Das LGBTI-Filmfestival Queersicht richtet seinen Blick auf die ganze Welt. Im neuen Programm sind Filme aus 24 Ländern zu sehen. Darunter auch ferne Länder wie Kenia, Südkorea und Chile. Allen Filmen gemeinsam ist, dass sie queeres Leben in ihrer ganzen Vielfalt zeigen.
Vor genau einem Jahr: Nur wenige Tage vor der Eröffnung musste das Berner LGBTI-Filmfestival Queersicht absagt werden. Alle Vorbereitungsarbeiten umsonst! Der Corona-Lockdown hat das Queersicht-Team mitgenommen und in eine lähmende Müdigkeit gehüllt. «Das Gemeinschaftsgefühl, das uns so trägt, ging uns durch das Begegnungsverbot fast verloren. Sich nicht real begegnen zu können, hat uns die Wichtigkeit von Begegnung und Bewegung verdeutlicht», schreiben sie im Editorial zum Programm 2021. Nichtsdestotrotz haben sie von Neuem auf der ganzen Welt nach Filmen gesucht und sind dabei reichhaltig belohnt worden. Der Film spielt per se die Hauptrolle bei Queersicht, und in diesem Jahr besonders. Denn wegen der anhaltenden Pandemie gibt es keine Rahmenveranstaltungen zum Festival. Das ist besonders bitter, weil Queersicht in diesem Jahr eigentlich ihr 25-jähriges Jubiläum feiern wollte. «Wir bleiben diesmal realistisch – und schmalspurig. Das Jubilieren verschieben wir auf 2022, werden euch jedoch bereits heuer mit freudigen Luftsprüngen den neuen Queersicht-Trailer präsentieren können.»
Keine Vorträge, keine Diskussionen, keine internationalen Gäste, keine Lounge? Null Rahmenveranstaltungen? Nicht ganz! Ein Schwatz in der Lobby des Kinos ist immer möglich und Begegnungen ausserhalb der Kinos sind natürlich nicht ausgeschlossen. Die Party am Freitag, 5. November im Dachstock findet statt. In der Turnhalle gibt es zudem ein Konzert mit der queeren Band Dalai Puma am Mittwoch, 3. November. Mehr zum Konzert hier.
25 Jahre queere Filme
Queersicht wurde 1996 von der Filmemacherin Veronika Minder und anderen Aktivist*innen gegründet und fand im November 1997 erstmals statt. In den 25 Jahren ist das Festival zwar gewachsen, aber in einem für Bern typischen gemächlichen Tempo. Seit Anbeginn wird Queersicht ehrenamtlich organisiert und bei der Filmauswahl richtet das Team seinen Blick explizit auch auf Filme, die ausserhalb von Europa und Nordamerika produziert werden. Das ist auch in diesem Jahr so. Während 7 Tagen werden 26 Langfilme, 25 Kurzfilme und 3 Vorfilme aus 24 Ländern in 5 Kinos gezeigt. Wir haben ein paar Höhepunkte herausgepickt.
«Grosse Freiheit»
Der österreichisch-deutsche Spielfilm «Grosse Freiheit» von Sebastian Meise wurde in Cannes mit dem Jurypreis ausgezeichnet. Zu Recht, findet Queersicht, und zeigt ihn deshalb zur Eröffnung des Festivals in zwei Kinos gleichzeitig. Der Film erzählt von Hans, der im repressiven Nachkriegsdeutschland wegen seiner Homosexualität immer wieder eingesperrt wird. Im Knast macht er die Bekanntschaft mit Viktor, der wegen Mordes verurteilt wurde. Die Jahre vergehen. Auch wenn Hans zwischendurch aus dem Gefängnis entlassen wird, landet er früher oder später wieder dort – und dabei auch in Viktors Nähe. «Grosse Freiheit» ist ein berührendes Drama, feinfühlig inszeniert und kongenial gespielt von Franz Rogowski und Georg Friedrich.
«La Fracture»
Auch Catherine Corsinis Spielfilm «La Fracture» konnte in diesem Jahr einen Preis in Cannes abholen. Für ihr politisches Werk gewann sie die Queere Palme. Die Protagonistin Raf bricht sich den Ellenbogen, während sie ihrer Partnerin Julie nachrennt, die sich von ihr trennen will. Zur gleichen Zeit toben die Gelbwesten-Proteste durch die Champs-Élysées. Yann, ein wütender LKW-Fahrer, wird durch eine Granate verletzt. Beide treffen auf der überfüllten Notfallstation des Spitals aufeinander, in dem das knapp besetzte Personal die Anzahl der Verletzten kaum mehr bewältigen kann. In diesem hektischen Durcheinander überstürzen sich die Ereignisse im und vor dem Spital. Allen steht eine lange Nacht bevor.
«A Distant Place»
Das Südkoreanische Drama von Kun-young Park nimmt uns mit auf eine Schaffarm. Dort arbeitet und lebt Jin-woo mit seiner Nichte Seol, die er wie seine eigene Tochter aufzieht. Als sein Partner aus Seoul zu ihm zieht, scheint das Glück vollkommen. Doch kurz darauf steht auch seine Schwester, Seols Mutter, vor der Tür. Jin-woos friedliches Leben gerät ins Wanken. «A Distant Place» ist ein wunderbar gefilmtes Juwel aus Südkorea.
«Colors of Tobi»
Tobi ist 13, als diese Geschichte in der ungarischen Provinz beginnt: die Reise zur Definition der eigenen Geschlechtsidentität. Wir können die Entwicklung, die Tobi im Alter von 16 bis 20 Jahren durchläuft, emotional nacherleben. Die Regisseurin Alexa Bakony zeigt uns einen intensiven Prozess mit interessanten Reflexionen und Wendungen. Ungarn, wie es gestern war und seit dem Notstandsgesetz von 2020 schon nicht mehr ist.
«I Am Samuel»
Peter Murimis Film «I Am Samuel» ist ein mutiger Akt, denn in seiner Heimat Kenia werden alle Menschen kriminalisiert, die sich als LGBTIAQ+ identifizieren. Diese krasse Diskriminierung bringt uns der Regisseur näher mit der Geschichte von Samuel. Er ist auf dem Land aufgewachsen, wo Traditionen einen hohen Stellenwert haben. In Nairobi sucht er Arbeit, ein neues Leben und verliebt sich in Alex. Samuel findet in der Stadt Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Die Liebe zwischen Alex und Samuel gedeiht trotz der Tatsache, dass sie jederzeit verhaftet und verurteilt werden können.
Perlen aus aller Welt
Weitere Perlen des aktuellen queeren Kinos sind der herzerwärmende Roadmovie «The Man with the Answers», in dem der Grieche Victor auf seiner Reise nach Deutschland zu seiner Mutter auf den schlagfertigen Matthias trifft. Oder die romantische Komödie «Kiss Me Kosher», der von der deutschen Biologin Maria erzählt, die sich bei einem Aufenthalt in Israel in die Barbesitzerin Shira verliebt, und die unerwartet schnell Hochzeitspläne schmieden, was bei den Familien grossen Trubel auslöst. Einen Blick zurück in die 80er-Jahre bietet «Rebel Dykes» von Harri Shanahan und Siân A. Williams. Die Rebel Dykes waren laut, trugen Lederjacken, fuhren Motorräder, besetzten Häuser, schufen Clubs, machten Kunst, organisierten Schlammcatchen, liebten Sex und BDSM, rebellierten gegen das Thatcher-Regime und den lesbischen Mainstream. Ein Juwel der Zeitgeschichte mit tollen Archivaufnahmen und Animationen. Im Film «Swan Song» von Todd Stephens fand die 77-jährige queere Schauspieler-Ikone Udo Kier eine Rolle wie für ihn geschaffen. Er spielt einen ehemaligen Promi-Frisör, der in einer Pflegeeinrichtung lebt und sein Leben eigentlich schon aufgegeben hat. Das Angebot eines letzten grossen Jobs führt ihn auf eine Reise in seine Vergangenheit und weckt in ihm neuen Lebensmut. Um eine verbotene Liebe auf eine Türkischen Insel geht es in «Love, Spells and all That» von Ümit Ünal. Nach dem Tod ihres Vaters kommt Eren nach 20 Jahren im Ausland zurück auf die Insel, um ihre Jugendliebe Reyhan wiederzusehen. Doch Reyhan glaubt, dass nur ein Liebeszauber, den sie damals in ihrer Verzweiflung in Auftrag gegeben hatte, Eren zurückgeholt hat, und nicht die Liebe, an die Reyhan nicht mehr glauben mag. Im Film «La Nave del Olvido» aus Chile, der in einer religiös geprägten Kleinstadt spielt, verliebt sich die Witwe Claudina in ihre Nachbarin Elsa, eine unabhängige Frau, die in einer geheimen Bar singt.
Rosa Brille
Besonders beliebt beim Publikum sind die Kurzfilme. Sie sind seit den Anfängen des Festivals ein fester Bestandteil des Programms. Die kurzen Filme werden in drei Blöcken gezeigt und das Publikum darf sie bewerten. Der beste und der kontroverseste Kurzfilm werden mit der «Rosa Brille» ausgezeichnet. Die Siegerfilme erhalten ein Preisgeld, während das Publikum per Losverfahren ebenfalls Preise gewinnen kann.
Weiter Infos, Link zum Vorverkauf und das ganze Filmprogramm von Queersicht findest du unter www.queersicht.ch.