«Ich bin süchtig danach, Geschichten auf die Bühne zu bringen»

Im Gespräch mit Simon Burkhalter

Obwohl erst 29-jährig, ist er bereits ein erfahrener Theatermensch: Schauspieler, Regisseur, Sänger und Produzent. Wir haben uns mit ihm über sein neues Stück «Heute Abend: Lola Blau» von Georg Kreisler unterhalten. Er spielt einen schwulen Verwandlungskünstler, der vor den Nazi nach Amerika flüchte, und nach dem Krieg wieder zurückkehrt. Das Stück dreht sich um die grosse Frage der eigenen Identität.

 

Simon Burkhalter und Georg Kreisler

Der Berner Simon Burkhalter ist Schauspieler, Sänger, Regisseur und künstlerische Leiter der Freilichtspiele Moosegg. Er ist zwar erst 29 Jahre alt, hat aber bereits eine beachtliche Karriere hinter sich. Schon als Kind stand er auf der Bühne. Er spielte mit Bühnengrössen wie Marlise Fischer, Lilian Naef, Uwe Schönbeck, Rolf Schoch und vielen mehr. An verschiedenen Theaterschule belegte Burkhalter Kurse. Grundlagen in Ballett, Modern Dance und Jazz Dance erarbeitet er sich ebenfalls. Derzeit studiert er Gesang an der Hochschule der Künste Bern (HKB). Eins wird aus dieser Aufzählung klar: das Theater ist seine grosse Leidenschaft. Wir haben uns mit Simon Burkhalter über das Stück «Heute Abend: Lola Blau» von Georg Kreisler unterhalten, in dem er die Hauptrolle spielt.

Der Komponist, Dichter und Sänger Georg Kreisler (1922-2011) stammte aus einer österreichischen jüdischen Familie. Aufgrund seiner Herkunft war er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich 1938 mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten emigriert und nahm die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1955 kehrte er nach Europa zurück. Er wurde im deutschen Sprachraum durch Lieder wie «Tauben vergiften» oder «Der Tod, das muss ein Wiener sein» populär. Mit seinem schwarzen, tiefsinnigen Humor und Sprachwitz hat Kreisler das deutschsprachige Kabarett stark geprägt. (Wikipedia). Das Musical «Heute Abend: Lola Blau» schrieb er 1971 und es wurde schnell zu einem viel gespielten Erfolgsstück. Es erzählt seine eigene Geschichte, aber aus Sicht einer Frauenfigur. Das Schicksal der imaginären Kabarettsängerin Lola Blau lässt sich als Schicksal des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Im Juni kommt das Stück auf die Bühne der Freilichtspielen Moosegg.


Das Interivew

Du bist seit 2017 der künstlerische Leiter der Freilichtspiele Moosegg. Wieso hast du dich entschieden, diesen Sommer «Heute Abende: Lola Blau» auf die Bühne zu bringen?
Kreislers «Lola Blau», ist ein Stück, welches mich schon seit langem fasziniert. Seit ich die künstlerische Leitung übernommen und die Freilichtspiele umstrukturiert habe, spielen wir als Saisonauftakt jeweils eine Musiktheater-Rarität. Ich versuche bei der Programmgestaltung jeweils Stücke auf den Spielplan zu setzen, die nicht überall gespielt werden und für die es sich auch lohnt den Weg auf die Moosegg unter die Räder zu nehmen. Bis jetzt waren es immer Stücke, die ich auch selbst noch nie auf einer Bühne gesehen habe und eigentlich Lust darauf gehabt hätte sie zu sehen. Somit ist meine Wahl «Heute Abend: Lola Blau» zu spielen, durchaus auch ein bisschen egoistisch.

Meine Wahl «Heute Abend: Lola Blau» zu spielen, ist durchaus auch ein bisschen egoistisch.

«Lola Blau» ist eine ernste Komödie über das Leben hinter den Kulissen des Theaters. Der Kreisler ist bekannt für seinen schwarzen Humor. Seine Texte sind oft sehr bissig und auch etwas morbid. Ist das auch dein Humor? Was glaubst du, wie dieser Humor im Emmental angenommen wird?
Ich liebe schwarzen Humor, für mich kann der Witz normalerweise nicht dunkel genug sein. Was mir bei Kreisler aber auch gefällt ist die Doppelbödigkeit seiner Texte, in seiner Morbidität findet man eine unglaubliche Poesie und ich finde immer wieder auch beim x-ten Mal über den Text gehen neue Bezüge. Ich glaube, dass dieser Humor gerade fürs Emmental sehr passend ist, denn man kann die Lieder zum einen anhören, ohne viel dabei zu denken und sie witzig finden oder aber auf der poetischen Ebene einiges an Zeitgeist und spannenden Gedanken mitnehmen.

Was gefällt dir besonders am Stück!
Seit anhin die Lieder in «Lola Blau». Die Musik von Kreisler hat eine unglaubliche Kraft, jedoch wirkt das Urstück ein bisschen in die Jahre gekommen.

Was sagt uns die Geschichte und das Stück heute? Gibt es aktuelle Bezüge zur heutigen Zeit?
Das zeitlose an Lola Blau ist die Aussage, dass immer wieder Menschen auf der Flucht sind und sich aufgrund eines Systems nicht frei entfalten können. Ganz viel Potential geht so verloren. Das Schöne an diesem Stück finde ich jedoch, dass es trotz aller Tragik auch aufzeigt, dass man nie den Humor verlieren soll, ganz nach Karl Valentin der einmal gesagt hat: «Humor ist der Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt».

Kreisler hat das Stück mit und für seine damaligen Ehefrau Topsy Küppler geschrieben. Nun übernimmst du die weibliche Hauptrolle. Wie kam es dazu, dass du als Mann die Lola Blau spielst?
Vom Verlag kam die Auflage, dass das Stück nicht von einem Mann gespielt werden darf, der das ganze Stück über als Frau gelesen wird. Kreisler hat mit diesem Musical für eine Schauspielerin, seine eigene Geschichte verarbeitet, also lag es nahe, dass das auch mit einem männlichen Darsteller besetzen werden  kann. Nach langem hin und her mit dem Verlag, haben wir nun die Ausnahmebewilligung erhalten, dass das Stück von einem männlichen Darsteller gespielt werden kann. Ich finde zudem, dass die Lieder geschlechterunabhängig funktionieren.

Nach langem hin und her mit dem Verlag, haben wir die Ausnahmebewilligung erhalten, dass das Stück von einem männlichen Darsteller gespielt werden kann.

Wie wirken sich die Änderungen auf das Stück aus?
Die Umbesetzung lässt das Stück auf eine ganze neue Weise aufleben: Ein schwuler Verwandlungs­künstler, der mit seiner Kunstfigur Lola Blau durch die Welt tingelt, ist nun die Hauptfigur. Die Lieder bekommen durch diese kleine Umbesetzung eine neue Tiefe, ohne dass man etwas am Urtext verändern muss.
Dass nun ein Mann im Stück auf seinen Leo wartet, während draussen der Weltkrieg tobt und sich im Untergrund verstecken muss, gibt dem Stück eine andere Note. In Amerika wird unsere Figur zum frivolen Star und zerbricht schlussendlich daran. Das Stück dreht sich um die grossen Fragen der eigenen Identität.

Du hast in «Non(s)ens» schon mal eine Frau gespielt, eine Nonne. Ist es eine besondere Herausforderung für dich, eine geschlechtlich nichtkonforme Figur zu spielen, in diesem Fall das Gegenteil einer Nonne, eine Kabarettsängerin? Wie geht’s du das an, bei der Rollenvorbereitung?
Ich gehe grundsätzlich einfach immer davon aus, dass jede Figur eine Geschichte zu erzählen hat, unabhängig vom Geschlecht. Letztes Jahr bei «Non(n)sens» war es ganz klar eine komödiantische Figur, dies erlaubt einiges an Spielraum. Dieses Jahr nun spiele ich einen Mann der sich immer wieder als Frau verkleidet für seine Auftritte und damit seine innere Diva auslebt. Ich schaue aktuell viele alte Filme, mit grossen Diven wie Marlene Dietrich, und beobachten deren Körpertonus. Das Divenhafte liegt mir eigentlich ziemlich fern.

Eine Herausforderung sind die vielen Tanzsequenzen in Stöckelschuhen und Abendkleid. Doch die grösste bei diesem Stück ist die Intensität der Rolle.

Eine Herausforderung sind die vielen Tanzsequenzen in Stöckelschuhen und Abendkleid. Doch die grösste bei diesem Stück ist die Intensität der Rolle. Das Musical ist im Kern ein Solostück und zeichnet eine Figur voller Brüche mit all ihren Freuden und Leiden. Dies glaubhaft zu spielen, ohne zu chargieren, empfinde ich als eine grosse Herausforderung.

Siehst du auch dich selbst in der Figur der Lola Blau? Was haben Lola und Simon gemein?
Es gibt tatsächlich etwas, was ich mit der Figur der Lola Blau gemein habe. Lola schert sich nicht gross um die politischen Ereignisse und will Geschichten erzählen, sie will auf die Bühne und die Leute berühren und aus dem Alltag entführen. Dieser Charakterzug hat tatsächlich eine Parallele zu meinem Wesen. Ich lebe ebenfalls dafür, Theater zu machen und Geschichten zu erzählen, und würde behaupten, dass auch ich, genau wie Lola, im positiven Sinne süchtig danach bin, Geschichten auf die Bühne zu bringen.

Ich finde es schön, dass im Theater die geschlechtsspezifischen Merkmale aufgeweicht werden, der Charakter der Rolle wichtiger ist, als die Geschlechtszugehörigkeit. Andererseits wird dem Theater gerne vorgeworfen zu «woke» zu sein. Da ist ein gesellschaftlicher Diskurs im Gange, was Theater darf und soll. Die Freilichtspiele Moosegg sehen sich eher als Unterhaltungstheater für das breite Publikum. Trotzdem gehst du, Simon, gerne auch mal ein Risiko ein, und besetzte eine Rolle gegen das Klischee. Wie stehst du zu dieser Diskussion? Was findest du, kann und sollte Theater bewirken?
Grundsätzlich bin ich ein Verfechter dieser «Woke»-Bewegung. Stücke wurden immer aus einem historischen Kontext herausgeschrieben, dass man nun beginnt Stücke nicht mehr zu spielen, weil sie andere Werte zeigen, finde ich bedenklich. Viel wichtiger finde ich, dass man sich überlegt, welche Themen in diesen Stücken denn heute noch relevant sind und mit welchen Kontextualisierungen man das jeweilige Stück auch für heutige Zuschauer erlebbar machen kann.
Theater ist für mich eine Traumwelt, die eine Brücke ins Jetzt schlagen kann und sollte, jedoch ohne den Urtext aus den Augen zu verlieren. Neben Lola Blau spielen wir auch die Uraufführung «Franz Schnyders GELD UND GEIST». Dort bewegen wir uns in einer patriarchalen Welt, in der Frauen nichts zu sagen haben. In unserer Inszenierung werden aber die Frauen zu starken Wesen, weil sie sich nicht unterdrücken lassen und schlussendlich selbst das Heft in die Hand nehmen.

Du bist Künstlerischer Leiter, machst oft Regie, bist Schauspieler und auch Sänger. Manchmal sogar alles gleichzeitig! Hast du überhaupt noch Zeit für dich, neben dem Theater? Und wenn ja, was machst du dann?
Ich versuche mir immer wieder Inseln zu schaffen, wo ich Zeit für mich und meinen Freundeskreis nehme. Es ist nicht zu leugnen, dass die private Zeit eher knapp bemessen ist, aber ich geniesse dann umso mehr mal an einem freien Abend was Aufwändiges zu kochen, dick essen zu gehen oder eine stupide Serie zu schauen. Ausserdem versuche ich mich noch sportlich zu betätigen, um dieses grosse Pensum überhaupt körperlich stemmen zu können.

Lieber Simon, danke für das Interview. Wir wünschen dir viel Erfolg mit deiner Lola Blau.


Heute Abend: Lola Blau

Musical von Georg Kreisler

14.– 28. Juni 2023
Freilichtspiele Moosegg

Simon Burkhalter: Lola Blau
Stefanie Verkerk und Martin Schurr: Diverse Rollen
Barbara Bortoli und Cedric Baumann; Tanz
Regie/Choreo: Martin Schurr
Musikalische Leitung: Bruno Leuschner
Kostüme: Sarah Bigler
Spielbeginn 20.15 Uhr
Dauer 1 ½ Std.

Tickets
Eintrittspreis inkl. Programmheft 1. Kategorie 55.- CHF, 2. Kategorie 45.- CHF

Verpflegung / Übernachtung: Das Hotel Moosegg bietet Ihnen einige intressante Angebote.

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