Kim de l’Horizon fügte dem Klassiker von William Shakespeare queere Texte hinzu, Sabine Auf der Heyde inszenierte den Sommernachtstraum radikal. Er wird zur Liebeserklärung an das Theater, zum Manifest für Feminismus, zum Statement für Liebe jenseits der Genderzuschreibungen- und Grenzen.
Schon vor mehr als 400 Jahren, als William Shakespeare seine Stücke schriebe, waren sie erfolgreich und rüttelte gleichzeitig an den Traditionen des Theaters. Ob Dramen, in denen viel gestorben und geblutet wird, wie «Hamlet» und «Romeo und Julia», oder Komödien, in denen er sich über die herrschenden Verhältnisse lustig macht, wie in «Viel Lärm um Nichts» und «Ein Sommernachtstraum», wurden vom Publikum begeistert aufgenommen und geliebt. Dass sie auch heute noch auf den Bühnen dieser Welt zu sehen sind – und auch ihren Weg auf die Kinoleinwände fanden – spricht für deren zeitlose Qualität. Übrigens gibt es auch den Mythos, dass Shakespeare der Erfinder von Drag ist! Weil damals Frauen nicht auf die Bühne durften, wurden die weiblichen Rollen von Männern gespielt. Dafür verwendete Shakespeare das Kürzel DRAG, für «Dressed Resembling A Girl». Aber das ist nicht wissenschaftlich erwiesen und vermutlich nur eine gute Geschichte.
William Shakespeare, den man getrost als Theaterrebell bezeichnen darf, der mit gezielten Provokationen Aufsehen erregte, hätte bestimmt Freunde dran gehabt, dass ein queerer Mensch, dem Drag nicht fremd ist, sein Stück mit neuen Texten ergänzt. Die Ehre Shakespeares «Sommernachtstraum» ein Update zu verpassen, wurde der Geschlechtsrebell*in Kim de l’Horizon erwiesen. Kim ist neue Hausautor*in von Bühne Bern und wird auf deren Homepage so beschrieben: Kim studiert Transdisziplinarität an der ZHdK und malt dort ökofeminstische Burnoutbilder der Erde, bewegt sich an der Grenze zwischen Literatur und Malerei, Theorie und Kunst, Keramik und Rupaul. Kim wackelt gerne an den Bildern, die wir von Körpern haben, die wir von Menschen und Nichtmenschen haben, die wir von «Natürlichkeit» haben, die wir vom «Wir» haben. Von der Ernst-Göhner-Stiftung erhält Kim ein Stipendium «for artists in training». Darum trainiert Kim jeden Tag. Jeden. Fucking. Tag.
Ein Sommernachtstraum
Eine laue Nacht, eine junge Frau, die mit ihrem Geliebten in den von Elfen und Naturgeistern beherrschten Wald flüchtet, um einer Zwangsheirat zu entkommen, ein Racheplan aus Eifersucht, eine Blume mit berauschender Wirkung: ein Sommernachtstraum. Die wohl bekannteste Komödie über den Traum einer besseren, freieren Welt von William Shakespeare wird von Sabine Auf der Heyde inszeniert: mit grossem Ensemble, durchsetzt mit eigens für diese Inszenierung geschriebenen Texten von Kim de l’Horizon – gleichermassen sinnlich, musikalisch und politisch.
Irrungen und Wirrungen der Liebe. Die Geschichte wie ein verwirrender Traum: Der Fürst Theseus ist gerade in Athen angekommen und verkündet seine Hochzeit mit Hippolyta, einer Amazone, deren Herz er «gewann, als er ihr Wunden schlug». Gezähmt werden muss auch Hermia, die sich dem Willen ihres Vaters, Demetrius zu ihrem Mann zu nehmen, nicht beugen will, denn ihre Liebe gilt Lysander. Auch Helena glaubt ihre wahre Liebe gefunden zu haben, und zwar in eben jenem Demetrius, der im Begriff ist, ihre Freundin Hermia zu heiraten, und macht ihr gesamtes Selbstbild von der Bestätigung dieses einen Mannes abhängig. Athen steht für Macht und Dominanz. Lysander, der die Liebe Hermias erwidert und für diese Liebe kämpfen will, schlägt deshalb die Flucht in den Wald vor, in den Wald, wo «die Zukunftsbringer» leben. Hermia stimmt diesem Plan zu, denn Athen bietet ihr nur drei Möglichkeiten: Heirat eines von ihr nicht geliebten Mannes, Tod oder Zölibat – einen Tod sterben wird sie in jedem Fall. Und so flüchten die beiden Liebenden aus dem patriarchalen System Athens, einem System, in dem Frauen gleichsam wie Tiere erbeutet werden und Männlichkeit durch die Kontrolle über andere Körper, sei es Menschen oder Tiere, aufgebaut wird. Den Fluchtplan von Hermia und Lysander verrät Helena Demetrius, und so geht auch er in den Wald, um Hermia zu suchen, gefolgt von Helena, die Demetrius um Liebe anbettelt. Doch vergeblich ist das Flehen Helenas, nie wird sie die Liebe Demetrius’ bekommen, denn sie ist in ihren eigenen Augen nicht so schön wie Hermia. Und sie weiss: Wer schön ist, wird geliebt, wer hässlich ist, eben nicht. Deswegen diese Körper beackert werden, um so nah wie möglich an die perfekten Körper heranzukommen, die wir heute tagtäglich in digital manipulierter Form sehen.
Sabine Auf der Heydes Inszenierung mit den ergänzenden Texten von Kim de l’Horizon ist radikal: ihr Sommernachtstraum wird zur Liebeserklärung an das Theater, zum Manifest für Feminismus, zum Statement für Liebe jenseits der Genderzuschreibungen- und Grenzen. Bestimmt ein Höhepunkt in der Berner Theatersaison! «Ein Sommernachtstraum» wird am noch bis im März in der Vidmar 1 aufgeführt.
EIN SOMMERNACHTSTRAUM
von William Shakespeare, erweitert von Kim de l’Horizon
Regie: Sabine Auf der Heyde
Bühne: Magdalena Gut
Kostüm: Esther Bialas, Magdalena Gut
Musik: Jacob Suske
Darsteller*innen: Claudius Körber, Lucia Kotikova, Isabelle Menke, Vanessa Bärtsch, Mariananda Schempp, Linus Schütz, Kilian Land, Genet Zegay, Jonathan Loosli, Jan Maak, David Berger
Nächste Vorstellung:
Sa., 29. Januar
Di., 15. Februar
Do., 24. Februar
Sa., 5. März
Tickets: www.buehnenbern.ch