglieder noch Teenager waren. Inzwischen hat sich die Besetzung geändert zu einem rein queeren Quartett. Auch musikalisch haben sie ihre Soundpalette erweitert, indem sie verstärkt elektronische Instrumente einsetzen. Ihre neue Single «Stay At Home Boy» ist ein energiegeladener Indie-Pop-Song für all die Introvertierten, die lieber alleine feiern. Der Refrain drückt dieses Gefühl von erholsamer Einsamkeit perfekt aus: «Don’t party all the time, when I do, I like to party by myself in confidence, no one to shake me, break my step, look in the mirror there’s my friend».


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Playlist


Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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