«Ich will die Vorurteile abbauen, die wir in Europa gegenüber arabischen Ländern haben»

Passion auf arabisch

Davide Knechts Passion ist es Bücher aus dem Arabischen in andere Sprachen zu übersetzten. Er möchte mit seinen Übersetzungen Literatur aus der arabischen Welt mehr Menschen zugänglich machen. Der Tessiner lebt er in Frankreich und hat seine Passion zum Beruf gemacht.

Wo hältst du dich gerade auf?
Ich lebe seit 9 Monaten in Lyon, Frankreich. Davor lebte ich in Paris und davor im Nahen Osten. Ursprünglich bin ich Tessiner, lebe aber seit ich 18 bin in der französischsprachigen Schweiz und Welt. Ich arbeite als Übersetzer von Arabisch, Englisch, Französisch und Italienisch nach Italienisch und Französisch.

Wie sieht ein Tag in deinem Leben aus?
Nun, mein Hauptziel ist die Weiterentwicklung der arabischen Literatur in die englische, italienische und französische Sprache. Ich will die Menschen darüber aufzuklären, dass die arabische Welt eine sehr aktive kulturelle Stimme hat. Besonders in der Literatur. Ich konzentriere mich hauptsächlich auf LGBT- und Science-Fiction-Werke. Hauptsächlich weil ich die Vorurteile, die wir in Europa gegenüber arabischen Ländern haben, abbauen will. Wir denken, diese Länder sind sehr konservativ, was nicht stimmt. Ich glaube, es ist wichtig zu sehen, dass sich diese Welt auch weiterentwickelt. In der arabischen Welt existiert zum Beispiel eine riesige Gesellschaft, die auch über soziale Themen spricht.
Ich übersetze also nicht nur Bücher, sondern suche auch nach Literatur, die ich dem europäischen Markt näher bringen will. Ich lese viele Bücher und versuche abzuschätzen, inwiefern das Buch wichtig ist und wie es im europäischen Markt platziert werden kann.

Wir zwei kennen uns, seit wir vor 15 Jahren beide an einer Konferenz für junge queere Aktivist*innen teilgenommen haben. Würdest du dich heute noch immer als Aktivist bezeichnen?
Ja und nein. Ich glaube, dass wir queere Menschen in unserer Essenz aktivistisch sind. Schon allein damit, dass wir existieren. Mein Aktivismus widerspiegelt sich in der Wahl der Bücher, die ich übersetze. Es sind mehrheitlich Werke von, über oder für queere Menschen. In dieser Hinsicht würde ich mich als Aktivist bezeichnen. Ich bin aber kein Aktivist, der zum Beispiel zur Regierung geht oder an Kundgebungen teilnimmt – so wie wir es früher gemacht haben.

Mein Aktivismus widerspiegelt sich in der Wahl der Bücher, die ich übersetze.

Wir werden Themen wie Queerness und Feminismus in arabischen Ländern angesehen?
Das kommt auf das Land drauf an. Die arabische Welt besteht aus 22 Ländern und lässt sich in zwei Lager aufteilen: Maghreb und der Nahe Osten. Ich kenne mich vor allem mit der Gegen der Levante (Länder am östlichen Mittelmeer) aus. Die Homophobie, die man in dieser Gegend antrifft, hat ihren Ursprung nicht in der Religion, sondern kommt von der Kolonisation her. Gleichzeitig wird die LGBT-Bewegung als Auslandsbewegung angesehen. Das bedeutet, dass es schwierig ist, diese Frage zu beantworten. Auf der einen Seite findet man in der Literatur des Nahen Ostens aus dem Mittelalter oft homoerotische Lyrik – es gehört also zu ihrer Kultur. Auf der anderen Seite wird der normativ-homosexuelle Lebensstil, den wir im Westen leben, als fremdes Konzept angesehen.

Welches Buch war bisher dein persönliches Highlight als Übersetzer?
Da gibt es ein Buch, welches ich 2012 in Jordanien entdeckt habe. Ich sass in einem liberalen Café und die Person, die das Café führte, empfahl mir das Buch «The Bride of Amman» (Die Braut aus Amman). Der Aktivist Fadi Zaghmout schreibt darin über verschiedene Menschen. Er erzählt Geschichten über einen homosexuellen Mann, eine Frau, die heiraten soll, obwohl sie eine akademische Karriere machen möchte, über eine Liebe zwischen einer Christin und einem Muslim und über ein Mädchen, welches von ihrem Vater missbraucht wird. Starke Geschichten über den Lebensalltag von Menschen in Jordanien. Leider gibt es das Buch noch nicht auf Deutsch. Aber man findet es in italienischer, englischer und eben in meiner französischen Übersetzung («L’Épouse d’Amman»).

An welchem Buch arbeitest du im Moment?
Eines der Bücher, welches ich gerade übersetze ist seeeeehr queer. Ich übersetze es aus dem Arabischen ins Italienische. Es geht um zwei schwule Männer, die aus Palästina nach Paris kommen. Im Buch geht es darum, wie sie ihre Sexualität leben – genauer gesagt, wie sie von den Menschen um sie herum angesehen werden. Einer wird wegen seiner orientalischen Herkunft sexualisiert und verkehrt in den Kreisen der Reichen, wo er als «Schmuckstück» vorgeführt wird und der andere trifft vor allem auf eher arme Menschen, die auch aus dem Nahen Osten stammen. Es ist eine Art Attacke auf die «Homo-Bourgeoisie». Da sind zwar LGBT-Rechte, aber wenn du in den Banlieue lebst, wirst du innerhalb der Migranten-Community eher als Gefahr wahrgenommen.
Es ist Prosa, das ist schwierig in der Übersetzung, weil so viel Poesie darin steckt. Das Buch ist aber sehr leicht zu lesen und wunderschön geschrieben.

Was möchtest du noch erreichen?
Ich möchte noch viele Bücher mehr übersetzen und damit an Sicherheit gewinnen. Und in der fernen Zukunft möchte ich meinen eigenen Verlag gründen.


Das Interview führte Fabio Huwyler (HAZ Magazin)

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