Gisela Hochuli: «Ich habe einen inneren Drang zu performen»

Ludwig im Gespräch mit der Performancekünstlerin Gisela Hochuli

Gisela Hochuli macht seit 25 Jahren von Bern aus Performancekunst. Eine Kunstrichtung, die oft etwas rätselhaft und seltsam erscheint. Unser Autor Ludwig Zeller wollte herausfinden, was das genau ist und wie frau zur Performancekünstlerin wird. Er traf eine Frau, die ihm zeigte, wie wichtig der Moment ist, und dass man es manchmal einfach passieren lassen muss.


Gisela Hochuli meldete sich bei mir, weil sie bei der Planung einer Ausstellung über die Geschichte der Performancekunst in der Schweiz mithilft. Ich soll ihr helfen ein paar Daten zu verifizieren. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf und machte mit ihr einen Termin ab. Denn ich will schon seit langem für bern.lgbt ein Porträt über sie schreiben.

Ludwig und Gisela

Gisela und ich lernten uns Ende der 80er-Jahre in Basel kennen, in einem Club namens Totentanz. Wir waren beide jung, wild und auffällig gekleidet. Sie zog ein paar Jahre später nach Bern um zu studieren. Im schwul-lesbischen Berner Kuchen trafen wir uns wieder. Beide machten wir beim Homo-Fest mit, das 1992 in der Reitschule stattfand. Ich legte damals zum ersten Mal als DJ auf – und gründete danach mit Freunden das TolerDance – Gisela schmiss an diesem Abend zusammen mit Maxi die Bar. Für ihre Bar-Schicht haben sie sich Jacken genäht aus in Plastik eingeschweisstem Fleisch – Jahrzehnte vor Lady Gaga! «Unter den Jacken waren wir nackt. Wenn wir uns lasziv gebückt haben, um eine Flasche Bier aus der Harasse zu nehmen, zeigten wir unseren Arsch. Das war unsere Performance!», erinnert sich Gisela lachend. Wenige Jahre später trat Gisela mit ihrer damaligen Freundin bei einer Dragshow am TolerDance auf. Sie trugen Schweizer Armeeuniformen und wedelten zu einem Lied von Trio Eugster mit Dildos rum. Ein frecher und lustiger Auftritt, den ich nie vergessen werde! Dass aus Gisela eine Performancekünstlerin werden wird, liess sich da schon erahnen. Doch wie ist es genau dazu gekommen, und was ist Performancekunst eigentlich? Um das herauszufinden, ging ich in den Progr, wo Gisela Hochuli ein Atelier mit anderen Künstler*innen teilt.

Die Begrüssung ist herzlich. Seit mindestens 10 Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen! Im Atelier liegen viele Bilder am Boden. «Die sind nicht von mir, sondern von einer anderen lesbischen Künstlerin», erklärt Gisela. Gisela malt nicht auf Papier, sie macht Bilder mit ihrem Körper, dem Raum, einem Objekt und der Zeit; Performancekunst nennt sich das. Wir machen es uns in der Sitzecke bequem. Nachdem wir unsere gemeinsamen Erinnerungen ausgetauscht und Daten verifiziert haben, beginnen wir mit dem Interview. Ich will herausfinden, wie aus dem Mädchen, das ich im Totentanz kennenlernte eine Performancekünstlerin wurde.

In Bern Hat Gisela die Performancekunst entdeckt

1989 kam Gisela fürs Volkswirtschaft- und Soziologie-Studium nach Bern. Neben dem Studium verkehrte sie bald in Berns Homokreisen und der Lesben- und Frauenszene. Neben dem Studium sammelte sie Erfahrungen im Theater. Sie half mit bei drei Stücken von Isabelle Jacobi, war Statistin im Stadttheater und Regieassistentin von Meret Matter beim Club 111. Doch sie merkte bald, Theater ist nicht mein Ding. Damals lernte Gisela auch Norbert Klassen kennen und sein «STOP.T.P.», wo der ehemalige Schauspieler Grenzbereiche zwischen Theater und Performance erkundete. Norbert Klassen gilt als ein Pionier der Performancekunst und leitet ab 2001 bis zu seinem Tod 2011 das bekannte BONE Festival für Aktionskunst. «Zu Beginn hatte ich etwas Angst vor ihm, aber dank ihm fand ich zur Performancekunst. 1997 gründete ich dann mit zwei anderen Frauen die Gruppe ‹das Korn präsentiert›». Mit dieser Gruppe konnte sie am BONE Festival auftreten, machte ein riesiges Korn-Mandala für die Weihnachtsausstellung in der Kunsthalle Bern, das die Besucher weiterführen konnten, und war bei der Aktion «Kunst am Ball» dabei, die im alten Wankdorf Stadion stattfand, bevor dieses abgerissen wurde. Weil es alle drei Frauen in eine andere Richtung zog, fiel die Gruppe bald auseinander. «Ich hatte damals eigentlich noch nicht viel Ahnung davon, was ich da mache. Nach der Trennung von ‹das Korn präsentiert› habe ich mich entschieden, Performance endlich richtig zu lernen».

Obwohl Giselas Vater gerne sagte «Kunst sammelt man, macht sie aber nicht», wollte sie nach dem Abschluss ihres Volkswirtschaft- und Soziologie-Studiums eben doch Kunst lernen und machen. Dass sie das ‹bürgerliche› Studium abgeschlossen hat, kommt ihr heute zugute, denn dieses brachte ihr den Brot-Job. Dass mit Kunst kein Essen auf den Tisch kommt, mag vielleicht stimmen, doch die Leidenschaft für Kunst wurde ihr in die Wiege gelegt. «Ich komme aus einer kunst-affinen Familie, meine Mutter war Künstlerin, mein Vater Architekt. Als Familie gingen wir oft an Ausstellungen und Jazz-Konzerte. Ich wurde bereits als Kind mit moderner Kunst konfrontiert und habe sie geliebt. Schon damals war ich ein Fan von Meret Oppenheim. Ich erinnere mich, dass wir extra nach Bern fuhren um den neuen Brunnen von Meret Oppenheim auf dem Waisenhausplatz anzuschauen. Wieso der Brunnen damals, das war 1983, so viel Opposition auslöste, habe ich nicht verstanden. Ich fand ihn toll! Ich bin mit dem Experimentellen, mit dem Freidenkenden und dem Forschenden in der Kunst aufgewachsen. Heute überrascht es mich nicht, dass ich in der Performancekunst eine Form fand, die perfekt zu mir passt». Dass sie ihr Atelier ganz in der Nähe vom Oppenheim-Brunnen hat, ist bestimmt auch kein Zufall.

«Ich bin mit dem Experimentellen, mit dem Freidenkenden und dem Forschenden in der Kunst aufgewachsen. Heute überrascht es mich nicht, dass ich in der Performancekunst eine Form fand, die perfekt zu mir passt».

«Bei der Performance macht man Kunst mit dem Körper, dem Raum, der Zeit, mit Sound, einem Objekt etc. Hier kann man seine eigene künstlerische Sprache entwickeln» beschreibt Gisela ihre Kunst. Also die totale Freiheit – doch wie kann man das lernen? «Damals gab es noch keine Performancekunst Ausbildung in der Schweiz», erklärt Gisela, «Ich ging an die Zürcher Hochschule der Künste um Bildende Kunst zu lernen. Ich sagte ihnen, dass ich Performancekunst lernen will. Sie antworteten, wir haben Monica Klingler, sie kommt vier Mal ihm Jahr, um das bei uns zu unterrichten. Von dieser Performancekünstlerin, Choreografin und Tänzerin, und ihren Gastdozent*innen, habe ich viel gelernt. Ich habe gelernt, wie man mit Präsenz umgeht und mit dem Publikum, wie man mit der Zeit und dem Raum arbeitet. Ähnlich wie bei der Schauspielerei. Natürlich schaut man sich auch die grossen Namen in der Performancekunst an wie die Fluxus Bewegung oder Marina Abramović um die eigene künstlerische Sprache zu finden. Ich mache gerne physische Performance und Materialuntersuchungen. Dafür nehme ich ein Objekt aus dem Alltag, trete mit diesem in Kontakt, mache mit ihm Handlungen. Meistens Sachen, die man im Alltag mit diesem Objekt eben nicht macht. So entsteht ein neuer Blick auf einen alltäglichen Gegenstand, ein Art bewegtes Stillleben.»

Ein Bild kann man an die Wand hängen, eine Skulptur in den Garten stellen oder sie als Wertanlage anschaffen. Doch Performance kann man nicht sammeln. Sie passiert nur einmal. Gisela sagt, für sie sei Performance ein abstraktes Theater. «Ich schlüpfe dabei aber nicht in eine Rolle, sondern bin mich selbst und führe eine Handlung aus, die für unser Alltagsdenken keinen Sinn ergibt. Performance bedeutet ‹per form›, also in eine Form bringen. Es geht um Fokus und Prozess, auch um Repetition und ad absurdum führen. Eine Performance macht nicht nur etwas mit dem Performenden, sondern auch mit dem Zuschauenden. Performance ist eine subversive Kunst und indirekt auch politisch. Sie kann unsere Effizient hinterfragen. Im Alltag soll alles immer funktionieren, bei Performance geht es aber auch oft ums Scheitern».

«Performance ist eine subversive Kunst und indirekt auch politisch. Sie kann unsere Effizient hinterfragen. Im Alltag soll alles immer funktionieren, bei Performance geht es aber auch oft ums Scheitern»

Gisela gibt viel von sich als Person in eine Performance. In diesen Momenten, wenn sie performt, ist sie ganz bei sich, ob vor Publikum oder alleine im Wald. Doch was bekommt sie dafür zurück? «Es macht einfach Spass! Wenn ich vor Publikum in voller Aufmerksamkeit und Konzentration performe, kommt eine grosse Energie zurück. Wenn ich spüre, dass die Zuschauenden mit mir im Moment sind, ist das ein Glücksmoment. Meine Performances haben oft etwas Meditatives. Ich baue gerne eine Atmosphäre, eine Stimmung auf, um diese dann zu verwandeln. Sie sind oft sinnlich und poetisch. Ich hoffe, dass sie für mein Publikum eine Augenweide sind».

Fotos von Giselas Performances «Masked Walk», 2020 «Gestrig», 2020 und «das rote Tuch», 2018.

 

Mit ihren wilden, rotblonden Locken und der milchweissen Haut ist Gisela ein Kunstwerk der Schöpfung. Auch ihre Performances haben eine schöpferische Ästhetik. Auf ihrer Homepage gibt es ein Foto, auf dem sie mit abgestorbenen Bäumen interagiert bei einem anderen spielt sie mit einem Palmenblatt. Diese Performances stahlen eine ursprüngliche, ja archaische Schönheit aus, die einen berührt. «Jemand sagte mal zu mir: ‹dein Denken wird visuell›. Bei mir kann man den nächsten Schritt erahnen, ich halte zwischendurch inne und gehe wieder weiter. Wenn ich mit einem Objekt agiere, ist das wie eine Partnerschaft, die sich in diesem Moment entwickelt. Ich probe nicht, ich lass es einfach passieren».

Ich finde es sehr mutig, sich auf das Ungewisse einzulassen. Da ist ein Raum, ein Gegenstand und eine Person. Mal sehen was passiert. Wo nimmst du diesen Mut her? «Ich habe einen inneren Drang zu performen. Auch wenn ich keine Anfragen für Auftritte hätte, würde ich es machen. Das Ungewisse, dass es auch mal nicht hinhaut oder langweilig wird, gibt eine andere Qualität. Es muss nicht perfekt und geschliffen sein». Es kommt aber vor, dass es doch mal etwas Übung braucht. Als 2013 der 100. Geburtstag von Meret Oppenheim gefeiert wurde, wollte sie für ihre Heldin seit Kindheitstagen eine Hommage-Performance machen. Dafür musste Gisela mit einer Tasse üben. Sie wollte sie in der Hand halten und ganz leicht schütteln, damit sie auf der Untertasse zu tanzen beginnt. «Wie eine Schlagzeugerin studierte ich die Bewegung, um die Tasse zum Hüpfen zu bringen. Ein Tassenkonzert sozusagen. Sie ist mir tatsächlich nie runtergefallen».

Homo ist selten Thema – Geschlechtsidentität schon

Als queerer Mensch wird man von der Gesellschaft oft wahrgenommen wie die berühmte Pelztasse von Meret Oppenheim, als unnütz und skurril. Schaut man sich auf Giselas Homepage die Liste und Videos ihrer Performances an, erkennt man nicht, dass sie homo ist. Das Wort «queer», dass zurzeit – auch in der Kunstszene – inflationär gebraucht wird, kommt nicht vor. Ist es ihre Absicht, keine expliziten Aussagen zu machen? «Ja, stimmt, es gibt nur wenige Performances von mir zum Thema Homo. Ich machte zwar mal eine, bei der ich mit Fotos aus meiner Kindheit mein Coming Out erzählte. Dort ging es allerdings eher um Geschlechtsidentität, weil ich als Kind gerne ein Bub gewesen wäre. Ich versuche immer wieder mit den Geschlechterrollen zu spielen. Von einer Frau wird erwartet, dass sie schön ist und feine Sachen macht. Ich mache gerne auch mal grobe Sachen und bin aggressiv, denn ich bin beides.» Auch wenn Homosexualität in ihren Performances selten Thema ist, versteckt es Gisela nicht. «Wenn ich gefragt werde, wie ich privat lebe, erzähle ich immer, dass ich auf einem kleinen Bauernhof bei Bern mit meiner Partnerin zusammenlebe. Übrigens feierten Maribél und ich gestern unseren 16. Jahrestag. Ich versuche immer zu erwähnen, dass ich lesbische bin, weil ich finde, dass es ein politischer Akt ist, sich sichtbar zu machen».

«Von einer Frau wird erwartet, dass sie schön ist und feine Sachen macht. Ich mache gerne auch mal grobe Sachen und bin aggressiv, denn ich bin beides.»

Giselas Performances haben eine ästhetische Kraft, enthalten aber keine direkten politischen Botschaften. Sie werden jedoch manchmal von aussen so wahrgenommen. «Beispielsweise als ich an einem Kunst-Festival in Peking war. In China sah ich überall Rot, was mich inspirierte, mit einem roten Tuch in der Form einer Flagge, aber ohne die gelben Sterne drauf, zu performen. Es war eine Materialuntersuchung wie ich sie auch sonst mache. Ich habe feine Sachen mit dem Tuch gemacht, es aber auch geschlagen und auf den Boden geworfen. Das wurde vom Publikum politisch gelesen, was ich nicht beabsichtigte, doch toll fand».

Im Sommer soll im Tinguely-Museum in Basel eine Ausstellung zu Performancekunst in der Schweiz gezeigt werden. Gisela hilft den Kurator*innen dabei ein Mapping für Bern zu erstellen. Es soll aufzeigen, wer seit den 60er-Jahren etwas mit Performancekunst zu tun hatte. In der Geschichte der Schweizer Performancekunst hat auch Gisela Hochuli ihren Platz verdient. Seit 25 Jahren setzt sie sich mit dieser Kunstform auseinander. Ihre Leidenschaft dafür, wie ich bei diesem Interview spürte, ist ungebrochen. Ich traf nicht nur eine Jugendfreundin wieder, ich lernte auch etwas über Performancekunst. Zwar werde ich bei Ausstellungen die kleinen Bildschirme, auf denen historische Performances gezeigt werden, weiterhin ignorieren, denn ich habe gelernt, dass eine Performance vor allem im Live-Moment seine Wirkung entfalten kann. Im Hier und Jetzt zu sein, ist nicht nur bei einer Performance wichtig, dieses Kredo gilt für das ganze Leben. Ich freue mich darauf, bald bei einer Performance von Gisela live dabei zu sein und mit ihr den Moment zu geniessen.

www.giselahochuli.com

 

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