DJ Coreys MusikTipps September 2023

Gabriels, Anohni & The Johnsons, Greta Van Fleet, Kim Petras, Georgia, Romy, Girl Ray, Shamir, François Sagat

Gabriels Gospel-Soul für die queere Kirche. Von Freak Folk zu Freak Soul: Anohni & The Johnsons. Classic Rock mit queerem Lead-Sänger: Greta Van Fleet. Kim Petras: das Debüt des globalen Transgender-Rolemodels. Georgias Indie-Dance wird bunter und poppiger. Romys Erinnerungen an die House- und Rave-Musik der Neunziger. Alunas queere Disco-Revolution. Girl Rays Hommage an die queere Disco-Ära. Shamirs Dream-Pop gegen die Angst. Vom Porno-Darsteller zum Electro-Pop-Sänger: François Sagat erfindet sich neu.


GABRIELS

Angels & Queens (Parlophone/Warner)

Der Vintage-Gospel-Soul des britisch-amerikanischen Trios um den ehemaligen «American Idol»-Absolventen Jacob Lusk ist zu grossem Kino gereift. Der Klassik-Komponist Ari Balouzian und der Video-Produzent Ryan Hope haben den Soul und Funk der 60er- und 70er-Jahre komplett verinnerlicht. Jacob Lusks Stimmgewalt, die Soul, Jazz, Blues, Gospel bis zu Oper beherrscht, verleiht den Tracks Authentizität und ein Maximum an Ausdruckskraft. «Angels & Queens» vereint in der Deluxe-Version 26 Lobpreisungen an die queere Liebe und an das queere Begehren im sinnlichen Retro-Soul-Gewand.


ANOHNI & THE JOHNSONS

My Back Was A Bridge For You To Cross (Beggars)

Zwischen 2000 und 2012 brachten Antony & The Johnsons fünf Alben heraus. Wegen der kammermusikalischen Begleitung wird ihre Musik als weird oder freak folk kategorisiert. 2012 hat sich die Band aufgelöst und aus Antony wurde Anohni. Unter diesem Namen erschien 2016 das düstere, mit bedrohlichen elektronischen Rhythmen unterlegte Solo-Album «Hopelessness». «My Back Was A Bridge For You To Cross» schlägt den Bogen zurück zu Anohnis Frühwerk. The Johnsons wurden in neuer Besetzung als Retro-Soul-Band reaktiviert. Ein Schwarz-Weiss-Bild der Drag-Queen und LGBT-Aktivistin Marsha P. Johnson, einer zentralen Figur der queeren US-Szene der 60er-Jahre, die als Namensgeberin der Johnsons gilt, ziert symbolisch das Albumcover. Das neue Werk ist Musik mit politischem Bewusstsein und spiegelt die Wut und Verzweiflung von Anohni. Die Transgender-Künstlerin widmet sich damit dem Geist von Marvin Gayes epochalem Soul-Album «What’s Going On» aus dem Jahr 1971.


GRETA VAN FLEET

Starcatcher (Universal)

Das Quartett aus Michican bedient sich auch auf «Starcatcher» reichlich aus den Klischees und Posen des Classic Rock aus den 70er-Jahren. Die Gitarren-Riffs, der sich in höchsten Höhen erhebende Falsett-Gesang, die donnernden Drums und die Bassläufe erinnern stark an Led Zeppelin. Deren Sound wird mit grosser Liebe zum Detail reproduziert, sowohl in elektrischer als auch in akustischer Hinsicht. In den 70er-Jahren wäre es aber undenkbar gewesen, dass sich der Frontmann einer Hard-Rock-Band als schwul geoutet hätte. Heute ist es einfacher. Im letzten Juni feierte Josh Kiszka als Mitglied der LGBTQ+-Community sein Coming-out. Seit acht Jahren ist er mit einem Mann liiert. Respekt und Unterstützung erhielt er aber auch von der Classic-Rock-Gemeinde. Schön, wie sich die Zeiten verändert haben.


KIM PETRAS

Feed The Beast (Universal)

Kim Petras ist ein kleines Wunder geglückt. Mit ihr hat nicht nur jemand mit deutschen Wurzeln, sondern auch ein Vorbild für alle Trans-Menschen tatsächlich Erfolg in den USA und global. Nach dem rekordbrechenden Welthit «Unholy» mit Sam Smith hat Kim Petras fleissig an ihrem Debüt gefeilt. Mit ihrem unfehlbaren Gespür für elektronische Beats, eingängige Hooklines, zuckersüsse Melodien, clevere Produktion und sexuell expliziten Texten lässt «Feed The Beast» keine Pop-Wünsche offen. Auf Balladen hat Kim Petras ganz verzichtet. Denn, wie sie im Song «Uh oh» so schön singt, ist jeder Song, den sie rausbringt, ein Pop-Knaller. Eine Devise, die sie auf «Feed The Beast» unter Beweis stellt.


ALUNA

Mycelium (Because Music)

Sowohl als Hälfte des Erfolgsduos AlunaGeorge als auch als Solo-Künstlerin hat sich die Britin Aluna Frances als eine Konstante für qualitative Dance-Tracks entwickelt. Auf ihrem zweiten Solo-Album «Mycelium» setzt Aluna dem Disco-Sound und den LGBTQ-Clubs als Safe Spaces ein Denkmal. Aluna hat diesmal mit gleichgesinnten schwarzen und LGBTQ-Künstler*innen aus der ganzen Welt gearbeitet, die ihre musikalische Vision teilen. So geben sich z.B. TSHA, Chris Lake, MK, Pabllo Vittar und MNEK auf dem Album ein Stelldichein.


GEORGIA

Euphoric (Domino/Goodtogo)

Die Londonerin Musikerin und Produzentin Georgia Barnes ist die Tochter von Leftfields Neil Barnes. Wie ihr Vater hat sie sich vom Anfang an mit Leib und Seele dem Dancefloor und den durchtanzten Nächten verschrieben. Für ihr drittes Album hat Georgia ihre Heimat für Los Angeles verlassen und zum ersten Mal die Hilfe eines aussenstehenden Produzenten in Anspruch genommen. Das Ex-Vampire-Weekend-Mitglied Rostam hat dem melancholischen und introvertierten Club-Sound von Georgia einen kunterbunten und euphorisierenden Pop-Anstrich verpasst, der angenehm an den Dance-Pop der Nuller-Jahre erinnert.


ROMY

Mid Air (Young/XL/Beggars)

Romy Madley Croft, das weibliche Drittel von The xx, macht es ihren Kollegen Jamie XX und Oliver Sim nach und veröffentlicht ebenfalls ein Solo-Album. Auf «Mid Air» entfernt sich Romy vom dunklen und minimalistischen Elektro-Pop ihrer Stammband und schüttelt eine Pop-Hymne nach der anderen aus dem Ärmel. Für ihre Songs um queere Liebe und queere Clubs hat sie einen funkelnden Teppich aus Eurodance, Nineties-House und Rave ausgerollt.  Für diesen Sound hat Romy in Jamie XX, Madonnas Produzent Stuart Price und den Elektro-Singer-Songwriter Fred Again die perfekten Kooperationspartners gefunden.


GIRL RAY

Prestige (Moshi Moshi/Cargo)

Endlich gelingt es dem Londoner queeren Indie-Trio Girl Ray, auf «Prestige» das musikalische Profil zu schärfen, das auf den Vorgängeralben noch so unausgegoren wirkte. Mit «Prestige» verneigen sich Poppy Hankin, Sophie Moss und Iris McConnell vor dem Hedonismus und Eskapismus der LGBTQ-Disco-Subkultur. Funky Gitarren und Bassläufe à la Chic verbinden sie mit Glitzer und Glamour. Mit «Prestige» transponieren Girl Ray mit einem Augenzwickern den Sound der sexuellen Befreiung in die heutige Zeit.  


SHAMIR

Homo Anxietatem (Kill Rock Stars)

2015 hat Shamir mit der queeren Disco-Platte «Ratchet» den Durchbruch geschafft. Der sich als nicht-binär identifizierende Indie-Star mit der atemberaubenden Kontratenorstimme war in den folgenden acht Jahren äusserst produktiv und hat praktisch jedes Jahr – meistens im Alleingang – ein neues Album veröffentlicht, auf welchem sie die verschiedenen Facetten seines Könnens präsentieren dürften. Auf «Homo Anxietatem» arbeitet Shamir mit dem britischen Produzent Hoost zusammen, der unter anderem für Rina Sawayama aktiv war. Shamir kämpft mit Musik gegen die eigenen Angststörungen. Soundtechnisch orientiert sich Shamir diesmal an den Alternative Rock, den die US-amerikanischen Radios Ende der 90er-Jahre spielten.


François Sagat

Videoclub (Tommy Marcus)

Der international bekannte Gay-Porno-Darsteller François Sagat ist schon immer ein Meister des Multitaskings gewesen. Gemeint ist nicht seine Flexibilität zwischen Top und Bottom. Der Franzose hat sich nämlich schon als «normaler» Schauspieler und neuerdings auch als Gast-Sänger auf diversen Dance-Tracks versucht. Auf seinem ersten regulären Album «Videoclub», das vom French House Produzent DJ Tommy Marcus produziert wurde, reist François Sagat mit sinnlicher und sexy Stimme durch sämtliche Dekaden der elektronischen Musik, von Disco über New Wave, House, Bathhouse Techno und Gay-Underground. Am Schluss gibt es noch eine Cover-Version des Disco-Klassikers «Follow Me», im Original von der schwulen Ikone Amanda Lear. Ein heimliches Vergnügen.


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Die Musiktipps von DJ Corey immer am 1. Sonntag im Monat im QueerUp Radio auf Radio RaBe
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