REDEN WIR. ÜBER UNS.

Interview mit Marc Eggenberger von der Aids-Hilfe Schweiz

Marc Eggenberger arbeitet seit zwei Jahren bei der Aids-Hilfe Schweiz in einem 5er-Team. Sie beantwortet diverse Fragen aus der LGBTQIA+ Community. «Reden wir. Über uns.» ist das Thema der aktuellen Kampagne von Dr. Gay. Wir befragten Marc zu Themen, die das Dr. Gay Team heute am meisten beschäftigen.

Marc Eggenberger

HIV­-Infektionen sind heute über 4-Mal weniger häufig wie noch vor 30 Jahren, zudem sind sie therapierbar. Hat Aids seinen Schrecken verloren?
HIV hat in der Tat an Schrecken verloren, zum Glück! Schon viele Jahre ist eine HIV­-Infektion kein Todesurteil, wenn der Zugang zur Behandlung besteht. Trotzdem sind wir noch nicht am Ziel: Wir wollen keine Neuinfektionen mehr bis ins Jahr 2030. Und wir von der Aids-­Hilfe Schweiz schauen natürlich auch auf andere STI.

2021 waren in der Schweiz 75 % der an Aids erkrankten Männer. Sind wir Männer 3-Mal unvorsichtiger als Frauen?
Bei den Männern betrifft es überwiegend MSM, also Männer, die Sex mit Männern haben. Dies aus drei Gründen: Erstens ist diese Gruppe relativ klein, da ist es aus statistischen Gründen einfacher, dass sich eine Infektion verbreitet. Zweitens ist es auch so, dass MSM eine stärker gelebte Sexkultur haben und zuletzt ist bei ungeschütztem Analsex das Übertragungsrisiko am höchsten.

Also kann man doch von einer Schwulenkrankheit sprechen?
MSM haben zwar ein erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren, das heisst nicht, dass für alle anderen kein Risiko besteht. Sich beim Anal­ und Vaginalsex mit Kondom zu schützen, gilt für alle. Hinzuschauen, wo Betroffene sind, ist ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit, um knappe Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Stigmatisierungen sind fehl am Platz.

Hinzuschauen, wo Betroffene sind, ist ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit, um knappe Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Stigmatisierungen sind fehl am Platz.

Im Gegenzug zu HIV haben sich die anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) geradezu explosionsartig verbreitet. Viele davon sind im selben Zeitraum um über das Vierfache gestiegen. Was kann man dagegen tun?
STI­-Infektionen werden heute häufiger diagnostiziert. Wer Sex mit verschiedenen Partner:innen hat, lässt sich regelmässig gegen STI testen. Wichtig auch hier ist, offen darüber zu sprechen und das Thema nicht zu stigmatisieren. Präventiv machen wir von der Aids­-Hilfe Schweiz seit Jahren immer wieder Testkampagnen. Während diesen zeitlich beschränkten Kampagnen können sich in der Schweiz Männer und trans Personen unter 25 Jahre, die Sex mit Männern haben, kostenlos testen lassen. Für alle über 25 kostet es 75 Franken. Du kannst dich allerdings jederzeit testen lassen in der ganzen Schweiz. Eine Liste mit allen Testzentren findest du auf unserer Homepage (drgay.ch/deine-kontakte). Schön zu sehen ist, dass unsere Community zu HIV und andere STI bereits gut sensibilisiert ist. Das hat sich auch in der Bewältigung des Mpox­-Ausbruchs (die sogenannten Affenpocken) im letzten Jahr erwiesen: MSM mit Symptomen gingen zum Test und lassen sich auch jetzt noch impfen.

Wie sieht es mit der psychischen Gesundheit in der LGBTQIA+ Community aus?
Generell kann man sagen, dass die Menschen aus dieser Community schon diesbezüglich eine stärkere psychische Belastung erfahren, da es immer noch viele Vorbehalte gibt in der Gesellschaft. Zudem gibt es auch viele, die keine für sie vertrauenswürdige Anlaufstelle haben, um über diese Belastung zu sprechen, was den Druck zusätzlich erhöht. Damit diese Belastung verringert werden kann, muss noch viel gemacht werden. Wir sind da verstärkt dran, gerade unsere aktuelle Kampagne zielt darauf ab, damit man sich z. B. innerhalb Freundschaften psychisch besser unterstützen kann. Natürlich kann ein:e Freund:in nicht alle Probleme lösen, bei gewissen Angelegenheiten sollte man immer noch professionelle Hilfe aufsuchen. Auch da ist es wichtig, dass Vorbehalte abgebaut werden, gerade beim Umgang mit psychischer Gesundheit ist noch viele Stigmatisierung vorhanden.

Sieht man bei den Fragen an Dr. Gay eine Entwicklung, hat sich da etwas verändert im Laufe der Zeit?
Das Wissen ist heute sicher höher wie früher. Trotzdem kommen auch immer wieder die gleichen Fragen, beispielsweise bei HIV und dessen Übertragbarkeit. Wir sehen aber auch eine Zunahme bei Fragen, welche von Identität grundsätzlich handeln. Selbstfindung, sich Wohlfühlen im eigenen Ich sind heute wichtige Themen.

Sieht man auch eine Zunahme an Fragestellenden, die nicht aus der Gay-Community kommen?
Bei Dr. Gay weniger, da richten wir uns in erster Linie an schwule, bi und queere Männer. Unsere Fachstellen aber sind mit unterschiedlichen Angeboten für die breitere LGBTQ+ Community da, das ist uns ein grosses Anliegen.

Das Interview führte David Horber vom HAZ Magazin

www.drgay.ch

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