«Ein sicherer queerer Hafen für stürmisches Wetter»

Zukunftsvision für die nächsten 50 Jahre von «hab queer bern»

Nachdem der Verein «hab queer bern» im letzten Jahr sein 50-Jahre-Jubiläum feiern konnte, fragt sich nun, wie geht es weiter? Dazu hat der Verein ein paar Menschen nach ihren persönlichen Visionen für den Verein angefragt. So sehen Barbara Stucki, Daniel Weber, Urs Vanessa Sager, Eva Schmid, Mia Willener, Henry Hohmann und Max Krieg die Zukunft des Vereins.

Wir sind stolz! Und das dürfen wir sicher auch sein – haben wir doch in den vergangen 50 Vereinsjahren viel bewegt. Und nach dem Jubilieren wird es Zeit für Visionen für die nächsten 50 Jahre. Stellvertretend habe ich ein paar Menschen nach ihren persönlichen Visionen für unseren Verein angefragt.
Beeindruckt haben mich die Gedanken und Überlegungen von Martin Dobler, der genau vor einem Jahr sein äusseres Coming-out wagte. «Der grösste Schritt für mich», erzählt mir Martin nach der feierlichen Preisübergabe für den Berner Sozialpreis, «war für mich, mir das Schwulsein selbst einzugestehen». Zum Glück habe ihn beim ersten Besuch in der Villa Bernau ein schwuler Arbeitskollege begleitet. «Ich war sehr nervös, es war sehr ungewohnt für mich», sagt Martin. Doch seither besuche er regelmässig HAB-Anlässe und engagiere sich in der Gruppe «schwul60plusminus». Dabei schätze er vor allem den Erfahrungsaustausch und die offenen Gespräche. «Die HAB ist meine Familie geworden!» Martin schätze es sehr, auf seinem Weg von seiner Wahlfamilie unterstützt zu werden. «Heute bin ich sichtbar
und auch stolz auf mein Schwulsein – beispielsweise bei der Preisübergabe des Sozialpreises durch Franziska Teuscher (immerhin Gemeinderätin) – und mich dabei sogar fotografieren zu lassen.» Nebst dem Austausch während den geselligen Anlässen sei es für ihn auch wichtig, vom Verein beispielsweise über Beratungsangebote und über sexuelle Gesundheit informiert zu werden. Und auch in der HAB-Bibliothek habe er dank der Bibliothekare schon einige spannende Bücher über queere Menschen gefunden und lesen können. Und ich merke: Es sind nicht nur die grossartigen Visionen, sondern das «einfach da sein», das wichtig ist.

Daniel Frey, Vizepräsident hab queer bern


Ein sicherer queerer Hafen

Ich stelle mir vor, dass die HAB in den nächsten 50 Jahren ein Hafen für queere Menschen aus dem Grossraum Bern ist. Ein Hafen, in dem man bei stürmischem Wetter sichere Zuflucht findet. Einen stabilen Anlegeplatz, eine warme Gaststätte, in der man seine nassen Sachen an den Haken neben der Tür hängen und sich am grossen Kaminfeuer wieder aufwärmen und trocknen lassen kann. Im besten Fall kriegt man noch eine dampfende Suppe oder Tasse Kakao in die Finger gedrückt und findet sich in einer Runde voller wohlwollender Kapitäne und Offizierinnen, Landratten und Matrosinnen wieder. Wenn der Himmel dann wieder aufklart, kann man mit neuer Energie und einigen neuen Bekanntschaften und Reisetipps wieder in See stechen. Und wenn der Sturm weiter peitscht, schliesst man sich zusammen und macht sich gemeinsam mit dem grossen Flaggschiff auf dem Weg zum Ziel.
Ich stelle mir die HAB als einen Hafen vor, der nicht nur Zufluchtsort im Sturm, sondern auch Vergnügungsviertel ist – unabhängig der Grosswetterlage. Ein Ort, an dem man sich zu einem Feierabendbier, Cüpli oder Nachtessen verabreden, oder auch spontan vorbeischauen und auf Gleichgesinnte treffen kann. Ein Ort des ausgelassenen Feierns, lauten Gelächters, der entspannten Gespräche oder auch intensiven Diskussionen. Vielleicht sogar ein Ort der unvernünftigen Gelage und rauschenden Tanznächte …? Wieso nicht 😌.
Meine Vision der HAB in den kommenden 50 Jahren ist die einer lebendigen Community, in der sich immer ein paar Nasen finden, die gemeinsam eine Idee umzusetzen und einfach mal was auf die Beine stellen. Für sich selbst, aber auch für die Community oder Communitygruppe, zu der sie sich zugehörig fühlen. HAB stand mal für Homosexuelle Arbeitsgruppen. Manche ziehen «Aktionsgruppe» oder «Aktivismusgruppe» vor. Wie auch immer: alle diese Begriffe stehen für Lebendigkeit und Tun. So wünsche ich mir die kommenden 50 Jahre unserer hab queer bern.

Barbara Stucki


Queerness

  • hab queer bern organisiert zusammen mit den städtischen und kantonalen Schulbehörden und mit Partnerorganisationen wie ABQ Schulbesuche zur Aufklärung über Queerness.
  • Eine Gruppe von hab queer bern besucht regelmässig queere Menschen in Alters- und Pflegeheimen.
  • hab queer bern hat eigene Mitglieder im Stadtrat und im Grossen Rat und vertritt dort aktiv queere Interessen in der Politik.
  • hab queer bern zeichnet jährlich eine Person oder Organisation mit dem Berner Queerness- Preis aus.
  • hab quer bern bietet weiterhin in der Villa Bernau oder anderswo regelmässig Gelegenheiten für Treffen von queeren Menschen.

Daniel Weber


50 Jahre stark und froh,
hab queer bern mach weiter so!

Gar nicht so einfach, sich vorzustellen, wie die nächsten 50 Jahre der HAB aussehen werden, vor allem nicht für jemanden, der sein Leben auf die Gegenwart ausgerichtet hat. Trotzdem, die HAB braucht es auch in den nächsten 50 Jahren noch, davon bin ich überzeugt. Schliesslich leben wir in der Schweiz, und da werden Brötchen langsamer gebacken als anderswo, aber dafür schmecken sie dann umso besser!
Die HAB ist queer, sehr queer, auch im Vorstand. Das ist echter Pioniergeist und das wird sich auswirken auf andere Institutionen und als Vorbild für die Schweizer Politik dereinst in die Annalen der Geschichte eingehen. Wie sang doch Grönemeyer schon vor Jahren? «Gebt den Kindern das Kommando …» Genau diese Kinder sind erwachsen geworden, aufgewachsen mit den Problemen, denen sich die Regenbogen-Community ausgesetzt sah. Und jetzt sind sie da, auch in der HAB. Sie übernehmen das Zepter, räumen auf mit alten Zöpfen, zeigen uns, wie einfach das Leben sein kann.
Und wir Alten, Pioniere einer längst vergangenen Zeit? Wir sitzen in unseren Sesseln, ein Lächeln auf dem Gesicht, ein Glas Wein in der Hand und nicken. Genau so haben wir uns das vorgestellt, genau dafür haben wir gekämpft, für genau das haben wir einen grossen Teil unserer Freizeit damals geopfert. Und es hat sich ausgezahlt, die Brötchen schmecken wirklich ausgezeichnet …

Urs Vanessa Sager, Vorstand hab queer bern


Weiter so!

Schwung und Sichtbarkeit aus dem Jubiläumsjahr werden ins Jahr 51 mitgenommen. Das politische Engagement geht weiter. Denn es bleibt auch nach der Einführung der «Ehe für alle» noch einiges zu tun punkto Gleichstellung von LGBTIQ-Menschen. So hat hab queer bern auch zukünftig einen direkten Draht zu Kantons- und Gemeindeparlamenten und baut das Netzwerk zu queeren und queer- freundlichen Politiker*innen sogar weiter aus. Die politische Einflussnahme kann über dieses Netz- werk erfolgreich weitergeführt werden.
Das Engagement für die Vernetzung in der Commu- nity und die Vermittlung von wichtigen Angeboten, gerade für Junge, ist ebenfalls schon vorhanden. Es kann vielleicht punktuell – je nach Bedürfnis- sen – diversifiziert oder verstärkt und nach aussen sichtbarer gemacht werden. Die ältere Generation, die zum Teil krasse Diskriminierung erlebt hat, hat sicherlich andere Bedürfnisse als eine junge Sing- le-Person, die erst das Coming-out hinter sich hat.
Last but not least: Den hab-queer-Menschen vom Vorstand gebührt ein grosses MERCI für alles, was sie für die Community tun. Weiter so!

Eva Schmid


Wahltag ist Zahltag, so sagt man

2023 wird wieder so ein Wahltag stattfinden. Am 22. Oktober finden nationale Wahlen statt, und es wird Zeit, dass das nationale Parlament queerer denn je wird! Dass unsere Community nicht angemessen vertreten ist, ist hinlänglich bekannt und wird gleichzeitig geflissentlich ignoriert. Ändern wird das, jetzt, hier in Bern! Liebe Menschen, engagiert euch, tretet einer Partei bei und lasst euch für die Wahlen aufstellen! Noch sind zu viele queere Themen unbearbeitet und brauchen unsere Hilfe; sei es beispielsweise beim Ende des Blutspendeverbotes für schwule Männer oder beim Erreichen eines Verbotes von Operationen an kleinen Kindern, ohne deren Einverständnis und ohne Not! Wir müssen diese Themen nun angehen und uns nicht weiter mit halbherzigen Lippenbekenntnissen der gnädigen (meist) cis-heteronormativen Herren in Bern oben abspeisen lassen!

Mia Willener, AG Politik hab queer bern


Das 100-Jahre-Jubiläum

Wir schreiben das Jahr 2072, ich bin 110 Jahre alt und hab queer bern feiert das 100-Jahr-Jubiläum. Was hat sich nicht alles getan, seitdem 2022 pompös die ersten 50 Jahre gefeiert wurden … 2024 erschien der erste nationale Aktionsplan «Queeres Leben», der auch für Bern wegweisend wurde. Die ältere Generation erinnert sich auch noch an die Eöffnung des ersten LGBTIQ-Altersheims der HAB 2028, gleich neben dem Regenbogen-Geburtshaus, in dem zahlreiche Regenbogenkinder das Licht der Welt erblickten. Nach Abschaffung des amtlichen Geschlechts 2030 – demselben Jahr, in dem eine intergeschlechtliche Person aus den Reihen der HAB Stadtpräsident*in von Bern wurde – gelangten auch die ersten vier nicht-binären Bundesrät*innen an die Spitze der Schweiz. Gut, dass es wenigstens noch einen Quotenplatz für cis hetero Menschen gab! 2045 wurde dann das Wort Coming-out aus dem Duden gestrichen, da niemand mehr wusste, was das überhaupt mal war. Auch Mobbing, Rassismus, Sexismus und weitere Ismen verschwanden aus der Sprache und aus dem Bewusstsein. Jede Art, sein Menschsein zu leben, war doch längst ohne Vorbehalte möglich.
In meinem nostalgischen Rückblick werden ausnahmsweise die vor 50 Jahren revolutionären Schreibweisen wie Genderstern oder Akronyme wie LGBTIQAA+ aufgenommen. Wir erinnern uns: Bereits 2050 wurden diese Schreibweisen und Begriffe komplett aufgehoben, da sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität oder Geschlechtsmerkmale keine Kategorien mehr darstellten, um Menschen einzuteilen.
Und heute ist der grosse Tag gekommen: Die HAB hat ihr Ziele schon vor vielen Jahren erreicht, doch aus sentimentalen Gründen blieb sie wie ein Relikt aus uralten Zeiten weiterhin bestehen. Heute wird der Verein, nach zahlreichen Würdigungen für die geleisteten Aufgaben der letzten 100 Jahre, aufgelöst. Prosecco – Konfetti – und Klingeling!
Ich wache auf. Das war doch alles nur ein Traum. Oder?

Henry Hohmann, TGNS


So, jetzt reicht es aber!

Was will denn die «Community» noch mehr? Gebt endlich Ruhe! Das klingt allenthalben in meinen Ohren. Als ich mich in den frühen 1970er in der SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) einzusetzen begann, war mein Ziel, dass kein junger Mensch mehr sich mühsam die sexuelle Orientierung (und heute auch Geschlechtsidentität) als sein ureigenes Wesen aneignen muss. Damals konnten wir kaum auf anerkennende Informationen aus der Gesellschaft zählen und können es oft immer noch nicht. Denn auch heute ist diese Aneignung trotz aller rechtlichen Fortschritte und der damit verbundenen Anerkennung immer noch nicht einfach gegeben.
Um das zu erreichen, braucht es hab queer bern immer noch. Hinstehen, aufklären, hinstehen, aufklären, das wird noch und noch die Aufgabe der queeren Vereine, ihrer Mitglieder, einfach aller LGBTIQ-Menschen sein.
Und alle müssen sich bewusst sein: Unsere Rechte sind heute gesetzlich verankert. Gesetze können aber auch zurückbuchstabiert werden – die jüngsten Beispiele in Russland und Indonesien, aber auch Bestrebungen in evangelikalen Kreisen – ausgehend von den USA – zeugen davon.
Deshalb wird die vordringlichste Aufgabe sein, wachsam zu bleiben, weitere Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, LGBTIQ-Hassverbrechen entgegenzutreten und anzuzeigen. Dabei dürfen jedoch auch die geselligen Momente nicht zu kurz kommen – und last but not least – gilt es, sich für neue Beziehungsformen einzusetzen.

Max Krieg


Zukunft mitgestalten

Ich bin überzeugt: Auch in Zukunft ist es wichtig, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und sich austauschen zu können. Kurz – einen Ort anzubieten, an dem mensch sich beraten lassen, Fragen stellen oder einfach mit anderen Menschen etwas erleben kann. Natürlich braucht es aber auch weiterhin Menschen, die sich für unsere Sache einsetzen. Ein Verein wie der unsere existiert nur so lange, wie die Menschen hinter ihm stehen. Deshalb: Sollte ich bei dir Interesse geweckt haben, unsere queere Zukunft mitzugestalten, melde dich bei uns!

Christoph Janser, Präsident hab queer bern


hab queer bern Mitglied werden

Hier kannst du dich anmelden: habqueerbern.ch/mitgliedwerden/

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