Tolerdance – getanzte Toleranz

Im Gespräch mit dem Organisationsteam Ludwig und PCB

1992 begann die Partyreihe für alle mit queerem Flair im ISC. Getanzte Toleranz ist ihr Motto bis heute. Ludwig, der seit Anfang an dabei ist, und PCB erinnern sich an bewegte Jahre. Am 23. September starten sie in die 32. Saison!

 

Wie alles begann

DJ Matz und DJ Ludwig

Ludwig und Matz begegneten sich erstmals an einer Planungssitzung für das Homofest in der Reitschule. Das war im Jahr 1991. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und wurden Freunde. Es war ihre Begeisterung für Musik, die sie verband. Matz war damals schon als DJ im ISC tätig und Ludwig hatte seinen ersten Auftritt als DJ an besagtem Homofest. «Das hat mir so Spass gemacht, dass ich keine Sekunde zögerte, als mich Matz fragte, ob ich mit ihm im ISC auflegen will». Beim gemeinsamen Musikhören kam ihnen die Idee, eine monatliche Gay-Party im ISC zu veranstalten. Denn in Bern war damals für Gays nicht viel los. Es gab den Ursus Club, der nur für Männer zugänglich war, und die genau so exklusive Frauendisco. Nach den guten Erfahrungen beim Homofest, für das Schwule, Lesben und alle dazwischen zusammenarbeiteten und feierten, wollten sie eine Party organisieren, die niemand ausschliesst. In einer Zeit, in der der Buchstabensalat LGBTIA und die Worte «queer» und «Inklusion» noch nicht verwendet wurden, richten sich Ludwig und Matz 1992 genau danach und starteten eine Partyreihe für alle mit queerem Flair. Getanzte Toleranz eben! So wurde auch der Name geboren: TolerDance.

Nun musste nur noch das ISC, der Club, der von einem Verein organisiert wird, an Bord geholt werden. Der Vorschlag von Ludwig und Matz für einen schwul-lesbischen Discoabend löste zwar anfänglich etwas Unbehagen aus, wurde aber schliesslich akzeptiert. Einzige Bedingung des ISC-Vorstandes: Niemand (sprich Hetero) darf ausgeschlossen werden. Dies entsprach genau dem Konzept der beiden Macher: Menschen, egal welcher sexueller Orientierung und Geschlecht, sollten in einem toleranten Umfeld gemeinsam tanzen und feiern können. Mit einer kleinen Provokation machten sie Werbung für die erste Party. Im Stil eines «Blick»-Kioskaushang streuten sie in Bern die Schlagzeile: Schwule erobern das ISC!

Am 26. September 1992 fand die erste Party statt – und wurde ein voller Erfolg. Auch das Konzept ist aufgegangen. Tatsächlich mischten sich die unterschiedlichsten Menschen. Zwar waren die Schwulen in der Überzahl, doch es wagten sich einige Heteromänner in den Club, und scheuten sich nicht, ihr T-Shirt auszuziehen. Was einerseits mit der schwachen Lüftung im ISC zu tun hatte – es wurde nämlich extrem heiss – andererseits mit der gelebten oder besser getanzten Offenheit. Heterofrauen kamen ebenso gerne, weil sie hier weniger blöd angemacht wurden und sie endlich mit ihrem besten schwulen Freund gemeinsam Party machen konnten. Die Queers kamen sowieso, denn sonst war ja nicht viel los in Bern. Und sie blieben treu! Tatsächlich gibt es Gäste, welche die erste Party miterlebten und heute noch regelmässig ans Tolerdance kommen.

 

Die Club-Kultur in den 90er-Jahren

In den 90er-Jahren feierte die Club-Kultur Hochkonjunktur. Viele neue Party-Labels wurden gegründet, auch für Gays & Lesbians. Das Tolerdance wurde ebenfalls zum Label. Als House of Tolerdance (H.O.T.) veranstalteten sie weitere Partys in anderen Berner Clubs, und das Duo Ludwig und Matz wurde ergänzt mit Thomy L. und später mit PCB. Doch da die Gründungsväter auch berufstätig sind, wurde das Tanzen auf verschiedenen Hochzeiten einfach zu viel und sie konzentrierten sich auf das Ur-Tolerdance im ISC, das seit Beginn regelmässig jeden 4. Samstag im Monat stattfindet.

«Seit den 90ern hat sich einiges verändert», findet Ludwig. «Am offensichtlichsten ist das Handy. Damals sprach man Menschen direkt an und flirtete mit ihnen. Heute schaut man auf Grindr nach, ob jemand im Club ist, der einem gefallen könnte. Ich finde das etwas mutlos. Auch waren die Menschen in den 90ern freizügiger und wilder. Damals sah ich vom DJ-Pult aus auf ein Menge nackter und schwitzender Oberkörper. Heute scheinen die Gäste etwas gehemmter zu sein – dafür aber auch höflicher». Für PCB ist eine positive Entwicklung, dass die Musikanlage im ISC heute mehr Power hat. Wie übrigens auch die Lüftung. «Geblieben ist, dass die Musik Menschen verbindet. Und es ist schon cool, wenn die Leute tanzen und voll mit der Musik mitgehen» hält PCB fest.

Um den unterschiedlichen musikalischen Vorlieben des Publikums besser entsprechen zu können, bieten die Tolerdance-Macher seit den 00er-Jahren zwei verschiedene Abende an: das Elektro Tolerdance und das Golden Tolerdance.

 

Elektro PCB

DJ PCB

Mit den Elektro Tolerdance befriedigt DJ PCB das Bedürfnis nach moderner Tanzmusik und elektronischen Klängen. «Elektronische Musik ist für mich Kreativität und Kraft. Die treibenden Beats und ausgeklügelten Soundschöpfungen faszinieren mich». Zuvor war PCB schon ein regelmässiger Gast an der Party. An seinen ersten Besuch kann er sich lebhaft erinnern. «Der Club war voll und die Wände schwitzten. Ich stand bei der Treppe zum Dancefloor rauf, als mich ein Sanitäter ansprach, um mitzuhelfen die Tragebahre runterzutragen. Jemand fiel in Ohnmacht und musste aus dem Club gebracht werden! Das war ein ziemlich merkwürdiger erster Besuch. Zum Glück erlebte ich so eine Situation bis heute nicht mehr». PCBs DJ-Karriere begann 2001 in Berlin, er war damals für ein halbes Jahr als Gasthörer an der Universität der Künste Berlin eingeschrieben. «Ein Freund, der den Berliner Schwulenchor Männer-Minne mit-organisierte, sah meine Easy Listening CD’s in meiner Wohnung und sagte, leg die doch an meiner Party auf – was ich dann auch tat. Der Zufall wollte es, dass wenige Monate später das Chorfestival «Various Voices» in Berlin stattfand. So ergab es sich, dass ich meinen ersten öffentlichen Auftritt in «der schwangeren Auster» hatte, so nennt man das Haus der Kulturen der Welt. Zu meinem Erstaunen tanzten die Schwulen Berner Sänger (Schwubs) auf dem Dancefloor. Das war eine schöne Überraschung!»

PCB, der seit 2009 das Elektro Tolerdance managt, fasziniert an der elektronischen Musik, dass sie x Genres hervorgebracht hat und es immer Neues zu entdecken gibt. «Ich mag Musik, die auch ein wenig schräg ist oder Musikstile mischt und neu kombiniert». Ein ganz besonderer Mix entstand an der SRF Purple Night im Oktober 2018. Ein Abend, der zum Ziel hatte, Klassik in die Clubs zu bringen. «Der Pianist Benjamin Engeli und ich produzierten für den Abend einen Teil, in dem klassische Musik auf elektronische Beats traf. Im selben musikalischen Konzept bewegten sich auch der Harfenspieler Joel von Lerber und Tolerdance-Gast-DJ Neunhundert. Die musikalische Zusammenarbeit war von der Vorbereitungszeit bis hin zum Auftritt im ISC inspirierend und mündete in einen aussergewöhnlichen Tolerdance Abend» erinnert sich PCB.

 

Golden Ludwig

DJ Ludwig

Freund*innen glitzernder Hits aus der musikalischen Schatzkiste kommen am Golden Tolerdance auf ihre Rechnung. Diese goldenen Tanzabende werden von DJ Ludwig mit viel schwulem Augenzwinkern präsentiert. Er mischt dabei Oldies mit den neusten Hits und achtet darauf, dass möglichst viele queere Musiker*innen gespielt werden. Er sei schamlos kommerziell, sagt Ludwig über seinen Musikstil, er spiele was gut ankommt. «Ich liebe es, wenn die Leute mitsingen!» Doch es gibt Oldies und Oldies. An einem Tolerdance wird man AC/DC nie hören; es sollte schon etwas queer sein, und da ist Discomusik halt das Mass aller Dinge. Immerhin ist Disco so etwas wie eine schwule Erfindung. Doch welche Oldies setzt Ludwig dem Publikum vor? «Es gibt Oldies, die ich seit 30 Jahren auflege, die immer gut ankommen, wie «Dancing Queen», «Sweet Dreams» oder «Tainted Love». Es gibt aber auch Oldies, die ihren Zenit überschritten haben und keine Begeisterung mehr auslösen», erzählt der DJ, der weiss, welche Hits einschlagen. «Es gibt auch Songs, die ich erstmals spielte, also sie noch neu waren und heute als Oldies gelten, zum Beispiel «Finally» von CeCe Peniston. Das kam im selben Jahr heraus wie das Tolerdance. Dank dem Film «Priscilla, Queen of the Desert» (1994) wurde der Song zum Gay-Klassiker und ich habe ihn bis heute in meiner Playlist». Spannend findet Ludwig es herauszufinden, welche aktuellen Hits Tolerdance-Klassiker werden könnten. «Als ich 2009 ‹Bad Romance› von Lady Gaga zum ersten Mal spielte, war mir sofort klar, dass ich den noch Jahre später spielen werde. Die Leute gingen voll ab und sangen laut mit. Bei aktuelleren Hits habe ich das Gefühl, das ‹Physical› von Dua Lipa so ein Evergreen werden könnte. Doch man muss schon sagen, das Haltbarkeitsdatum der aktuellen Hits ist leider oft ziemlich kurz».

Um musikalische Abwechslung bemüht, lädt H.O.T. immer wieder Gast-DJs ein. Regelmässige Gäste am Golden sind DJ Corey und DJ Anouk Amok und beim Elektro Neunhundert und Mr. Manidy. Auch Thomy L., obwohl er sich schon vor Jahren aus dem Organisationsteam zurückgezogen hat, genau so wie DJ Matz , kommt immer wieder mal mit seiner Musik ins ISC. Er ist von allen der Dienstälteste, legte er doch schon vor der Gründung des Tolerdance im legendären Ursus Club auf.

 

Ein fixes Datum im Berner Partykalender

Es sind Ludwig, der seit Beginn dabei ist, und PCB, die das Tolerdance heute managen. Die Party wurde zu einem festen Bestandteil der Berner Queer-Szene. «Nachdem ich 1992 zum ersten Mal am Tolerdance auflegte, hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass ich 30 Jahre später immer noch hinter dem DJ-Pult stehe werde!», zeigt sich DJ Ludwig erstaunt. «Es macht mir jedoch immer noch Spass – und unseren Gästen offensichtlich auch. Einige sind uns seit 30 Jahren treu! Doch glücklicherweise kommen immer wieder neue dazu!» Der Höhepunkt des Jahres ist jeweils das Sommer-Tolerdance mit der inzwischen legendären Drag- und Liveshow, die natürlich auch dieses Jahr wieder stattfindet.

PCB liebt die Stimmung an den Tolerdance-Abenden im ISC. «Der Club hat eine super Grösse und ist mega sympathisch. Die Leute kommen, um sich zu sehen und zusammen zu tanzen und zu feiern. Wir haben im 2020 und 2021 erlebt was fehlt, wenn wir uns nicht mehr treffen können! Wir alle sind auf unsere individuelle Art soziale Wesen und Tolerdance ist ein gemeinsamer Nenner, um zusammenzukommen, zu tanzen und Toleranz zu leben». Manchmal geht PCB beim Auflegen das Sprichwort von Augustinus von Hippo durch den Kopf:

«O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.»
Augustinus von Hippo (354– 430) 

Das Konzept der offenen Party, bei der in einem toleranten Umfeld getanzt und gefeiert wird, hat sich bewährt. Der vierte Samstag im Monat ist heute ein fixes Datum im Berner Partykalender und wird es hoffentlich noch lange bleiben. An dieser Stelle möchten sich PCB und Ludwig herzlich bei ihrem treuen Publikum, ihren Gast-DJs und der ISC-Crew bedanken: «Ihr seid die Besten! Let’s dance!»


Samstag, 23. September
22 Uhr ISC

Golden TOLERDANCE
MOVIe GLAM

DJ Ludwig, DJ Anouk Amok

Eintritt: 10.- / 15.- 

www.tolerdance.ch   

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