Und jetzt? Sind wir am Ziel?

Noch nicht – es geht weiter!

Nun dürfen auch gleichgeschlechtliche Paare offiziell den Bund fürs Leben schliessen. Ein Meilenstein für die Gleichberechtigung von schwulen, lesbischen und bisexuellen Menschen. Warum aber können nicht mehr als zwei Personen ihre Partnerschaften rechtlich absichern?

Und warum können nicht mehr als zwei Elternteile als rechtliche Eltern anerkannt werden? Warum ist die Anerkennung eines von einer Leihmutter im Ausland geborenen Kindes für Männerpaare noch immer mit grossen Hürden verbunden? Und warum ist die Leihmutterschaft in der Schweiz überhaupt verboten? Warum werden (trans) Männer, die ein Kind gebären, als «Mutter» und mit ihren Geburtsnamen registriert?

«Das Ziel – wie Heteropärchen – eine Ehe eingehen zu können, ist damit endlich erreicht, wobei es noch familienrechtliche Benachteiligungen zu beseitigen gilt.»

Eva Schmid

Schritt für Schritt haben sich Schwule und Lesben die gleichen Rechte erobert: Seit dem 1. Juli 2022 unterscheidet der Staat bei der Ehe nicht mehr, ob Paare nun andersgeschlechtlich oder gleichgeschlechtlich lieben. Vergessen sind die bereits in den 1980er Jahren geführten Diskussionen rund um die «Homo-Ehe» und darüber, ob die Ehe nicht doch eigentlich ein Auslaufmodell sei. Da wir als kleine Minderheit nicht die Gesellschaft ändern konnten und damit alles, was mit dem Ehebegriff zusammenhängt – wie etwa die christliche Tradition –, blieb uns einzig die Forderung nach Gleichstellung. Wir wollten nicht anders behandelt werden.

«Man sollte die Ehe abschaffen … ein Instrument aus dem Mittelalter … brauchen mündige Bürger nicht … gleiche Rechte für alle ob hetero, schwul, lesbisch, trans und weiss der Geier was noch!»

David DelMaestro
Kommentar im Tages Anzeiger

 

Queere Familienformen anerkennen

Mit der «Ehe für alle» ist ein längst fälliger Schritt getan. Doch gerade im Familienrecht zeigt sich ein grosser Handlungsbedarf, um Kinder in Regenbogenfamilien optimal rechtlich abzusichern. Deshalb haben die Mitglieder von Pink Cross an der Mitgliederversammlung vom 2. April 2022 in Bern ein Positionspapier verabschiedet, das als Grundlage für echten familienpolitischen Fortschritt dienen soll: «Mit unserem Familienpapier schlagen wir eine Zukunftsvision vor für eine Gesellschaft, in der alle Familien gleichermassen anerkannt und geschützt werden», erläuterte Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross, in einer pünktlich zur Öffnung der Zivilehe veröffentlichten Medienmitteilung.

«Die Schweiz hat mit der Einführung der ‹Ehe für alle› einen längst fälligen Schritt gemacht. Es werden aber weitere Schritte fällig – und wir bleiben dran, dass wir nicht für jeden wieder zehn Jahre warten müssen.»

Barbara Stucki

Ziel der Politik sollte sein, alle Lebensrealitäten abzubilden und Rechtssicherheit «für alle» zu schaffen. So will Pink Cross mit dem Positionspapier die Diskussion anstossen, wie Leihmütter und Kinder vor Ausbeutung und Verletzung ihrer Menschenwürde geschützt werden können. Eine darauffolgende Legalisierung der Leihmutterschaft in der Schweiz würde ermöglichen, dass andersgeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Paare nicht ins Ausland ausweichen müssen. Nur so können strenge ethische Richtlinien garantiert werden.

Mehrelternschaft

Zudem soll ein Kind mehr als zwei rechtliche Elternteile haben können. Dafür schliessen der erste (und gegebenenfalls zweite) Elternteil eine gemeinsame Vereinbarung mit den weiteren Elternteilen ab.

Dass gerade für diese Forderung nicht alle Verständnis haben, war zu erwarten. So schreibt «20 Minuten» in grossen Lettern: «Bürgerliche toben wegen Mehrelternschaft». Das Gratisblatt zitiert u.a. SVP-Nationalrat Mauro Tuena, der sich sicher ist, dass es keinen Grund gebe, wieso ein Kind «vier oder fünf Elternteile» haben soll – die Natur sehe das nicht vor. «Zudem stellt sich die Frage, wen man anrufen soll, wenn das Kind beispielsweise Probleme in der Schule hat? Zuerst Papi eins, dann Papi zwei und zum Schluss Mami drei? Das führt doch nur zu Konflikten und einem Chaos». Und die «Weltwoche» sieht sogar die gesellschaftliche Ordnung und Stabilität in Gefahr. Es sei an der Zeit sich zu fragen, «ob die Forderungen der LGBTQ-Community nur noch den egoistischen Zielen ihrer Mitglieder dienen». Stellvertretend für unzählige Kommentare unter dem Weltwoche-Artikel sei hier «lektor» zitiert: «Schon die Tatsache, dass gleichgeschlechtliche Eltern Kinder adoptieren oder deren Produktion in Auftrag geben dürfen ist für mich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit».

Fortpflanzungsmedizin

Die ablehnende Haltung einzelner Kreise von Politik und Kirchen bei der Umsetzung – Schrittchen für Schrittchen – unserer Rechte zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Geschichte. Die Gegenargumente sind immer gleich: Es ist «gegen die Natur» oder das «Kindeswohl ist in Gefahr». Auffallend ist allerdings gerade bei der Fortpflanzungsmedizin die Meinung der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS.

In einer am 29. Juni 2022 veröffentlichten Medienmitteilung schreibt die EKS als theologisch-ethischen Diskussionsbeitrag: «Gott überschreitet in seinem schöpferischen Handeln nicht nur die Grenzen der Natur. Er kann auch Elternschaft schenken, wo Paaren aufgrund ihrer körperlichen Konstitution die eigene Fortpflanzung ohne medizinische Hilfe nicht möglich ist.» Also ist für die evangelisch-reformierte Kirche die Fortpflanzungsmedizin kein Problem? Doch, wie ich in der gleichen Medienmitteilung lese: «Aus der heutigen reproduktiven Autonomie ergebe sich aber kein Recht auf die Erfüllung eines Kinderwunsches. Jede Zeugung und Geburt bleibt auch im biomedizinischen Zeitalter unverfügbar, ein Wunder.» Dabei sei die Fortpflanzungsmedizin «kein Instrument, um werdendes Leben nach den Wünschen der Eltern zu formen».

Ich ziehe aus der Medienmitteilung der EKS folgendes Fazit: Die Technik der Fortpflanzungsmedizin kann auch aus theologischer Sicht natürliche Prozesse ersetzen und umgehen – die Natur bildet also keine unüberwindbare Grenze für die Elternschaft. Dabei liege es aber an «Politik und Gesellschaft, mit diesen Möglichkeiten respektvoll und verantwortlich umzugehen».

Politik ist gefordert

Damit sind also für unsere nächsten Schritte nicht nur wir, sondern auch die von uns gewählten Politiker*innen gefordert. Ich habe nachgefragt – etwa beim Berner SP-Stadtrat (und HAB-Mitglied) Szabolcs Mihalyi. Das Recht, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten könnten, hebe ironischerweise hervor, was zwischen Heteros und Heteras rechtlich alles schieflaufe: «Männer und Frauen sind immer noch nicht gleichgestellt. Die Unterschiede zwischen Mutter- und Vaterschaftsurlaub oder das Konzept der Witwenrente heben es für gleichgeschlechtliche Paare hervor.» Gleichstellung für gleichgeschlechtliche Ehen werde es somit erst geben, wenn Mann bis Frau in und ausserhalb der Ehe in der Schweiz gleichgestellt sind.

Für Eva Schmid, Parteisekretärin der SP Stadt und Region Bern und Fraktionspräsidentin der SP Muri-Gümligen, ist klar, dass gerade die Mehrelternschaft durchaus als Ziel angestrebt werden könne. Denn das Familienrecht sollte im Interesse der sozialen Sicherheit die bestmögliche Absicherung für alle Beteiligten, vorab für die Kinder, gewährleisten, egal welche Form des Zusammenlebens ihre Eltern oder engsten Bezugspersonen gewählt haben. Wichtig erscheine ihr aber, den Gesamtkontext im Auge zu behalten: «Warum wird mit dem zivilrechtlichen Vertragskonstrukt ‹Ehe› nur eine Form des Zusammenlebens staatlich geschützt und privilegiert? Hier sollte man ansetzen und darüber nachdenken, auch andere Formen des Zusammenlebens zivilrechtlich zu regeln.» Dabei wäre es auch gleich eine Chance – nach 50 Jahren Frauenstimmrecht – den alten, patriarchalen Zopf der gemeinsamen Besteuerung von Ehepaaren abzuschaffen und die Individualbesteuerung einzuführen.

Auch für Barbara Stucki, GLP-Grossrätin im Kanton Bern (und auch HAB-Mitglied), ist klar, dass wir mit der «Ehe für alle» noch nicht am Ziel sind. Etwa im Bereich der Hinterlassenenrente gebe es beispielsweise noch eine Ungleichbehandlung. Zudem, wie Barbara betont, «gibt es gerade im Bereich Prävention von Hate Crimes und ganz allgemein in der Aufklärung bezüglich Sexualität und Geschlechtsidentität noch viel zu tun».

Und Szabolcs betont, dass hart erkämpfte Rechte nicht unbedingt für die Ewigkeit sind: «In den USA hat das Bundesgericht gerade das Recht auf Abtreibung gekippt – nach 50 Jahren! Und die ‹Homo-Ehe› wird vom selben Gericht auch bereits hinterfragt. Wir bleiben in der Pflicht, es in unserem Land nicht so weit kommen zu lassen.»

Daniel Frey

Kommentar

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