«Ich bin gerne ein offenes Buch»

Zu Gast bei Mia Willener

Mia Willener ist eine engagierte Frau. Sie hat mit «Mias queere Welt» ihre eigene Sendung bei QueerUp Radio, sie ist im Vorstand von «hab queer bern» für die Politik zuständig und sie ist Mitglieder der BDP/Die Mitte Kanton Bern. Hermann Kocher hat sie in ihrem Zuhause in Kaufdorf im Gürbental besucht.

«Ich bin manchmal eine etwas bünzlige Latino-Transfrau, die gerne diskutiert und direkte Antworten gibt, auch wenn sie dem Gegenüber nicht immer gefallen.» Mit diesen Worten eröffnet Mia Willener unser Gespräch. Bevor wir dies vertiefen, bittet sie mich auf den Balkon ihrer Wohnung in Kaufdorf. Vor uns breitet sich das ganze Gürbetal aus, mit Sicht bis zum Bantiger auf der linken und zur berühmten «Dreifaltigkeit» der Oberländer Berge auf der rechten Seite. Mia geniesst diesen Ausblick sichtlich, obwohl schon bald ein Wechsel bevorsteht: Im Herbst werden sie und Urs Vanessa in das Elternhaus von Mia in Belp ziehen. Das Geländer des Balkons zieren zwei Flaggen. Eine zur Gletscher-Initiative und eine zur «Ehe für alle» (die Mia auch auf sich bezogen «durchaus eine Überlegung wert» findet). Die beiden Fahnen verweisen auf zwei Engagements, die eng mit Mia und untereinander verbunden sind: die Politik und die LGBTIQ-Community.

«Ich bin manchmal eine etwas bünzlige Latino-Transfrau, die gerne diskutiert und direkte Antworten gibt, auch wenn sie dem Gegenüber nicht immer gefallen.»

Zurück im Wohnzimmer fällt der Blick auf ein Plakat zu «Achtung, fertig, Charlie!». Mia findet diesen Streifen als «etwas vom Besten an Schweizer Filmen zum Thema Militär – wenn man genügend Humor mitbringt». Mia selber hat, damals noch als Mann gelesen, eine mehrjährige Militärkarriere hinter sich, die bis zum Fourier führte, «vorbelastet» von Vater, Onkel und Grossvater, die alle begeistert Militärdienst geleistet hatten.

Doch zurück zu den Anfängen! Geboren wurde Mia im Jahr 1983 in Bolivien. Bereits im Alter von vier Wochen kam sie − «nicht mit dem Storch, sondern schlafend im Jumbo-Jet der Lufthansa» – zu ihren Schweizer Eltern, die eine Tierarztpraxis in Belp führten. Wichtiger als die Umstände ihrer Geburt, die nicht mehr genau zu erhellen sind, ist Mia der Bezug zur Kultur ihres Herkunftslandes. So hat sie das betreffende Dorf einmal besucht, was eine für sie gute Erfahrung war. Nach der obligatorischen Schulzeit in Belp und einem 10. Schuljahr absolvierte Mia eine Hotelhandelsschule, verbunden mit einer Kaufmännischen Lehre. Nach der darauffolgenden Zeit im Militär fand sie einen Job im Kundendienst von «Mobility» in Luzern. Vor rund sechs Jahren nahm sie eine neue berufliche Herausforderung beim online-Kundendienst von «Bauhaus» in Belp in Angriff. Diese Tätigkeit übt sie bis heute aus.

Schon als junger Mensch begann Mia, sich für Politik zu interessieren. Zuerst fühlte sie sich im moderaten Berner Flügel der SVP wohl. Als sie auch die rigidere Seite jener Partei in Luzern kennenlernte, die sich zunehmend auf die Themen Europa und Asyl einschoss, wechselte sie zur GLP. Immer mehr tat sie sich allerdings schwer mit der «zu grünen Ausrichtung und beinahe Europa-Hörigkeit» jener Partei. So führte der Weg schliesslich weiter zur «BDP/Die Mitte», für die sie 2019 als erste Transfrau in der Schweiz für den Nationalrat kandidierte und gute 1‘921 Stimmen erhielt. Zudem bewarb sie sich kürzlich für einen Sitz im Berner Grossen Rat, wobei sie 1’593 Stimmen erzielte.

Von hier spannt Mia nun den Bogen zu ihrem Engagement in «hab queer bern», wo sie neu im Vorstand sitzt und künftig für das Ressort Politik zuständig ist. Ihr liegt das «politische Spiel», das Verhandeln und Suchen von Lösungen und Kompromissen. Hohe Priorität hat für sie das Thema Hate Crime. Hier will sie sensibilisieren und entsprechenden Vorstössen im Berner Grossen Rat Support geben. Um den politischen Prozess aus queerer Perspektive mitzubestimmen, nimmt sie auch die Chancen wahr, die ihr die regelmässigen Moderationen von QueerUp Radio auf RaBe bieten. Denn Handlungsbedarf bestehe ja nach wie vor: Nachdem Schwule als Feindbild weggefallen seien, hätten heutzutage Transpersonen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. In dieser Situation eine stützende Community im Rücken zu wissen, ist Mia sehr wichtig. Und dass die Zürcher Pride in diesem Jahr unter dem Motto «trans – Vielfalt leben» steht, gibt ihr Kraft. In ihrem Ringen um gleiche Rechte wurden ihr Persönlichkeiten wie der Politiker Harvey Milk in San Francisco oder die Schauspielerin und Transfrau Laverne Cox zum Vorbild.

Mias eigener Weg zur Transition konkretisierte sich im Alter von rund 25 Jahren. Ihr dämmerte damals, dass nicht nur ihre etwas dunklere Hautfarbe sie «anders» machte. Dank Google-Recherchen und Berichten im Internet (etwa zur Transition von Claudia Sabine Meier) sowie einer psychologischen Begleitung wagte sie sich an ein Coming-out heran. Wie auch in anderen Herausforderungen, analysierte sie die Lage glasklar: «Was mache ich wann? Auf welche Szenarien muss ich mich vorbereiten? Was kann schief gehen?» Schief ging dann allerdings viel weniger als befürchtet. Die Eltern unterstützen sie von Anfang an. Auch an der Arbeitsstelle waren die Reaktionen neutral oder positiv-interessiert. Mia nimmt dies alles gelassen. So auch die Frage, ob sie im Dorf als trans-intergeschlechtliches Paar wahrgenommen würden. «Wir sind doch einfach ein Paar, zwei Menschen. Schubladisierungen machen alles nur kompliziert», entgegnet sie.

Würde ihr Leben verfilmt, so könnte dieses Werk «Hoppla» heissen. Auf dem Werbeplakat wäre eine Person dargestellt, die unter einer Unmenge von Koffern, Paketen und vor allem Ordnern zu liegen kommt. Diese Person – nennen wir sie Mia – würde «zetern und futere wie ein Rohrspatz», sich aber dann aufrappeln und alles neu sortieren.

Meine abschliessende Frage, was im Gespräch zu persönlich sei, um es zu veröffentlichen, kontert Mia mit der Aussage: «Ich bin gerne ein offenes Buch. Wer nichts versteckt, dem oder der kann man auch nichts anhängen.»

Hermann Kocher

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