Zeichen der Hoffnung

Buchtipp: «Eine anderes Land» von James Baldwin

Der Roman «Another Country» (dt. Eine anderes Land) erschien im Jahr 1962 und erzählt die Geschichte einer Gruppe von Freunden in New York City: Eine messerscharfe Analyse über die Auswirkungen sozialer Grenzziehung – bis ins Intimleben hinein. Der Verlag dtv hat ihn neu auf Deutsch übersetzt. 

Von Martin Mühlheim

James Baldwin (1924-1987)

James Baldwin, 1924 geboren, war ein streitbarer Zeitgenosse: Er publizierte kompromisslose Essays über Rassismus und  Klassenschranken in den USA und engagierte sich im Civil Rights Movement. Baldwin lebte zeitweise in Paris, kannte Zeitgenossen wie Jean-Paul Sartre, Marlon Brando, Josephine Baker, Martin Luther King und Malcolm X persönlich und zog 1970 nach Saint-Paul de Vence im Süden Frankreichs, wo er 1987 verstarb. Schon seit Mitte der 1950er-Jahre schrieb Baldwin ausserdem literarische Texte, die queere Themen offen behandelten – so beispielsweise den Roman «Giovannis Room» (1956). 
Weisse in den USA sind, laut Baldwin, durch ihre jahrhundertelange Konfrontation mit Schwarzen unwiderruflich verändert worden: Nicht nur die schwarzen Ex-Sklaven seien ein neuer Typ Mensch, sondern auch die Weissen. Und diese in doppeltem Sinn geteilte Geschichte müsse nicht zwingend nur eine Last, sondern könne auch eine Ressource für die Zukunft sein. Die Geschichte vom bewegten Leben James Baldwins und wieso seine Texte bis heute aktuell geblieben sind, kannst du hier lesen.

Leben und Sterben in der Grossstadt

James Baldwins dritter Roman «Another Country» von 1962 liegt jetzt in eine neuen Deutschen Übersetzung von Miriam Mandelkow vor. Die Geschichte ist in der Metropole New York angesiedelt. Im ersten von drei Teilen schildert Baldwin die zunehmende  Verzweiflung des Jazz-Drummers Rufus Scott, der mit der weissen Südstaatlerin Leona eine intensive und zunächst glückliche Beziehung eingeht. Dieses Glück dauert jedoch nur kurz: Zu sehr leidet Rufus unter einem zutiefst verinnerlichten Rassismus; er beginnt, Leona immer schlimmer zu misshandeln, bis diese einen Zusammenbruch erleidet und von ihrer Familie in ein Sanatorium in den Südstaaten gesteckt wird. Rufus kann die Last seiner Schuld nicht ertragen und begeht kurze Zeit später Selbstmord.

Rufus’ Freunde – der angehende Schriftsteller Vivaldo, dessen erfolgreicher Mentor Richard und Richards Frau Cass – bleiben verstört zurück: Was trieb den feinfühligen und gleichzeitig brutalen Rufus in den Abgrund? Auch Rufus’ Schwester Ida versucht, mit dem Tod des Bruders klarzukommen, und als Vivaldo und Ida sich ineinander verlieben, steht zwischen ihnen immer auch der Schatten des verstorbenen Freundes beziehungsweise Verwandten.

Liebe und Verlangen

In dieser gespannten Situation nach Rufus’ Selbstmord trifft eine überraschende Nachricht ein: Eric, ein Schauspieler, der sich momentan in Frankreich aufhält, wird in Kürze nach New York zurückkommen und möchte seine Freunde wiedersehen. Eric stammt ursprünglich aus einer wohlhabenden Familie aus dem segregierten Süden, wo er sich vor vielen Jahren in einen etwas älteren Schwarzen verliebt hat: Eine Gefahr nicht in erster Linie für Eric, sondern für den Geliebten, der klarer als sein privilegierter Freund die gesellschaftliche Unmöglichkeit ihrer Liebe erkennt. Eric zieht später nach New York und von da nach Frankreich, wo er den Stricher Yves kennen und lieben lernt. Als ein Rollenangebot aus New York eintrifft, entschliesst sich Eric zur Rückreise; Yves soll später nachkommen.

Mit Erics Ankunft in New York wird die Gefühlslage der  Hinterbliebenen noch komplexer: Cass fühlt sich einsam in der Ehe mit Richard und weckt bei Eric ein nie gekanntes Begehren; Vivaldo sucht in Erics Nähe einen Weg zum verstorbenen Freund Rufus, ebenso wie in seiner Beziehung zu dessen Schwester Ida. Und Ida versucht, nicht nur ihre Trauer zu überwinden, sondern auch ihre Karriere als Sängerin aufzubauen, was zu Spannungen mit Vivaldo führt – sie aber gleichzeitig  und völlig überraschend der sonst eher abweisenden Cass näherbringt.

«Another Country» ist ein wuchtig-emotionaler und gleichzeitig hochintelligenter Roman, der die Beziehungen der Charaktere analytisch durchleuchtet, ohne dabei kalt oder distanziert zu wirken. Schwul, bisexuell, hetero: Es geht dem Roman nicht um das  Festschreiben  solcher Kategorien, sondern um Liebe und Verlangen als Teil gesamtgesellschaftlicher Konflikte, heimgesucht von Rassismus, Geschlechtsstereotypen und wirtschaftlichen Ungleichheiten, aber auch über sie hinausweisend, als Zeichen der Hoffnung auf eine andere Welt. Ein Jahrhundertroman.


James Baldwin
«Ein Anderes Land

Originaltitel: «Another Country»

ISBN: 978-3-423-28268-0
Verlag: dtv
576 Seiten
Sprache: Deutsch,  Übersetzung: Übersetzt von Miriam Mandelkow

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