«Tilsit*er», oder: Fragen über Fragen

Daniel Frey über Meinungsfreiheit

Was ist eigentlich Meinungsfreiheit? Wie weit darf ein Nationalrat mit seiner Hetze auf Facebook, Instagram und Twitter gehen? Darf ein queeres Magazin einen verstorbenen Papst als «queerfeindlichen Hetzer» bezeichnen? Sollten Nazi-Symbole in der Schweiz verboten werden? Darf die Fifa als korrupt bezeichnet werden? Darf eine Stadt finanzielle Engpässe mit Krediten von der Fifa überbrücken? Darf ein Käse divers sein? Und was darf eigentlich Werbung?

Tilsiter ist seit 1893 ein «frecher Eidgenuss». Damit aber auch weiterhin viel Tilsiter gegessen wird, bewirbt Tilsiter ihren Käse mit einer Kampagne mit «flotten» Sprüchen. Etwa mit «Seit 130 Jahren sind drei Sachen ein Genuss: der Tilsiter, der BH und der Reissverschluss» oder «In der Stadt sind alle trendy, kaufen den Tilsiter nur übers Handy» oder «Liebe Politiker*innen, es wäre ganz toll, ihr nähmt den Mund nur mit Tilsiter voll».

Nicht etwa der sexistische Slogan mit dem BH und dem Reissverschluss sorgt nun für Furore, sondern: «Alle sind jetzt non-binär und lieben diversen Tilsit*er».

Die Werbekampagne soll die Marke «Tilsiter» stärken und daran erinnern, dass Tilsiter ein traditioneller, aber auch ein innovativer «Familienkäse» sei, erklärt Tilsiter die Kampagne. Nichtbinäre Menschen sind in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich – ich sage nun mal bewusst – ein Hype. Und dieser «Hype» zeigt sich in konservativen Kreisen als Hass gegen trans und nichtbinäre Menschen und offenbart, wie transphob unsere Gesellschaft ist. Ob diese Tatsache mit Unwissenheit entschuldigt werden kann?

Meine Geschlechtsidentität ist «cis-männlich». Darf ich mich nun mit nichtbinären Menschen solidarisieren, in dem ich sage: «Alle sind jetzt non-binär»? Unmittelbar nach dem Anschlag im Januar 2015 auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» habe ich mich mit einem Foto und dem Schriftzug «Je suis Charlie» solidarisiert – hatte mich so einem Hype angeschlossen – und «Je suis Charlie» wurde zum «Symbol für die bedrohte Öffentlichkeit und die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung insgesamt», wie ich auf Wikipedia nachlese.

Oder will der Werbeslogan «Alle sind jetzt non-binär» bewusst die rechtskonservative Bevölkerung ansprechen, wie User auf Instagram auf das Plakat reagieren? Und wer darf darüber entscheiden, ob die Käsewerbung nun cool und solidarisch oder die Identität von trans und nichtbinären Menschen kein «funny Werbeslogan» ist?

Verschiedene Zeitungen haben Sigmond Richli zitiert. Sigmond ist TGNS-Aktivist*in und sagte gegenüber 20 Minuten, dass die Aussage inhaltlich «natürlich» absolut falsch sei, denn nicht alle Menschen sind nichtbinär und nichtbinär zu sein und divers zu lieben habe nichts miteinander zu tun – ersteres ist eine Geschlechtsidentität, zweiteres eine sexuelle Orientierung. Doch, meint Sigmond weiter, der «Sprachwitz mit dem Genderstern ist gelungen», den er unterstreiche «den (selbst)ironischen Charakter der Werbung offensichtlich». Damit könne die Werbung auch so verstanden werden, dass sie die Menschen, die einen «Genderwahn» beklagen, auf die Schippe nimmt.

Meine sexuelle Orientierung ist «schwul». Und ich liebe die Werbespots der Migros mit dem sympathischen Männerpaar regelrecht. Ich erinnere mich an den Spot, wo die Jungs zusammen eine Pizza belegen und dazu ein Bierchen trinken. Auf die Frage, ob es eigentlich schon mal ein demokratisch gewähltes Bier gegeben habe, folgt die Antwort prompt: «Ich weiss es nicht. Aber Flaschen werden ja oft gewählt!».

Dabei ist dieser Werbespot doch eigentlich «so was» von unrealistisch. Wir Schwulen trinken doch eigentlich vor allem Prosecco. Allerdings sind wir derart kultiviert, dass wir natürlich auch wissen, dass mensch zu Pizza Bier trinkt.

Und damit wären wir bei der Frage: Wie ist das eigentlich mit den Stereotypen?

Stösschen!

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