Während seiner Amtszeit als Präsident der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern (HAB) zwischen 1973 und 1975 ärgerte sich Urs Büttikofer über den Rektor der Uni Bern und freute sich über die Eröffnung des «Zabi», dem ersten Gay-Club in Bern. Der heute 77-Jährige schaut zurück auf eine bewegte Zeit.
Ich traf Urs Büttikofer kurz vor seinem 77. Geburtstag online via Zoom-Meeting. Im Gespräch erzählte er mir, dass er zwei Wohnsitze habe, er sei in Winterthur und in Berlin zuhause. Und er sei seit 20 Jahren ein glücklicher Single. Bei der Gründung der HAB im Dezember 1972 habe er in Bern gewohnt, hier auch sein Jus-Studium abgeschlossen und kurze Zeit als Jurist bei einem Bundesamt gearbeitet. Er habe aber immer gewusst, dass Jurist nicht sein Traumberuf sei. Deshalb sei er 1975 dann auch nach Zürich umgezogen, um eine Zweitausbildung als Psychologe und Psychotherapeut zu machen. Sein Ziel sei immer eine eigene Praxis gewesen.
Bei der Gründung der HAB war Urs Büttikofer also 27. Er könne sich nicht mehr genau daran erinnern, ob er bei der eigentlichen Gründungsversammlung dabei war. «Ich kann mich aber noch sehr gut an den damaligen Gründungsgroove erinnern, es war eine tolle und bewegte Zeit», erzählte mir Urs während unserem Zoom-Meeting. «Jedenfalls habe ich den Statutenentwurf und das Grundsatzpapier eingebracht.» Der Zweck des Vereins wurde in diesen Statuten mit «Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen» eher umschrieben als beschrieben.
Erasmus Walser benennt in seiner Chronik über die ersten 20 Jahre HAB-Geschichte den ersten Präsidenten als «Sepp». Auf meine Frage, wer den dieser «Sepp» gewesen sei, meinte Urs Büttikofer: «Ich kann mich an diesen Sepp nicht mehr erinnern. Vermutlich sei dieser nicht geoutet gewesen und habe kalte Füsse gekriegt und ich habe das Präsidium übernommen.»
In den ersten Gründungsjahren seien es keineswegs nur linke Studenten gewesen, die den noch jungen Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern das Gesicht gaben. «Man war eher kritisch gesinnt den Studis gegenüber, die als kopflastig galten und man sich mit ihnen kaum entspannen und amüsieren konnte». Und Urs ergänzte: «Die Mehrheit der Mitglieder waren also nicht Studierende, sondern Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Aber es waren vorwiegend junge Leute so zwischen 25 und 35».
«Politisch links war sicher die Info-Gruppe, die von Hans-Rudolf Huwiler angeführt wurde. Er war von Beruf Hochbauzeichner. Und es gab noch die Uni-Gruppe, da spielte der sehr engagierte und viel zu früh verstorbene Pius Köppel eine wichtige Rolle. Dabei hat allerdings die Uni selbst – ausser beim Intermezzo mit dem Rektor, der uns Räume an der Uni verweigerte – keine Rolle gespielt. Die dritte und wichtige Gruppe war dann eben die Klub-Gruppe, die sich um ein eigenes Lokal kümmerte.»
Seine Aufgabe als Präsident sei vor allem eine Brückenfunktion zwischen den einzelnen Gruppen gewesen. Urs Büttikofer erzählte weiter, dass er es immer als sehr wichtig empfunden habe, dass zwischen den Mitgliedern Gespräche stattfanden und so eine entspannte Atmosphäre entstand. «Hans-Ruedi Huwiler meinte zwar immer, dass wir als ‹Klübli› gesellschaftlich nicht weiterkommen. Ich war da aber eher der Meinung, dass wir mit Agitation und politischen Grabenkämpfen die Heteros nur erschrecken.»
«Für mich war klar, dass Gleichberechtigung nur über den Weg des Dialogs möglich ist.»
Urs Büttikofer, der (fast) erste HAB-Präsident
Der «Uni-Skandal» und der Brief an den Rektor der Uni Bern
Ebenfalls noch sehr gut könne er sich an den Brief erinnern, den er dem Rektor der Uni Bern geschrieben habe. Die HAB wollten in einem Hörsaal einmal mehr den Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» zeigen und vor allem auch über die Lebenssituation von Schwulen diskutieren. Urs Büttikofer drückte im Brief seinen Ärger darüber aus, dass die HAB für den Anlass keine Werbung machen durften und nur HAB-Mitglieder hätten teilnehmen dürfen. «Das empfanden wir als happig und einmal mehr als Beweis, dass man uns Steine in den Weg legen wollte.» Rückblickend sei das damals wie heute in Russland gewesen, in Russland sei ja Werbung für Homosexualität unter Minderjährigen verboten: «Wir tolerieren euch zwar, aber macht dafür keine Werbung!»
«Zabi»
Im Herbst 1974 vermietete die Bauunternehmung Wirz den HAB im City West ein Lokal – das nach dem Kultfilm «Zabriskie Point» benannte «Zabi» entstand, analog zum damals in Zürich schon bestehenden «Zabi». Herr Wirz sei sehr «kooperativ und offen» gewesen und habe die Räumlichkeiten ohne Probleme vermietet, erzählte mir Urs Büttikofer nicht ohne Stolz. «Unser Zabi war sehr erfolgreich. An den Samstagen waren jeweils 20 bis 30 Leute da – sogar Heteros. Es habe eine Lounge gegeben und einen Raum für die Disco. «Aufgelegt hat mein damaliger Freund Armando, der Tänzer im Stadttheater war.» Aber im «Zabi» habe es auch immer wieder Versammlungen gegeben, wo diskutiert wurde und auch Aktionen – beispielsweise Flugblatt-Aktionen im sogenannten «Milieu» – organisiert wurden.
[Die Freude am «Zabi» war allerdings kurz. Der Bauunternehmer und konservative Stadtrat Wirz witterte politischen Unrat, als er erfuhr, dass im «Zabi» nicht bloss getanzt, sondern auch schwulenemanzipatorisch diskutiert wurde, und kündigte im Januar 1976 den Mietvertrag.]
Das Gespräch führte Daniel Frey. Es wird im Herbst vollständig in der Chronik «50 Jahre HAB» erscheinen.