Alex Truffer befreit ein Käfig voller Narren

Der Sternensaal Bümpliz wird zum «La Cage aux Folles»

Alex Truffer lädt dich ein ins Cabaret «La Cage aux Folles». Eine Berner Produktion das Erfolgsstücks «Ein Käfig voller Narren», das vor 50 Jahren Premiere in Paris hatte. Doch es ist heute noch aktuell und vor allem, es macht immer noch närrisch viel Spass! Ludwig hat Alex getroffen, um sich mit ihm über seine Inszenierung zu unterhalten.

Alex Truffer und ich treffen uns in Wabern zum Kaffee. Alex ist in Bern kein Unbekannter. Der Basler, den es vor 30 Jahren nach Bern verschlug, hat uns schon mit vielen Theaterprojekten erfreut. Einige davon habe ich gesehen und nur gute Erinnerungen daran. Ohne ihn wäre die Theaterszene Bern um einiges weniger bunt. Also, erst mal herzlichen Dank für deinen Arbeit, Alex.

Das Theaterstück «La Cage aux Folles» von Jean Poiret hatte genau vor 50 Jahre Premiere. Nach dem Theater gab es 1978 einen französischen Spielfilm, zwei Fortsetzungen, ein Broadway-Musical in den 80ern, das 1996 zum Hollywoodfilm wurde. Und es hat sich immer wieder der Zeit angepasst. Denn es ist zeitlos.

Was macht denn das Stück von Jean Poiret heute noch sehenswert? Was macht deine Inszenierung aus?
«Der gute Mann hat das Stück damals nicht nur aus Tollerei geschrieben. Er hatte eine klare Botschaft: Loyalität, Offenheit, gesellschaftliche Akzeptanz mit dem Hauptthema Homosexualität, Ehe und Kirche. Das war damals revolutionär. Grundsätzlich ist ‹La Cage aux Folles› eine frivole und lustige Geschichte. Doch sie hat auch eine starke Message. Diese Tiefenschärfe wollte ich mit meiner Inszenierung herausfiltern. Mein Stück spielt im Hier und Jetzt. Es hat immer noch die gleiche Gültigkeit wie vor 50 Jahren, ich musste nicht viel adaptieren. Was eigentlich schlimm ist. Es ist schon etwas besser geworden für queere Menschen. In westlichen Ländern haben wir viel erreicht, doch schau mal in den Osten. Da sind sie im Rückwärtsgang.»

Grundsätzlich ist ‹La Cage aux Folles› eine frivole und lustige Geschichte. Doch sie hat auch eine starke Message. Diese Tiefenschärfe wollte ich mit meiner Inszenierung herausfiltern.

Grundsätzlich, erklärt mir Alex, kaufst du die Rechte am Theaterstück oder am Musical. Wenn du die vom Musical nimmst, musst du auch all die Songs bringen, die dafür vorgesehen sind. Beim Theaterstück hat man mehr Freiheiten und Variationsmöglichkeiten. Man darf auch kürzen, eine sogenannte Strichfassung machen. Nur neue Texte schreiben darf man nicht. «Das Original ist etwas vulgär. Da wird viel beleidigt auf eine plumpe Art. Der Schauspieler, der Albin spielt, fragte mich, nachdem er das Stück gelesen hat: Gell, du schreibst das schon noch etwas um? Nein, antwortet ich, es wird einfach gestrichen.» Doch Alex hat nicht nur gestrichen, sondern das Stück auch bouquetiert, wie er es ausdrückt, also ausgeschmückt. «Ich verwende für meine Inszenierung das Originaltheaterstück und ergänze es mit Revue- und Drag-Nummern. Du kommst bei uns nicht einfach ins Theater, du besuchst das «La Cage aux Folles». Der Saal ist mit Tischen und Stühle in Fächerform eingerichtet, du wirst bedient mit Amuse Bouches und Drinks. Wie in einem richtigen Cabaret halt.»

Eine queere Familiengeschichte

Georges und Albin sind die Besitzer des Nachtclubs «La Cage aux Folles». Als Zaza ist Albin der Star der Show. Im Stück geht es darum, dass Laurent, der Sohn von Georges aus seinem einzigen Abenteuer mit einer Frau, seine Freundin aus einer sehr konservativen Familie, heiraten will. Laurent wurde von Georges und Albin aufgezogen, sie sind also eine Regenbogenfamilie. Doch Laurent verlangt von seinen Vätern, dass sie sich für ihn verstellen, um die Familie der Braut nicht abzuschrecken. Er verlangt von ihnen, sich zu verleugnen, was besonders Albin schwerfällt. Darin sieht Alex Truffer den Kern des Stücks. Damals, in den 70ern, hat man das Verhalten von Laurent, vermutlich nicht gross in Frage gestellt. Doch heute? Alex sagt: «Laurent ist in einer Patchworkfamilie aufgewachsen, und kommt jetzt mit einer solchen Scheiss-Idee! Sie geraten heftig aneinander. Das sind wichtige Moment im Stück, die die Tragik des Themas zeigen.»

Ein Teil der Besetzung von «La Cage aux Folles» im Sternensaal Bümpliz

 

Ich sah den Film als Teenager zum ersten Mal. Zu sehen, dass zwei Männer eine ehe-ähnliche Partnerschaft haben können, war damals eine gute Erkenntnis für mich. Auch zu sehen, dass man sich nicht verleugnen kann und zu dem stehen soll, was man ist, war eine wertvolle Erfahrung. Doch ich kann mich auch an einiges im Film erinnern, das heute so nicht mehr gezeigt werden kann, weil allzu klischiert und politisch sehr unkorrekt. Wie beispielsweise der schwarze Diener Jacob. Dazu sagt Alex: «Jacob ist zwar im Stück nur eine Randfigur, aber eine sehr auffällige. Viele erinnern sich gut an diese Figur. Sie darf nicht fehlen. Bei uns ist der Buttler nicht schwarz, aber sonst genauso tuntig wie im Original. Jacob ist ein Symbol für die absolute Freiheit. Er erlaubt sich, so herumzulaufen wie er will. Er kann nicht in Schuhen laufen und ist am liebsten nackt. Ein Naturist. Das ist seine Lebensform. Solche Jacobs gibt es auch heute: Männer, die ihre Nägel rot anmalen und Röcke tragen. Darf man das? Ja, du darfst dir diese Freiheit nehmen!».

«La Cage aux Folles» ist eine gute Story mit vielen dramatischen und sehr lustigen Momenten. Bei welcher Szene musst du immer lachen?
«Ein Klassiker ist die Szene, als Georges und Albin frühstücken, und Albin lernen soll, sich männlich zu geben. Alle erinnern sich an diese Szene, wenn der Toast durch die Luft fliegt. Die bringt immer Lacher und darf nicht fehlen. Meine Lieblingsszene in meiner Inszenierung ist die mit dem Dorfmetzger. Der ist ein strammer Mann und alle scharwenzeln um ihn rum. Ich muss immer wieder lachen, wenn ich die sehe!»

Mit Humor soziale Themen verhandeln

«La Cage aux Folles» hat im Grunde ein schweres Thema. Darf man von jemanden verlangen, sich zu verstellen zum eigenen Nutzen, wie Laurent das macht? «Damit die Zuschauenden dieses eigentlich tragische Thema annehmen können, sollte es locker-flockig mit viel Humor präsentiert werden», meint Alex. «So kann der Gast selbst für sich entscheiden: War das jetzt einfach ein lustiger Abend oder mache ich mir weitere Gedanken dazu. So funktionieren die meisten modernen französischen Komödien heute, wie beispielsweise ‹Monsieur Claude und seine Töchter›. Eine Sozialkritik als satirische Komödie verpackt. Das hatte Jean Poiret schon in den 70er-Jahren drauf!» Humor war schon immer ein probates Mittel, um soziale Themen zu verhandeln.

«Damit die Zuschauenden dieses eigentlich tragische Thema annehmen können, sollte es locker-flockig mit viel Humor präsentiert werden»

Dass Alex das Thema der Selbstverleugnung am Herzen liegt, hat mit seiner Biografie zu tun. Er arbeitet inzwischen seit 30 Jahren im Theaterbusiness. Ob das schon als Kind ein Traum von ihm war, möchte ich von ihm wissen. «Das Theater war schon immer wach in mir, doch es wurde durch mein Elternhaus blockiert», erzählt er. «Mein Vater starb früh und meine Mutter war ein typisches deutsches schwarz-katholisches Dorfmädchen. Von mir wurde erwartet, dass ich Metzger oder Handwerker werde. Etwas Künstlerisches zu machen stand ausser Frage. Sogar als ich eine kaufmännische Lehre in einem Reisebüro machte, gab es Diskussionen zuhause. Wenn schon KV, dann Versicherung oder Bank. Ich habe dafür kämpfen müssen und habe 24 Jahre lang in der Reisebranche gearbeitet. Nebenbei habe ich mit der Kultur angefangen. Ich habe lange getanzt, bis es körperlich nicht mehr ging und besuchte in meiner Freizeit eine private Schauspielschule. Der Mutter habe ich nichts davon erzählt. Im SchLeZ, dem Schwul-lesbische Zentrum in Basel stellte ich das Kulturprogramm zusammen und begann eigenen Projekte zu organisieren.»

So wurde das Arbeiten im Tourismus immer weniger und die Projekte in der Kultur immer mehr. Das war ein langsamer Wechsel. Nach einem Job in Spanien, wo er einen Berner kennenlernte, und es funkte, landete er 1993 in unserer Stadt. Zwar arbeitet er auch in Bern zuerst in der Reisebranche, doch er baute sich hier einen Namen auf in der Theaterbranche. Heute ist er ein gefragter Regisseur für verschieden Theatergruppen und er hat seine eigene Produktionsfirma artandmusic. Doch welche Projekte wählt er aus? «Einfacher ist es zu sagen, was mich nicht interessiert. Das sind simple Boulevardkomödien, also der Schwank, und Krimis. Ich finde Stücke spannend, die nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern eine gewisse Tiefe haben. Meine Lieblingsstücke sind immer sozialkritisch und satirisch. Ich habe zuhause eine Liste mit Stücken, die ich gerne mal machen würde. Aber es muss der richtige Zeitpunkt dazu kommen.» Alex’ Projekte sind immer publikumsorientiert. Trotzdem geht er auch gerne mal ein Risiko ein, wie zum Beispiel bei «Huit Femmes», als er alle Frauenrollen mit Männern besetzte.

Ich finde Stücke spannend, die nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern eine gewisse Tiefe haben. Meine Lieblingsstücke sind immer sozialkritisch und satirisch.

Was hat sich in den 30 Jahren, in denen du Theater machst, geändert? Und was soll Theater bewirken?
«Heute wird viel mehr gegendert. Aber eigentlich ist mir die ganze Woke-Diskussion egal. Ich mache einfach mein Ding. Ich provoziere schon gerne, doch nicht allein um der Provokation willen, es muss schon ein Sinn dahinter sein. Dazu ist Theater da. Es soll Impulse geben, Diskussionen und Gedanken auslösen.

Die Pandemie hat im Theater und ganz allgemein im Kulturbereich nachhaltig Schaden angerichtet. Wie siehst du die Zukunft des Theaters?
«Corona war ein Schuss in den Rücken für den Kulturbetrieb. Noch schlimmer ist es für das Kino. Ich sehe schwarz für die Zukunft. Ich verstehe nicht, wie man einen Film auf dem Handy oder dem Tablet anschauen kann. Beim Theater ist es weniger schlimm, weil es immerhin noch ein sozialer Treffpunkt ist. Gerade Theater in der Provinz laufen immer sehr gut. An solchen Anlässen trifft sich das ganze Dorf.»

Alex, du bist auch Geschäftsleiter der Gesamtschule für Theater Grenchen. Ihr bietet Kurse an für das Amateur-Theater. Wie steht es um den Nachwuchs?
«Das Kurswesen im Freizeitbereich ist im Sinkflug. Nicht nur bei uns. Wusstes du, dass die Migros-Klubschule letztes Jahr gesamtschweizerisch sieben Zentren geschlossen hat? Das ist bezeichnend. Ich glaube, das hat viel mit den sozialen Medien zu tun. Viele meine, sie können mit ein paar YouTube-Videos alles selbst lernen. Ich finde das schade. Ein Kurs zusammen mit anderen Menschen macht doch einfach mehr Spass! In manchen Bereichen, wie beim Kochen, kann das Funktionieren mit einem ‹Filmli› anschauen. Doch beim Schauspiel geht das nicht. Du kannst vielleicht einen Monolog allein lernen. Doch du brauchst immer ein Gegenüber. Ob auf der Bühne oder als Publikum. Als Schauspieler musst du dich selbst kennen lernen, deine Gefühle, deine Gestik, deine Mimik. Das ist nur möglich durch die Reflektion von anderen.»

Für «La Cage aux Folle» hatte Alex kein Problem Leute zu finden. Er kann auch aus einem Topf schöpfen, den er in all seinen Jahren als Theatermacher gefüllt hat. «Wenn ich eine Rolle zu vergeben habe, erkenne ich sofort, wer diese von meinen Leuten am besten spielen könnte. Wir sind jetzt ein Team von 40 Menschen, davon sind 18 auf der Bühne.» Die Vorbereitungen für das Stück begannen schon vor vier Jahren. «Eigentlich wollten wir es im Casino Theater Münsingen spielen, wie schon ‹Huit Femmes›, doch dann kam Corona. Während der Pandemie wechselte die Leitung des Psychiatriezentrums Münsingen, dem das Casino Theaters unterstellt ist, und sie sagten uns ab mit der Begründung, sie wollen keine externen Langzeitprojekte mehr. Ich vermute aber einen homophoben Hintergrund, denn einem ähnlichen Theaterprojekt, einem Krimi, haben sie für April/Mai 2023 zugesagt.

Da «La Cage aux Folle» von Alex Truffers Firma artandmusic Company produziert wird, und er keine grossen Geldgeber im Rücken hat, ist er darauf angewiesen, dass die Vorstellungen gut gefüllt sind. Der Vorverkauf hat bereits begonnen und ein paar Vorstellungen sind schon ausverkauft. Also beeile dich, um ein Ticktet zu ergattern! Denn eins weiss der Schreiber, der schon einige Inszenierungen von Alex gesehen hat, mit Gewissheit: Es wird ein toller Abend werden im Cage aux Folles!


La Cage aux Folles / Ein Käfig voller Narren

von Jean Poiret, Deutsch von Charles Regnier
Inszenierung Alex Truffer

Vorstellungen
Mittwoch, 6. Sep. 2023 (ausverkauft!)
Freitag, 08. Sept.
Samstag, 09. Sept.
Sonntag, 10. Sept.
Freitag, 15. Sept.
Samstag, 16. Sept.
Sonntag, 17. Sept. (ausverkauft!)
Mittwoch, 20. Sept.
Freitag, 22. Sept.
Samstag, 23. Sept.
Sonntag, 24. Sept.
Herbstpause
Freitag, 13. Okt.
Samstag, 14. Okt.
Sonntag, 15. Okt.

Vorstellungsbeginn: 19.30 Uhr, sonntags 18.30 Uhr
Türöffnung: 60 Minuten vor Spielbeginn
Spieldauer: circa 2.5 Stunden

Vorverkauf

Kommentare
  1. Rolf Spring sagt

    La Cage aux Folles bringt in absolut witziger und köstlicher Art schwules Leben auf die Bühne, aber trotzdem mit Tiefgang. Es stellt grosse Anforderungen an das Ensemble, damit auch die tiefere Bedeutung des so komödiantischen Stücks im Publikum ankommt. Die Inszenierung des Stücks im Sternensaal Bümpliz war einfach genial, weil man auch als Zuschauer zum ‘Statisten’ des Stücks wurde. Ein grosses Bravo an alle Beteiligten!

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