«Heterolike only»

Wie es zur Homonormativität kam

An die Bemerkungen in den Profilbeschreibungen auf schwulen Dating-Plattformen wie etwa «Keine Dicken, keine Asiaten, keine Tunten» haben wir uns ja bereits kopfschüttelnd gewöhnt. Aber da entdeckte ich doch tatsächlich vor kurzem die Bemerkung «Heterolike only». Wie bitte? Schwule, die aus eigener Erfahrung Diskriminierung kennen, wenden selbst pauschale, klischeebeladene Raster an, wenn es um die Wahl eines potenziellen Partners geht? Wie konnte es dazu kommen?

Vor ein paar Tagen las ich in den «Swiss Aids News» einen spannenden Artikel von Dr. Karsten Schubert, wissenschaftlicher Assistent an der Professur für Politische Theorie, Philosophie und Ideengeschichte der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Die Kernaussage seines Artikels: «Die Stigmatisierung und Homophobie, die mit der Aidskrise einhergingen, führten zu Scham und zur Verstärkung des schwulen Wunsches, in die Mainstream-Gesellschaft integriert zu werden, und waren deshalb ein wichtiger Treiber der Anpassungsstrategie der Schwulenrechtsbewegung». Und er schreibt über «Homonormativität» und wie sie mit der PrEP überwunden werden könnte …

«Die PrEP ist eine Safer-Sex-Methode, bei der HIV-Negative ein HIV-Medikament einnehmen, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Die PrEP schützt vor HIV, aber nicht vor anderen Geschlechtskrankheiten.»

Karsten Schubert teilt die Aidskrise in Phasen ein: In der ersten Phase (ca. 1980 bis 1985) sei Aids «insbesondere als Schwulenkrankheit» und nicht als allgemeine Gesundheitskrise diskutiert worden. Eine moralistische, homophobe Rhetorik der Schuldzuweisung machte Schwule für Aids verantwortlich, schwuler Sex wurde als moralisch schlecht dargestellt – im Gegensatz zu «heteronormativem, gesundem, gutem Sex». Die zweite Phase (ca. 1986 bis 1995) wurde vom Kondom dominiert, der Kondomgebrauch mit verantwortungsbewusstem und rationalem Verhalten gleichgesetzt – nicht nur zur eigenen Sicherheit, sondern auch zum Schutz anderer. «Die moralische Unterscheidung zwischen gutem, heteronormativem Sex und schlechtem, schwulem Sex wurde durch die Unterscheidung zwischen gutem, sicherem schwulem Sex und schlechtem, riskantem schwulem Sex ergänzt», wie Schubert im Artikel feststellt.

Dann in der dritten Phase der Pandemie (ca. 1996 bis 2012) sei das Kondom zum Standard der sexuellen Gesundheitsprävention geworden. Und in dieser Zeit habe sich «die homonormative Unterscheidung zwischen guten und schlechten Schwulen gefestigt».

«Wir sind genau wie ihr»

In seinem Buch «Armee der Liebenden» schrieb vor über 40 Jahren Rosa von Praunheim: «Wir müssen lernen uns als Schwule zu akzeptieren, herausfinden welche Bedürfnisse wir als Schwule haben». Und von Praunheim fragte sich und uns ziemlich deutlich: «Wollen wir die heterosexuelle Ehe nachahmen mit all ihrer ‹Scheisse›?». Tatsächlich hat sich die Schwulenemanzipation aber vor allem auf die vollständige Eingliederung in die bürgerliche, heteronormative Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die Ehe, die Arbeitswelt, das Militär und die Adoption, konzentriert. Und Karsten Schubert ist sich sicher: «Schwule, die zu provokant waren, bedrohten die politische Botschaft ‹Wir sind genau wie ihr›, die von den schwulen Aktivisten als notwendig erachtet wurde, um die rechtliche Gleichstellung zu erreichen». Gerade die Aidskrise hätten zu Scham und zur Verstärkung des schwulen Wunsches, in die Mainstream-Gesellschaft integriert zu werden geführt: «Mit dem Fortschritt der rechtlichen Gleichstellung wurde ein homonormatives schwules Leben zunehmend möglich und lebbar, und da sich mehr Schwule dafür entschieden, breitete sich die Homonormativität weiter aus, denn es gab immer weniger Gelegenheit für schwule Subjektivierung in schwuler Kultur».

«Tatsächlich hat sich die Schwulenemanzipation aber vor allem auf die vollständige Eingliederung in die bürgerliche, heteronormative Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die Ehe, die Arbeitswelt, das Militär und die Adoption, konzentriert.»

PrEP: Revolutionäres Potenzial

Und somit sind wir bei der vierten Phase der Pandemie (ca. seit 2013) angelangt: Die PrEP entkoppelt schwulen Sex vom HIV-Risiko. Karsten Schubert im Artikel: «Die PrEP ist deshalb so revolutionär, weil sie die schwule Sexualität vom Kondom als Gradmesser der individuellen Verantwortung und Schuld befreit». Dies führe zu einer sexuellen Befreiung durch eine Verringerung der Stigmatisierung und schränke damit den Haupttreiber der Homonormativität ein – und dies notabene wiederum die Möglichkeit einer Erneuerung der queeren Politik. Doch sei die homonormative Konstellation durch die Einführung der PrEP nicht einfach unmittelbar unterbrochen worden, vielmehr habe sie zu einem krassem Widerstand gegen die PrEP geführt.

Schliessen wir den Kreis zu den am Anfang geschilderten diskriminierenden Bemerkungen in Profilen auf Dating-Plattformen. Diese Version innerhalb der eigenen Community der homophoben Schuld und Scham trage zum homonormativen Konstrukt von «guten und schlechten Schwulen» bei, erklärt Karsten Schubert. Und sie zeigen, wie wichtig es für Schwule ist, auf der «guten» Seite zu stehen.

Neue sexuelle Befreiung durch die PrEP

Karsten Schubert stellt in seinem Artikel fest, dass sich – angetrieben von den Fortschritten der antiretroviralen Therapie und der PrEP sowie Dating-Apps – in westlichen Städten neue, sexuell befreite schwule Subkulturen entwickelt haben. «Diese Entwicklungen können als ein zeitgenössischer queerer Anschluss ans Projekt der sexuellen Befreiung der Siebzigerjahre betrachtet werden», schreibt Schubert weiter.

«In dem die PrEP die sexuelle Subjektivierung und Ethik verändert, beseitigt sie Stigma als einen wichtigen Motor homonormativer Politik.»

 Gemäss Karsten Schubert kann also die PrEP der homonormativen Politik entgegenwirken und zu einer queeren Politik führen, die sich nicht dem gegebenen bürgerlichen Lebensstil anpasst, sondern Hetero- und Homonormativität und damit einhergehende Systeme sexueller, rassistischer und ökonomischer Unterdrückung kritisiert. «Die neue sexuelle Befreiung durch die PrEP kann somit zur Entwicklung neuer queerer Solidaritäten führen, die über den engen Rahmen schwuler Interessenpolitik hinausgehen», ist sich Schubert in seinem Artikel sicher.

Wie sich die Schwulenemanzipation 50 Jahre nach deren Erwachen im queeren Kontext und in unserem Buchstabensalat tatsächlich noch entwickelt, wird sich zeigen.

Daniel Frey


Der Artikel ist aus dem HAZ-Magazin

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