«Das Lesen in physischen Büchern wird nicht so schnell aussterben.»

Daniel Frey im Chat mit Markus Oehrli von der HAB-Bibliothek

Seine Welt ist die Welt der Bücher. Eigentlich hat er ursprünglich Kartograf gelernt (wie ich notabene), machte aber dann die Leidenschaft zum Beruf und bildete sich zum Bibliothekar aus. Und er ist seit 25 Jahren Mitglied unseres Vereins. Wer sich regelmässig in der HAB-Bibliothek Bücher oder DVDs ausleiht kennt Markus Oehrli.

Den Grundstein zur HAB-Bibliothek hat unser Verein bereits Ender der 1970er Jahre gelegt – also bereits kurz nach der Gründung. Was hat sich seither in deinen Augen verändert?
Eine Menge. Vor vierzig Jahren gab es weder E-Books noch DVDs oder Streaming. Inhaltlich war die Bandbreite von queerer Literatur viel kleiner, da z. B. Ratgeber zu Transidentität oder Kinderbücher mit gleichgeschlechtlichen Charakteren noch absolute Raritäten waren. Heute ist der Kauf oder die Ausleihe auch kein Outing-Risiko mehr. Unsere Themen sind in Buchhandlungen und Bibliotheken selbstverständlich geworden.

Buchhandlungen verschwinden langsam (so wie es keine Schallplattenläden oder Videotheken mehr gibt). Warum braucht es die HAB-Bibliothek noch?
Weil das Lesen in physischen Büchern nicht so schnell aussterben wird. Das Angebot an queerer Literatur ist sowohl in Buchhandlungen als auch im Internet fast unüberschaubar. Da trifft es sich gut, dass du in der HAB-Bibliothek ein sorgfältig ausgesuchtes Best-of von Belletristik, Sachbüchern und Filmen findest. Fachkundige Bibliothekare geben dir auf Wunsch gerne den einen oder anderen Lesetipp. Du findest bei uns auch längst vergriffene Werke, die selbst in der grössten Buchhandlung der Welt, dem Internet, nicht mehr zu bekommen sind. Unser Deal ist: Die Ausleihe ist gratis, doch bringe die Medien bitte wieder zurück, damit sie anderen ebenfalls zur Verfügung stehen.

Eine Bibliothek ist auch ein Wissensspeicher. Wie wird die HAB-Bibliothek dem im Zeitalter des World Wide Web noch gerecht?
Ein Wissensspeicher ist die Dreieinigkeit von Räumen, Medien und Menschen. Eine Bibliothek braucht also erstens Platz und eine attraktive Präsentation. Gerne hätten wir z.B. Glas- statt Holztüren, damit man die Bücher beim Eintreten sofort sehen kann. Dazu benötigen wir freilich das Einverständnis der Bernau-Betriebsleitung. Zweitens denkt man bei einem Wissensspeicher an einen abwechslungsreichen und aktuellen Medienbestand. Wir arbeiten stetig daran, die wesentliche queere Literatur deutscher Sprache anzuschaffen und gleichzeitig veraltete Werke auszuscheiden. Der dritte Pfeiler einer Bibliothek sind die Menschen. HAB-Bibliothekare und Publikum kennen sich und tauschen rege Tipps zu Neuerscheinungen aus. Diese Vertrautheit ist ein grosser Vorteil gegenüber den anonymen Weiten des Internets, wo selbst der grösste Quatsch bejubelt wird.»

Vereinsarbeit sollte (ehrenamtliche) Teamarbeit sein. Etwas, dass sich in den letzten 50 Jahren stark verändert hat. Mensch ist nicht mehr bereit, sich längere Zeit für einen Verein zu engagieren. Wie funktioniert diese Teamarbeit in der Bibliotheksgruppe?
Wir treffen uns zweimal pro Jahr zum Einkaufen und anschliessend zu einer Sitzung. Daneben hat jeder sein Ämtli, das z. B. den Materialeinkauf, das Katalogisieren oder die Betreuung unseres E-Mail-Postfachs betrifft. Und natürlich sind wir im Turnus am Mittwochabend in der Villa Bernau für das Publikum da. Die aktiven Bibliothekare arbeiten seit Jahren zusammen; einige sind schon seit zwei oder drei Dezennien in der Gruppe. Diese Konstanz hat gewiss mehrere Gründe, darunter die Sinnhaftigkeit unserer Aufgabe und die überschaubare zeitliche und administrative Belastung.

Apropos Teamarbeit: Bevor die habInfo in Druck geht, kontrollierst du jede Ausgabe auf Fehler (dafür bin ich dir sehr dankbar). Mir scheint, dass du den Duden auswendig kennst. Sprache verändert sich – auch durch konsequentes Gendern. Wie gehst du damit um?
Von «konsequent» kann keine Rede sein. Menschen sind im Gegenteil sprachlich sehr flexibel. Sie passen ihren Sprachgebrauch intuitiv an, je nach Gegenüber, Zielgruppe, Medium, Lebensalter usw. Ich selbst schreibe und lese hauptsächlich amtliche und wissenschaftliche Texte, die formal komplett anders daherkommen als ein Text für die habinfo. Damit kann ich problemlos umgehen. Hauptsache, ein Text hat eine klare Aussage und liest sich flüssig. Übrigens habe ich die Deutschstunden in der Schule nicht besonders gemocht. Objekt, Subjekt und Prädikat sind für mich bis heute Fremdwörter. Und mein Mann kennt die Kommaregeln besser als ich. Das darf auch mal gesagt sein.

Der Mann an deiner Seite ist Walter. Ihr gehört einfach zusammen, ergänzt euch und strahlt eine wunderbare Harmonie aus. Ein Herz und eine Seele! Wann läuten die Hochzeitsglocken?
Typische Frage der Schweizer Illustrierten … Zwanzig Jahre lang haben wir gefrotzelt: «Noch nicht in dieser Legislatur». Jetzt, da die «Ehe für alle» Tatsache ist, haben wir uns schon längst im Zustand der ewigen Verlobung eingerichtet. Kommt Zeit, kommt Rat.

Die Fragen stellte Daniel Frey von habInfo

habqueerbern.ch/bibliothek

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